Volltext Seite (XML)
Da richtete sich Charlotte empor. Mit allen Anzeichen der Angst umklammerte sie Evas Arm. „Du mutzt fort — gleich morgen, hörst du, -gleich morgen früh. Hin ist deines Bleibens nicht. Kehre zu Wendenburg zurück, latz dir raten. Du bahnst nicht, wie schwer das Leben ist. Meines ist verpfuscht — ganz verpfuscht, es ist immer werter abwärts mit mir gegangen, so sehr ich mich gesträubt habe. Und nun kommt das Ende." Eva strich ihr die wirren Haarsträhne aus dem Gesicht. Die Angst, die aus den Augen ihrer Mutter leuchtete," lirtz sie erschauern. „Beruhige dich doch, Mutter, du bist so aufgeregt. — Was fürchtest du? Du bist ja geborgen, Onkel Horst sorgt für dich. Und wenn du willst; bleibe ich bei dir, wir fangen ein neues Leben am" .„Nein, du mutzt fort. Versprich es mir, morgen reisest du ab." „Wenn du wieder wohler bist, ja, ich verspreche es dir. Nur sei jetzt ruhig und wehre den trüben Gedanken, die dich peinigen. Sieh, datz du schlafen kannst, und denke, Onkel Horst sorgt gütig, für dich." Charlotte bedeckte die Augen mit der Hand. „Zu spät — zu spät," murmelte sie. ' Eva verstand sie nicht. „Was willst du,, Mutter?" Charlotte drehte sich nach der Wand. ' „Nichts, nichts. Leg dich nur schlafen. Höre gar nicht auf mich — morgen sprechen wir weiter, und dann gehst du fort. Jetzt-latz mich schlafen." Eva legte sich halb entkleidet auf ihr Lager. Besorgt lauschte sie im Dunkeln nach der Mutter hin- - über. Die atmete lang und schwer. Zuweilen entflohen tiefe Seufzer ihren Lippen. Das junge Mädchen fand keinen Schlaf. Als der Mor gen graute, merkte sie, datz ihre Mutter eingeschlafen war. Leise erhob sie sich, nahm fröstelnd ein warmes Tuch um die Schulternund setzte sich im Nebenzimmer ans Fenster. Mit verwachten, brennenden Augen starrte sie auf die Straße hinab. Wie schwer und trübe war das Leben für sie in der letzten Zeit geworden; ob ihr wohl je die Sonne wieder schien? Das Leben der Großstadt begann zu pulsieren, 'immer lauter und energischer drang es zu der Einsamen herauf. Um acht Uhr brachte Frau Krusemann, wir jeden Mor gen, den Kaffee und die Zeitung. „Morjen, Fräuleinchen. Jut jeschlafen?" flüsterte sie, um Charlotte nicht zu wecken. ,Mein, ich bin wach geblieben, Tante war nicht wohl. „Jotte doch, sie wird doch nicht krank werden. Hab nur doch gleich gedacht, datz ihr was schief gegangen, als sie gestern abend so zeitig eintrisb. Das ist doch sonsten ihre Art nicht. Na, hoffentlich verschläft sie - allens. Det kann ooch die Influenza sind." Nachdem Frau Krusemann diese Weisheit in ihrem Ber liner Dialekt zum Besten gegeben, schwankte sie behutsam auf den Fußspitzen wieder hinaus. Es war ein unglaublich komischer Anblick und in aller Sorge huschte ein Lächeln um Evas Mund. Sie trank schnell eine Tasse Kaffee, den Frau Krusemann für Eya immer ertra kochte. Er regte ihre Nerven etwas an. Sie kleidete sich leise an und frisierte sich. Dann setzte sie s^h mit einer Handarbeit ans Fenster. Aus dem Schlafzimmer drang kein Ton herüber. — Charlotte schlief tief und fest vor Erschöpfung. Gegen neun Uhr mochte es sein, als drautzen die Wohnungsklingel er tönte. Gleich darauf vernahm Eva die Stimme der Wirtin in aufgeregtem Gespräch mit einem bestimmten männlichen Organ. Sie nahm kerne Notiz weiter davon« Aber dann kam Frau Krusemann mit erschrockenem Gesicht herein. „Fräuleinchen, Jotte doch, hab ick mir erschrocken. Da L'n Krimineller, der die Frau Tante sprechen will," flüsterte sie aufgeregt und hinter ihr trat auch schon ein Herr ins Zimmer, der sich Eva als Kriminalbeamter legitimierte. »Ich möchte Frau Charlotte Grabow sprechen", sagte er ruhig und bestimmt. Eva sah ihn grotz und erstaunt an. , „Sie schläft und ist noch unwohl. Können Sie Nicht später wiederkommen oder kann ich Ihre Bestellung aus richten?" Der Beamte hatte Eva scharf und prüfend angesehen. Ein flüchtiges Lächeln zuckte bei ihrer Frage um seinen Mund. Diese junge Dame schien keine Ahnung zu haben, was ein Kriminalbeamter war. > „Bedaure, meine Angelegenheit erleidet kernen Aufschub. Bitte, wecken Sie Frau Grabow sofort." » „Aber mein Herr, sie ist unwohl." „Tut mir leid, ich kann darauf keme Rücksicht nehmen. Ich habe einen Haftbefehl und' mutz Frau Grabow mit mir nehmen." * Eva faßte erschrocken nach der Lehne eines Stuhles. „Sie irren sich wohl, mein Herr", sagte sie erblassend. „Rufen Sie Frau Grabow, sonst mutz ich selber vor dringen." - Eva sgh verständnislos und hilfeflehend zu Frau Kruse mann hinüber. Die nickte mitleidig! „Ja, Kindchen, denn müssen Sie die Frau Tante schon rufen, die Polizei spatzt nicht mit so was." „Aber um Gottes willen, warum wollen Sie meine Mutter verhaften, was hat sie denn getan?" entfuhr es Eva in höchster Auflegung. „Ihre Mutter? Ich denke, es ist Ihre-Tante?" fragte der Beamte mißtrauisch. Auch Frau Krusemann ritz die Augen -auf. Eva schien dies jetzt nicht von Wichtigkeit. „Sie ist meine Mutter. Ich sollte sie nur nicht so ! nennen, weil sie als Schauspielerin nicht so alt sein darf. — Aber nun sagen Sie mrr doch, weshalb Sie meine Mutter verhaften wollen?" * „Es ist nicht meines Amtes, darüber Aufklärung zu geben. Bitte, .halten Sie mich nicht länger auf." Eva starrte ihn mit qualvollem Entsetzen an. „Sie kann doch nichts Böses getan haben", sagte sie mit bebender Stimme. - -Der Beamte zuckte ungemütlich die Schultern. Frau Krusemann trat an Eva heran. „Kindchen, Sie soll mit Falschspielern was gehabt haben und Betrügereien und so was. Wecken Sie ihr man, sonst kommen Sie doch noch in Unannehmlichkeiten." Eva fuhr zurück, als hätte sie einen Schlag ins Gesicht bekommen. > , „Das ist doch nicht wahr, mein Herr, sagen Sie, datz es nicht wahr ist." " Der Beamte zuckte ungeduldig dis Achseln und wollte auf das Schlafzimmer zugehen. Da flog Eva bebend vor Angst an ihm vorbei und ging selber hinein. In der Auflegung lietz 'sie die Türe hinter sich offen stehen. Sie trat ans Bett und rüttelte Charlotte an den Schultern. „Mutter — Mutter — wach auf!" Charlotte fuhr entsetzt empor. „Was ist — was . willst du?" „Mutter, um Gottes willen — sie sagen, du wärst eine' Betrügerin. Da ist "ein Polizeibeamter, der dich verhaften will." Charlotte sprang jäh aus dem Bett. „Schon jetzt — schon heute!" rief sie angstverzerrt. „Mutter, das ist doch nicht wahr? Nein, du hast nichts Unehrenhaftes getan, nicht wahr, sie haben kein Recht, dich zu verhaften? Es ist ein Irrtum, eine Lüge, nicht wahr? Schnell, kleide dich an, sage es dem Beamten selbst, datz er sich rrrt." Sie hals Charlotte in fliegender Hast in die Klieider. Ihre Hände zitterten vor Unruhe, denn, trotzdem sie es nicht glauben wollte, eine Stimme in ihr sagte: Es ist wahr. Sie wehrte sich nur dagegen, weil ihr diese Schmach zu ungeheuer lich erschien. Charlotte zitterte an allen Gliedern, in ihren Augen lag der Ausdruck Heitzer Angst. Aber selbst in diesem kritischen Moment war das Wesen dieser Frau unwahr und komödian tenhaft. Mit einem lauten Schrei stürzte sie plötzlich auf das Fenster los,-öffnete es und schwang sich mit dramitischer Ge bärde auf einen Stuhl, um von Km -auf das Fensterbrett M steigen. Ehe jedoch Eva und Frau Krusemann begriffen hatten, das; Charlotte sich aus dem Fenster stürzen wollte,, zog sie schon der Beamte kaltblütig wieder herab. „Lassen Sie die Dummheiten", rief er streng und schloß das Fenster. . . . - Charlotte schlug die Hände wie schaudernd vor Entsetzen über sich selbst vor das Gesicht und sank stöhnend und kraftlos, zusammen. Sie wollte auf jeden Fall Mitleid erregen, und