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270 Langsam öffnet« sie dann das Fenster, um frische Luft herein- zulassen. Dann stand sie eine Weile in schlaffer, müder Haltung am Tische, und plötzlich sank sie in sich zusammen, barg den Kopf in den Armen, die sie über den Tisch breitet«, und stöhnt« auf. Ein trockenes Schluchzen schüttelte ihren Körper — sie fühlte sich grenzenlos einsam und verbissen. Jetzt erst empfand sie voll und ganz, was sie hinter sich gelassen hatte. Mit herbem Schmerz dachte sie zurück an ihre schöne, herrlick>e Heimat, denn «ine Heimat war ihr Villa Anna gewesen. Dort wußten sie nun, daß sie für immer gegangen war, und sahen gewiß auch traurig zusammen. Onkel Horst würde schwer an dem Schlag zu tragen haben, den sie ihm hatte zufügen müssen, Gabi würde weinen und rin wenig Sehnsucht nach ihr haben und er — Bernhard — er trug wohl am schwerste und mußte dabei seine Braut noch zu trösten.versuchen. Er wußte nun, daß sie mit keinem Gedanken untreu gewesen war, und wurde seine Seelenruhe wieder- srnden. Noch eine Weile brannte wohl auch in ihm die Munde fort, aber dann würde sie Gabi mit ihrem Liebesreichtum heilen. Nach und . nach würde der Schmerz um sie sich lindern, und eines Tages würde sein junges Weib, ihre Stelle in seinem Herzen einnehmen. — Dann war sie vergessen. Vergessen! Jetzt stürzten die Tränen aus ihren Augen, in ihrer Vrr- j lassenheit erschien ihr dieses Vergessen doppelt schmerzlich, es brachte ihr sogar,keinen Trost, daß Bernhard Gerold glück licher sein würde, wenn er sie vergaß. Lange dauerte es, b-.s sie ihre Fassung wieder erlangte. Sie erhob sich und ging ruhelos im Zimmer auf und ab. Mit fieberhafter Unruhe «ntwarf sie Pläne für die Zukunft. — Hier war ihres Bleibens nicht lange, das war gewiß. Je eher sie fortkam, um so besser. Nichts ist demütigender und furchtbarer, als wsnn'"sich «in Kind seiner Mutter schämen muß.' Von allen schmerzlichen ! Erlebnissen der letzten Zeit war heute die Szene mit ihrer j Mutter das furchtbarste gewesen. Wie gebrandmarkt kam sie ! sich vor, als könnte sie nun keinem Menschen wieder offen ins j Gesicht sehsir. Es war doch gut, daß sie das Schicksal bestimmt hatte, einsam durch das Leben zu gehen. Wie hätte sie j.tzt noch ihre Hand in die eines Ehrenmannes legen können, nun sie den vollen Unwert ihrer Mutter erkannt hatte! Ihr fein empfindendes Ehrgefühl würde dies nie zugelassen haben. Also fort mußte sie so schnell als möglich. Gleich am nächsten Morgen würde sie Schritte tun, um ii^end eine Stellung zu erlangen. Sie mutzte inserieren und Zeitungen durchsehen. Irgendwo und -wie würde man doch Verwendung für sie haben. Wählerisch wollte sie gewiß nicht sein — nur fort 'von hier, wieder in reine Luft, ohne Schminke und Theaterplunder. Mit düsteren Blicken streifte sie die zahlreichen Photogra phien ihrer Mutter auf der kleinen Etagere. Es waren sonder bare Aufnahmen darunter, dir ihre ehrliche Entrüstung er weckten. In allep möglichen Stellungen und Kostümen hatte sich Frau Charlotte abkonterfeien lassen. Sie sah auf diesen Bildern noch sehr schön aus. Da sie nicht sehr talentvoll war, hatte man sie immer nur als schönes Ausstattungsobjekt angestellt. Nun glich sie diesen Bildern freilich nicht mehr, und auf keinen Fall waren diese geeignet, kindliche Liebe und Verehrung zu erwecken. Erschauernd wandte sich Eva ab. Wo mochte ihre Mutter so spät und in so auffälliger Toilette noch hWgehen? In welcher Gesellschaft würde sie bi; spät in der NaD ausbleiben? Wie gut, daß sie nicht mitgegangen war! Eva trat ans Fenster. Der Grotzstadtlärm tönte herauf zu der Einsamen. Tausende von Menschen hasteten noch vor über, jeder seinem Ziele zu. Und sie war allein — allein. — Sie empfand es schließlich wie eine Befriedigung, als die Wirtin eintrat und frisches Wasser brachte. Sie zeigt« sich jetzt um vieles freundlicher und redseliger, als zuvor, und ihre Augen ruhten mit einem gewissen Wohlgefallen auf Eva. „Na, Fräulein — nich mit ausjejangen?" „Nein, ich bin zu müde", sagte Eva freundlich. „Haben jewitz 'ne weite Reise hinter sich?" forschte Frau Krusemann neugierig. „Ja." . Die kurze Antwort genügte der Alten scheinbar nicht. Sie trat neben Eva hin. „Ein schönes Kleid haben Sie an — sein, natürlich aus Leide garniert — erster Jüte. So wat Schönes hat die Frau Tante nicht. Das ist alles Bühnsnflitter, was "die anzieht. Sic sind wohl nicht Schauspielerin?" „Nein." „Hab ick auf den ersten Blick 'paus jehabt. Ick kenne mit - aus mit so wat'. 'Habe schon manchmal Damens vom Theater im Logis gehabt. Aber so wie Sie, is da keine von. Nich die Bohn«. So, wie Sie, so jehen man die janz feinen Damen von Berlin-W. Oben janz einfach, aber tipp-topp Stoff, und unten Seide. Der Frau Tante ihr janzer Staat is nich so vill« w«rt, als det eene Kleid." Evas Gesicht spiegelte deutlich das Unbehagen wieder, welches sie bei den. Worten der Frau empfand. Sie antwortete nicht. Madame Krusemann zuckte dir Achseln und nahm ihren Wasserkrug. , ,O>och jut. Sie scheinen zu stolz zu sein, um mit Unser- einen 'n freundliches Wort zu reden. Denn nicht. Aber das kann ick Ihnen sagen, ick bin 'ne ehrliche, anständige Witfrau, wenn ick ooch nich mit Theaterplunder behängt bin. Mit der Frau Tante tausche ick noch lange nich. Das will ick nur jesagt haben." Eva sah ihr ängstlich nach, war sie doch jetzt von der Freundlichkeit dieser Frau abhängig. „Ich bin gewiß nicht stolz, Frau Krusemann, nur sehr müde und abgespannt. Ich wollte Sie gewiß nicht kränken, bitte, glauben Sir mir das." Die olle Frau drehte sich sofort besänftigt um und sah in Evas Gesicht. Die schönen, traurigen Augen, die so bittend zu ihr herübersahen, machten sie ganz weich. „Na, denn is schon jut, Fräuleinchen. Und nischt vor unjut, wenn ick 'n bißchen despektierlich von der Frau Tante jesprochen habe. Böse war das nicht jcmejnt. Aber wissen S'.e, Fräuleinchen, die Frau Tante is doch wirklich kein passender llmjang vor Ihnen, es is da nich allens so wie es soll — nehmen 'Sie sich man 'n bißchen in Ächt, daß Sie nich in schlecht« Gesellschaft jeräten.' Verstandevous?" Eva war dunkelrot geworden. „Ich verstehen Sie nicht", stammelte sie betroffen. Frau Krusemann sah mit scharfem, forschendem Blick in das süße, traurige Mädchrnantlitz. Sie besaß genug Men schenkenntnis, um auf diesen Zügen den Stempel der Rein heit und Unschuld zu entdecken. „Na ja — denn will ick ja ooch nischt jesagt haben. Aber es ist jut, daß Sie nicht ausjejangen sind heut abend, und wenn Ihnen nicht sehr ville dran liegt, denn bleiben Sie abends überhaupt lieber hübsch zu Haus. Ick meine nur so — aber ick bin 'ne alte, erfahrene Frau und ick weiß, wi« es in Berlin zujsht. Und nun will ick mir trollen, damit Sic zur Ruhe kommen. Jute Nacht denn, Fräuleinchen." „Gute Nacht, Frau Krusemann — und ich danke Ihnen," sagte Eva, und starrt« mit traurigen Augen in das Lampen licht. Da trat die Alte dicht an sie heran. Mit ihrer-harten, , knochigen Hand faßte sie die schlanke, wkiße des jungen j Mädchens. „Daß Sie nicht zum Pläsiervergnügen nach Berlin je- ! kommen sind, sieht een Blinder ohne Brille^ aber nu man j nich bange. Wenn Sie mal nicht aus und ein wissen, denn s is de Krusemann ooch noch da." Die Worte klangen so ehrlich und herzlich, daß Eva die ! Tränen in die Augen traten. Sie drückte nur stumm die grobe Areibtshand der alten Frau und wandte sich ab. Eva schlief trotz 'aller Müdigkeit noch nicht, als ihr« Mutter gegen 2 Uhr heimkam. Sie stellte sich jedoch schla fend, weil ihr «s unmöglich gewesen rqäre, mit ihr zu sprechen. Charlotte entledigte sich leise ihrer Kleider, rauchte dabei eine Zigarette und trat dann mit dem Licht an Evas Lager. Mit prüfenden, abwägenden Blicken sah sie herab auf das junge Mädchen, deren Brust sich hob und senkte. Keine Spur von Mutterzärtlichkeit lag in diesen Blicken, nur ein kaltes, unruhiges Funkeln. Dann hob sie die «ine der herabgeglittenen Flechten auf und hielt sie gegen das Licht, so daß sie goldig aufleuchtete. Erst dann legte sie dieselbe auf die Kissen zurück. Evas Atem ging schneller, als sie so mit geschlossenen Augen dalag. Der Duft der Zigarette, das starke Parfüm, welches den Kleidern ihrer Mutter entströmte, und das Be wußtsein, daß sie jetzt von dieser mit kalten, prüfenden Blicken beobachtet würde, alles legte sich wie ein Alp auf ihre Brust. Wie erlöst atmete sie auf, als endlich das Licht verlöschte und ihre Mutter sich niederlegte. Fortsetzung folgt.