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Frankenberger Tageblatt, Bezirks-Anzeiger : 27.06.1918
- Erscheinungsdatum
- 1918-06-27
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1786999250-191806277
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1786999250-19180627
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1786999250-19180627
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Frankenberger Tageblatt, Bezirks-Anzeiger
-
Jahr
1918
-
Monat
1918-06
- Tag 1918-06-27
-
Monat
1918-06
-
Jahr
1918
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I rückhaltung li«g«n auf der Hand. Es sind die Erfahrungen, I die meine Amtsvorgänger mit den» Erfolg ihrer Reden ge- I macht haben. Sprachen wir von unserer friedfertigen Ge- I sinnung, von unserer Friedensbereitschaft, so" wurde das von I den einen als ein Symptom unserer Schwäche, unseres un- I mittelbar bevorstehenden Zusammenbruches aufgefaßt, von I den anderen als eine hinterlistig gestellte Falle mißdeutet, I sprachen wir dagegen von unserem unerschütterlichen Milben, t den uns frevelhaft aufgezwungenen Eroberungskrieg erfolgreich I abzuröehren, so hörte man auf der anderen Seite die Säbel I klirren, und es hieb, das sei die Stimme des preußischen Mrli- I tarismus, mit dem sich auch die leitenden Staatsmänner I wohl oder übel abgefunden hätten. Ich bin dann am I 24. Februar «in Stück weiter gegangen und habe Stellung I genommen zu der Botschaft des Präsidenten Wilson. Ich ! habe seine bekannten vier Punkte hier besprochen und grund- I sätzlich meine Zustimmung zu diesen vier Punkten erklärt. ! Ich habe ausdrücklich gesagt, daß diese vier Punkte mög licherweise die Grundlage für einen allgemeinen Weltfrieden bilden könnten. Irgendwelche Aeußerungen des Präsidenten Wilson sind darauf nicht erfolgt. (Hört, hört!) Es hätte deshalb gar keinen Zweck, den damals gesponnenen Faden weiterzuspinnen, insbesondere nicht angesichts der Aeußerungen, die uns seitdem insbesondere aus Amerika zu Gehör gekommen sind. Diese Auslassungen haben ja in wirklich erfreuender Deutlichkeit erkennen lassen, was unter dem Völkerbund zur Erhaltung "der Freiheit und Gerechtigkeit zu verstehen sei. Zu deutlich ist bei unseren Gegnern zu erkennen, was dieser zu bildende Völkerbund nach ihrer Ansicht in Wirklichkeit sein würde und daß es ihnen .gab 'rein« Schwierigkeiten machen würde, mit ihm das aufstrebende Deutschland zu isolieren und ihm durch wirtschaftliche Abführungen den Lebensnerv abzu schneiden. .(Sehr richtig.) Ich habe es dagegen für durchaus angemessen gehalten, daß der Staatssekretär des Auswärtigen Mitteilungen über ! die Einzelheiten unserer politischen Lage im Osten von Finn land bis zum Schwarzen Meer hier machte, in denen er aus Grund seiner Sachkenntnisse und auf Grund der Lrfahruiigen besonders berufen war, die er sich durch mehrmonatige auf opfernde und erfolgreiche Beteiligung an den Friedensver handlungen im Osten erworben hat. Ich bin auch der Mei nung, daß der Staatssekretär sich dieser Aufgabe durchaus sachgemäß entledigt hat. Dagegen haben einige seiner Aeuße- rungen, wie ich zu meinem Bedauern feststellen muß, in weiten Kreisen eine mehr oder weniger erfreuliche Ausnahme erfahren. (Sehr richtig! rechts und bei den Natl.) Der I Staatssekretär hat die Schuldfrage am Kriege gestreift. Ich I will darauf nicht weiter cingehen. Diese Schuldfrage können I wir getrost der Geschichte überlassen. (Zustimmung.) Schon I jetzt liegen Zeugnisse vor, welche beweisen, daß Deutschland I nicht schuld an diesem Kriege war, daß Deutschland nicht I die Fackel entzündet hat, die diesen Weltbrand entfachte. I (Zustimmung.) Es liegt mir nun daran, einige Mißver- I ständnisfe auszuräumen, die, wie mir scheint, bei der Betrach- I tung des zweiten Teils der Rede des Staatssekretärs ob- I gewaltet haben. Die Tendenz dieser Ausführungen des I Staatssekretärs war lediglich, die Verantwortung an °dcr I Fortsetzung und unabsehbaren Dauer des entsetzlichen Krieges I den feindlichen Mächten zuzuschreiben ganz in dem Sinn, I wie ich das hier am 24. Februar getan habe. Denn von I einer Erlahmung unseres energischen Willens, von einer Er- I r Berlin, 26. 6. Die Vossische Zeitung schreibt: Als I der Reichskanzler zu Beginn der gestrigen Sitzung desReichs- I tages sich erhob, zeigte sich sofort, daß sein Versuch, eine unan- I genehme Lage zu klären, aufs dankbarste begrüßt wurde. I Besonders die Betonung des Siegeswillens und Megesoer- I trauens wurde vom ganzen Haus« freudig unterstrichen. Nicht I unbemerkt blieb seine Ablehnung, die Schuldfrage zu erörtern, I die von der Geschichte ohne jeden Zweifel zu uüseren Gunsten I entschieden werde. Gewiß kann man über die politischen Ziele I des Reichskanzlers verschiedener Meinung sein, aber jeder wird I ihm zugestehen, daß ein jedes seiner Worte einen bestimmten, I klaren und festen Sinn hat, der keiner Kommentierung bedarf. Nach dem Kanzler stellte der Staatssekretär die Einzelheiten der Mißverständnisse dar. Hierzu heißt es in der Nordd. Allg. Ztg.: Ein nicht voreingenommener Hörer der Rede, des Staatssekretärs konnte in ihr nur die Tendenz feststellen/ vor einer falschen Wertung der Lage und der aus ihr erwach senden Aufgaben auf Grund einer zu optimistischen Beur teilung der möglichen Kriegsdauer zu warnen und für den Fall, daß die deutsche Bereitwilligkeit, den Krieg durch gerech- ten politischen Ausgleich zu beenden, weiter auf den Wider stand der Feinde stoße, die Verantwortung für die unabsehbare Verlängerung des Krieges den Westmächten zuzuschreiben. Die Volkszeitung meint, wenn der Staatssekretär sich mißverständlich ausgedrückt haben sollte, so war es wahrhaftig nicht den vaterländischen Interessen zuträglich, dieses Miß- Verständnis zum großen Spalt zu erweitern. Herr von Kühl- mann ist ein nüchterner Sprecher, und sachlich dasselbe wie er sagte gestern der fortschrittliche Sprecher Naumann. Aber nicht jeder iss ein so gottbegnadeter Redner wie Naumann. Und so besteht gewiß ein Unterschied im Ton und im Glanz der Sprache. Der Vorwärts sagt: Herr von Kühlmann hat gestern seine Rede vom Montag einer so stark eingeschränkten Auslegung unterzogen, daß nicht mehr viel von ihr übrig blieb. Das Berliner Tageblatt schreibt: Kühlmann glaubt an das politische Metier, an. hie alten Geheimnismethoden, an die Sphinx und er gerät durch mißverständliche Worte und vieldeutige Redekünste nach allen Seiten in Konflikte hinein. Rücktritt Kühlmanns? r Die gewöhnlich gutorientierte „Magdeburger Zeitung" erfährt: Vielfach wird in Berlin die Frage erörtert, ob Staats sekretär o. Kühlmann nach der Aufnahme, die seine Red« in einem großen Teil der deutschen Oeffentlichkeit und wohl auch au anderen Stellen gefunden hat, noch im Amte bleiben kann. Daß er nicht die Absicht gehabt hat, die Sieges zuversicht der Deutschen herabzudrückcn und die Stimmung der Gegner zu beleben, wird natürlich von allen Seiten aner kannt. Bei einem Staatsmann kommt es aber — so sagt man mit,Recht — nicht auf die Absichten, sondern auf die Wirkungen und Erfolge an. Sind diese negativ, so kann der angerichtete Schaden unter Umständen nur durch einen Personenwechsel wieder gutgemacht werden. Vrstlcber üelcdmg Eine Kanzlerrede, die unerwartet kam, leitete am Diens- ! tag die Reichstagsverhandlungen ein. Sie war die Folge des Echos, das Herrn von Kühlmanns -Montagrede in der Presse gefunden hatte. Graf Hertling sprach mit Worten frischster Zuversicht von unseren c-iegen, und Herr von Kühl- mann unterstrich bann noch kräftig. Auch er rechnete selbst verständlich damit, daß ein deutscher Sieg den zukünftigen diplomatischen Verhandlungen vorangehe. Nach diesen Er- klärüngen lenkte die Debatte in ein ruhiges Fahrwasser. » » » I Zunächst wurden kleine Anfragen erledigt. Auf eine Anfrage des Abg. Prinz zu S ch ö na i ch-Car o lath, der auf eine Nachricht hinweist, wonach im Kemmelgebiet in englische Gefangenschaft geratene Offiziere und Mann- I schäften unmenschlich gemartert worden sind, erwidert Oberst l von Franfecki, daß, falls dieses zutreffen sollte, in nach- I drücklichster Weise Einspruch gegen dieses niederträchtige Ner- I brechen erhoben und Sühne und strenge Bestrafung ge- I fordert werden würde. Abg. Schiele (kons.) bittet, während der Erntezeit I Landwirte nicht mehr zum Heeresdienst einzuberufen. Oberst I v. Braun: Eine ganze Berufsklasse kann nicht zurückgestellt I werden. Im übrigen wird allen billigen Wünschen Rechnung I getragen. , - I Die Aussprache über Reichskanzlei und Auswärtiges Amt I wird fortgesetzt. Zunächst erhält das Wort Reichskanzler Graf Hertltng: Ich hatte ursprünglich nicht die Absicht, in diese Aus- I Sprache einzugreifen. Die Gründe für diese beabsichtigte Zu- E 6ne neue WeMräc klovck hiesiger Bei der dritten Lesung der Consolidated Fonds Bill rm englischen Unterhause antwortete Lloyd George auf eine an ihn gerichtete Anfrage über die augenblickliche militärische Lage: Es gibt natürlich viele Informationen, die nicht er- teilt werden können. Zweifellos ist die Zahl der seit dem 21. März angekommenen amerikanischen Truppen befriedigend. Ich kann keine Zahlen nennen; alles, was ich sagen kann, ist, daß ihre Anzahl hinreichend ist, um die Feinde zuletzt zu ent täuschen. Mährend der Debatte ist die verhältnismäßig« Stärke des Feindes und die der Verbündeten zu verschiedenen Zeitpunkten erörtert worden. Die Deutschen selbst behaupten, daß sie geringer an Zahl seien; wahrscheinlich wollen sie damit ihre Kraft hervorheben, Aber eine genau« Berechnung konnte bisher nicht angestellt werden. Wir wissen ungefähr, wieoiele Truppen die Deutschen von anderen Stellen erhielten, und sie kennen natürlich unsere Zunahme und Anzahl der Truppen. Auf jeden Fall erfährt die Stärke der amerikanischen Armee eine sehr schnelle Zunahme, und es würde yns wundern, wenn nicht in kurzer Zeit das Kräfteverhältnis der Alliierten an der Westfront größer wäre als das der Deutschen. Diese sind nun bei ihren letzten Reserven angelangt. Eie müssen diese in den beiden nächsten Monaten in den Kampf werfen. Eie können keine anderen Truppen ausweisen, es sei denn, sie müßten die militärpflichtigen Männer, die in den industriellen Betriebe» beschäftigt sind, zu den Fahnen einberufen. Während der nächsten beiden Monate wird die Lage natürlich sehr bedenklich sein, aber sie wird sich, vom Standpunkte der Verbündeten aus betrachtet, allmählich wieder > bessern. Ohne Uebertreibung sag« jch, daß es.töricht wäre, wenn die Alliierten mit Bangen dem Ausgange dieses Kampfes entgegensehen. Wir stehen am Vorabend großer Ereignisse. Es wird vielleicht binnen weniger Stunden oder innerhalb weniger Tage eine große Schlacht ent- I schütterung unserer Siegeszuversicht kann ja doch sclbstver- I stündlich nicht die Rede sein. (Lebhafter Beifall.) Kaiser I und Reich, Fürst und Volk arbeiten vertrauensvoll zusammen. I (Erneuter Beifall.) Dieses Vertrauen gründet sich auf unsere I unvergleichlichen Truppen (Bravo), auf ihren genialen Führer I (Erneuter Beifall), auf das einheitlich und unerschütterlich I zusammenstehende Volk, das so Großartiges in den hinter I uns liegenden vier Jahren geleistet hat. Wir dürfen hoffen, I daß der Allmächtige, der uns bisher geholfen, der uns von I Sieg zu Sieg geführt hat, diese Treue des deutschen Volkes I belohne. (Stürmischer Beifall.) lieber Einzelheiten wird nunmehr Staatssekretär von I Kühlmann selbst sprechen, um Mißverständnisse aus dem I Wege zu räumen. Staatssekretär von Kühlmann: Man hat mich gestern falsch verstanden. Meine Absicht I war, zu sagen: Verhandlungen von Rednerbühne zu Redner- I bübne werden kaum mehr zu einer Lösung führen, 'also bleibt nichts übrig, als der Weg der vertraulichen oder dip lomatischen Fühlungnahme. Dann zeigte ich, daß die Geg ner diesen Weg vollständig verrammeln und daß dies unver nünftig sei. Der Sieg ist aus unserer Seite und wird die Gegner hoffentlich zu Entschließ.,ingen zwingen, die der Lage entsprechen und den deutschen .Lebensnotwendigkeiten Ge nüge tun. Gegen die Auffassung, als wollte ich nur verhan deln und nicht die Entscheidung durch die Waffen, muß ich aufs energischste protestieren. "Der militärische Erfolg ist die Voraussetzung und die Grundlage der diplomatischen Ver handlungen. Abg. Naumann (Vp.): Das deutsche Völk wird die Weltanstürme aushalten, wen» man es aller Bürger- und Etammesehre für würdig und fähig hält. Unsere eisenfeste Überzeugung, die wir aus vier Kriegsjahren gewonnen haben, ist, daß Deutschland nicht totzumachen ist. Auch Stresemann gegen Kühlmann! Abg. Dr. Stresemann (natl.): Die Rede des Staatssekretärs hat auf meine politischen Freunde geradezu niederschmetternd gewirkt. (Stürmisches Sehr rich tig bei den Natl.) Wir bedauern auf das allertiefste, daß der Satz ausgesprochen werden konnte, daß wir militärisch nicht zum Ende des Krieges kommen werden. Wir Haben den Ost frieden gemacht, das war Ludendorffs Hammer, wie es Lloyd George nannte. (Stürmischer Beifall.) Das Land muß Zia gen, ist denn etwas eingetreten, was zum Zweifel Anlaß gibt? Wir sind aus der Periode des Stellungskrieges heraus. Paris ist wieder im Bereich der deutschen Kanonen, da sollte man alles vermeiden, was die deutsche Siegeszuversicht rm Volke vermindern kann. Warum müssen wir in der Frage der Schuld am Kriege eine Entlastungsoffensive für England vornehmen, wie es gestern der Staatssekretär tat? (Sehr richtig.) Die ganze englische Politik in der letzten Zeit war doch nichts anderes als die Vorbereitung des Krieges gegen Deutschland. Iven» der Sieg unser ist, müssen wir ihn benutzen, um die nötigen realen Sicherungen zu erreichen. Das Verlangen des Nates von Flandern findet hoffentlich die nötige Berück- sichtigung bei unserer Regierung. Die harte Kriegsnotwendig keit, die besetzten Gebiete zu den Lasten heranzuziehcn, wird jede Verwaltung in Mißkredit bringen. Eine Nadelspitzenpoli tik darf man natürlich nicht treiben. Die deutsche Hilfeleistung für Oesterreich-Ungarn findet bei uns vollstes Verständnis. Gegen die austro-polnische Lösung haben jetzt auch die Deut schen in Oesterreich schwere Bedenken. Deshalb tut man gut, sich ja in der polnischen Frage nicht allzu schnell zu binden. Seit mehreren Jahren hören wir nichts von einer Reform des Auswärtigen Amtes. Ein« solche fordert ganz besonders unser auswärtiger Handel, der unter dem Versagen unserer Diplomatie so schwer gelitten hat. Nicht die Personen haben Krieg in sich geschlossen. Da es die Regierungen nicht durch sein« Mittel gewinnen konnte, hätte es die Völker enger fesseln sollen. Das wird gesagt, war aber schwer, da die Entente auch Hier keine Bedenken gehabt hatte und noch weniger Geld gescheut hatte. Die Käuflichkeit der Politiker und der Presse in d«n heute gegnerischen Staaten ist ein bffenes Geheimnis gewesen, ebenso die unsaubere Tätigkeit der nicht offiziellen englischen und französischen Agenten. Für London, für Paris und für P«tersburg war eine solche Diplomatie Tradition, für Deutschland wäre sie recht schmutzige Wäsche gewesen. Unser« Diplomatie stand auf der hohen Warte des politischen Friedensideals, sie übte gewissermaßen eine fest tägliche Tätigkeit aus. Das war von ihr gut gemeint, aber es erweckte falsche Vorstellungen, und darum war es nicht immer angebracht. Die Weltpolitik, die uns gferlose Pläne andichtet, war in die Periode des Egoismus übergeschreckt, sie wollte von der politischen Freundschaft praktischen und mate riellen Nutzen haben. Mit derben, unoerhüllten Worten ge sprochen: „Die Politik war ein Geschäft geworden, bei dem die Ehrlichkeit eine recht kleine, der Profit eine große RolA gespielt hat." Das war auch nicht vornehm, und darum hat wohl mancher deutsche Volksvertreter nicht ju die Verhältnisse draußen klärend eingegriffen, wie es für uns nützlich gewesen wäre. Die Staatskunst hätte hier neue Weg« finden müsse». Aber man darf sich nicht verhehlen, daß das deutsche Gemüt hierbei «inen Teil seiner idyllischen Neigungen wird abgeben müssen. 1886 bekam Bismarck im Reichstag Vorwürfe zu hören, wkil ein widerhaariger Neger von Deutschen in Ost afrika ins Wasser geworfen war. Zehn Jahre später brach der Engländer Jameson im vollen Frieden in das Burenland ein und wurde in London als ein- Nationalheld gefeiert. Da sieht man, wie verschieden sich die Dinge in den Köpfen ge malt haben. Daß der diplomatische Dienst zeitgemäß aus zubauen ist, ist im übrigen so selbstverständlich, wie die Ein richtung der Fliegertruppe. Dafür dürfen wir aber vor allem die Geldmittel nicht scheuen. Nichts ist umsonst, gute Diplo maten aber schon gar nicht. Und es ist recht, daß gerade Hamburg für diese zeitgemäße Neuerung die kräftige An regung gegeben hat. Denn keine deutsche Stadt hat im Ueber- see-Auslande die hohe Stummer des Respekts wie Hamburg. I versagt, sontxru das System. Wie war es möglich, daß ein Fürst Lichnowsky Botschafter in London werden konnte? (Sehr richtig.) Wir protestieren dagegen, daß das Bürgertum fast ganz von den besseren diplomatischen Stellen ausge schlossen ist. Um auch Unbemittelten die Laufbahn zu er möglichen, müssen die Posten dementsprechend bezahlt werden. Deshalb ist es nötig, daß unser dementsprechender Antrag an genommen wird. Abg. .Gröber (Ztr.) beantragt, den Antrag der Natio nalliberalen d«m Hauptausschuß zu überweisen. Das Haus beschließt demgemäß. Abg. Haase (unabh. Soz.): Das Stirnrunzeln der Konservativen und wahrscheinlich bestimmte Depeschen und bestimmt« Stell«» haben den Kanzler heut« zur Rede ge zwungen. Herr v. Kühlmann hat es nicht verstanden, einen schönen Tod zu sterben. Sieger ist Graf Westarp geblieben. Abg. Werner, Gießen (d. Fr.): Herr, von Kühlmann sieht die Friedensresolutiön noch immer als ein Dogma an. Was versteht er unter den Grenzen, die uns bestimm^ sind. Es ist doch unleugbar, daß die geographischen Grenzen für das deutsche Volk bei seinem Wachstum unzulänglich sind. Die Führer des Volkes haben die Pflicht, die großen Taten des Heeres auszunützen und dürfen nicht die Stimmung her abmindern. Aus unserer Diplomatie muß der englische Geist mit eisernem Besen ausgekehrt werden. Aus Rußland hätte entschieden noch mehr herausgeholt werden können. Die Rüs sengefahr ist für uns noch keineswegs vorüber. Die Entwick lung in Polen gibt zu großen Bedenken Anlaß. Die austro- polnische Lösung wäre der erste Nagel zum Sarge des deutsch- österreichischen Bündnisses. Ein Sonderherzogtum Litauen muß abgelehnt und die Personalunion angestrebt werden. Das Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes muß in den Vor dergrund gestellt werden. Wir haben überall nur zu fragen, ob deutsche Interessen in Frage kommen. Di« Flamen dürfen nicht ihrem Schicksal überlassen werden. Bei der Schroffheit der Gegensätze war ein Ausgleich mit England unmöglich. England gibt seinen Vernichtungswillen nicht auf, bevor es nicht am Boden liegt. Vie Diplomatie Ehrlichkeit und Intrige DK deutsche Diplomatie hatte im zwanzigsten Jahr hundert in ihrem Konto keine bezwingenden Erfolge buchen können; wär« das der Fall gewesen, so wäre der Weltkrieg vielleicht verhindert oder stark begrenzt worden. Fürst Bülow, der «in so hervorragender Diplomat war, sprach s. Z. das be kannte Wort von der Extratour Italiens, das nach dem Tode des Königs Humbert (1900) die Wiederannäherung an Frank reich sucht«. Die deutsche Staatskunst hat gewiß das möglichste getan, König-Viktor Emanuel und sein Land beim Dreibunde zu erhalten, aber der König, der im Frühling 1914 noch den Deutschen Kaiser in Venedig begrüßte, ging Pfingsten 1916 zunr Feind« über, nachdem «r im August 1914 seinen bisherigen Verbündeten im Stich gelassen hatte. Die deutsche Politik hatte es abgelehnr, aus der „splendid Isolation" Englands während des Burenkrieges und aus Rußlands Niederbruch nach dem Kriege mit Japan und während der ersten Revolution Nutzen zu ziehen. Der Zar Nikolaus von Rußland und König Georg von England waren noch im Jahre 1913 in Berlin gewesen und erklärten uns im Sommer 1914 den Krieg. Rumänien hatte große politische Freundschaftsbeweise Deutsch lands zu verzeichnen, es wurde trotzdem unser Gegner. Ame rika ist nun gar ein stets hochgeschätzter, lieber Freund ge wesen und hat doch von Kriegsbeginn an unseren Feinden ge holfen, wo es nur konnte. Das sind die Tatsachen. Die deutsche Diplomatie hat es nicht an Mühe fehlen lassen, uns Freunde zu gewinnen und zu erhalten, aber es ist ihr in den Hauptfällen nicht geglückt. Liegt die Schuld an den Diplomaten oder an dem Wechsel des Charakters der Weltpolitik? Die Bismarcksche Diplomatie der „kalten Wasserstrahlen", die in Frankreich, in Rußland und England sehr kraftvoll gewirkt hatte, schloß mit Bismarck. Mit seiner Persönlichkeit und mit den gewalti gen deutschen Machtmitteln drückte er die gegnerischen Schwer ter in die Scheide zurück. Aus der deutschen Politik der offe nen Ehrlichkeit wurde eine solche der ehrlichen Liebenswürdig keit. Bismarck legte den Finger auf die kritischen Stellen in den ausländischen Verhältnissen, der neue Kurs übte Schonung. Unverändert war bei beiden die Friedensliebe. Und es wäre auch wohl die Rühe in der Welt geblieben, wenn französische Revanchesucht, englischer Brotneid, russische Landgier und ita lienische Profitsucht nicht auf den Gedanken gekommen wären, Deutschland und seinen Freund Oesterreich-Ungarn anszu schlachten. Der deutschen ehrlichen Politik stand «ine solche der Intrige und der Geheimverträge gegenüber, die wohl auch «in Bismarck nicht hätt« lahm legen können. Nicht der Friede erschien mehr als das Hauptgewicht für die Diplo matie, sondern das Ausräubern Deutschlands. Die Gegner verschenkten Gebiete, die ihnen nicht ge- hörten. Sollte Deutschland Gleiches mit Gleichem erwidern? Sollte es Rußland Teile des britischen Besitzes in Asien, Jta- I lien französischen Mittelmeerbesitz versprechen? Oder England I auf russisch-französische Kosten buchen Helsen? Alle solche I Abmachungen wären unehrenhaft gewesen und hätten de» I
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