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— SSV — Nocd ei« Aon rill Mkii«g;fsckei Mehrere Wochen sind ins Land gegangen, seitdem Rudolf Boigt mit seiner „Frühlingsfackel'' vor dir Oeffent- lichkeit erschien. Daß er in Frankenberg bisher recht wenig Verständnis gefunden, beweist von neuem die Wahrheit des alten Wortes: Der Prophet gilt nichts in seinem Vaterlande. Die einen sehen ihm mit Kopfschütteln nach, andere zucken unter vieldeutigem Lächeln die Achseln. Es kann selbstver ständlich nicht von jedem eine gerechte und verständnisvolle Würdigung gerade einer solchen literarischen Neuerscheinung » verlangt werden. Damit könnte und mühte sich der junge Dichter natürlich abfinden. Leider haben aber die absprechen den Urteile wohl hie und da eine Form angenommen, die an Beleidigung und Ehrabschneidung grenzt. Solchem tief bedauerlichen Gebühren, das jeder sachlichen und wohl wollenden Beurteilung absichtlich aus dem Wege geht, mutz mit aller Entschiedenheit entgegengetretrn werden. Diese per sönlichen Angriffe haben zum grotzen Teil ihre Ursache in dem auf übertriebener Aengstlichkrit beruhenden Widerspruch gegen die Gedankenkreise, in denen sich die meisten Gedichte Rud. Voigts bewegen. Wer über dir „Frühlingsfackel" aller dings das abgestandene Wasser engherziger, der allgemeinen Menschlichkeit fernstehender und allzu hausbackener Anschau ung erzieht, dem kann sie nicht leuchten, den kann sie auch nicht erwärmen. Sollte jemand im Ernste eins sittliche Ge fährdung der Familie durch das Lesen dieses Buches be fürchten, der mühte auch die Bibel, Goethe, Heine u. a. schleunigst aus seiner Hausbücherei entfernen und im Namen der Sittlichkeit verlangen, dah unverzüglich alle Kinos, The ater und Museen geschlossen werden. Wer einmal ganz vor urteilslos und ohne jeden pharisäischen Dünkel an Voigts Gedichte herangeht und sich als Mensch der unmittelbaren Wirkung seiner wundervollen Sprache hingibt, der muh es fühlen: Hier spricht ein Dichter zu dir, nicht ein Vcrse- macher, hier gibt sich eine reine Seele kund, die in jugend frischer Begeisterung auf Schönheit und Lebensverklärung ein Loblied singt, eine Seele, di: in edlem Kampfe sich selbst und die Mitmenschen über den Alltag. hinausheben will. Und wen es nicht gelingt, dem kühnen Fackelschwinger Verständ- i uis entgegsnzubringen und mit ihm eine Feierstunde zu er leben, dem kann, so lange er sich eines sachlichen, gerechten Urteils befleitzigt und jede persönlich: Gehässigkeit unterläht, niemand einen Vorwurf daraus machen. Es gilt eben dann von ihm das Wort Goethes: „Wenn ihrs nicht fühlt, ihr werdets nicht erjagen." Natürlich ist auch in Rud. Voigts Gedichten nicht eins so wertvoll und schön wie das andere. Das wird aber dem Unbefangenen, der bei der Beurteilung alle Kleinlichkeit, alles Zerpflücken dieser duftigen Blüten und alles schulmeisterliche Mäkeln meidet, nicht abhalten können, festzu stellen: Rud. Voigt ist ein Dichter, hem die Lieder aus der Seele aufsteigen wie der Quell aus verbor genen Tiefen, und er hat ein Recht, an sich zu glauben, i In diesem Sinne treten denn auch Lehrer und Schüler der ' Anstalt, der er als Unterprimaner angehört, für ihn ein. Aber es steht unserm jungen Landsmann noch ein viel schwer wiegenderes Zeugnis für sein kraft- und hoffnungsvolles Talent zur Verfügung. Kein geringerer als einer der be deutendsten Dichter unserer Tage: Richard Dehmel (geb. 1663, lebt in Blankenese) hat ihm sein Bild mit folgender eigenhändiger Unterschrift auf den Weihnachtstisch 1917 ge legt: » „Könnt ich zauberhaft mit Blicken Licht in jede Seele schicken, Klarheit möcht ich keinem geben: dNur Verklärung braucht das Leben." Dehmel. Nachdem dieser Dichter die „Frühlingssacksl" gelesen, schreibt er unter dem 13. Juni 1818 an den jungen Verfasser: „Ich wünsche Ihrem Erstling Glück auf den Weg. Wie ich über Ihre Begabung denke, wissen Sie ja, und und unter Ihren Gedichten ist sogar eiirs von so eigen wüchsiger Gestalt, dah man daraus auf weitere Entwicklung Ihrer inneren Anschauungskraft hoffen kann („Geburt" S. 33). Wenn Sie daran alles messen, was Ihnen künftig einfällt, brauchen Sie keinen fremden Rat mehr. Mit herzlichem Gruh Ihr Dehmel. Möchten diese Erklärungen dazu beitragen, datz man in der Heimat unsern jungen Dichter nicht vorschnell verurteilt, ihn vielmehr durch eine gerechte Einschätzung seines Erstlings- . Werkes in seinem hofsnungsfrohen Aufwärtsstreben unterstützt. Latzt uns vmr ins Blaue schweifen; Scheltet nur, wie weit wir's treiben. Aber ein Barid sollt« bleiben: Jeden, wie er strebt, begreifen." Dehnte!. - Frankenberg, den 21. Juni 1918. Prof. Dr. Mahler. Prof. Pilz. Prof. lic. theol. Trautzsch. Oberl. Sinnnank. * * » Und nun mag der junge Dichter selbst noch das Wort ergreifen: Meiner Mutter! (Gedicht von Rudolf Voigt, Frankenberg.) 'Mutter, du Liebste,, meine ersten Verse, Den Frühlingsstrautz von goldnen Schlüsselblumen Leg' glücklich ich in deine lieben Hände. Du wirst die keuschen Blumen alle nehmen Und frauenweich an deine Lippen ziehen, Die Seele wird von deinem Jungen träumen Und jede Blume wird dir innig duften Don Seligkeit, von ersten Liebesfeuern, In einem Meer von Sternen wirst du schreiten. Mutter, du Liebste, mein« wilde Seele, Sie kam zu dir und suchte nach Verstehen, Du Gütige, du hast mich stets verstanden. Ich brauchte dir mein Herz nur auszuschütten, Von meinem Ziel und Taten dir zu stammeln, s Die Augen leuchteten: Mein lieber Junge! Du glaubtest stets an mich. Und meine Worte Entstammten auch in deiner reinen Seele > Gedanken, die uns lirtzen aufwärts fliegen. Mutter, du Liebste, wenn die wilden Strophen In milden Nächten beide uns umschlangen, Fühltest du auch die Glut von fernen Sonnen. Du blicktest stolz mit mir in Märchenwelten, Die Gott nur jenen Menschen auserlesen, Die selbst den Himmel strahend in sich tragen. Und wenn ich dann, von Feuerskraft getrieben, Die beiden Hände in die Lüfte drängte, Erbebtest du mit mir vor Gottes Odem. Mutter, du Liebste, keusche stille Lieder Wiegten dich weich auf ferne Blumenwiesen, In einem Kranze andrer lieber Stunden. Du gingest mit mir, und wenn die freien Töne Wie Frühlingssturry an deine Seele peitschten, Strahlte dir selbst die Reinheit meines Herzens. Du fühltest, dieses junge Frühlingswetter Schuf eine Seele, die im Kampf der Tage Das keusche Herz als bestes Gut gesunden. Mutter, du Liebste, meine ersten Verse, Ob stolz, ob wilde oder weiche Töne, In allen strahlt verheitzend deine Liebe. Nimm gütig meine goldnen Frühlingsblumen, In deinem liebereinen Frauenschohe Wirst lächelnd alle du zur Ruhe streicheln. Dann wirst du sein Maria, Mutter Gottes, Und in die vielen goldnen Schlüsselblumen Werde mein Haupt ich lächelnd legen. Mu tler! Ich suche Liebe, die die Seel« emporreiht Aus dem Eequäle alltäglicher Schmerzen. Ich hasse, was Jugendschwärmerei heiht, Es lodern Feuer in meinem Herzen, Die treiben hinaus mich zu Liehcsmahlen, Mit meinem Herzblut will ich's bezahlen, Aber nur Liebe! Nicht jene guten, gesetzten Reden, Die die Philister stets auf uns Hetzen. In mutigen, schweren, nächtlichen Fehden Will Leib und Seele ich lachend setzen, Deine Hände nur, deine tapferen Hände, Und alle Qualen — glückseliges Ende In deiner Liebe! Ich hasse jene braven Geschlechter, Die die Feuer der Seele für Sünde halten, Diese erbärmlichen Menschenverächter, Die frömmelnd die Hände zum Beten falten.