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— 288 — „Wenn du <s wünschest, will ich dich gewiß nicht Mutter nennen. Bitte, laß uns einmal ruhig und vernünftig unter handeln. Ich habe einige Mundert Mark Geld bei mir. Es dürfte reichen, um deinen und meinen Unterhalt einige Wochen zu bestreiten. ^Inzwischen findet sich wohl Arbeit und Verdienst für mich. Und ich selbst werde dann Onkel Dorst schreiben und ihn bitten, dich noch zu 'unterstützen, bis du wieder eine Anstellung hast." Charlotte lachte laut auf. „Abgewiesene^Freier pflegen nicht großmütig zu sein." Evas Gesicht "rötete sich. „Onkel Horst ist ein edler, gütiger Mann." „Und trotzdem läufst du ihm davon?" „Ja, trotzdem. Das mag dir den Ernst meiner Lage klar machen." Frau Charlotte ließ sich seufzend in einen Sessel gleiten. Evas Erwähnung, daß sie Geld bei sich hatte, war wie, Oel auf die Wogen ihrer Erregung gefallen. Sie sann ange strengt nach, wie sich für sie Vorteil aus dieser überraschen den Situation ziehen ließ. Ausbeuten mutzte sie dieselbe auf irgendeine Ärt, nur wußte sie noch nicht, aus welcke. Schließlich nahm sie ihr Lorgnon und betrachtete Eva ungeniert, prüfend von oben bis unten. „Du bist entschieden eine Schönheit, und zwar eine von dem Genre, das die Männer am meisten schätzen. Wenden burg hat Geschmack bewiesen." Eva zog die Stirn wie im Schmerz zusammen und wurde glühend rot. „Latz das, bitte. Meine Schönheit wird mir aus'meinem künftigen Lebensweg eher eine Last sein, als ein Vorzug." ' ' Charlotte schüttelte den Kopf. „Du scheinst unglaublich überspannte Ansichten zu haben. Eine schöne Frau ist immer im Vorteil gegen eine hähliche, wenn sie klug ist. Doch gut, lassen wir das jetzt. Wieviel Gelo hast du bei dir?" „Gegen dreihundert Mark". , „Hm, das ist freilich wenig, wenn man bedenkt, datz du aus dem Hause eines mehrfachen Millionärs kommst. Deinen Vorteil hast du.wenig zu wahrem gewußt. Immerhin ist es besser als nichts. Gib mir hundert Mark davon, damit ich meine Wirtin bezahlen kann. Ich muß sie gefügig machen, damit sie erlaubt, datz ich dich bei mir aufnehme." „So weisest du mich nicht fort?" fragte Eva leise. Charlotte seufzte scheinbar ergebungsvoll. Sie hatte sich inzwischen überlegt, daß sie sich vielleicht Wendenburg zu Dank verpflichten konnte, indem sie Eva zur Vernunft 'brachte. Gelang ihr das nicht, dann konnte ihr Evas Schönheit viel leicht anderweitig von Nutzen sein. Es gab in den Krei sen, in denen sie verkehrte, reiche Lebemänner genug. Man konnte nicht wissen — Evas frische, reine Schönheit müßte bezaubern — vielleicht machte sie eine andere gute Partie. Es gab da gewiegte Herzensbrecher darunter, dir auch dieses scheinbar sehr spröde Herz besiegen würden. Jedenfalls war es ratsam, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. „Ich kam« dich doch nicht zurückweisen, wenn du durch aus nicht zurückkehren willst! Wir wollen später gemeinsam überlegen, was zi tun ist. Bitte, gib mir das Geld, — ich mutz auch etwas zu essen holen lassen. Du wirst hungrig sein, und ich habe seit heute morgen auch noch nichts zu mir ge- nommen." Eva reichte ihr einen Hundertmarkschein. Charlotte wurde sofort besser gelaunt, machte einige Scherze über Evas unerwartetes Erscheinen und entschuldigte sich ihrer mangelhaften Toilette halber. Dann ging sie zur Türe und rief hinaus: „Frau Krusemann!" Diese erschien langsam mit mürrischer Miene. Charlotte wandte sich mit den Allüren einer Salondame nach ihr um. „Ah, da sind Sie ja schon, Frau Krusemann. Sie müssen für meine — meine Nichte und mich eine Mahlzeit aus dem Restaurant holen. Hier ist Geld — Sie können gleich die rück ständige Miete mit abziehen, auch was Sie sonst noch an Auslagen zu bekommen haben." Frau Krufemanns Antlitz verlor den mürrischen Ausdruck. Sie fatzt« schnell nach dem Geldschein. Ihre Augen fvogen forschend zu Nm hinüber. Datz von dieser der plötzliche Eeldsegen ausging, erfaßte sie schnell. Und für Evas ele gante, vornehme Einfachheit fehlte ihr das Verständnis kei neswegs. Als Zimmervermieterin hatte sie einen scharfen Blick für allerhand Leute. Sie beeilte sich, ihre Bereitwilligkeit zu versichern, und hob mit einer sorgsamen Beflissenheit die elegante Handtasche Evas vom Boden auf. Befriedigt sog sie den Juchtenduft ein und wischte mit Ler Schürze liebevoll säubernd über den Boden der Tasche, der auf dem Fußboden gestanden chatte. Dann stellt« sie dieselbe umständlich auf einen Stuhl. „So wat Schönes sieht man nicht alle Tage", sagte sie aner kennend und trollte dann hinaus. Als sie schon auf der Schwelle war, rief sie Charlotte noch einmal zurück. „Was ich noch sagen wollte — meine Nichte will sich einige Wochen in Berlin aufhalten und mag nicht allein im Hotel wohnen. Wenn es Ihnen recht ist, bleibt sie bei mir. Da Sie, soviel ich weiß, kein Zimmer frei haben, richten wir meinen Diwan als Nachtlager her. Das läßt sich ja machen. Wir möchten doch gern zusammenbleiben Meine Nichte wird Sie natürlich dafür entschädigen." Frau Krusemann hatte noch nie eine Gelegenheit, mühelos Geld zu verdienen,- von sich gewiesen, «le erklärte sich ein verstanden. Nachdem sie das Essen herbeigeholt hatte — auch eine Flasche Wein fehlte auf Charlottens Wunsch nicht — schleppte sie einige Kissen und Decken herbei und machte für Eva den Diwan zurecht. „Nächste Woche wird da; Zimmer nebenan leer, das Malfräulein zieht aus, dann können Sie von wegen mir in ihre Stube ziehen, bi; sie wieder vermietet wird", sagte sie zu Eva. Diese nickte ihr stumm zu. Sie war nicht imstande, zu frechen. Nun sie sich vorläufig geborgen wußte, versagten ihr die Nerven den Dienst. So hungrig sie auch war, es kostete sie Mühe, einige Bissen zu essen. Charlotte aß dafür mit gutem Appetit. Sie trank fast die ganze Flasche Wem allein aus und plauderte dabei sehr liebenswürdig. Sie erzählt« Schnurren und Theaterwitze, belachte dieselben laut und schien gar kein Empfinden dafür, zu haben, wie trostlos und jammer voll es in ihrer Tochter aüssah. Inzwischen wurde es dunkel. Frau Krusemann brachte die Lampe und räumte da; Eßgeschirr fort. Bis nach neun Uhr saßen Mutter und Tochter einander gegenüber. Eva mutzte schlietzlich, da sie aufgefordert wurde, dir Einzelheiten ihrer- Flucht erzählen, und auch Über ihre Leben M Wendenburgs Hause mutzte sie berichten. Charlotte folgte ihren Worten mit gespannter Aufmerksamkeit. Wollte sie doch aus diesem Bericht« entnehmen, wie sie am besten Nutzen aus der An gelegenheit ziehen konnte. Dabei bettachtete sie Eva immer interessierter. Mitten in der Unterhaltung sprang sie einmal auf und nestelte an Evas Haar. „Ist das alles echt?" fragte sie, und wollte die Nadeln lösen. Eva bog unwillkürlich den Kops zurück, während sie er rötet«. Das Berühren ihres Haares mit den nervösen Händen verursachte ihr Pein. „Meinst du mein Haar?" „Ja, ja — dein Haar. Solche Fülle erscheint mir vcrdäch- dig. Aber du mutzt Unsummen dafür ausgegeben haben. Diese Farbe ist sehr apart und schwer zu beschaffen. Ich kenne das. Uebrigens ist es erste Qualität, gar nicht von echt zu unter scheiden." Eva steckte die gelockerten Nadeln wieder fest. „Es ist mein eigenes Haar." Charlotte lauschte. Evas Erröten hielt sie für Verlegen heit. — . , . „Närrchen, vor mir brauchst du dich wahrhaftig' nicht zu genieren. Die meisten Damen tragen jetzt gekaufte Flechten, ich natürlich auch." Da löste Eva selbst ihr Haar. „Meine Flechten sind nicht gekauft", sagte sie ruhig, und lieh diese achtlos über den Rücken gleiten. Charlotte wog sie mit einem Ausruf der Bewunderung auf der Hand. „Wahrhaftig echt. Wahrhaftig echt. Kind, du weißt wohl kaum, was für einen Schatz du da mit dir herumträgst. Aber anders frisieren mutzt du dich. Hergott, was läht sich aus diesem Haar machen! Komm, laß es mich aufstecken. Sv mutzt du di« Flechten um den Kopf legen, datz jeder sehen kann, sie sind echt, hier Len Ansatz mutz man sehen. Sieh, sol Famos — wundervoll. Nun schau, ob das nicht ganz anders aussieht." Fortsetzung folgt.