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Salong. "Im Nebenzimmer liegt sie auf dem Sofa. Wenn Sie se wecken wollen, dann tun Sie es, mir schnauzt sie an, wenn ich es tue." Nach diesen Worten drückte sie hinter Eva die Türe ins Schloß. Das junge Mädchen sah sich zaghaft in diesem „Salong" um. Es war ern mäßig sauberes, mittelgroßes Zimmer. Sofa und zwei Sessel mit rorem,. gepreßtem Plüsch überzug, die übliche Polstergarnitur der typischen Miels wohnung, ein runder Tisch mit roter Decke, über welche zum Schutz eine weiße Serviette von nicht ganz Einwandfreier Sauberkeit gebreitet war^ einige Stühle, ein Vertikow und eine 'kleine Etagere. — Auf dem Vertikow standen einige billige, geschmacklose Nippes, die kleine Etagere war dicht mit Photographieständern bedeckt, in denen lauter Ausnahmen ein und derselben Person — einer Dame — in den verschieden sten Toiletten und Stellungen, steckten. Zwischen den beiden Fenstern, an welchen billige De korationen von rotem Wollstoff und schmutziggelbe Tüll- ftores hingen, war ein großer Spiegel angebracht. Auf dem Tisch stand eine schmale, hohe Vase mit einigen verwelkten Rosen, die einen unreinen Geruch ausströmten. Daneben lag ein Stiellorgnon, «in Paar vertragene Glace handschuhe und in einer Glasschale verschiedene billige, unechte Cchmucksachen, Ringe, Armbänder und Broschen — alles durcheinander, wie eben abgelegt. Auf einem der Plüsch sessel lag ein Kleid, lässig hmgeworfen, davor «in Mar Stiefel — man sah, hier hatte sich eine weibliche Person entkleidet, ohne die Sachen aufzuräumen. Eva sah sich zaghaft in dem Raum um. Die Luft war so schwer und dumpf in dem Zimmer, daß ihr das Atmen schwer wurde. Sie seufzte lies auf und stellt« ihre Hand tasche neben sich auf den Boden. Eine Weile wartete sie ruhig, dann hüstelte sie, Um sich bemerkbar zu machen. Nichts regte sich. Nun ertrug sie das Warten nicht länger. Sie schritt aus die offenstehende Türe des Nebenzimmers zu. Ein schmales Schlafzimmer wurde ihr sichtbar. Auf einem Diwan vor dem Bett lag, mit losem, altem Morgenrock bekleidet, eine Frau, die sich eben schlaftrunken aufrichtete, als Eva im Türrahmen erschien. "Beim Anblick des jungen Mädchens 'sprang die Frau erschrocken auf und setzte sich aufrecht auf den Diwan. „Was wollen Sie hier, wie kommkn Sie hier herein?" rief sie, das wirre Haar aus dem Gesicht streichend. Eva sah mit unbeschreiblichem Gefühl auf die verschlafen aussehendr Frau. Das sollte ihre Mutter sein, die Frau mit den deutlich sichtbaren Spuren von Puder und Schminke auf dem ver blühten Gesicht? Noch waren Spuren einstiger Schönheit unverkennbar, das Profil zeigte noch edle Linien; aber es waren traurig« Reste einstiger Schönheit, die da mit künst lichen Mitteln mühsam festgehalten wurden. Diese Frau bot keinen erfreulichen Anblick. Die Würde ihres Alters fehlte vollständig. In dem Herzen bes jungen Mädchens stürmten die widerstreitendsten Empfindungen durcheinander, und trotz aller Gegenwehr überwog das Gefühl der Abneigung, fast des Abscheus. Mit Lieser Frau würde sie nie etwas gemrnr haben, das war ihr schon im ersten Augenblick klar. Wenn sie trotz Wendenburgs Abmahnen noch eine leise Hoffnung genährt hatte, bei der Mutter «ine Stelle zu finden, wo sie mit der Drangsal ihres Herzens hinflüchten konnte — der erst« Eindruck nahm ihr diese Hoffnung. Sie wollte auf die Frage ihrer Mutter antworten, aber di« Kehle war ihr wie zugeschnürt. Erst als Charlotte Grabow nahe herantrat, sie mit den kurzsichtigen Augen musterte und noch einmal fragte, was sie wünschte, rangen sich einige Worte über ihre Lippen. „Ich bin Eva Grabow." Ihre Mutter stutzte, blinzelte Eva zu und wußte offenbar nicht, was sie sagen und denken sollte. Im Moment 'begriff sie nicht. Ganz benommen im Kopf, trat sie aus dem Schlaf zimmer heraus und griff nach der Stiellorgnette auf dem Tisch und hielt sie vor die Augen, um Eva verständnislos anzusehen. Dann bekam ihr Gesicht einen betroffenen Aus druck. „Eva — Eva Grabow — nein — Cie sind doch nicht — neint—" Sie schüttelte fassungslos den Kopf. Eva hatte ihre Ruhe wiedergefunden. „Doch, ich bin Eva Grabow — Ihre — nein, deine Tochter," sagte sie fest. Charlotte Grabow schien mit einem Male zu begreifen. Daß es keine erfreulichen und warmen Gefühle waren, die sich beim Anblick der verlassenen Tochter in ihr regten, konnte Eva deutlich auf ihrem Gesicht lesen. Offenbar wußte s« gar nicht, wie sie sich Eva gegenüber verhalten sollte. Aber .dann dämmerte wohl das Bewußtsein in ihr, daß es not wendig war, einige Freude zu zeigen, und als sie erst einmal so weit gelangt war, wurde sie schnell Herrin der Situation. Sie war im Leben immer eine bessere Schauspielerin gewesen, als auf den Brettern, dis die Welt bedeuten. Mit theatralischer Gebärde und ausgestreckten Händen trat sie auf Eva zu. „Mein Kind — meine Tochter — mein langentbehrtes Kind, von dem mich «in grausam Schicksal getrennt. Sei mir gegrüßt! O Gott — wie ist es möglich, daß ich eine so große Tochter habe! Man würde es mir Nicht glauben. Ich habe mir meine Tochter immer als ein niedliches, kleines Mädchen vorgestellt mit Schärpen, Kleidchen und-Hängezöpsen. Und nun steht eine so große, schöne Dame vor mir. Aber willkommen in meinem armen, bescheidenen Heim. — Du .bist natürlich eins viel bessere Umgebung gewöhnt. Ach — es war mir immer ein Trost, wenn ich darben mußte, daß du es besser hast im Leben, als deine arme Mutter. Du mußt fürlieb nehmen, mein Kind. Aber lieb, sehr lieb ist es von dir, daß du mich einmal aufsuchst. Ja — die Stimme der Natur ist mächtiger als wir, ich habe oft Sehnsucht nach dir empfunden. Du bist siber nur auf der Durchreise hier m 'Berlin?" Ei« zog Eva mit sich auf das Sofa nieder. In Eva regte sich kein warmes Gefühl bei den mit viel Pathos vorgetragenen Worten. So unerfahren sie auch war, alles, ,w,as diese Frau sagte, klang so gekünstelt, so un natürlich, daß Eva das Gemachte herausmerkte. Ihre Be klommenheit nahm zu. „Nein — nicht auf-der Durchreise. Ich bin direkt nach Berlin gereist, um dich aufzusuchen und dich zu bitten, mir einige Zeit bei dir Aufnahme zu gewähren." „Aufnahme?" Frau Charlotte führte nervös das Lorgnon vor die Augen. „Wie soll ich das verstehen, Kind, bu bist doch nicht allein, ohne Begleitung, in Berlin?" „Doch, ganz allein. Und ohne Vorwissen meines -Pflege vaters. Ich muß dir gleich alles sagen, damit du klar siehst. Onkel Horst wollte mich zu seiner Frau machen. Das kann ich nicht werden. Ta ging ich heimlich fort, zu dir. Ich wußte mir keinen anderen Rat. Bitte, nimm mich bei dir auf, bis ich mir eine Stellung gesucht habe." Frau Charlotte Grabow schlug fassungslos die Hände zusammen. „Mein Gott — so eine Unvernunft! Du bist wohl von Sinnen? Einem Manne, wie Wendenburg, der üb«r «in fürstliches Einkommen verfügt, läuft man doch nicht da von, wenn er einem seine Hand anbietet. Das ist doch nicht dein Ernst? Eine Stellung suchen, wenn man wie eine Fürstin leben kann." Sie lachte hart und nervös auf und fuhr dann fort: „Herrgott im Himmel, du wirst doch durch diese Torheit nicht etwa dein Glück zerstört haben? Wenn dir Wenden burg zürnt — das ist ja nicht auszudenken. Bedenke doch, was du da von dir weisen willst. Du kannst als sein« Franc das Leben in vollen Zügen genießen, könntest herrschen, anstatt zu dienen. Und was könntest du für dein« arme, vom Unglück verfolgte Mutter tun! — Mein Himmel, so sitz doch nicht mit einem so steinernen Gesicht da! Du scheinst eine romantische kleine Närrin zu sein. Das hast du von deinem Vater. Es ist merkwürdig, wie ähnlich du ihm siehst. O mein Gott, ich bin ganz außer mir vor Aufregung, wie konntest du nur? Dir ist es zu gut gegangen, bisher, du weißt nicht, was Armut ist. Sieh dich hier bei mir um, da sitze ich in einer meiner unwürdigen Umgebung und muß noch froh sein, wenn mkch die Wirtin nicht hinauswirft, weil ich ihr di« Miete schulde. Du ahnst nicht, was eine Frau zu leid«n hat, wenn sie pekuniär abhängig von den Menschen ist. Sei vernünftig, kehre sofort um und bitte Wendenburg um Verzeihung. Vielleicht ist es noch nicht zu spät und er nimmt dich wieder auf. Aber eile dich. Ich leide Mfach nicht, daß du in dein Unglück rennst." Sie hielt ganz erschöpft inne. Fortsetzung folgt. -«»Ke---