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Frankenberger Erzähler Unterhaltungsbeilage znm Frankenberger Tageblatt Wird jeder Mittwochs-, Freitags- und SonntagS-Nmmner ohne Preiserhöhung des HauptblatteS beigegebeu. Mr» 66 Areitag dm 21. Juni 1S18 „Ein rechtes Volt, — ist's auch nicht stark, — Entsaugt dem Unglück Macht und Mark; Denn wen nicht adelt, was ihn schmerzt, Der hat, datz Gott ihm hilft, verscherzt." Henrik Ibsen. Auch im Regen liegt ein Segen! Auch im Leid liegt Trost bereit. < C. Ewald. Weben heißt Kämpfen Roman von H. Courths-Mahler. t6 Nachdruck verboten Langsam und schwerfällig erhob er sich endlich und ging in Evas Zimmer hinauf, um den Brief für Gabi zu holen. Er mutzte ihr doch Mitteilung machen von Evas Flucht. Auch Bernhard mutzte davon erfahren, wenn er 'kam. Ob dieser wohl eine Ahnung davon hatte, datz Eva ihn liebte? Wohl kaum, Verliebte sind blind für andere, das hatte er an sich selbst erfahren. Horst Wendenburg fand den Brief an der bezeichneten Stelle und las ihn durch. Liebe, kleine Gabi! Durch Deinen Vater wirst Du erfahren, datz ich Euer Haus für immer verlassen habe. Du konntest es ja nicht fassen, datz ich die Gattin Deines Vaters werden sollte. Nun sieh — ich konnte es auch nicht und erschrak darüber so, datz ich im ersten Moment nicht protestieren konnte. Und dann kamst Du mit G'erold dazu, und ich wollt« in Euerer Gegenwart meinen lieben Onkel Horst nicht be schämen. Aber ich wuhte gleich, datz ich nun von Euch fort mutzte. Nun mutzt Du doppelt lieb und zärtlich zu Deinem armen Vater sein, nicht wahr? Und mutzt ihn bitten, mir zu verzeihen, 'datz ich so undankbar scheiden mutz. Leb wohl, meine Gabi — A glücklich — vergitz mich nicht ganz, ich werde Dich immer alle eine teure Schwester liebem Und sag' auch Bernhard Gerold einen .letzten Grutz. Werdet glücklich miteinander! Immer Deine treue Eva." Mit diesem Bries in der Hand kam er die Treppe Herab und traf im Hausgang mit Bernhard und Gabi zusammen. Gabi sah unruhig aus. „Denke nur, Papa, eben mit Bernhard zugleich kam der Wagen von der Station zurück. Eva ist mit diesem Zug wieder nicht gekommen. So lange blieb sie doch nie aus. Es wird ihr doch nichts geschehen sein?" Wendenburg trat mit dem Brautpaar in den kleinen Salon, in welchem er um Eva geworben. Er zog die Türe hinter sich ins Schlotz, denn draußen stand ein Diener und ordnete die grotze Blattpflanzengruppe in der Mitte des "Vorplatzes. Dann wandte er sich erst zu Gabi. „Eva wird nicht wiederkommen, Gabi. Hier in diesem Brief findest du Aufschluß darüber. Bitte, teile auch Bernhard, das Nötige mit — und entschuldigt mich, ich möchte noch «ine Stunde hinaus ins Freie." Er reichte Gabi den Brief und Ling dam: schnell hinaus. Gabi sah ihm bettoffen nach. „Was ist das? Bernhard, verstehst du das?" Gerold war bei Wendenburgs Worten lejse zusammen gezuckt. Instinktiv trat er zurück und brachte sein Gesicht in den Schatten. In seinen Augen lag eine brennende Frage. Er lehnte sich an den Kamin uvh sah unruhig auf den Bttes in Gabis Hand. Cie war an ihn herangetreten und sah ängstlich zu ihm auf. „Da ist etwas geschehen," stammelte sie. Er richtete sich aus. ,^Lies den Brief, Gabi — er soll dir ja Aufschluß geben," sagte er, heiser vor Unruhe. Sie entfaltete ihn schnell und las betroffen. „Mein Gott — Eva ist fort — "für immer fort — 'sie kann Papas Braut nicht werden — da — lies selbst, Bern hard. ' O, meine arme, siebe Eva — ich hab' ihr Unrecht getan." Sie weinte leise vor sich hin. Bernhard zog sie an sich. Um dieser Tränen willen liebte er sie. 'Mit heißen Hügen las er Evas Worte. Da hatte er nun die Antwort, die sie ihm gestern versprochen. Und wahrlich, sie war über zeugend genug. Nun war ihm alles klar, und Evas Bild stieg rein und fleckenlos vor ihm empor. "Zugleich aber wällte auch die sehnsüchtige Liebe in seinem Herzen auf. Wo hatte sie sich hingewandt, sein herrliches, stolzes Mäd chen? Klaglos ging sie hinaus in ein ungewisses Dasein, ließ Glanz und Wohlleben hinter sich zurück, um nicht lügen zu tnüssen. Aber war sie nicht zu beneiden um dieser Freiheit willen? Er war gebunden, durfte das Haupt nicht mehr frei und stolz erheben, weil sein Leben «ine Lüge geworden. Eva war in Berlin angekommen. Sie bestieg sofort ein« Droschke und gab dem Kutscher die Adresse ihrer Mutter an. Mit geschlossenen Augen lehnte sie sich zurück, sie fühlte sich matt und elend, zum Sterben. Es dauerte lange, bis der Wagen vor einer jener großen Mietskasernen hielt, deren es in Berlin so viele gibt. Das Haus lag in einer Häßlichen, düsteren Straße und hatte eine nüchterne, schmutziggraue Fassade. Mit bangen Augen sah Eva daran empor; als sie den Kutscher ablohnte. Dann griff sie nach ihrer Handtasche und ging in den dunklen Hausflur hinein. Langsam stieg sie die schmalen, lichtlosen Treppen dmpor bis zum dritten Stock. Drei Wohnungstüren lagen nun vor ihr. Mühsam stu dierte sie die Namenschilder und verschiedene Visitenkarten, die ebenfalls mit Reißnägeln an den Türen befestigt waren. Aus einer solchen Visitenkatte fand sie dann auch den Namen ihrer Mutter. Charlotte Grabow, Schauspielerin. Evas Herz schlug in schweren Schagen. Eine Weile stand sie, nach Fassung rmgend, vor der verschlossenen "Türe. "Endlich zog sie die Klingel. Es dauerte ziemlich lange, bis schlürfende "Schritte sich drinnen nahtem Durch das runde, kleine Fensterchen sah jemand heraus. Dann rasselte innen die Sicherheitskette und die Türe wurde einen Spalt breit geöffnet. Ein grob knochiges Frauengesicht, von grauen Haaren umrahmt, erschien. „Was wünschen S -, Fräulein?" fragte eine mürrische Stimme. „Ist Frau Charlotte Grabow zu sprechen?" Die Alte sah Eva forschend an, während sie die Türe wetter öffnete und von innen das Licht auf sie fallen ließ. „Die? Na, da mutz ick erst mal nachsehen. Warten Sie 'n Momang." Sie schlug die Türe hinter sich zu und verschwand, Eva ruhig draußen stehen lassend. Nach einer Weile kam sie wieder. „Zu Hause ist sie — aber sie schläft. Denn kommen Sie man rin, und warten Sie ein Weilchen." Eva folgte ihrer Aufforderung. Di« Alte legte hinter ihr umständlich die Sicherheitskette wieder vor und öffnete dann eine Türe. „So setzen Sie sich hier rin. Das ist Frau Grabow ihr