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S42 — Bettina — meine arm« Betttna!" >agte er bewegt, voll unaussprechlicher Güte. .Weine doch nicht mehr," bat er herzlich. Sie schüttelte den Kops. „Latz mich, o laß mich nur weinen! Diese Tränen löschen s fo viel bitteres Leid aus. Sie sind mir eine Wohltat ohne- Sie schlug die Augen auf und sah ungläubig zu ihm empor. „Du, Fritz — du kommst zu mir?" Es lag ein herzzerreißender Ausdruck in ihren Worten. „Ja, Bettina — und.ich hätte schon früher kommen sollen. Was ist aus dir geworden, meine arme Schwester." Sie richtete sich auf, faßte mit zitterndem Griff nach seiner Hand und führte sie schnell an die Lippen. „Du bringst mir deine Verzeihung, Fritz?" .fragte sie leis«, und ihre matten Augen strahlten auf. „Ja, Bettina. Wir wollen vergessen, was gewesen. Wie «in böser Traum soll das nun hinter uns liegen. Du hast wahrhaftig schwer genug gebüßt, was du in einem krank haften Wahn verbrochen." Di« Knie versagten ihr, sie mußte sich setzen. Er stützte ihr Haupt und neigte sich liebevoll zu ihr herab. Seine ganze schlicht« Größe lag im Ausdruck seines Gesichtes. Ganz still saß sie nun und ließ die Tränen ungehindert über ihr Gesicht strömen. gleichen. Mir ist, als müßte mir dadurch leichter und freier werden um mein gepreßtes Herz." Als sie sich endlich etwas beruhigt hatte, zog er sich «inen Stuhl heran und ließ sich neben ihr nieder. „Ich komme von Bernhard, Bettina. Er läßt dich grüßen, und Sonntag besucht er dich." Sie atmete tief auf. „Du hast ihn nicht entgelten lassen, was ich getan — ich danke dir von ganzem Herzen dafür." „Davon wollen wir nun nicht mehr reden, Bettina, auch nicht mehr daran denken. Was zwischen uns beiden lag, sei für alle Zeit begraben. Und nun wirst Du auch vernünftig kein und Dir mehr Ruhe gönnen. Bernhard sorgt sich schwer um Dich, und ich sehe nun selbst, Du reibst Dich auf in diesem anstrengenden Beruf." Sie schüttelte den Kopf. „Nein, nein, meine Tätigkeit war im Gegenteil das einzige, was mir das Leben erträglich machte. An mir zehrte etwas anderes, das weißt Du. Nun ich Dein« Ver zeihung habe, wird mir alles leichter werden?' „So schone Dich wenigstens mehr, nimm nicht mehr auf Dich, als Dir zukommt." Ein blasses Lächeln erhellte ihr Gesicht. „Nun gut — ich verspreche es Dir, mir mehr Ruhe zu gönnen. Vielleicht finde ich jetzt den Schlummer meiner Nächte wieder. Ich mußte bisher todmüde umfallen, wenn ich Schlaf finden sollte." Er streichelte ihre Hände. „Arme Bettina!" Da flossen ihre Tränen aufs neue. „Wie das wohl- tut, deine Srimme bringt Ruhe in mein Herz. Hab innigen Dank, Fritz, und nun — erzähl« mir, wie es den Deinen «ht. Bernhard mußt« mir wohl immer berichten. Ich weiß, Du hast die Fabrik vergrößern müssen, das Geschäft ist blü hender als je. Und Deine Kinder sind gesund und Herzigs Bernhard strahlt, wenn er von ihnen erzählt. Aber manches konnte ich ihn nicht fragen, so sehr mir es am Herzen lag. Vor allem, weiß Maria, was mich aus Deinem Hause trieb?" „Nein, Bettina. Ich sagte Dir ja, das liegt zwischen uns begraben. Maria ahnt vielleicht, daß eine Entfrem dung zwischen uns lag, aber sie rührt nicht daran, weil sie es weiß, es tut mir weh." Bettina nickte. „Sie ist Deiner würdig. Gott erhalte Euch euer Glück. Und der — der kleine Walter, er ist stark und gesund?" „Gottlob, das ist er!" , Bettinas Brust hob ein tiefer Atemzug. Sie schlang die Hände ineinander und hob sie zum Himmel auf mit inbrün stiger Geberde. „Ja — gottlob — gottlob — ich habe gebetet für sein Wohl — heißer als um das Wöhl meines eigenen Kindes," sagte sie mit zitternder Stimme. „Sei ruhig, Bettina," rief er, ergriffen von ihrem Aus druck. Sie wandt« sich ihm wieder zu. „Und Dein kleines Mädchen? Sie gleicht Maria, nW wahr?" „Ja, aber der Bub, der ist mir wie Ms dem Gesicht» geschnitten, Md im Wesen gleicht er Bernhard, als dieser so alt war wie er." So saßen die Geschwister zusammen, wie in alten Tage». Bettinas Wesen war von grenzenloser Dankbarkeit durch drungen, das ihres Bruders von unbeschreiblicher Güte. Ms er endlich gehen müßte, versprach er, sie zuweilen zu besuchen. Sie dankte ihm mit zuckenden Lippen dafür. Dann, als er nach ergreifendem Abschied von der so früh gealterten Schwester zur Türe schritt, rief sie noch einmal leise und zagend seinen Namen. Er wandte sich um und sah fragend in ihr Gesicht. Eine dunkle Röte stieg ihr in Stirn und Wangen empor. Ihre Hände krampften sich nervös zusammen. . „Wolltest Du noch etwas, Bettina?" Sie zögerte eine Weile, dann sagte sie leise: „Ich hätte eine große — große Mtte an Dich. Aber nein — geh nur — es ist vermessen — nein ich will sie lieber gar nicht erst aussprechen, Du müßtest sie mir doch versagen. Ich bin Dir schon so unendlich viel Dank schuldig." Er lächelte gütig. „So sprich sie doch aus, diese Bitte." i-ie umfaßte mit bebenden Händen eine Stuhllehne und sah mit bangen Augen zu ihm auf. „Ach — es ist so viel, um das ich bitten möchte. Dein« Kinder — Fritz — Deinen kleinen Knaben und auch das Mädchen — ich — ich möchte sie so gern eiinnal sehen — ein einziges Mal nur, Fritz — nur von ferne. Wenn Du das wolltest — nein, Du willst nicht — ich wußte es ja." Sein Gesicht hatte sich umschattet — nur einen Moment sah er unschlüssig aus. „Liegt Dir denn so viel daran, Bettina?" Sie preßte die Hände mit jäher Bewegung an ihr« Brust. ! „Mein Leben gäbe ich auf der Stelle darum, Fritz," stieß sie gepreßt hervor. Und dann trat sie dicht an ihn heran. Er faßte erschüttert ihre Hände. „Gut, Bettina — ich bringe Dir die Kinder, gedulde Dich nur noch einige Wochen. Ende September hat Walter wieder Ferien — dann bringe ich ihn Dir und meine klein« Hella auch. Aber nun beruhige Dich, Schwester, es tut mir weh, wenn ich Dich so fassungslos sehe." Sie preßte seine Hand. „Dank — Dank — und nun geh und nimm die Gewiß- heit mit Dir, daß Du einer armen, verlorenen Seele un- ! sagbar wohlgetan hast." z So schieden sie. Ms Fritz gegangen war, begab sich Bettina wieder auf ihr Zimmer. Wie verklärt sah ihr Antlitz aus, und als sie an zwei plaudernden Schwestern auf dem langen Korridor vorüberging, sahen diese ihr erstaunt nach. „Schwester Bettina schreitet wie auf Wolken," sagte die eine. Ms Bernhard Gerold nach einiger Zeit seine Mutter besuchte, bemerkte er mit Freude, daß sie frischer, angeregter war.' Und auch "ihm wiederholte sie das Versprechen, sich in Zukunft mehr schonen zu wollen. Am meisten sprach sie von den Kindern ihres Bruders, daß dieser ihr dieselben in den Herbstferien bringen werde, und wie sehr sie sich ! darüber freue. Voll inniger Befriedigung fuhr Bernhard am Spät- ' nachmittag wieder von L. fort. Nach einstündiger Bahnfahrt langte er auf der Hattenfelde zunächst gelegenen Station an. Langsam, gedankenverloren schritt er quer über die Wiesen nach dem Walde, die Augen immer auf den schmalen Pfad geheftet. Er dachte an Eva. Voll sehnsüchtiger Unruhe wünschte er, ihr endlich sagen zu dürfen, wie lieb er sie hatte, wie sie seines ganzen Wesens Vollendung bedeute. Was Wendenburg zu seiner Werbung sagen würde, glaubte er zu wissen. Seines Wohlwollens war er gewiß. Er würde ihm die Hand Evas nickt verweigern. Auch war «r sich selbst seines Wertes und seiner Tüchtigkeit bewußt. Daß er ohne Vermögen war, wurde durch seine Schaffens kraft wettgemacht. Fortsetzung folgt-