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mentt beim Frankenberger Erzähler Unterhaltungsbeilage zum Frankenberger Tageblatt Mrd jeder Mittwochs-, Freitags- und SonntagS-Nummer ohne Preiserhöhung des Hauptblattes beigegebeu. Nr. «1 Somrtag den S. Anni 1918 Wille Durch Lebensdornen sich zu schlagen, Nicht nach des Todes Ruf zu fragen, Dem Glück verschmerzend zu entsagen Und auch im Unglück nicht verzagen, — Das hat Dein Wille bald erreicht, Der unter Erdenseufzern bebt, Wenn nur Dein Dasein sich vergleicht Mit dem, was mancher andre lebt! Hans Jesora. Leben heißt Kämpfen t1 , —— Nachdruck verboten Der „gute Onkel Fritz" wurde sofort mit Hallo be grüßt. Es herrschte ein liebenswürdiger, humoristischer Ton unter den Tischgenossen. Als Bernhard alle zur Beteiligung an dem „Erträtropfen" einlud, erhob sich ein begeistertes Beifallsgemurmel. Herbig ging vergnügt auf den munteren Ton ein und gab auf die offizielle ulkige Begrüßungsrede eines der Herren eine schneidige humoristische Antwort. Man trank ihm darauf oon allen Seiten begeistert zu, und er tat kräftig Bescheid. Bernhard strahlte über das ganze Gesicht- „Du stellst doch überall deinen Mann, Onkel Fritz, ich bin wieder einmal bannig stolz auf dich," sagte er warm, als sie nach Tisch nach den Werken gingen. Bernhard führte seinen Oheim überall herum, und dieser tonnte nur rückhaltlos bewundern. Gegen fünf Uhr war der Rundgang beendet. Bernhard wurde gemeldet, daß der Kommerzienrat eben von Villa Anna herübergekommen sei und sich in seinem Privatzimmer befinde. Sogleich suchte er ihn auf. Wendenburg empfing die beiden Herren freudig überrascht. Einen Moment kreuzten sich prüfend und forschend Herbigs und Wendenburgs Blicke. Dann faßten sie sich init festem Druck bei den Händen. „Mir ist, als wären wir schon seit Jahren miteinander bekannt," sagte Wendenburg lächelnd. „Ihr Neffe hat uns so viel von Ihnen erzählt, daß Sie uns kaum fremd sind." Bernhard sah mit Vergnügen, daß die beiden Männer Gefallen aneinander fanden. Während er geschäftlich in An spruch genommen wurde, blieb Herbig mit dem Kommerzien rat zusammen- Sie fanden viele gemeinsame Interessen, während sie miteinander plauderten, und tauschten ihre Gedanken mit großer Befriedigung aus. Natürlich sprachen sie auch über Bernhard, und was Wendenburg über seinen Neffen sagte, erfüllte Herbig mit freudigem Stolze. Hatte er doch wie ein Vater über Bernhards Entwicklung gewacht und dessen gute Eigenschaften durch vernünftigen Einfluß erstarken gemacht- Als er dann abends merkt«, in welcher Weise sowohl Wendenburg, als auch die beiden jungen Damen, .mit Bern hard verkehrten, als er dessen aufleuchtende Blicke beim Anblick der jungen Damen sah, da erwachte eine Ahnung in ihm, baß Bernhard mit der Zeit wohl noch fester an Horst Wendenburgs Haus gefesselt werden würde. Er sprach kein Wort darüber, aber eine weiche Stimmung nahm ihn gefangen. Ms er später am Fenster des schönen, vornehmen Gast zimmers stand und den Abend überdachte, mutzte er seiner Schwester gedenken. Sie hatte einst das vermeintliche Glück ihres Sohnes dem Schicksal mit Gewalt «bringen wollen, selbst um den Preis eines Verbrechens. — Morgen würde er Bettina wieder sehen nach langen Jahren. Er wollte Frieden machen mit chr in verzeihender Lieb« und ihr den Frieden zu bringen versuchen. Hatte sie nicht in der Verbannung schwer gebützt? Ihr weHes. Haar sprach deutlich genug dafür. Sie wetzte nicht, datz er kam. Ganz unerwartet würde er vor ihr stehen. Am andern Morgen verabschiedete sich Herbig warm und herzlich von seinem Gastgeber und den beiden Damen. Er mutzte versprechen, bald wieder zu kommen. Mit Bernhard konnte er nicht mehr lange zusammen sein, seine Zeit war knapp bemessen. „Grütze Mama, nächsten Sonntag besuche ich sie, sage ihr das." „Das will ich tun. Du hast es ja leicht, deine Mutter ! aufzuschen, in einer guten Stunde hast du sie erreicht." „Ja, ich besuche sie auch jeden zweiten Sonntag auf ein Stündchen. Hoffentlich kann ich das nächstem«! schon kon statieren, datz du etwas bei ihr ausgerichtet hast. Am liebsten wäre es mir, sie gäbe den Diakonissenberuf ganz auf und käme zu mir. Aber davon will sie nie etwas hören. Sie wird : von einer 'beinahe krankhaften Sucht, sich für andere aufzu opfern, beherrscht." Herbiz reichte seinem Reffen zum Abschied die Hand. „Ich habe dir schon einmal gesagt: Latz deine Mutter tun, was sie ihrer innersten Ueberzeugung nach tun mutz. Und nun leb' wohl — hoffentlich gelingt es mir, sie zu überreden, daß sie sich mehr Ruhe gönnt." „Leb' wohl, Onkel Fritz, und grütze mir Tante Maria und die beiden Krabben herzlich Sobald ich hier abkommen kann, besuche ich euch." Sie schüttelten sich di« Hände herzlich zum Abschied. i-chwester Bettina saß in ihrem Zimmerchen am Fenster. Auf dem blassen, von weißem Laar umrahmten Gesicht lag ein Ausdruck unsäglicher Erschöpfung und Müdigkeit. "Zn den Augen, die von heimlichem Leid und vergossenen Tränen zeugten, fehlte der Friede. Die schwarze Ordenstracht und das weiße Häubchen, welches im Hause ohne bas schwarze Tuch getragen wurde, ließ das leidende Aussehen der Schwester noch mehr hervortreten. Diese Tracht kontrastiert« auch sehr scharf mit dem friedlosen Ausdruck der dunklen Augen. Es klopfte an die Türe. Eine junge Schwester meldete ihr, datz im Sprechzimmer ein Herr sie erwarte. Schwester Bettina erhob sich langsam. In früheren Jahren war sie noch bei jedem angekündigten Besuch schreckhaft zusammengezuckt. Das war, so lange ji« gehofft hatte auf das Kommen ihres Bruders. Sie hatte dieses Kommen herbeigesehnt und zugleich gefürchtet. Jetzt hatte sie längst die Hoffnung aufgegeben. Wenn er gekommen wäre, es hätte Verzeihung für sie bedeutet, und er konnte doch nicht verzeihen, was sie ihm Zetan — nie. Sie mutzte ja schon dankbar sein, datz er ihren Sohn nichts entgelten ließ, j Als Bettina in das Sprechzimmer eintrat, sahen ihre vom Licht geblendeten Augen die Gestalt eines Herrn vom Fenster sich abheben. Sie erkannte ihn nicht gleich. Herbig trat ihr schnell einig« Schritte entgegen und ^ah erschüttert in das veränderte Gesicht seiner Schwester. 'In diesem Augenblick erschien ihm ihre Schuld klein im. Ver hältnis zu dem, was sie gelitten haben mutzte. j „Bettina!" Sie zuckte zusammen — ihre Augen weiteten sich jäh in Furcht und Freud« — ein Schwanken ihrer Gestalt — ein haltloses Ausstrecken der zitternden Hände — sie hatte den Bruder erkannt. Vergebens öffnete sie die Lippen — kein Wort brachte sie hervor — nur ein krampfhaftes Auf schluchzen stieg aus ihrer Brust empor. Sie taumelte ihm schnell entgegen, er mutzte sie schnell umfassen, sonst wäre sie wie vernichtet zu Boden gefallen. Nun hielt er die kraftlose Gestalt und sah auf ihr wachsbleiches Gesicht herab. Tränen traten in seine Augen.