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«er -K LZ Wagen. Sir wechselten einige gleichgültige Worte — reich ten sich flüchtig die Hände — dann fuhr Bettina davon. Herbig hatte Weisung gegeben, daß seine Frau vorläufig nichts von der Abreise Heiner Schwester erfuhr. Erst einige Tage später sagte er es ihr selbst. Bettinas Nerven feien derartig herunter gewesen, daß er sie zur Kur in ein Sana torium .geschickt hätte. Maria war vom innigsten Mitleid erfüllt und klagte sich an, der Schwägerin zu viel Mühe verursacht zu haben. „Sie ist selbst schuld daran — quäl dich nicht mit Vor würfen," stieß er rauh hervor. Maria erschrak und sah betroffen in sein Gesicht. — Wa rum war ihr gütiger. Mann so schroff? Sie sah auch, daß in seinen Augen etwas lag, was vorher nicht darinnen gewesen. Sie machte sich Gedanken darüber, daß Bettina ihr nicht Lebewohl gesagt hatte. And manches anders gab ihr zu denken. Aber Maria war klug und taktvoll, sie fragte nicht und forschte nicht. Auch nicht, als nach Wochen von Bettina die Nachricht kam, dyß sie sich entschlossen habe, Diakonissin zu werden. Sie habe ein heißes Verlangen danach, ihren Mitmenschen zu nützen, und sei im Sanatorium einigen Diakonissinnen näher getreten. Mit deren Hilfe Habs sie Aufnahme in einer l Diakonissenanstalt gefunden, trotzdem es einige Schwierig- ! leiten gemacht habe. Man werde ja auch ohne ihre Hilfe l fertig werden zu Haus! Fritz antwortete nur kurz: Ich billige Deinen Entschluß und wünsche Dir, daß Dein neuer Beruf Dir die ersehnte > Gelegenheit gibt, gutzumachen. ! Und Bettina wurde Diakonissin. Zehn Jahre waren seit dieser Zeit verflossen. An einem sonnendurchglühten Augustmorgen hielt vor der Villa Herbig ein Wagen, dem mit elastischem Sprunge ein hochgrwachsenn, schlanker Mann entstieg. Seine dunklen Augen flogen for schend durch den Garten^ und ein Helles Lächeln flog über Sein Gesicht. Die das Tor öffnende Dienerin teilte ihm mit, der Herr sei im Kontor, die gnädige Frau im Atelier und die Kinder mit dem Fräulein im Garten. Der junge Mann nickte, überließ sein» Handtasche der Dienerin und ging in den Garten hinein, den Hellen Kinderstimmen nach. Ueber sein scharsgeschnittenes, charaktervolles Gesicht mit den markanten, bartwsen Zügen und den kühn und energisch blitzenden Augen verbreitete sich ein lustiger Ausdruck. Als er nahe an die Kinder herangekommrn war, stellte er Hich hinter einen Baum. ' „Walter! Hella!" Er rief die beiden Namen mit starker stimme hin über. Die Kinder lauschten. Der zehnjährige Walter stelzte mutig auf den Baum los, und die sechsjährige kleine Hella folgte ihm neugierig, aber mit einiger Vorsicht. Da — ein lautes, zweistimmiges Jubelgeschrei. „Onkel Bernhard! Onkel Bernhard!" Und nun stürmten die Kinder auf den jungen Mann los. Der fing eines 'nach dem andern in.feinen Armen auf und hob sie lachend empor. „Gelt, ihr Rangen, das ist eine nette lleberraschung?" „Mama, Mama!" riefen die. Oben flog das Fenster auf. Maria beugte sich heraus. Da sah sie mitten, in Bernhards lachendes Gesicht hinein. „Bernhard — du?" rief sie freudig überrascht. , Er schwenkte den Lut. „Grütz Gott, Tante Maria!" Schon war diese oben verschwunden und stand wenige Augenblicke später unten am Haustor. „Herzlich willkommen, lieber Bernhard. Waller, lauf schnell zu Papa hinüber und sag' ihm, daß Onkel Bernhard angekommen." Der Knabe lief eiligst davon. „Wie es dir geht, frag' ich nicht, Tante Maria. Du siehst aus, wie das blühende Leben selbst." „Und du gottlob nicht minder. Aber nun komm berein. Du wirst müde und hungrig sein von der Reise." „Hungrig ja — aber nicht müde." Sie traten ins Haus. Eine halbe Stunde später hatte auch Fritz Herbig den Neffen begrüßt, und nun saßen sie alle um den Frühstücks tisch. — - —. Der Fabrikant, dessen Haar inzwischen an den Schläfen eine graue Schattierung angenommen hatte, und dessen Ge stalt ein ganz klein wenig zur Fülle neigte, schob Bernhard Zigarren und Feuerzeug hin. „Bediene dich, mein Jung. And dann erzähl', wie es dir ergangen ist seit defnem letzten Hiersein." „Gut ist es gegangen, Onkel Fritz, sehr gut. Ich habe Glück gehabt. Einige gute Ideen haben große Verbesse rungen im Maschinenbau im Gefolge gehabt. Wendenburg hat mir das hoch angereHnet. Er ist zufrieden mit meinen Leistungen. And seit gestern bin ich als Oberingenieur mit einem Gehalt, das meine .kühnsten Erwartungen übertrifft, angestellt." Herbig schüttelte ihm fast die Hand aus dem Gelenke. „Jung — wie mir zu Mute ist — ich freue mich un bändig. Glückauf, und weiter so voran." „Nun laß mich aber auch mal zu Worte kommen," meinte Maria, „ein bißchen gehört mir der doch auch an. Gell? Also meinen herzlichen Glückwunsch, Bernhard. Nun schaff dir noch eine liebe Frau an, das kannst du doch nun ohne Sorge." Bernhards Augen glänzten auf. „Ja — gottlob — jetzt bin ich so weit." „Jung, das klingt, als hättest du schon sehnsüchtig aus den Moment gewartet. Nun beichte mal, Schlingel, paus mit der Sprache," rief Herbig lachend. Bernhard schüttelte den Kopf.. „Nein — so weit ist es noch nicht, daß ich darüber sprechen kann. Da müßt ihr schon noch warten." „Schön, warten wir. Aber verliebt bist du schon, was?" „Stimmt — bis über die Ohren — nein, noch viel schlimmer." Marias Augen glänzten. „Schon lang?" » „Schon sehr lange, Tante Maria." Als die beiden Männer allein waren, fragte Herbig: „Wie lange bleibst du bei uns?" „Nur bis morgen, Onkel Fritz. Ich hatte Geschäfte in der Nähe, sonst wäre' ich jetzt gar nicht gekommen. — Nächsten Monat komme ich mal auf acht Tage. Jetzt kann ich nicht fortbleiben. Der Direktor ist erkrankt, und Wenden burg hat mich beauftragt, ihn vorläufig zu vertreten." „Er zeigt dir großes Vertrauen, du kannst stolz darauf sein, bei deiner Jugend so ausgezeichnet zu werden." „Das habe ich nur Wendenburgs Vorliebe für mich zu verdanken." „And deiner Tüchtigkeit, mein Junge. Also morgen willst du wirklich schon wieder zurück?" „Ich mutz. Gestern war ich auch auf eine Stunde bei Mama, um ihr selbst die freudige Nachricht zu bringen." Ueber Herbigs Gesicht flog ein Schatten. „Wie geht es ihr?" fragte er ernst. „Sie sagt, es geht ihr gut. Aber ich kann mir nicht helfen — ich glaube ihr das nicht so recht, AeberhaUpt, je älter und verständiger ich werde, desto unbegreiflicher ist es mir, daß Mama Diakonissin wurde. Sie war früher eine so lustige und elegante Weltdame. Wie kam ihr, nur mit einemmale die Idee, sich diesem Beruf zu widmen. Und sie sieht auch gar nicht befriedigt aus. Und wie alt ist sie geworden! Das Haar ganz weiß, die Züge schlaff und ver grämt — jammervoll. Mir tut das Herz weh, wenn ich sie sehe. Es kommt mir vor., als bedrücke sie ein Leid, welches sie uns verheimlichen will. Wenigstens mir. Solltest du mir nicht Aufschluß darüber geben können?" Fritz sah sinnend dem Rauch seiner Zigarre nach. — Dann wandte er sich ruhrg seinem Neffen zu. „Ich kann dir keine andere Auskunft geben, als vor Jahren. Deine Mutter liebte dich unaussprechlich. Als du von uns gingst, veränderte sich ihr Wesen sehr, und als sie dann im Sanatorium das Leben und Wirken der Diako nissinnen sah, fühlte sie sich davon angezogen. Der Beruf mag nicht dazu angetan sein, sie zu erheitern." „Das wohl. Aber ich habe Kolleginnen von Mama kennen gelernt, die sehr Heller und vergnügt waren." Es entstand eine Pause. Nach einer Weile fragte Bern hard: „Du siehst Mama Helten, nicht wahr?" Herbig wandte sein Gesicht ab. „Ja — ich komme jetzt so schwer fort von der.Fabrik," sagte er leichthin. Er hatte weder seinem Neffen noch seiner Frau bisher eingestandrn, daß er seine Schwester, seit sie sein Haus verlassen, überhaupt nicht wiedergesehen hatte.