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Am nächsten Abend kam Herbig zeitiger aus der Fabrik herüber als sonst. Am Morgen hatte er die Verlobungs anzeigen zur Post gegeben. Er wollte daheim sein, wenn der Briefträger kam und seiner Schwester dir-für sie bestimmte brachte. And vorher wollte er noch mit Bernhard sprechen, er sollte von ihm selbst hören, datz Maria seine Braut war- Langsam schlenderte er durch den Garten nach der Laube, in der Bernhard meistens seine Aufgaben arbeitete. Er fand ihn auch heute dort. Ms er am Eingang der Laube erschien, blickte Bernhard freudig überrascht auf. „Du schon, Onkel Fritz? Ist es denn schon 7 Uhr?" „Nein — ich habe mir heute etwas früher Feierabend gegeben. Eigentlich habe ich dich mit Absicht aufgesucht, ich habe dir etwas zu sagen." Bernhard sah seinen Oheim fragend an. „Du — das klingt furchtbar feierlich. Ist es etwas Nettes?" Herbig lachte. „E,twas lchr Nettes, diesmal zuerst für mich Also kurz und bündig, Jung, ich habe mich verlobt." Bernhard fuhr kerzengerade empor. Auf seinem Gesicht kämpften Freude und Erstaunen um die Herrschaft. „Du — .verkohle mich doch nicht — es ist doch nicht April."- — Herbig sah ihn ernsthaft an. „Es ist kein Scherz, mein Jung." „Wirklich Ernst? Nun sage mir aber schnell, mit wem?" „Mit March Rottmann." Bernhard sprang in fassungslosem Staunen auf. „Mit Fräulein Rottmann? Du — das ist doch ^ch denke, die heiratet Lebbeck?" „Neins sie will lieber mich. Hast du nun auch an mir etwas auszusetzen?" »Ich, Ortkel? Ich freue mich ja diebisch. Herrgott, — da gibt es nun wohl bald Hochzeit?" „In drei Monaten." „Reizend. Ich freue mick ja so sehr, daß du glücklich bist. Aber schon lange ist mir was in deinen Augen äufge- fallen, schon seil einigen Tagen. So ein Heller, froher Glanz. Ich dachte aber nur. du hast gu^e Erfolg« im Geschäft- Das war dir doch bisher das Höchste, nicht? Und schön mutz das sein, wenn man so schafft und arbeitet und man sieht, wie man vorwärts kommt. Ach, ich kann die Zeit, nicht mehr erwarten, bis ich von der Schulbank los bin. Du — da fällt mir aber wieder Mama ein. Weitz die schon von deiner Verlobung?" „Nein. Nachher gehe ich aber zu ihr. Und weiht du was — du lätzt uns eine Stunde ungestört. Ich will mit deiner Mutier gleich noch über deins Zukunftspläne sprechen, und da ist es besser, ich Halts den ersten Sturm allein aus," sagte Herbig. Er wollte-nicht, datz sein Neffe Zeuge davon wurde, wie seine Mutier die Verlobungsanzeigr aufnahm. „Tann werde ich hier bleiben, bis du mich rufst, Onkel Fritz. Weiht du, angst ist mir doch. Mama glaubt so fest daran, dah ich Ostern in die Zabrik eintcete." „Latz das nur meine Sorge sein, Bernhard, ich setze es schon durch." Er sah eben den Postboten durch den Garten gehen und erhob sich. Es war doch besser, er war zugegen, wenn seine Schwester die Anzeige erhielt. Mit einem festen Händedruck verabschiedete er sich von seinem Neffen und ging in das Haus. Als er ins Wohnzimmer trat, sah seine Schwester am Fensterplatz, wo ihr Nähftsch stand. Sie hatte eine Stickerei im Schoße liegen und zog geraoe die steife, elfenbeinfarbene Karte aus dem Umschlag. Er sah, wie sie las, wie, sie fassungslos über die Augen strich und nochmals die Buchstaben überflog. Dann sckoh sie empor, umklammerte mit bebender Hand den Stuhl und streckte ihm mit der andern zitternd die Karte entgegen. Ihr sonst so blühendes Gesicht war fahl und schlaff. Sie sah Fritz entgeistert an. „Das — ^em, das ist doch nicht wahr — was ist das?" Er lehnte mit untergeschlagenen Armen am Kamin und sah sie ernst an. „Meine Verlobungsanzeigr, Bettina." „Nein — nein — das — das ist doch ein schlechter Scherz." — Sir sank kraftlos in ihren Stuhl zurück und mühte sich s vergebens, Haltung zu gewinnen. In ihren dunklen Augen zuckten irre, böse Lichter. Die Hände umschlossen krampfhaft ! die Karte, als wollte sie dieselbe vernichten. — Endlich stieh sie ein heitzrres Lachen aus. „Wirklich, — eine reizende Komödie, hast du mir da ' mit — mit deiner — Braut vorgespielt," rief sie nervös - und mit „höhnischem Ausdruck. Sehr taktvoll finde ich dein ! Benehmen nicht. Deine Schwester hätte wohl verdien, diese s Nachricht in anderer Weise zu erhalten." Herbig blieb ruhig in derselben Haltung stehen. „Hast du es wirklich anders verdient, Bettina? War es recht von dir, datz du mich ohne weiteres zur Ehrlosigkeit verdammtest? Du hattest mit scharfen Augen meine Neigung - zu Maria erkannt. Um sie mir zu entrücken, ersannst du das ! Märchen ihrer Verlobung mit Lebbeck. So stelltest du in ' kluger Berechnung eine Scheidewand zwischen mich und mein ! Glück, denn ich liebe Maria, wie mein Leben. Ich frage dich nicht: Warum hast du mir das getan? — Ich weitz, du hast aus übergrotzer Mutterliebe an mir gefrevelt. Glaubst du nicht, datz ich auch so für Bernhard sorge, dah er an mir immer eine tatkräftige Hilfe haben wird, wenn er mich braucht? Und er wjxd wahrlich als ein tüchtiger Mensch den Weg durchs Leben finden." Sie schluchzte höhnisch auf und rief: „Ja, als armer Schlucker, in ewger Abhängigkeit von anderen Menschen, gezwungen, jeden Pfennig umzudrehen- Oh, ich weitz aus Erfahrung, welch beneidenswertes Los das ist." - Herbig kam von seinem Platz herüber und stellte sich vor sie hin. „Du vergibt, datz ich auch nicht viel mehr besatz, als Herbert, damals, als ich vom Vater die Fabrik übernahm- Und hab« ich's nicht zu Wohlstand und Reichtum gebracht?" „Du Hattest aber eine Grundlage, auf der du aufbauen konntest. Und jedem glückt es nicht wie dir." „Man kann auch ohne grotzen Reichtum glücklich sein." Sie trocknete zornig ihr« Tränen. „Das ist eine sehr bequeme Philosophie für dich — Solche weise Reden sind in diesem Falle wohlfeil wie Brom beeren." Er verlor nun doch etwas die Ruhe. „Du bist unvernünftig, Bettina. Du tust, als ständest du plötzlich einem Nichts gegenüber." „Das tue ich auch. Du weiht, dah ich arm bin und ganz auf dich angewiesen war mitsamt meinem Sohne." „Und du meinst, ich vergesse einen Augenblick, datz ich euer natürlicher Versorger bin? Bettina, komm doch zu dir, ver liere doch im blinden Groll nicht den klaren Bllck! Gönne mir doch mein bihchen Glück, es braucht sich gar nichts zu ändern. Du bleibst mit Bernhard in meinem Hause, tust mir und Maria einen Gefallen, wenn du weiter den Haushalt führst. Für Bernhard sorge ich, bis er auf eigenen Fähen stehen kann, und — noch ist es ja nicht ausgeschlossen, ob er Nicht trotz meiner Heirat mein Erbe wird. Unsers Ehe kann kinderlos bleiben." Das letztere sagte er freilich nur, um Bettina aufzurichten, um ihr für den Augenblick über den Zusammenbruch, ihrer Hoffnungen hinwegzu Helsen. Aber gerade diese letzten Worte bohlten sich in Bettina^ Hirn, und heihe, wilde Wünsche wurden in ihr wach. In ihrer Seele ging in diesem Augen blick eine Veränderung vor, die ihr selbst nicht klar zur'Be sinnung kam. Sie schauerte zusammen und schloh die Augen. Dunkle Schatten stiegen vor ihr auf.'— Und dazwischen erwachte ein wilder Hatz gegen Maria. Sie war schuld, datz ihr und ihres Sohnes Leben in eine andere Bahn gelenkt wurde. Schlau hatte sie es verstanden, sich den reichen > Mann zu kapern. Das vergatz sie ihr nie. Aber di« Klug heit gebot ihr, zu retten, was noch zu retten war. Ihr Bruder durfte nicht ahnen, was in ihrem Herzen vorging- Sie mutzte einl«nken, ehe es zu spät war. Aufatmend strich sie mit dem Tuch über die Augen und richtete'sich auf. „Verzeihe mir — ich war vor Schrecken sinnlos. Sah ich mich doch mit Bernhard schon verloren und verlassen, drauhen auf der Stratzr." Er war sofort besänftigt und versöhnt. Warmes Be- i dauern erfüllte ihn. v „Aber Bettina — so weit mühtest du mich doch kennen, um das für unmöglich zu halten." „Dich, ja. Aber deine zukünftige Frau. Wenn sie nun verlangt hätte, dah wir gehen sollen?"