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- 326 - „Was ist es, Maria?" > Diese atmete tief auf. Dann sagte sie schnell, als wenn sie es bald los sein wollte: „Ich muh daran denken, eine Baby-Ausstattung anzu- schaffen. Du würdest mich zu Dante verpflichten, wolltest du mir dabei behilflich sein." l Jetzt erst sah sie auf, zu Bettina hinüber. Sie schaute s in rin totenblasses, wie zu Stern erstarrtes Frauenantlitz, aus dem ein paar glühende, brennende Augen in die ihren blickten. - „Mein Gott, Bettina — was ist dir?" i Bettina sank schlaff in den Stuhl zurück. „Ein Unwohlsein — bitte, ein Elas Wasser." Maria eilte hinaus, um Wasser zu holen. Dabei war ihr zumute, als habe sie einen Blick in einen Abgrund getan- SaiH plötzlich kam ihr unter Bettinas furchtbarem Blick die Erkenntnis, dah die Schwägerin sie hassen mutzte. Als sie aber mit dem Wasser zurückkam und Bettina sich mit mattem Lächeln entschuldigte, schalt sie sich selbst. Ihre Phan tasie hatte ihr da wohl eilten Streich gespielt. „Ist dir besser, Bettina?" frug sie besorgt. Diese hatte sich mit übermenschlicher Anstrengung gefaht- „Ich danke dir. Nein — was war mir nur plötzlich? Meine Nerven sind jetzt wirklich sehr herunter. Die Freude über deine Mitteilung — ich war so überrascht. Natürlich besorge ich dir alles. Du brauchst dich um nichts zu kümmern." Als Fritz eine Stunde später, nach Hause kam, traf er sie scheinbar im besten Einvernehmen. Bettina aber fand in der folgende» Nacht keinen Schlaf. Eine qualvolle Unruhe trieb sie umher. Dem Bruder sollte ein Erbe geboren werden. Damit war ihres Sohnes Schicksal in ihren Augen besiegelt- Er würde gleich seinen Eltern ein sorgenvolles Dasein führen müssen, sich mühen und plagen um das tägliche Brot — ausgeschlossen sein von der vollbesetzten Tafel des Lebens- Todmüde, von allem Denken und Sinnen wirr im Kopfe, sank sie endlich gegen Morgen auf ihr Lager und verfiel in einen bleiernen Schlaf, der ihr nur wilde Träume, aber leine Erquickung brachte. Fritz umgab feine Frau jetzt mit doppelt zärtlicher Sorge. Und scheinbar wetteiferte Bettina mit ihm. Wie es dabei in ihrem Innern aussah, ahnte kein Mensch. Sie erschrak zu weilen selbst vor den bösen Gedanken, die ihre Sinne be herrschten. Der Hatz gegen Maria wuchs täglich, und zu gleich gegen das Kind, welches ihres Sohnes Erbrecht völlig vernichten würde. Unablässig drehten sich ihre Gedanken um denselben Gegenstand. Manchmal wünschte sie sich über natürliche Kräfte, um das Kind verderben zu können, noch ehe es seinem Vater in die Arme gelegt wurde. Sommer und Herbst waren vergangen. Der Winter hielt früh seinen Einzug. Um die Weihnachtszeit erwartete man in der Billa Herbig den neuen Erben. Bernhard Gerold hatte an Mutter und Oheim sehr befriedigte Briefe geschrie ben Seine neue Tätigkeit gefiel ihm sehr, und auch sonst wutzte er viel Gutes zu berichten. Horst Wendenburg war mit seiner Tochter und Pflegetochter zurückgekehrt. — Bern hard erhielt zuweilen für Sonntags eine Einladung in die prächtig gelegene Dilla Wendenburgs. Nach seiner verstor benen Frau hietz sie Villa Anna. Von Horst Wendenburg schwärmte der junge Mann mit wahrer Begeisterung, die kleine Gabriele sei ein herziges blondes Kind und ihm sehr zugetan — nur von der Besitzerin der goldig schimmernden Augen hatte -er nur einmal kurz erzählt: „Es ist mich eine Pflegetochter im Hause, die Wendenburg wie eine eigene Tochter hält." Er erwähnte sie nie wieder, während er von Wendenburg und Gabriel« jede Kleinigkeit berichtet«. Seine Hoffnung, Weihnachten nach Haufe kommen zu können, wurde ihm zerstört. Der Oheim teilte ihm mit, datz es für ihn wohl besser sei, diesmal das Weihnachtsfest nicht zu Hause zu verleben, da man einen neuen Weltbürger erwartete. Am einundzwanzigsten Dezember wurde Fritz Herbig ein Sohn geboren. Auf den Wunsch der jungen, glückstrahlenden Mutter nennte man ihn nach ihrem verstorbenen Vater Walter. * Bettina pflegte ihre Schwägerin in der aufopferndsten Weise. Sie wich Tag und Nacht nicht von ihrem Lager und lietz auch niemand an das Kind heran. Fritz und Maria waren ganz gerührt und dankten ihr wieder und wieder. Bettina wehrte diesen Dank kurz, fast rauh ab. Sie war überhaupt seltsam still und in sich ge kehrt in all der Zeit. Sie konnte stundenlang unbeweglich an der kleinen Wiege sitzen, wenn Maria schlief, und mit trüben Augen auf das winzige Kindergesichtchen starren. Er hob es dann erwachend sein Stimmchen, dann fuhr sie zu sammen wie in jähem Schreck. Am schlimmsten war es des Nachts. Allen Bitten zum Trotz blieb Bettina auch des Nachts im Zimmer ihrer Schwägerin und verbrachte ihre Nachtruhe in einem bequemen Lehnsessel an der Wiege des Kindes. Es war ein böser .Zauber, der sie dort festhielt. Herbig sorgte sich ernstlich um die Schwester, und er nahm sich vor, sobald Maria wieder vollständig genesen war, Bettina zu zwingen, sich mehr Rr>he und Erholung zu gönnen. Er schlief jetzt des nachts in Bernhards Zimmer. Maria hatte es entschieden verlangt, damit seine Nachtruhe nicht gestört würde. So war Bettina mit ihrer Schwägerin und dem Kinde allein. Nur hatte Fritz darauf gedrungen, datz im Nebenzimmer eine Dienerin schlief, die jederzeit er reichbar war. - Trotzdem fand Fritz keinen ungestörten Schlaf. Das Glück und die Unruhe hielten ihn manchmal stundenlang wach. — So war der kleine Walter fünf Tage alt geworden. In der Nacht, die diesem Tage folgte, konnte Fritz teuren Schlaf finden. Unruhig wälzte er sich umher. Immer lauschte er hinaus. Er glaubte ein leises Weinen zu hören. Einmal duselte er im Halbschlaf. Da war ihm, als höre er Maria seinen Namen rufen. Er sprang sofort völlig er muntert auf. Zwar sagte er sich, datz er nur geträumt haben konnte, aber er war doch unruhig. Schließlich konnte es nichts schaden, wenn er hinunterging und einmal lauschte, ob alles ruhig war. Er kleidete sich hastig an und stieg langsam und vorsichtig die Treppe hinab. Dann öffnete er leise die Türe zu sei,rem Zimmer und trat ein. Von hier aus brauchte er nur zwei durch Portieren getrennte Zimmer zu passieren, .um durch die dritte Portiere einen Blick in das Schlafzimmer werfen zu können. Es war alles still und ruhig. Schon wollte er umkehren, aber die Sehnsucht, einen Blick auf sein schlafendes Weib zu werfen, trieb ihn vorwärts. Nun stand er vor der letzten Portiere. Leise hob er den Vorhang und blickt« hinüber auf das Bett seiner Frau. Mattes Licht erhellt; den schönen grohen Raum, der jetzt nicht ganz die gewohnte Ordnung zeigte. Maria lag friedlich schlummernd da. Und nun noch einen Blick auf die Wiege seines Kindes. Dazu muhte er den Vorhang weiter zurückschieben und sich Vor beugen. Aber kaum hatte er das getan, da schnellte er er schrocken aus seiner gebeugten Stellung empor. Ein unter drückter Laut entrang sich gurgelnd seiner Kehle, und wie ein Irrsinniger sprang er ins Zimmer. Da er in Strümpfen gekommen, geschah das alles lautlos- Lautlos umklammerte ec auch Bettina, die mit wahnsinnig verzerrtem Gesicht über die Wiege gebeugt stand und ein dickes Kissen auf das zarte Kinderköpfchen prehte. Als Fritz sie zurückritz, schrak sie mit eimm dumpfen Laut zusammen, starrte wie von Sinnen in das zürnende, schmerzverzogene Gesicht des Bruders, warf die Hände wild empor und brach kraftlos zusammen. Sie war nicht ohnmächtig, aber gelähmt stierte sie mit weit 'ausgerissenen Augen zu dem bebenden Mann empor, der das mühsam nach Atem ringende Kind aus der Wiege gerissen hatte und mit ungeschickten, bebenden Händen die Kleidung des Kleinen lockerte. Dies alles hatte sich schnell und lautlos abgespielt. — Drüben lag noch immer ruhig schlummernd die junge Mutter, ahnungslos, datz ihr Kind eben mit Mühe dem Tod ent rissen war. Nun wurden die Atemzüge des Kindes freier, die blaurote Färbung des Gesichts verlor sich, und der Mund verzog sich zum Weinen. Da prehte «s Fritz in anfwallen- der Freude und Zärtlichkeit an sich. Dann wandte er sich, langsam nach der noch immer wie gelähmt an, Boden knienden Frau, deren Antlitz von furchtbarer Seelenqual, von schau erndem Entsetzen vor sich selbst entstellt war. Er richtete sich hoch auf und wies mit unterdrückten, Zorn nach der Tür«. Sie kroch an ihn heran und hob im stummen Flehen die Hände zu ihm empor. Er trat schaudernd zurück und wies nochmals nach der Türe. Da schleppte sie sich mühsam hinaus. Drautzen brach sie bewutztlos zusammen. Ueber Fritz Herbigs Gesicht rann ein« schwere Träne-