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- 204 brannte ein unruhiges Feuer. Ihr Bruder war eben aus der Fabrik getreten, der letzten einer, und neben ihm schritt, i Sie Bettina gefürchtet hatte, eine schlanke, jugendlich kräf- : tige Mädchengestatt. Sie trug einen schlichten grauen Lodenrock ; und eine glatte, weiße Hemdbluse, mit einem kleinen schwarzen s Schleifchrn am Kragenschlutz. Dazu ein rundes, weißes Stroh- ! Hütchen mit schwarzem Baird. > Es war nichts Auffallendes an dieser jugendlichen Er- ! scheinung, und doch wandte Bettina" ihre unruhig flackernden i Augen nicht von ihr ab. Wie selbstverständlich sie neben ihrem Prinzipal dahin- s schritt — als wäre er ganz ihresgleichen! Sie sah zu ihm ! empor und schien aufmerksam seinen Watten zu lauschen, wäh- j rrnd er eifrig in sie hinrrnsprach. Bettinas Finger trommelten unruhig auf dem Fenster- ! breit. Wahrhaftig, da ging er achtlos an der Gattentür ' vorbei, die zur Villa führte, und schritt noch bis zur Straßen- ' ecke mit. Erst dort blieb er stehen, zog den Hut und kam ' langsam zurück. j Aergerlich wandte sie sich vom Fenster ab und Kat LU der gedeckten Tafel. Mit einem prüfenden Blick überflog sie noch einmal die drei Kuverts. Sir rückte mechanisch an den Mn geschliffenen Kelchgläsern, fuhr glättend mit der Hand über das blütenweiße Tischtuch und ging dann mit einem tiefen Seufzer hinaus in das Vestibül, um ihren Bruder zu begrüßen. Sobald er eintrat, zwang sie einen heiteren, unbe fangenen Ausdruck n ihr Gesicht. „Tag, Bettina! Komm ich zu spät? Oder ist Bernhard auch noch nicht zu Haus?" s ,^Bernhard ist auch noch nicht hier, lieber Fritz." „Schön, dann krieg ich keine Schelte," sagte er lachend, > Bettina umfassend und neben ihr ins Zimmer schreitend? i Sie lachte auch. „Ach — darin , hast du es gut, Fritz. Schelte bekommst ! du nie. TM Vorzug hast du, Junggeselle, daß du kommen ! rmd gehen kannst, wann du willst. Als Ehemann würde wohl manches anders sein." Fritz sah seine Schwester mit gutmütigem Spottlächelr an. Er wußte, weshalb sie ihm bei jeder Gelegenheit die Vorzüge seines Junggesellentums in günstiges Licht rückte. ! Er hatte sie trotzdem herzlich lieb. Herbig besaß ausgeprägten ! Familiensinn, und es war für ihn selbstverständlich, daß er für seinen Neffen sorgte, wie M Vater. Daß er aber deshalb ' - aus die Gründung einer eigenen Familie verzichten sollte, ! das ging ihm doch etwas zu weit. Trotzdem er bis jetzt ledig s geblieben war, wußte er doch, daß er eines Tages heiraten i würde. Vorläufig war ihm nur noch nicht das weibliche i Wesen begegnet, welches er für eine Ergänzung seines eigenen Jchs hätte halten können. Und je älter er wurde, je wäh- s Krischer wurde sein Sinn. Uebrigens fühlte er sich in der , Schwester Obhut sehr wohl. s Sie entfaltete aber auch bewundernswerte Talente, um i Fritz seine Häuslichkeit angenehm zu machen. -Seine Mahlzeiten waren vorzüglich zubereitet und jedes Gericht seinem Geschmack angrpaßt. Wäsche und Garderobe wurden in tadeLffer Ord- . nung gehalten. Wollte er plaudern — Bettina oerstand es i in graziöser und nicht geistloser Art, jedes Thema zu behandeln. ; Hatte er Lust, Musik zu hören — sie spielte sehr gut Klavier und sang mit ihrem weichen Alt einfache Lieder, die er sehr liebte. Wollte er Ruhe haben — sie verstand sehr wir kungsvoll. zu schweigen. Sie suchte ihm in den Zeitungen die > Artikel aus, die ihn besonders interessierten und strich dieselben not. an, damit er schneller mit der Lektüre fettig würde. Auf alle seine Stimmungen ging sie verständnisvoll em. Da er eine ungezwungene, anspruchslose Geselligkeit liebte, sorgte sie für reizende, gesellige Abende, kurzum, sie schaffte - ihm eins beneidenswerte Häuslichkeit. s Auch das Verhältnis ihres Bruders zu ihrem Sohne be einflußte sie in kluger Weise, obschon sie sich da jede Mühe i hätte sparen können. Onkel und Neffe waren sich auch ohne dies in herzlicher Liebe zugetan. Bernhard Gerold schwärmte in jugendlichem Enthusiasmus für Onkel Fritz. Er schien ihm - das Ideal eines Mannes. So wie dieser zu werden, war sein eifrigstes Streben, so gut und so klug, so tatkräftig und ' zielbewußt. Fritz liebte den frischen, aufgeweckten Jungen wahrhaft väterlich. Sein offener, ehrlicher Charakter, de: wie ein auf geschlagenes Buch vor ihm lag, erfüllte ihn mit Freude. Er beeinflußte seinen Werdegang mit liebevollem Verständnis,.zog Verantwortlicher Rüxcktem: Ernst Roßberg in Frankenberg i-S. ihm die Zügel nicht zu straff und ließ ihn sich entfalten ohne kleinlichen Zwang. Schon frühzeitig »eckte er in ihm das Bewußtsein der Eigenen Verantwortlichkeit, und stärke so seine Willenskraft. Trotz des Altersunterschieds verkehrte er mit ihm wie ein Freund, lenkte ihn daher aber mit weiser Vorsicht dahin, daß er selbst immer den rechten Weg fand. Bettina hatte gewünscht, daß Bernhard in die Fabrik seines Oheims eintreten sollte. Der Sohn hatte aber keine Lust, Kaufmann zu werden. Seiner Mutter wagte er jedoch nicht zu widersprechen, die kam dann immer gleich mit T^nen und Vorwürfen. Und er merkte, daß ihr viel daran lag. ihren Wunsch durchzusetzen. „Ich weiß, Onkel Fritz erwartet das als selbstverständ lich, Bernhard," hätte sie ihm gesagt. Daß sie in ihm Mn den künftigen Chef der Firma Herbig sah, verschwieg sie chm Wohlweislich, denn ihr Sohn hätte für ihre Wünsche und Hoffnungen kein Verständnis gehabt. Da er aber, wie gesagt, keine Lust hatte zum Kaufmanns stand, sondern eins starke Neigung für das Maschinenbaufach besaß, ging er eines Tages zu seinem Oheim. Dieser lag nach Tisch immer ein halbes Stündchen lesend aus dem Divan in seinem Zimmer. Und Bemhard ging mit all seinen kleinen und großen Anliegen stets um diese Zeit zu ihm. Er fetzke sich dann inben ihn auf den Divan und wippte so lange ruhelos auf- und ab, bis Onkel Fritz lachend fline Zeitung weglegte. So auch an jenem Tage. Er sah seinen Neffen einen Augenblick prüfend an. Dann sagte er lächelnd: „Na, Junge, nun schieß mal los. Was hast du aus dem Herzen?" Bernhard hörte auf zu wippen und sah mit seinen offenen, klaren Augen in die des Onkels. „Du — ist es wahr, daß dir sehr viel daran liegt, daß ich Kaufmann werde?" „Wer hat dir gesagt, daß mir so v«! daran liegt?" „Mama natürlich. Sie will, daß ich in deme Fabrik eintrete. Ist dir wirklich so viel daran gelegen?" Herbig lächelte. „Mir scheint, du hast diesen Gedanken nicht gerade mit Entzücken aufgesaßt, hm?" - Bernhard wippte wieder. „Erst sollst du meine Frage beantworten, ich hab' zuerst gefragt." Herbig lachte herzlich. „Du — Hann sitz erst mal still, wenn du so weiter turnst, krieg ich die Seekrankheit! So! Nun also meine Antwort: Meinetwegen werde Schuster, Schneider oder Handschuhmacher, werde was du willst — aber werde es ganz. Wähle deinen Beruf so, daß du ihn als ganzer Mann ausfüllen kannst und Lust und Liebe dazu mitbringst — dann wählst du recht und nach meinem Wunsch." Bernhard war aufgesprungen und hatte sich mit ernster Miene vor den Oheim hingepflanzt. „Ich möchte Maschinen bauen, Ingenieur werden. Weißt du, in solchem großen Eisenwerk möchte ich arbeiten. Neulich habe ich auf dem Bahnhof eine neue Lokomotive gesehen — ach, Onkel Fritz, dü glaubst nicht, wie herrlich die aussah! Wie die einzelnen Telle sich so elegant und leicht bewegten und ineinander fügten — ich war ganz hin und konnte nicht fort sehen. Siehst du, so etwas möchte ich bauen, aber noch schöner, noch besser. Kannst du iPch verstehen?" Herbig hatte wohlgefällig an dem schlanken Jungen empor gesehen und sich an seinen energisch blitzenden Augen gefreut. „Es wäre doch das erstemal, daß wir uns nicht ver stünden, Junge." „Und du hast nichts dagegen?" „Nein, im Gegenteil." Bernhard hatte tief Atem geholt- „Gott fei Dank." Aber dann macht« er ein bekübles Gesicht. „O jeh — was wird nun Mama sagen? Sollst'sehen, Onkel Fritz/ sie weint und denkt, ich habe dich gekränkt." Herbig legte seine Hand auf den Arm des Jünglings. ,^aß gut sein, Bernhard. Mit der Mutter bring ich das selbst in Ordnung, wenn es so weit ist. Vorläufig werde erst mal auf dem Realgymnasium fertig, eher brauchen wir gar nichts darüber zu reden. Wenn wir „Männer" unter uns nur einig darüber sind!" (Fortsetzung folgt.) — Druck und Verlag von C- G- Roßt rrg tn Frankenberg i.L