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Mittwoch dm 1S. Mai 1S18 R. B. 1 Bettina Gerold stand'am Eckfenster des schönen, vor nehmen Speisezimmers. Die hübsche, stattliche Frau, eins Mgrhende Vierzigerin, schaute mit lebhafter Spannung über die weiten Rasenflächen des Gartens hinüber nach hem Fabrikgebäude der Firma Fritz Herwig. Es war Mittagszett. Dor wenigen Minuten hatte an haltendes Pfeifen in der Fabrik den Beginn der Mittags pause angekündigt. Nun quoll ein Menschenstrom aus dem breiten Tore. Die Arbeiter und Arbeiterinnen hastete^ den Weg hinab, der am Gartenzaun der Billa Herbig vor beiführte. Diese Villa bewohnte der Besitzer der Fabrik, Fritz Herbig, mit seiner verwitweten Schwester, Bettina Ger old, und derem einzigen Sohn, Bernhard Gerold. Fritz Herbig war Junggeselle. Seine Schwester führte ihm seif acht Jahren, so lange war sie Witwe, den Haushalt. Er war achtunddreißig Jahre alt ^nd hatte, wie er seinen Be kannten lächelnd versicherte, bisher noch keine Zeit gehabt, sich eine Lebensgefährtin zu suchen. Zum Teil entsprach das der Wahrhrit. Herbig hatte vor zehn Jahren die Fabrik von seinem Vater übernommen. Damals bestand sie aus einem niedrigen Haus, in dem schlecht und recht auf einigen Webstühlen billige Möbelstoffe ge webt wurden. Fritz Herbig besah Unternehmungsgeist, Schaffenskraft und einen klaren weiten Blick. Er faßte die Sache besser an, als sein kränklicher, überängstigter Vater. Und der Erfolg heftete sich an seine Arbeit. Fünf Jahre nach dem Tode seines Vaters wurde bereits das große neue Fabrikgebäude aufgeführt, und das Jahr darauf ließ er das kleine, altersschwache Wohnhaus zu einer hübschen, vornehmen Villa umbauen. Statt der vierzig Arbeiter schafften jetzt vierhundert in den großen, lustigen Faoriksälen, und in einem mtt Oberlicht versehenen Zeichensaal saßen mehrere Künstler und Künstler innen, die mtt dem Entwerfen neuer Muster beschäftigt waren. Der ganze Betrieb hatte sich außerordentlich gehoben, und die Firma zählte zu den ersten im Lande. Herbig sorgst immer wieder für aparte Neuheiten und stilgerechte Dessins, und seine Zahlreichen Kunden wußten, daß die^Firma Her- i big in dieser Beziehung die leistungsfähigste war. Bei Fritz Herbigs rastlosem Schaffen und Vorwärts- > Und immer schau ick dich: Erblassen, Mtt Herzblut färbend rings das Land — - Die Besten raubt der Weltenbrand, Den wild entfacht dies Dölkerhassen. — . Wo ist ein Trost, der unserm Schmerz Zum güigen, treuen Helfer werd«? .... O fchlummre sanft in ferner Erde! — Gemeinschaftlich mit uns verbunden: Verklärt durch somreulichte Stunden, Lebt fort in uns dein edles Herz!.— Im Felde. « Leben heißt Kämpfen Roman von H. Courth s-Mah ler. Nachdruck verboten im Zeichensaal der Firma «^gestellt war, hielt sich Herbig meist an diese mtt seinen direkten Aufträgen. See verstand es besonders gut, aus seine Ideen einzugehen, und traf fast immer das Richtige. Herbig war sehr erfreut darüber. Es war für ihn eine große Erleichterung und Zeitersparnis. So kam es, daß er sich NM noch an sie wandte, wenn er neue Ideen hatte. Manchmal bat er sie sogar Sonntags vormit tags zu sich Sie erschien dann genau so pünktlich, ruhig und verständnisvoll in der Villa wie drüben in der Fabrik. Sie nahm seinen Auftrag entgegen, führte ihn aus und legte ihm die Zeichnung vor. Dabei, wurde nie xin Wort zwischen den beiden gesprochen, welches nicht aus die Zeichnungen oder die Fabrik Bezug hatte. War Maria Rottmann fertig, dann entfernte sie sich ebenso ruhig und mit höflichem Gruß, wie sie gekommenen: Sie zeigte sich nicht unterwürfig, sondern benahm sich wie ein Mensch, der sich seines Könnens und seines ehrlichen Schaffens bewußt ist, ohne Ueberhebung. Und Herbig verkehrte mit ihr nicht ein Jota anders, als er es mtt einem männlichen Angestellten getan hätte. Aber Bettina Gerold war trotzdem voll Unruhe, und sah mit wenig freundlichen Augen auf das häufige. Bei sammensein der beiden. Auch jetzt gatt ihr forschender Blick Maria Rottmann. Seit das Mittagszeichen ertönte, stand sie am Fenster und spähte mit scharfen Augen nach dem Fabriktor hinüber. Und plötzlich grub sich eine unmutige Falte in chre Storni Ihr Mund preßte sich zusammen, und in den dunklen Augen Meinem Irennae st. v. Und nun auch du? — Noch kann ich es nicht fassen, So jäh durch eine höh're Hand Zerschnitten unsrer Freundschaft Band — — Wie fühl' ich trauernd mich verlassen. schreiten war ihm tatsächlich nicht viel Zett für die hold: - Weiblichkeit geblieben. Da ihm seine Schwester in geradezu musterhafter Weise den Haushalt führte, entbehrte er auch eine - Frau bisher nicht. Betttna Gerold tat alles, was sie ihrem Bruder an den Augen abfehen konnte. Freilich nicht ohne egoistische Motive. Sie war arm. Ihr kleines Vermögen, ! welches ihr bei ihrer Verheiratung ausgezahlt worden war, s reichte gerade bis zum frühen Tode ihres Mannes, der in seiner. Stellung als Regirrungsbeamter Er ein fehr ge- : ringes Gehalt bezog.. Sie wäre mit ihrer kleinen Pension s in große Not geraten, hätte sie der Bruder nicht zu sich genommen. Und nun hätte sie sich an das gute Leben rm i Hause gewöhnt, und wünschte durchaus nicht, daß er eine ! junge Frau heimführte. Zu diesem Wunsche hatte sie auch - noch eine viel größere Veranlassung. Sie liebte ihren Sohn ! grenzenlos, war er doch das Einzige, was ihr aus ihrer kurzen, sehr glücklichen Ehe geblieben war. Und sie wollte > diesem Sohne das Erbe seines Oheims sichern Herbig sollte ' sich als Junggeselle so wohl fühlen, daß er gar nickt auf s den Gedanken kam, sich eine Frau zu suchen. Bisher hatte ihr der Bruder auch keinerlei Veranlassung i zu Besorgnissen gegeben Fand er einmal ein flüchtiges Wohl gefallen an einer jungen Dame, dann verstand es Bettina, ihm ! dieselbe schnell aus den Augen zu rücken oder ihm gesprächs weise so viele schlechte Eigenschaften der Betreffenden aufzu- ' zählen, daß er alles Interesse verlor. Fritz Herbig blieb zwar nichstlange über derartige fleme Manöver im Unklaren. Er lächelte darüber im Mlen. Da aber sein Interesse nie groß genug war, gab er sich den An schein, als sei er Mn ihr überzeugt worden. Nun war aber seit einigen Monaten «ine talentvolle, junge Zeichnerin angesteist worden, die Bettina eiirwe Unruhe verursachte. Nach ihrer Ansicht beschäftigte sich ihr Bruder zu viel mit der jungen Dame. Zunächst war das freilich ein« ganz harmlose Veranlassung. Ohne selbst zeichnen zu können, ersann Herbig die originellsten Entwürfe. Er gab seinen Zeich- ? nern dann mtt etwas ungelenken Strichen di« einzelnen Mo- ttve an, und diese führten dann di« Zeichnung aus. Seit nun die jung« Dame, Fräulein Maria Rottmann, Frankenberger Erzähler Unterhaltungsbeilage zum Frankenberger Tageblatt Wird jeder Mittwochs-, Freitags- und SonntagS-Nummer ohne Preiserhöhung des HauptblotteS beigegeben.