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2» «NN 2 I I»4 - l«rin. „Ich weiß nicht. Es zog mich. Mir Mar, als mutzt' - ich's/' sagte sie in geheimnisvollem Ton. - „Was mutzten Sie, Malve? Ich verstehe Sie nicht." „Zu ihm. Ich kann ihn doch nicht allein lassen, ver wundet, wie er ist. Und niemand pflegt ihn." — Gr legte den Arm um sie, zog sie sanft, aber unwiderstehlich mit sich fort. „Er ist erlöst," sagte er leise und eindringlich. „Unsere Hilfe braucht er nicht mehr, aber seine Kinder brauchen sie. Da liegen Ihre Pflichten, Mave. Bei Bubi und Bertchen, bei Liesel. Denken Sie doch einmal —" „Bubi — Liesel —" wiederholte sie mechanisch mit ton loser Stimme. „Ja," sagte er fest. „Berthold ging damals vollkommen beruhigt, weil er seine Kinder sicher m Ihren Händen glaubte. Sie-wollen doch sein Vertrauen nicht täuschen, wie? Er blieb auf seinem Posten, ein treuer Führer, bis Gott ihn rief. So tun, Sir auch, Malve. Liebe Malve, pflanzen und pflegen Sie nun das Bild des Vaters in den Herzen der Kinder, damit er in ihrem Leben etwas Wirkliches bleibt, kern Schat ten, der täglich mehr und mehr verblasst. Das ist das einzige und auch das größte, was Sie für Berthold tun können." Ob Malve die tröstenden und zugleich ermahnenden Worte Erichs ganz verstand? Sie leistete wenigstens auch keinen Widerstand, als ec sie die Stufen zum Hause hinaufführte, über die Diele ins Kinderzimmer. Dort drückte er sie sanft in einen Sessel, gab ihr das Kleinste auf den Schötz, lief dann hinaus und holte Bubi und Bertchen. „Geht zu Mutti, seid recht brav und habt sie lieb, so lieb wie ihr nur immer körnst!" Und Bertchen drückte sich an sie, den kleinen zerzausten Wollbär im Arm, der Junge kletterte zu ihr auf den Sitz und streichelte mit beiden Händen ihr Gesicht. Ihm kam eine Ahnung, als ob irgendwie etwas anders sei als sonst. Da löste sich unter der Berührung der kleinen^ lebens warmen Körper die entsetzliche Starrheit der Mutter. ,^OH, ihr — ihr — ern Teil von ihm," stammelte sie unter stürzenden Tränen, die kleine Schar mit beiden Armen leidenschaftlich umschlingend. In den Zügen des Mannes zukkte es. Er trat ans Fenster und blickte, ohne doch etwas zu sehen, in den herbst lich-bunten Garten hinaus. Ein Windstotz fuhr durch den Wipfel der Linde, datz die gelben Blätter wie aufgescheuchte Vögel davonstoben. Es schien so symbolisch für diese Tage des großen Sterbens, da eine einzige Stunde das Glück von Tausenden zerschlug. Noch immer hörte er hinter sich Walves fassungsloses Weinen, aber dennoch, die schwerste Gefahr war abgewendet, dessen warmer sicher. Gottlob, in ihrem Mutterinstinkt würde sie sich wiederfinden. Der Fluß wurde Malve nicht wieder zur Versuchung, mochte er noch >o lockend in der Sonne glitzern oder an stürmischen Regentagen noch so eindringlich rauschend von Ruhe reden und von Vergessen. Die kleinen Hände ihrer Kinder waren stark genug,'sie festzuhalten, aber ein mühselig- kümmerliches Leben war's doch, eines, das man an jedem Morgen von neuem wie eine schwere Last auf die Schultern lud. Wie schal schien alles, was man als sogenannte Haus frauenarbeit von früh bis spät unter Aufbietung aller Kräfte trieb! Selbst das eine große Ziel, die Kinder im Sinne und nach dem Wesen des Vaters weiterzrMden, rückte bisweilen fast außer Sicht in dem Gedränge kleiner widerwillig und mechanisch getaner Pflichten. Bitter und einsam waren die Tage mit ihrem chobren- dcn, hoffnungslosen Sehnen nach einem für immer verklunge nen Schritt, nach einer erloschenen Stimme. Aber weit schlim mer doch die Nächte, wo die durch keine äußeren Eindrücke mehr gehemmten Gedanken mit nervenzerreibender Beharrlich keit immer nur einen Weg gingen, immer nur ern Bild herauf beschworen: das Bild eines Gemarterten, einsam im Ge büsch Verblutenden, den niemand gefunden hatte. Und er wäre doch noch zu retten gewesen! Wie mochten die brechenden Augen noch einmal die schöne Sonn«, die versagenden Gedanken noch einmal das Heim am Fluß gesucht haben, und Weib und Kind! Be neidenswert jene, die im Rausch des Vorwärtsstürmens plötz lich umsanken, „den Tod nicht sehend," wie jener Priester des Alten Testaments. Berthold Rodenbachs Ende dagegen schien von allen geheimnisvollen Schrecken einer modernen Hölle umwittert- Die Marke gefunden ohne ihren Träger! Was war da vorgegangen? Vorstellungen, an denen selbst der persönlich Unbeteiligte scheu vorbeigleitet, drängten sich immer wird« in Malves gepeinigtes Hirn, bis ihr war, als sei ihr eigener Leib von tausend Qualen zerrissen. Wenn sie es dann gar nicht mehr ertragen konnte, stand sie auf, ging auf weichen Schuhen ruhelos hin und her durch di- Zimmer, stand vor Bertholds Bild^ an seinem Schreibtisch, strich über ferne Bücher, bis sie endlich vor Erschöpfung in irgendeinem Sessel einschlief. „Sir kriegt's noch im Kopf, Herr Oberförster, wenn das nicht bald anders wird," meinte Elise bekümmert. Erich seufzte still. Er sah ja selbst, wie ihr Gesicht von ' Tag zu Tag immer zarter wurde, die Augen sich immer mehr weiteten. Das Herz tat ihm weh um sie, aber wie hätte er ihr helfen können! Auch er erfuhr die Binsenweisheit, daß jede Menschen- seele, noch dazu eine trauernde, wie eine Insel ist, mit der man sich nur über Gleichgültiges gleichsam durch Signale verständigt. In ihren Tiefen bleibt sie unerreichbar. Der Spätherbst, ein tränenvolles Weihnachtsfest, dunkle Wintermonate — dunkel in jedem Sinne — gingen so hin; der März kam und die Frühlingsblumen, die Betthold einst mit so viel Vergnügen gepflanzt hatte, fingen an, grüne Spitzen aus dem nassen Erdreich zu stecken. Um diese Zeit machte Malve trotz all ihrer Schmerz versunkenheit eine Bemerkung. „Sie kommen jetzt viel seltener als sonst, Vetter Erich," sagte sie. „Vermißten Sie mich?" „Sie sind der einzige, mit dem ich wirklich über Berthold sprechen kann. Aber vielleicht habe ich Sie schon damit er müdet." „Wie können Sie nur denken," sagte er hastig und be gann dann zu erklären, wie das so gekommen sei: durch den ' nahenden Quartalsabschluß, Einberufung weiterer Unterbeam ten usw. „Aber ich bitte Sie," wehrte sie mit ihrer welchen, ! müden Stimme, „Vorwürfe wollt' ich Ihnen doch nicht machen. ' Sie widmen uns ohnehin schon viel zu viel von Ihrer Zett." Es tat ihr leid, den Gegenstand überhaupt berührt zu Haben. „Es wird sicher noch wieder anders kommen," versicherte er, aber es klang nicht recht überzeugend. Er ! wußte selbst am besten, daß nicht die Arbeit Jchuld war, diese hätte er schon bewältigt. Nein, er fühlte, daß er Malve gegenüber nicht mehr ganz ruhig sei. Plötzlich war das über ihn gekommen. Funken, unter der Asche der Entsagung lang« erstorben geglaubt, glühten wieder auf. Er konnte sie bald > nicht mehr sehen, ohne sich seiner Wünsche quälend bewirt zu werden. Unglaublich, mit welcher Kraft das so lange - Niedsrgehaltene in die Höhr schnellte. „Sie ist frei!" Immer j wieder kam ihm das. Es war sa nichts Unrechtes dabei. - In niemandes Besitz griff er ein, dennoch empfand er's als etwas Unschönes, daß sein Verlangen schon jetzt eine Frau umschlich, deren tiefe Trauer ihm hätte heilig sein sollen. Da entschloß er sich schweren Herzens, seltener zu ihr zu fahren. Aber eine ganz ferne, stille Hoffnung ließ sich nicht ab weisen. Diese grng des Tags mit ihm durchs Revier, saß abends bei ihm in seiner Waldeinsamkeit. Sollte es nicht möglich sein, daß er kein einsamer Mann blieb, wenn die große ; Beschwichtigerin Zeit dereinst den Ansprüchen der Lebenden I gestattete, sich neben die Toten zu stellen, sei es auch erst ! nach Jahren? Er konnte warten, er würde wanen. Sich ! zu bescheiden, hatte er ja gut gelernt. Vielleicht, wenn feine Zeit gekommen war, würden die Kinder seine Fürsprecher sein. Die kleinen Mädel, die so lieb die Hände nach ihm ausstrecktrn, der Unband Bubi, der schon jetzt die straffere, männliche Zucht vermissen ließ. Alles., wonach im Grunde jeden rechten Mannes Sehnen - steht, umfing sein Herz in weichen Träumereien. s Er fuhr jetzt nur noch des Sonntags in die Stadt, aber der Tag wurde ihm zum Angelpunkt für sein ganzes Tun und Denken. „Ich freue mich die ganze Woche drauf; es tut meinem alten Onkelherzen so gut, wenn die Gören um mich herum- - kabbeln", sagte er scherzend, aber wonach ihn eigentlich o«r- ! langte, das waren doch die Stunden, wenn die kleine De- § sellschaft ins Bett gesteckt war und er mit Malve an > schönen Abenden allein unter der Linde saß. Es machte ihn gar nicht eifersüchtig, datz Berthold gleichsam als ünsicht-