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Frankenberger Erzähler Unterhaltungsbeilage zum Frankenberger Tageblatt Wird jeder Mittwochs-, Freitags- und SsrmiagS-Nummer ohne Preiserhöhung des Hanprblattes bcigezebsu. Ar. 45 Kreitag de« 26. April 1918 Der Frühling blüht und die Amsel singt, Hold, als ob Friede wäre, Doch immer noch dröhnt im Land und klingt Eisentritt deutscher Heere. Noch immer die Frage wiederkehrt: Wie oft noch kommt das Leid: Doch tröstet euch, starb er doch auch Für Deutschlands große Zeit. WrMM'sM Koman von H. Tourths-Mahler. 2! Nachdruck verboten Sie begab sich in das Turmzimmer. Dies war ein großer faalarttger Raum, an dem sich der runde Ausbau des Turmes schloß. Dieser Ausbau war durch schwere Por tieren von dem Hauptzimmer getrennt. Wenn man sie hinter sich zufallen ließ, bildete der Ausbau ein rundes, behaglich eingerichtetes ZimMer. Jutta hatte schon oft ein Stündchen hier verweilt und sich an dem herrlichen Ausblick» erfreut. Heut« ließ sie sich müde und teilnahmslos "n einen Sessel gleiten und schloß die Augen. Als die Kastellanin die Milch brachte, bat Jutta sie um ein warmes Tuch. Es war noch kühl in dem kleinen Zimmer, und ihre nervöse Abspannung ließ sie das doppelt empfinden. In das schnell herbeigeschaffte Tuch gehüllt, saß die Schloßherrin stundenlang regungslos in ihrem Sessel und dachte mit geschlossenen Augen über ihre qualvolle Lage nach. Was tun? — was tun? — Sie kam noch immer zu keinem endgültigen Entschluß. Sie durchlebte Stunden trostloser Verlassenheit und Verein- famung. Ein Etauen vor der Zukunft, Furcht vor dem Leben und Sehnsucht nach dem Tode füllten ihre Seele- Da hörte sie schnelle Schritte nahen. Gleich darauf stand der Kastellan vor ihr. „Gnädige Komtesse, soeben ist die Ravenauer Equipage aus dem Walde herausgekommen. Herr von Sonsfeld und die gnädige Frau Mutter sitzen darin. Ich wollte mir anzu fragen erlauben» wie wir uns zu verhalten hähen?" Jutta sprang aufgeschreckt empor. Wie ein verfolgtes Wild sah sie den Kastellan an. „Ich will ihnen nicht begegnen — ich — das heißt — ich kann nicht. Sie dürfen nicht wissen, da^ich hier bin — auf keinen Aall. Sie werden ja nicht hereinkommen." „Das glaube ich doch. Gnädige Frau haben schon gestern alle Zimmer besichtigt, weil verschiedenes erneuert werden soll." Jutta sah sich angstvoll nach einem Versteck um. „Könnte ich mich nirgends verbergen? Bitte, helfen Sie mir, ja?" ' Der Kastellan sah sie an. Es dämmerte in seiner Seele, daß die „schöne Gwendoline" wieder irgend «in Unheil an gerichtet hatte. Sofort war er bereit, seiner jungen Herrin beizustehen. Er bat sie, ihm zu folgen. In dem großen Saal schob er schnell einen hohen. Spiegel beiseite, der eine Wand nische verbarg. „Wenn gnädige Komtesse dies Versteck benutzen wollten?" „Ja, ja — nur schnell." V Der Kastellan skltte rasch einen Stuhl in die Nische und legte seiner Herrin das entfallene wanne Tuch um die Schultern. Umsichtig reichte er ihr auch noch den Hut, Hand schuhe und Reitpeitsche in das Versteck und schob den Spiegel wieder vor die Nische. „Verstecken Sie mein Pferd!" rief ihm Jutta noch zu. „Es soll sofort geschehen, gnädige Komtesse," erwiderte er, „und wenn die Herrschaften fort sind, melde ich es gnä diger Komtesse." Jutta dankte mit hastigen Worten und rief ihm noch, zu, das Tablett mit dem Imbiß mitzunehmen, damit sie dadurch nicht verraten würde. , Sie hörte, wie der Kastellan sich eilig entfernte. Fröstelnd hüllte sie sich in das Tuch und schloß die Augen. Es wäre ihr entsetzlich gewesen, jetzt mit der Mutter zufammenzu- treffen. Lange weilte sie noch nicht in ihrem Versteck, als sie im Nebenzimmer die Stimmen ihrer Mutter und Herberts hörte. Sie kamen näher und hatten anscheinend das Turm zimmer betreten. Jutta vernahm nun ihre Unterhaltung ganz deutlich und hoffte, sie würden sich bald entfernen. Diese Hoffnung sollte sich indessen nicht erfüllen. Sie hörte, wie die Mutter sich ganz in der Nähe ihres Verstecks niederließ, und Herbert sich einen Stuhl herbeizog. „Dies Zimmer war immer mein besonderer Lieblings- ort," sagte ihre Mutter. „Es ist alles heiter und farbenfreudig in diesem Raum. Sieh nur die Deckengemälde mit diesen genuß- und lebensfrohen Motiven. Die Schönroder haben entschieden eine vergnügtere Lebensauffassung gehabt als die Ravenauer. Ach — wo ist die Zeit hin, da ich hier als ge feierte Herrin lebte." Herbert trommelte aus der marmornen Platte eines Tisch chens herum. „Ja, dies Schlößchen ist ein famoser Dau. Ueberhaupt, geliebte Tante, seit ich hier und in Ravenau die Verhältnisse kenne, begreife ich erst, wie leichtsinnig Du damals gewesen sein mußt, als Du diese beneidenswerte Position aufs Spiel setztest." „Leichtsinnig? Mein Lieber, ich glaube, ich war niemals, schwerblütiger als damals.' Aber was weißt Du mir Deinem Fischherzen, was ich für Henry de Llavigny empfand." Herbert lachte so roh, daß Jutta in ihrem Versteck zu sammenzuckte. „Du wirst ja jetzt noch förmlich schwärme- ! risch, trotzdem Dich dieser Clavigny zweimal schmählich ver ließ." „Ja, trotzdem. Er hat mir doch durch seine Persönlichkeit ein Gefühl eingeflößt, wie ich es vorher und nachher nie mehr empfunden habe." „Für Deine beiden Männer ist demnach nicht viel übrig geblieben. Ravenau erwähltest Du, weil er Dir «inen gol denen Hintergrund verschaffte, und meinen braven Oheim beglücktest Du mit Deiner Hand, well Du ihn für einen Millionär hieltest." So ging das Gespräch weiter. Jutta litt Qualen in ihrem Versteck und doch mutzte sie den Zufall segnen, denn es tat sich ihr hier der ganze Abgrund auf, vor dem sie gestanden. Ekel überkam sie. Als endlich die beiden In triganten sich entfernten und Schönrode wieder verließen, atmet: sie wie erlöst aus. Ihr Entschluß war gefaßt. Sie begab sich unverzüglich nach Gerlachhausen und bat Götz von Eerlachhausen um eine Unterredung. Zufällig war dieser auch anwesend, und zwar allein, da Frau von Gerlachhausen zur Stadt gefahren war, um Einkäufe zu besorgen. Doll Verwunderung über das plötzliche Erscheinen Juttas stand Götz bald darauf dieser gegenüber. Jutta aber, begreiflicherweise immer noch sehr erregt über das soeben Erlebte, bat Götz flehend, ihr zu verzeihen für das, was sie ihm angetan. „Wenn Sie mir doch verzeihen könnten, Götz," sagte sie. „Ich wußte ja nicht, was ich tat. Ich war so töricht, so maßlos stolz und trotzig!" Er dachte daran, daß sie ihm einst gesagt: „Ich habe einen schlimmen Tharakterfehler — ich kann sehr trotzig sein, wenn ich mich gekränkt glaube." „Ich habe Ihnen nichts zu verzeihen, Komtesse Jutta, und hätte ich's, dann wäre es bereits geschehen."