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Gnädige Komtesse können mir schon glauben, ich sah wirk lich einen Spurgeist, und eine gar seltsame Bewandtnis mutz es damit haben. Ich möchte wohl gnädiger Komtesse gern davon einmal erzählen." Sie machen mich neugierig, liebe Frau Wohlgemut. Also, erzählen Sie. Aber, bitte, setzen Sie sich, Sie sind ! soviel älter als ich, und ich kann es gar nicht sehen, wenn Sie vor mir stehen." Jettchen setzte sich auf die Kante eines Sessels und rückte mechanisch an ihrer Haube. Dann erzählte sie klar und aus führlich ihr nächtliches Abenteuer. Jutta hört- erst lächelnd, dann immer ernster werdend, zu. Als Jettchen von dem geheimen Schreibtischfach be richtete, fuhr sie überrascht empor. Jettchen schlotz dann ihren Vortrag, indem sie sagte: „So gruselig hat das alles ausgesehen, datz ich Hasen- futz mich nicht aus meinem Versteck hervorwagte. Hätte ich damals gemutzt, was ich später zufällig hörte, als Herr ! von Gerlgchhausen das letztemal in Ravenau war, so hätte ich wohl den Mut gehabt, das Gespenst beim Kragen zu packen. Dano wären wohl die wichtigen Dokumente, die gnädige Komtesse suchten, nicht so spurlos verschwunden gewesen." Jutta sah verstört in das erregte Gesicht der alten Frau. „Und Sie haben das Gesicht nicht erkannt?" fragte fie gepretzt. . „Gnädige Komtesse — das war gar kein Gesicht. In meiner Angst sah ich nur etwas starres Wejßes.' Nachher — lange nachher ist mir zum Bewußtsein gekommen, datz es wohl eine weiße Larve gewesen sein kann." Jutta sprang auf und legte ihre Hand auf die Schulter der a. en Frau. „Sic haben doch mit niemand davon gesprochen? Die Leute sind ohnedies so furchtsam." „Hier im Hause mit keinem Menschen, gnädige Kom tesse. Aber an dem Tage, als die Dokumente gesucht wurden — da wüßte ich nicht, ob ich reden oder schweigen sollte — ! und ich hab im Park auf Herrn von Gerlachhausen gewartet und ihm alles mitgeteilt." „Götz Eerlachhausen?" ries Jutta bettoffen. «Ja, gnädige Komtesse." „Warum gerade ihm?" „Weil unser Herr hochseliger Graf so große Stucke auf Herrn von Gerlachhausen hielt, und weil ich weiß, daß er der ehrlichste, beste Freund von gnädiger Komtesse ist. Und ein kluger Herr ist er auch." „Und was hat er ihnen geantwortet?" Jettchen teilte ihr das getreulich mit und endete damit, datz sie nun den geeigneten Augenblick für gekommen erachte, ihr Schweigen über jene Nacht zu brechen. Jutta sah in diesem Augenblick gar nicht blaß aus. Ihre Wangen brannten,, und die Ravenausche Falte trat stark hervor. Sie faßte Jettchens Arm und beugte sich zu ihr. „Sie haben einen bestimmten Verdacht, Frau Wohl gemut?" Diese hielt ihren Blick offen aus. „Gnädigste Komtesse — mehr als vierzig Jahre bin ich nun in Ravenau und mein Herz gehört meiner Herrschaft. Leid' und Freud' meiner Herrschaft habe ich mit empfunden und gnädige Komtesse sind mir ans Herz gewachsen wie ein eigen Kind. Gnädige Komtesse können wohl verstehen, datz ich nun auf meine alten Tage nicht von Ravenau fort- gejagt wckden möchte, und deshalb sage ich: Nein, "ich habe keinen Verdacht. Gott verzeihe mir diese Lüge." Jutta ließ ihren Arm los und trat zurück. „Sie werden immer in Ravenau bleiben, liebe Frau Wohlgemut. Aber wenn Sie einen Verdacht haben, so sprechen Sie ihn nicht aus — mir zu Liebe. Es ist besser so- Denn wenn ich die Dokumente nicht habe, ist doch alles umsonst." „So wichtig sind dieselben, gnädige Komtesse?" «Ich würde Sie mit Gold aufwiegen, denn Air diese Dokumette können mich von furchtbaren Zweifeln befreien und m-r Klarhet bringen. Aber sie sind verschwunden und werden wohl nicht wiedergefunden werden. So bleibt mir ewiger Zweifel, ewige Unruhe. Aber nun wollen wir gehen, es ist kalt hier und mich schaudert." Sie sahen sich noch einmal fest in die Augen — mit einem Blick, der tausend Worte ersetzte. Dann verließen sie schnell den Raum. Jutta ging durch die Galerie in ihre Zimmer — mit einem Gefühl, als habe sie den Boden unter den Füßen ^»erkoren. Sie schlotz sich ein. Nur mühsam vermochte sich Jutta fortan im Verkehr mit ihrer Mutter soweit zu beherrschen, datz diese nichts von ihren Seelenkämpfen merkt:. Manchmal dachte sie mit wehmütigem Spott, datz Madame Leportier jetzt sehr zu frieden mit ihr sein würde. Aber sie selbst war gar nicht mit .sich zufrieden. Haltlos schwankte sie zwischeneinander widerstrebenden Empfindungen hin und her. Zuweilen er schien es ihr als ein Verbrechen, an der Mutter zu zweifeln, und dann wieder fühlte sie mit peinigender Klarheit, datz die Mutter nicht wahr zu ihr gewesen. Sie fragte sich oft, ob Herbert nicht auch an der Wahrhaftigkeit ihrer Mutter zweifle. Datz er selbst mitgeholfen, ihr eine Komödie vor zuspielen, dieser Gedanke lag ihr vollständig fern. Ver gebens grübelte sie auch darüber nach, woher ihre Mutter erfahren, daß zwischen Götz und dem Großvater von ihrer Verbindung mit Götz die Reds war. Ihre Mutter selbst danach fragen wollte sie nicht, als hätte sie schon vorausgeahnt, datz sie die Wahrheit doch nicht erfahren würde. Und diese Frage hätte der Mutter vielleicht auch ihr Mißtrauen verraten. Jettchen Wohlgemut bangte in rechtschaffener Weise um ihr Komteßchen. Sie sorgte wahrhaft rührend für ihre all täglichen Bedürfnisse. Jutta verlor kein Wort über diese Beweise treuer Ergebenheit. Aber einmal streichelte sie sanft Jettchens runzlige Hand und sah sie dankbar an. Da be kam diese feuchte Augen und zergrübelte sich den Kopf noch mehr. Sie hatte seit ihrer Unterredung mit Jutta nur noch einen alles beherrschenden Gedanken: Wie schaffe ich Komteßchen die Dokumente wieder? Sie ersann die aben teuerlichsten Pläne, die natürlich alle unausführbar waren. Eins stand fest bei ihr: Waren die Dokumente nicht schon vernichtet, so befanden sie sich in den Zimmern der Frau Sterneck. Aber wo? Jettchen Wohlgemut faßte jetzt gerade eine Vorliebe für Frau von Sternecks Zimmer. Sie schien von einem förmlichen Reinlichkeitsdämon besessen zu sein, und immer half sie selbst beim Staubwischen und Säubern mit. Der alten treuen Seele wäre es auch "nicht auf einen kleinen Einbruch angekommen, hätte sie nur sicher gewußt, wo sie die Dokumente finden konnte. — — — — — Mit ihrem Verlobten korrespondierte Jutta regelmäßig. Ihre Briefe glichen freilich in keiner Weis« denen eimr liebenden Braut. Desto glühender und zärtlicher waren "Her berts Briefe, und sie überzeugten Jutta immer Mehr davon, daß sie ihn nicht aufgeben dürfe. Zu seinem Mißvergnügen interessierte sich Jutta sehr für seine Doktorarbeit und erkundigte sich in jedem Brief, wie weit sie vorgeschritten sei. Es fiel ihm gar nicht ein, .Zu studieren. Hatte er es bisher vorzüglich verstanden, jeder ernsten Arbeit aus dem Wege zu gehen, so hielt es es jetzt geradezu für Unsinn, sich mit den Büchern herumzu quälen. Er genoß mit vollen Zügen die Wintersaison in Berlin, war auf allen galanten Bällen, in Theatern leichteren "Genres und sonstigen amüsanten Orten zu finden. Er soupierte in Gesellschaft leichtherziger Damen und verstand es, die aus erlesensten Menüs zusammenzustellen, bewohnte eine hoch elegante Etage im Tiergartenviertel, hielt sich einen Diener und lebte vollständig als Grandseigneur, natürlich vom Gelde seiner Braut, das er ohne Gewissensbisse vergeudete. Dabei ließ er Jutta in dem Glauben, daß er eifrig - bei der Arbeit sei. Die einzige „Arbeit", die er mit Teuften s und Stöhnen verrichtete, waren die verlogenen Briefe an seine Braut. Frau von Sterneck korrespondierte natürlich auch mit Herbert. Sie hatte ihn voll Unruhe gefragt, wie er sich Jutta gegenüber aus der Affäre ziehen wolle, wenn sie erfahren würde, daß sein Studium nicht zum Ziele führte. Da hatte er geantwortet: Darüber laß Dir keine grauen Haare wachsen. Ostern komme ich als Doktor summa cum laude nach Ravenau. Ich will Jutta schon von meinem glänzend bestandenen Eramen überzeugen. Dann wird sie sich zufrieden geben und nicht mehr daran denken. Den Doktortitel führe ich dann aus Bescheidenheit nicht, und sind wir erst verheiratet, wird sie diese Schrulle bald vergessen haben. Pa Gwendoline wußte, daß Herbert gar nicht imstande war, den Doktorgrad zu er werben, mußte Zie auch diese Täuschung gutheißen. — Der Winter war vergangen. Frühlingsstürme durchtobten