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Johanna, Trennung „Frau von Sterneck ist aber meine Mutter, und durch Ihre Hilfe haben wir uns nach langer wiedergefunden." Johanna fuhr betroffen zurück. „Das — also das war das Geheimnis! O mein Gott! Jutta winkte ihr matt zu. „Ich will uun allein sein. Niemand soll mich stören. Ich brauche Ruhe." Die Zofe entfernte sich' gehorsam. Jutta schloß hinter ihr. das Zimmer ab und warf sich dumpf aufstöhnend auf den Diwan. Ihr Kopf schmerzte, ihre Glieder waren steif, und der Puls fieberte. Sie vermochte nicht mehr zu denken, die Bilder verwirrten sich in ihrem Kopf. Sie fühlte sich grenzenlos unglücklich und so einsam, wie nie in ihrem Leben, trotzdem sie die Mutter wieder hatte. Sie empfand nichts als unerträglichen Jammer um Götz Eerlachhausen, der das Ideal ihrer Mädchenseele gewesen, den sie geliebt mit der tiefen, heiligen Glut ihres jungen Herzens, und der sie betrogen und verraten hatte. Wirr ging ihr durch den Kopf, was sie seit dem Morgen erlebte. Sie hatte gegen sich selbst gewütet, um Götz Eerlach hausen demütigen zu können, um ihm zu zeigen, wie sehr sie ihn verachte. Ihre Verlobung hatte sie ihm mit wildem Triumph ins Gesicht gerufen, um ihm zu zeigen, daß sie ihn nicht liebe. Und nun la/z sie da, von Grauen über sich selbst ge schüttelt, elend und verzweifelt, zum Sterben. Wenn sie doch einschliefe, um nie mehr zu erwachen! Das wünschte sie. Herbert Sonsfeld hatte seine Tante in ihr Zimmer ge leitet. Dort standen sie sich eine Weile stumm gegenüber. Endlich sagte Herbert aufatmend und heiser vor Erregung: „Gewonnen! Der Sieg ist unser!" Sie setzte sich müde m einen Sessel. „Ja, aber fast wäre alles verloren gewesen. Ich habe gezittert, solange Jutta fort war. Wo mag sie gewesen sein? Sie sah furchtbar verstört aus. Ich vermag mich kaum am Gelingen unseres Planes zu erfreuen. Götz Gerlachhausen war ihr mehr, als wir dachten. Mir ist wirklich bange um sie." Herbert warf den Kopf zurück. „Nun verdirb mir doch die Freude nicht und laß dis Klagelieder. Die Hauptsache ist: Wir sind gerettet. Um Jutta sei unbesorgt. An einer ersten Liebe stirbt man nicht. Schließlich bin ich doch auch nicht zu verachten." Er zündete sich eine Zigarette an und bot der Tante sein Etui. Sie folgte' seinem Beispiel. Dann sah sie bittend zu ihm auf. „Herbert, versprich mir, daß Du gut zu dem Kinde sein willst." „Herrgott, ich bin doch kein Kannibale, der kleine Kinder verschlingt! Natürlich werde ich gut zu ihr sein, aus ein bißchen Süßholz soll es mir auch nicht ankommen, wenn jemand wie ich auch längst über solche Kinderkost hinaus ist. Wird mir gar nicht schwer fallen, und Du sollst sehen — sie verliebt sich noch bis über die Ohren in Deinen vortrefflichen Neffen. Ernsthaft: Du brauchst nicht Trübsal zu blasen, es fehlt feder Grund dazu. Bedenke, was wir erreicht haben!" Sie lehnte sich in ihren Sessel zurück und blickte den vornehmen Herrschaften das Leben schwer machen! Wir tun unser« Pflicht — basta " Inzwischen hatte Jutta ihre Mutter und ihren Verlobten gebeten, sich zurückziehen zu dürfen. Sie war zu'Ende mit ihrer Kraft und vermochte sich kaum noch aufrecht zu halten. Zärtlich besorgt geleiteten sie die beiden bis an ihre Zimmer. Jutta zog schnell die Tür hinter sich ins Schloß und atmete wie erlöst auf. Johanna, erwartete sie bereits zum Umkleiden. Während sie ihrer jungen Herrin in ein bequemes Haus kleid half, starrte diese wie geistesabwesend vor sich hin. Als die Umkleidung beendet, fragte Johanna, ob Komtesse noch etwas befehle. „Nein, Johanna, Sie können gehen. Sie werden noch mit dem Einpacken Ihrer Sachen zu tun haben. Morgen früh reisen Sie ab, nicht wahr?" „Ja. Gnädigste Komtesse gestatten mir, noch einmal herzlich zu danken für das viele Geld und für alle Freund lichkeit und Güte." „Es ist gut, Johanne. Sie haben mir einen sehr großen Dienst geleistet." „Gnädige Komtesse, ich habe nur getan, was Frau von Sterneck mir befohlen." Leid entschädigen wollen." Dolly Sterneck nahm sie zärtlich in ihre Arme. „Gott segne Dich, mein Kind, und schenke Dir Glück," sagte sie mit wirklicher Empfindung. Cie umarmte auch Herbert und küßte ihn. Jutta war noch immer wie im Fieber. „Nun komm zu den Leuten, Herbert." Sie gingen in die Halle, wo das Hauspersonal mit erwartungsvollen Ge sichtern stand. Jutta stellte Herbett als ihren Verlobten uno als künftigen Herrn von Ravsnau-Cchönrode vor. Ein Murmeln ging durch die Reihen. Die Leute waren ersichtlich mehr bestürzt als erfreut, suchten jedoch allmählich eine fröhliche Miene zu heucheln. Nur Jettchen Wohlgemuth blieb wie er- Parrt — ^ie wußte doch daß Götz Gerlachhausen Bestimmt war, als Herr hier einzuziehen — und daß KoMteßchen in der Sterbestunde des Grafen ihre Liebe zu Götz bekannt hatte. Und nun sollte plötzlich ein anderer seine Stellt «in- nehmen! Sie blickte verstört auf Jutta: Sah so eine glück liche Brauk aus? Nur mühsam stotterte sie einen Glückwunsch hervor. Als die Leute entlassen, hielt Jutta Herrn Seidelmann und Jrau Wohlgemuth zurück und sagte mit matter Stimme: „Für sie beide, die Sie wohl am längsten in Ravenau sind, habe ich noch eine besondere Mitteilung. Sie haben doch meins Mutter gekannt, nicht wahr?" Die beiden Alten bejahten. Jutta nahm ihre Mutter : bei der Hand. Sehen Sie sich einmal Frau von Sterneck an. Denken i cie, sie sei zwanzig Jahre jünger und Habe statt des schwarzen Haares goldblondes. Fällt Ihnen da nichts auf?" ? Seidelmann schüttelte verständnislos den Kopf, aber Jettchen Wohlgemuth stieß ihn mit einem kleinen Schrei der Üeberraschung in die Seite, so daß er empört die Nass i rümpfte. „Seidelmann — was habe ich gleich am ersten Tag gesagt — Frau von Sterneck erinnert mich an jemand. Jetzt weiß ich, an wen — wirklich — an unsere Gräfin Gwendoline! Wenn sie jünger wäre und ihre schöne glatte Haut und das goldene Haar hätte —" Jutta gab die Hand ihrer Mutter frei. „Das Haar ist gefärbt, liebe Frau Wohlgemuth, und in die glatte Haut hat großes Herzeleid seine Runen gezogen. Frau von Sternsck ist meine Mutter. Ich bitte Sie, machen Sie das der Dienerschaft plausibel. Näheres erfahren Sie später einmal. Für heute wissen Sie genug. Sorgen Sie, daß die Leute eins kleine Feier haben. Der Trauer wegen bleibt meine Verlobung noch unveröffentlicht." Jettchen Wohlgemuth verbeugte sich und stammelte, zu Gwendoline gewandt: „Verzeihung, daß ich gnädige Gräfin nicht erkannte." Leutselig legte diese der alten Frau dis Hand auf die Schulter. „Keine Entschuldigung, liebe Frau Wohlgemuth! Und ich bleibe auch in Zukunft Frau von Sterneck. So hieß mein zweiter Mann. Sein Nams kommt mir allein zu'." ,jWie gnädige Frau befehlen," stotterte Jettchen und zog sich'zurück. Seidelmann hielt erst noch eine wöhlgesetzte Rede- Er wußte, was er seiner Stellung schuldig war. Dann folgte er Jettchen Wohlgemuth. Diese war in der Küche wie betäubt auf einen Stuhl ge fallen. „Ach, du grundgütiger Himmel, das geht nicht in mei nen alten Ropf hinein," stöhnte sie ganz verzweifelnd. Seidelmann trat zu ihr. „Was sagen Sie nun, Verehrteste? Eine große lleber- raschung nach der anderen! Wie auf dem Theater, nicht wahr?" „Die Toten stehen auf — ich werde mich auch nicht wundern, wenn jetzt unser hochseliger' Herr Graf aus seiner Gruft'ans Tageslicht steigt. Was er wohl zu alledem jagen würde? Lieber Himmel — was erlebt man doch alles in diesem Hause!" , „Hm, hm. Fanden Sie nicht auch, daß Komtesse sehr dfgagiert aufttat^ »Im Reitkleid eine Verlobung zu prokla- miern — sonderbar, höchst sonderbar." „Ach, auf das Kltzjd kommt es nicht an — aber das Ge sichtchen! Vom Glück stand nichts darin — und — ich hab es anders erwartet." ,Hnr, Hm. Ich hätte auch aus den Gerlachhausen ge schworen. Dem wird diese Verlobung wohl ein bißchen gegen den Strich gehen. Aber was geht es uns an, wie sich die und s ebensi Brati