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Mit dar- nik nll-»n 1S1Z Sonntag den 7. April 14 - Da trat Frau van Sterneck ein. Scheinbar erstaunt sah sie sich um. „Sie sind allein, liebes Kind? ,Wo ist mein Neffe geblieben? Und so traurig? Was ist geschehen?" Jutta stand auf und schlang impulsiv, Schutz vor sich selbst suchend, ihre Arme um Dolly. „Ach, liebe, teure Frau von Sterneck. ich bin so untröst lich, ganz außer Mir. Ihnen, die ich so liebe, muß ich wider meinen Willen Schmerz verursachen." Dolly Sterneck schien betroffen. „Was ist denn nur geschehen, liebe Jutta?" „Ach — ich weiß nicht, ob ich es sagen soll. Ihr Neffe will fort — morgen schon — und er ist so unglücklich — durch mich." Dolly legte wie in tiefster Seele erschreckt den Arm um sie. „So hat er sich doch verraten — der Unselige," entfuhr es ihr scheinbar wider Willen. Jutta sah sie ängstlich an. „Sie wußten, was ihn bewegte?" Roman von H. Courths-Mahler. Nachdruck verboten Frau von Sterneck nickte wehmütig. „Ja, Kind, ich - sah es wachsen mit unruhigem Herzen. Ich kenn« doch meinen Herbert. Er ist eine so tief angelegte Natur und hat sich nie in sogenannte Liebeleien eingelassen. Nun muß sein Herz eine so hoffnungslose Neigung fassen! Er wird schwer damit fertig werden. Aber Sie kifft keine Schuld, mein liebes Kind, beruhigen Sie sich! Denken Sie nicht mehr daran! : Wir müssen ihn ziehen lassen, den armen Schelm. I ch hoffte, er würde gehen, ohne von seiner Liebe zu sprechen. Aber sie s war stärker als sein Wille- Verzeihen Sie ihm!" Jutta schüttelte den Kopf. „Verzeihen? Daß mich ein Mann von ganzer Seele s liebt? Das fordert doch keine Verzeihung! Mir tut das ! - Herz weh aus Mitleid mit ihm." Frau von Sterneck zog sie in «ine Fensternische und setzte sich ihr gegenüber auf di« Bank. > ' „Nun denken Sie nicht mehr daran, liebes Kind. Er muß sich eben damit abfinden, und damit Sie abgelenkt wer den, will ich Ihnen weiter von Ihrer Mutter erzählen. Ich war durch die Erinnerung an alte Zeiten aus dem seelischen Gleichgewicht gekommen und konnte Lestern nicht von Ihrer Mutter sprechen." Vergessen war in diesem Augenblick Sonsfeld. „Aber jetzt sagen Sie mir alles?" „Ja, hier sind wir ungestört. Ich hatte Ihnen «rzählt, batz Ihre arme Mutter sich verzweiflungsvoll nach dem Tode sehnte. Wenn man alles verloren hat, was das Leben lieb machte, tritt die Versuchung an den Menschen heran, dieses verlorene Leben von sich zu werfen. Auch Gräfin Gwen doline war bereit, in den Tod zu gehen." Jutta zuckte zusammen und blickte bang der Sprecherin in das Gesicht. „Ruhig, Kmd — ruhig! Gott ließ das Schreckliche nicht zu. Ein edler Mann, der Gwendoline selbst liebte und diese Lieb« bisher streng in sich verschlossen hatte, ließ die Un glückliche, an die er unbeirrt glaubt«, nicht aus den Augen. Er riß sie zurück von dem Sprung in das dunkle Nichts. Wie ein treuer Bruder für sie sorgend, brachte «r sie zu seiner Schwester. In deren Familie fand sie liebevoll« Aufnahme und wurde langsam dem Leben zurückgegeben. Sie vertrug sich schließlich mit dem Dasein und nur eins quälte sie unauf hörlich: die Sehnsucht nach ihrem Kinde, nach ihrer süßen kleinen Jutta. Nach Jahren heiratete sie aus Dankbarkeit ihren edlen Retter, der sie mit zarter Sorge umgab. Auf ihre Bitte zog ' er Erkundigungen nach dem Kinde ein und brachte in Er- > fahrung, daß es nach dem Tode seines Vaters von der.' alten Grafen Ravenau in ein« Pension verbannt worden sei. Sie wußte ja, daß Graf Rudolf das Kind haßt«, wk er die Mutter gehaßt. Sie reiste nach Eens, um ihr Kino zu sehen. Aber Graf Ravenau hatte dafür gesorgt, daß die unglückliche Mutter nicht zu ihrem Kinde gelangen konnte. Stundenlang stand sie oft in der Nähe der Pension, v >rr das Kind wurde scharf bewacht. Vergebens versuchte sie alles. Sie sah ihr Kind nicht und reiste schließlich unter heißen Schmerzen nach Paris zurück, wo sie mit ihrem zweiten Gatten lebte. Nach Jahren starb diese: und nun forscht« sie abermals eifrig nach ihrem Kind«. Cie erfuhr, daß Gras Ravenau seine Enkelin endlich Heimberufen hatte." Jutta sprang auf. Mit bleichem Gesicht und Kampf haft zusammengepretzten Händen stand sie vor Dolly von Sterneck. „Meine Mutter lebte noch, als ich nach Ravenau zurück kehrte?" rief sie wie außer sich. ! „Ja — sie lebte noch." Jutta umklammerte Dolly ungestüm. „O, mein Gott — eine Hoffnung erwacht in mir — eine Hoffnung, di« mir fast die Sinn« schwinden läßt. Meine Mutter — lebt sie noch? Sprechen Sie, o, sprechen Sie — lebt mein« Mutter noch?" Frau von Sterneck erzitterte unter diesem Ausbruch des Empfindens. j „Ja, Jutta — sie lebt noch." - Jutta brach aufschluchzend in die Knie. > „Mutter! Meine Mutter! Meine arme, süße Mutter." Dolly von Steerneck war totenbleich geworden. Sie ! beugte sich zu d«r Fassungslosen herab. „Meine liebe, keine Jutta!" Diese sprang auf. „Wo ist sie — wo ist meine Mutter? Liebe, Teure, sprech«n Sie schnell, daß ich zu ihr eilen kann," rief sie, leidenschaftlich Dollys Nacken umfassend. Diese küßt« die > Stirn des jungen Mädchens. „Du brauchst nicht weit zu suchen, mLin geliebtes Kind — ich bin Deine Mutter." Jutta starrte sie an. „Meine Mutter hatte goldenes Haar," sagt« sie tonlos. Dolly von Sterneck nickte wehmütig und begann ihre Flechten zu lösen. „Goldenes Haar von besonders auffälliger Farbe — ja, mein Kind. Ich färbte es, um zu Dir gelangen > zu können, denn Dein Großvater hat Dich mit Wächtern umstellt, die mich von Dir sernhalten sollten — käuflich« Menschen, die sich dazu Hergaben, eiiW Mutter von ihrem Kinde zu kennen. Ich täuschte ihre Wachsamkeit. Schau her, mein Kind — hier, unter meinem übrigen Haar versteckt, habe ich eine Skähne meines Haares in seiner ursprüngli ' n Farbe gelassen — um mich vor meinem Kinde legitimieren zu können." Jutta küßte diese Skähne und schmiegte sich halb ohn mächtig in die Arme der Mutter. Dolly fuhr fort: „Unsägliches Leid hat meine Schön heit zerstört, meine Züge verändert. Nur mein Haar hätte mich verraten. Ohne meine keue Johanna wäre ich freilich kaum zu Dir gelangt, mein teures Kind! Ich will DK alle sonstigen Beweise bringen, daß ich Dein« Mutter bin. Ach, die Hoffnung auf diese Stunde hat mich aufrecht erhalten in aller Not. Nun halte ich Dich an meinem Herzen." Still ließ Jutta sich von ihrer Mutter streicheln. Ihr« leidenschaftliche Erregung war einer Erschlaffung gewichen. Frankenberger Erzähler Unterhaltungsbeilage zum Frankenberger Tageblatt Wird jeder Mittwochs-, Freitags» und Sonntags-Nummer ohne Preiserhöhung des Hauptblattes beigegeben.