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158 - „Gnädige Frau — bedenken Sie, bitte, daß ich als Mann eme Beschimpfung von einer Dam« wehrlos über mich ergehen lhsssn : muß." ,Llber bitte, Herr von Eerlachhausen — ich will mich gern von der Wahrheit Ihrer Worte überzeugen lassen." .Dir beiden Damen und Götz begaben sich nun in dos Arbeitszimmer des verstorbenen Grafen. Herbert blieb ruhig auf seinem bequemen Sessel und sah ihnen mit ironischem Lächeln nach. Als die Herrschaften eintraten, war Jettchen Wohlgemut gerade dabei, frische Spitzsnstores unter den Damastoorhängen onzubringen. Noch ehe sie von der Leiter herunlerkommen konnte, war Götz an den Schreibtisch getreten und drückte nun ' auf die verborgene Feder. Die Tür zu dem Geheimfach sprang ! auf. Ohne hineinzu sehen, sagte er zu Jutta: „Bitte, gnädige Komtesse, wollen Sie die Dokumente an sich nehmen!" Jutta faßte hinein, zog aber die Hand rasch zurück. Ihr Gesicht war bleich bis in die Lippen. . „Das Fach ist leer — bitte, überzeugen Sie sich," be merkte sie tonlos. i Götz hlickte bestürzt in die Oeffnung und fuhr erblassend s zurück. „Das begreife ich nicht," murmelte er. Frau von Sterneck lachte. „Vielleicht hat Graf Ravenau sich eines Besseren besonnen und die Papiere vernichtet. Vielleicht hat sie auch Ler Spukgeist des Schlosses auf geheimnisvolle Weise ent führt. weil er nicht leiden wollte, daß man die Gattin des letzten Ravenau mit unverdienter Schmach bedeckte," sagte sie hart und laut. Bei ihren letzten Worten war Jettchen Wohlgemut wie vom Schlage getroffen zusammengeknickt. Das Kästchen mit Stecknadeln entfiel ihren zitternden Händen. Sie sah im Geiste wieder die unheimliche Gestalt, die in jener Eewitternacht genau aus dieselbe Weise wie Herr von Eerlachhausen den Schreibtisch an der Seite geöffnet hatte. x Hastig bückte sie sich nach den Stecknadeln, um den Aus druck ihres Gesichtes zu verbergen. Es war ihr plötzlich, als ginge ihr ein großes Licht auf. Ihr Erlebnis in jener Nacht erschien ihr in einer ganz anderen Beleuchtung. Einen forschenden Seitenblick auf Frau von Sternecks hohe Gestalt werfend, verließ sie schnell das Zimmer und lehnte sich in der Halle fassungslos an eine Wand. „Wenn ich nur wüßte, welches Schriftstück da fehlt — wenn ich mir das nur erklären könnte," dachte sie und grübelte darüber weiter. Seit sie erfahren, daß Frau von Stsrnsck Juttas Mutter sei, hatte sich ihre Abneigung gegen diese noch bedeutend verstärkt. Im Zimmer stand Götz noch immer vor den beiden Frauen. Gwendolines Hohn berührte ihn nicht. Aber daß Jutta mm der Willkür dieser Frau preisgegeben war, beküm merte ihn sehr. Er erkannte nun die Fäden, die das junge Mädck.m umstrickten, war aber machtlos, sie daraus zu befreien. Jutta hatte ihn groß und ernst angeschaut. „Sie haben sich überzeugt, Herr von Eerlachhausen, daß das Fach leer ist. Vielleicht sah mein Großvater doch in letzter Stunde ein, daß er meiner armen Mutter unrecht getan," sagte sie ruhig. Sie wollte nicht, daß er eine Niederlage erleide oder gar der Lüge bezichtigt werde. Etwas in ihr sprach trotz allem zu seinen Gunsten und rüttelt; an ihrer bisherigen Annahme, er könne verächtlich gehandelt haben. Sie glaubte ihm auch, daß ^r von dem Vorhandensein der Dokumente überzeugt gewesen. Götz verbeugte sich vor ihr. „Jedenfalls Habs ich gesehen, daß Graf Ravenau die Dokumente in diesem Fach aufbewahrte. Wo sie geblieben find, weiß ich so wenig wie Sie." j „Sie können auch trotzdem ganz ruhig sein, Herr von Eerlachhausen. Meine Tochter hat aus meinem eigenen Munde erfahren, mit welch häßlichem Verdacht mich Graf Ravenau gekränkt hat. Bei ihr habe ich göttlob nicht um Glauben betteln müssen, weil sie nicht vom Haß verblendet war," erklärte Frau von Sterneck stolz. Götz richtete einen schmerzlichen Blick aus Jutta. „Meine Mission ist hier zu Ende, Komtesse Jutta. Ich bitte, mich verabschieden zu dürfen. Leben Sir wohl — und ^werden Sie gW-^ick!" Sir zuckte zusammen. Das war ein Abschied für immer. Götz, das fühlte sie, würde nicht wiederkommen. Ihr war, als iei alles Licht aus der Welt verschwunden, als müsse sie wie ein furchtsames Kind sein«» Arm umklammern und ihn bitten: „Verlaß mich nicht, ich weiß ja nicht, wie ich mich nun in diesem schweren Leben zurechtfindsn soll. Ich habe nur im Trotz, in Verzweiflung fo töricht gehandelt und ikir eins Fessel angelegt, die meine Seele erdrücken wird. Verlaß mich picht!" Aber sie rührte sich, nicht und sprach kein Wort. Ihre trockenen Lippen bewegten sich, aber kein Laut drang hervor. Ehe sie es erfaßte, war er fort. Es ging wie ein Riß durch ihr Herz, als sich die Tür hinter ihm schloß. Frau von Sterneck zog sie in ihre Arme. „Mein liebes Kind — nun sind wir von diesem Heuchler befreit, er hat gemerkt, daß seins Roll« in Ravenau ausgespielt ist." — Jutta starrte sie an. Fühlte die Frau denn nicht, wie ölend die Tochter war? Früher, wenn irg^tdein Leid sie druckt«, dachte Jutta oft: „Wenn du jetzt eine Mutter hättest, wie tröstlich müßt« es sein, ihr deine Schmerzen klagen zu dürfen!" Jetzt hatte sie eine Mutter, und der größte, bitterste Schmerz erfüllte ihre Seele — aber sie trug kein Verlangen, am Herzen der Mutter Trost zu suchen. Jettchen Wohlgemut war inzwischen mit ihren Grübeleien zu Ende und zu einem Entschluß gekommen. Sie eilte über den Schloßhof nach dem Park und postierte sich wartend hinter einem Gesträuch. Es dauerte nicht lange, da sah sie Götz Eerlachhausen durch die Säulenhalle reiten. Himmel — wie blaß und verstört der sonst so frische jung; Herr aussah! Noch einen Moment stand sie unschlüssig. Dann trat sie resolut in seinen Weg und rief ihn an. Trotz seiner bedrückten Stimmung grüßte er freundlich. „Wünschen Si: etwas von mir, Frau Wohlgemut?" „Ja, Herr von Eerlachhausen — ich möchte wohl ein paar Worte mit Ihnen reden. Aber wenn Si^ auf dem Pferds sitzen, muß ich laut sprechen. Es ist zwar niemand in der Nähe — aber man muß vorsichtig sein." Götz kannte die kluge, praktische, alte Frau zu gut, um nicht zu wissen, daß . sie ihm hier nicht wegen einer Kleinigkeit begegnete. Er sprang vom Pferd« und trat dicht vor sie hin. — „Nun bitte!" Sie fuhr mil der Hand an ihrem Schürzensaum entlang. „Ich w«M nicht, gnädiger Herr, mir ist seit gestern so unheimlich zu Sinn: — als drohe unserer gnädigen Kom tesse ein Unheil. Sie sieht so jammervoll aus, und ich weiß doch auch, daß unser gnädiger Herr Graf das anders bestimmt hatten." Götz zeigte ein gequältes Gesicht. „Davon reden wir besser nicht, Frau Wohlgemut, bitte, kommen Sie zur Sache." Jettchen nickte. „Ja, also ich wollte Sie fragen, ob die Dokumente, di« Sie im Schreibtisch des Herrn Grafen nicht vorfanden, sehr wichtig sind." Er sah -sie forschend an. „Gewiß — von der allergrößten Wichtigkeit." Jettchen blickte sich vorsichtig um und sagte dann leise: „Dann möchte ich Ihnen etwas anvertrauen, gnädiger Herr. Unser hochseligsr Herr Graf hielt so große Stücke auf Sie, und ich bin nur eine einfache Frau, die sich hierbei nicht zu Helsen weiß. Vielleicht können Sie sich «inen Vers draus machen, gnädiger Herr, und mir sagen, ob es unserer-gnädigen Komtesse etwas nützen kann, wenn ich darüber spreche." Götz war aufmerksam geworden. „Also sprechen Sie- Komtess: Ravenau hat keinen treueren Freund als mich." „Das weiß ich, gnädiger Herr," entgegnete sie und er zählte ihm ausführlich die Er'ebnisse in jener Gewitternacht. Götz hörte erregt zu. Er erriet, daß sich Juttas Mutter auf diese Weise in den Besitz der Dokumente gesetzt. Auf irgendeine Weise mußte sie Kenntnis davon erhalten haben, und das Geheimnis des verborgenen Faches war ihr viel leicht früher durch ihren Gatten mitgeleilt worden. Sie hatte sich durch den Hinweis auf den Spukgeist selbst verraten. Nachdenklich sagte er zu der alten Frau, die ihn erwar tungsvoll ansah: „Ich danke Ihnen für die Mitteilung, liebe Frau Wohl gemut, ^ie ist mir sehr interessant. Leider kapn ich nichts damit anfangen, denn ich bin heute wahrscheinlich das letztemal in Ravenau gewesen."