Volltext Seite (XML)
mich beraubt zu haben, als ich Dich so lauge von Ravenau fernWlt. Warum ich bas getan? Oft las ich diese Frage in Deinen unschuldsvollen Augen, mein liebes Kinde, aber ich konnte mich nie entschließen, sie zu beantworten. Schuldig bleiben will ich Dir jedoch die Antwort nicht, wenn Du sie auch erst nach meinem Tode erhalten sollst. Dann wirst Du mich vielleicht milder beurteilen. Ich gab Dich von Raoenau fort, »eil ich Dein harm los fröhliches Kinderlachen in der qualvollen Zeit nach dem Tode Deines Vaters nicht hören konnte. Gerade als er den letzten Atemzug tat, lachtest Du draußen in der Halle. Du wußtest ja nicht, was Dir eben genommen worden — was weiß ein Kind vom Leben und Sterben! Aber Dein Lachen erschien mir damals, als ich vor.Schmerz nicht klar und gerecht urteilen konnte, als ein Zeichen der gefühllosen Sinnesart Deiner Mutter. Möge Dir erspart bleiben, Zu erfahren, welche Rolle Deine Matter in meinem und Deines armen Vaters Leben gespielt hat! Meine Unbedachtsamkeit hat Dir einst verraten, wir sehr ich diese Frau haßte. Glaube mir, sie hat es verdient, ich muß Dir das sagen, damit Du mich gartz verstehst. In all den Jahren, da Du in Gens weiltest, verließ mich die Angst nicht, Du könntest Deiner Mutter gleichen. Immer wieder schob ich Deine Rückkehr hinaus, vernichtete ungesehen Deine Photographien und be raubte rich des Trostes, meines Sohnes Kind um mich zu haben — aus dieser Angst heraus, die sich fast krankhaft gestaltete. Endlich konnte ich Deine Heimkehr nicht länger Hinaus scheiben und raffte mich zu einem Entschluß auf. Zugleich erwog ich, daß Du inzwischen das heiratsfähige Alter er reichtest Dein Vater besaß einen Freund, den er sehr liebte. Gök. Gerlachhausen ist der Sohn dieses Freundes. Es war immer der Wunsch Deines Vahrs, daß Du Dich dereinst mit Götz Eerlachhausen vermählen möchtest. Diesen Wunsch ge dachte ich zu verwirklichen, Götz war auch mir wert und sym pathisch. Seine Charaktereigenschaften nötigten mir Hoch achtung ab. Was lag näher, als daß ich selbst wünschte, daß er Dein Gatte und mein Nachfolger in Ravenau würde. Ehe Du heimkehrtest, ließ ich ihn zu mir kommen und fragte ihn, ob er eventuell Dein Gatte werden wälle. Götz war zuerst sehr bettoffen und zurückhaltend. Ich legte ihm die Gründe dar, die mich zu diesem Vorgehen veranlaßten. Er wurde nachdenklich Schließlich machte er seine Einwilligung davon abhängig, daß Ihr beide Gefallen aneinander fändet und Du unbeeinflußt sinwilligen müßtest, seine Gattin zu werden." Juttas Augen waren von Tränen verschleiert, so daß sie die Lektüre dieses Briefes unterbrechen mußte. Doch bald faßte sie sich und sie las weiter: -- „Ich wollte keine Einwendungen gelten lassen und war gewillt, Dich kraft meiner Autorität zu dieser Heirat zu be wegen, aber Götz und seine kluge gütige Mutter verlangten, daß ich keinen Zwang auf Dich ausübe. Am meisten nahm mich für Götz ein, daß er die trau rige Geschichte unseres Hauses kannte und daß er — davon war ich überzeugt — Dir in allen Lebenslagen ein treuer und fester Schutz sein würde. Eine frühere unglückliche Nei gung hatte Götz eine trübe Erfahrung gebracht. Er liebte «in Mädchen, das ihn betpog und einen andern wählte, weil er keinen großen Besitz sein nannte. Ich konnte nicht annehmen, daß er Dir eine große Leidenschaft entgegenbringen würde, aber ich habe im Leben oft erfahren, daß «ine Ehe, . uf gegenseitige Sympathie' und Hochachtung basiert, besser gerät als eine in blinder Leidenschaft geschlossene. — Dann kannst Du heim, meine liebe kleine Jutta, und schautest mich mit den großen unschuldsvollen Augen an — es waren'die Augen Deines Vaters — Du warst eine echte Ravenau — nichrs erinnerre igich an Deine Mutter. Weißt Du noch, rtlie schnell ich Dich nach der ersten Begegnung auf Deine Zimmer schickte? — Ich war durch Deinen Anblick so tief erschüttert, daß ich einen Herzkrampf nahen fühlte und wollte nicht, daß der Anfall meines Leidens Dich erschrecke. Was nun folgte? Kind — mein liebes, kleines Mädchen — es war, als ob der Frühling in das vom Winter erstarrte Land einzog. Dein alter verbitterter Großvater lernte die Freude wieder, die Freude an einem Wesen, das er liebte. Und mit inniger Befriedigung, sah ich zwischen Dir und Götz eine tiefe, reine Neigung keimen. Du hattest seinen Wert bald erkannt, und er — nun, vorhin hab ich beiliegenden Brief von ihm erhalten, ich lege ihn hier bei, werk seine Worte so' ganz der Ausfluß seines ehrlichen, männlichen Wesens sind. In wenigen Tagen bist Du hoffentlich seine Braut; sein ehrliches Geständnis wird Dich nicht schrecken. Er liebt Dich und Du liebst ihn, ich werde Eure Hände mit inniger Freude ineinander legen und Euch segnen. Heimlich wünschte ich mir oft, Du wärst ein Sohn. Es schmerzte mich, daß unser altes Geschlecht ausstirbt. Aber nun hat der Gedanke feinen Stachel für mich verloren — Du wirst eine Gerlachhausen — ein neues, glückliches Geschlecht möge in Ravenau aufblühen! Gott segne dieses Geschlecht, dem die letzte Gräfin Ravenau angehören wird. Und wenn Du glücklich bist, dann verzeihe mir, daß ich Deine Kindheit freudlos vergehen ließ. Meine Liebe und mein Segen mit Dir allezeit! »» Dein Großvater Rudolf Ravenau." Jutta hatte diesen Brief mit wachsender Erregung und Ergriffenheit gelesen. Nun griff sie hastig, mit zitternden Händen, zu dem andern. Heiße Tränen rannen über ihre Wangen, sie mußte sie wieder und wieder trocknen und ver mochte die Buchstaben des zweiten Briefes kaum zu lesen. Zu mächtig war die Bewegung über des Großvaters liebevolle Worte. Endlich beruhigte sie sich so weit, daß sie das andere ! Schreiben lesen konnte. Mit unbeschreiblichen Gefühlen er- s kannte sie Götz Gerlachhausens Handschrift. Es war die Ant wort auf das Schreiben, das der Graf damals an Götz ! richtete. Götz bestand darin darauf, Jutta müsse erfahren, daß ! der Graf und er die Vermählung Juttas schon besprochen ! hätten, ehe sie heimkehrte. — — — —" — — Bleich, mit writgeöffneten Augen starrte Jutta aus diesen ! Brief, der in ihren Händen zitterte. Ihre Lippen prägten ! sich fest aufeinander, als wollten sie den Schrei der Der- ! zweiflung ersticken, der sich aus ihrer Brust lösen wollte. Mit dumpfem Stöhnen ließ sie die Arme auf den Tisch sinken und barg dann ihr Gesicht in den Händen. Die Erkenntnis^ daß er sie liebe, die sie aus seinen Zeilen gewonnen, war nicht imstande, sie zu entzücken, versank vielmehr in dem Jammer i um ihr vernichtetes Lsbensglück. Götz Gerlachhausen liebte sie — und sie hatte ihn ge kränkt, beleidigt wie ein boshaftes Kind. Stolz und Trotz hatten sie zu einem törichten Schritt getrieben. Nun war.sie die Braut eines anderen, den sie nicht liebte — nie lieben würde, nun sie wußte, daß Götz um sie litt. Immer ward« ihr Herz in Sehnsucht und Liebe an ihm hängen. Sie sprang auf und hielt den schmerzenden Kopf mit ! beiden Händen. „Was hab' ich getan — Gott im Himnkel.— was hab' ! ich getan," jammerte sie verzweifelt. Große, schwere Tränen rannen zwischen ihren Händen herab, heiße Tränen, die keine Erleichterung brachten. Wie bittend streckte sie die gefalteten Hände aus. „Vergib, Götz — vergib mir." Wie schnell hatte sie den Glauben an ihn aufgegeben — weil die Mutter ihn anklagte und er stolz jede Verteidigung - verschmähte! Sie hätte ihn gegen eine ganze Wett ver- > leidigen müssen, sie kannte ihn doch sein schlichtes, ehrliches s Wesen, und hätte der Mutter sagen sollen: Du irrst Dich Du s bist falsch unterrichtet, Götz Gerlachhausen ist ein Ehrenmann, i ich liebe ihn und glaube an ihn." Wie blaß und düster er damals aussah, als er das letztemal in Ravenau war! Warum hörte sie in jener Stunde nicht auf die Stimme ihres Herzens? Aber da war es ja auch schon zu spät und sie bereits durch ihr Wort an Herbert gebunden — und ein gegebenes Wort muß man halten, auch > wenn es drückend scheint. Niemand konnte sie davon lösen ! als Herbert, dem sie sich freiwillig zu eigen gegeben. Sie'warf sich voller Jammer auf den Divan. In ihr Weh schlich sich ein Gefühl, aus Mißtrauen und Abneigung gegen ihre Mutter gemischt. Sie hätte es nicht in Worte fassen können, aber plötzlich war es da. Warum hatte sie so häßliche Worte über Götz gesagt? Glaubte sie denn selbst daran? Und wie sollte sie den hinterlassenen Bries ihres Großvaters mit der Erzählung der Mutter zusammenbrmgeü? Jedes Wort in dem Briefe atmete Liebe, und erklärte alles, was ihr im Wesen des Großvaters unverständlich gewesen. Nur eins blieb geheimnisvoll — warum er die Mutter mit seinem Haß verfolgt«. War es möglich, daß er, ein echter l Edelmann, eine schuldlose Frau so grausam strafte und bis zu seiner Sterbestunde voll Abscheu ihrer gedachte?