Volltext Seite (XML)
148 mich und die gar sein nun fiel ihs auch das mit der Schleife wieder ein. Eine unbehagliche Empfindung befiel sie. Abgelentt durch Mitteilungen Dolly Sternscks war ihr sein Verhalten nicht zum Bewußtsein gekommen. Nun beunruhigte sie des- mein herrschen. Aber lange vermag ich es nicht mehr — und halb verbanne ich mich aus Ihrer Nähe — wenn auch Herz darüber in Stücke geht." Jutta blickte erschrocken-in sein erregtes Gesicht. „O, mein Gott, Herr von Sonsfeld, Sie sehen erschreckt und fassungslos!" Sie nicht, teuerste, gnädigste Komtesse. Es gibt Dinge, über die man nicht sprechen kann." Er legte die Hand über die Augen und wandte sich wie in tiefer Bewegung von ihr ab. Sie sah betreten zu Ihm auf. Da aber Frau von Sterneck eben in das Zimmer trat, war das Gespräch abgebrochen. Nach dem Frühstück ging Jutta in die Bibliothek, um «in Buch zu holen. Sonsfeld hatte einige Tags zuvor gebeten, in die Familienchronik der Ravenaus Einblick nehmen zu dürfen, weil er sich für Charlottes Schicksal interessiere. So fragte sie ihn, ob er sie begleiten wolle. „Wenn Sie gestatten, gnädigste Komtesse." Sie gingen nebeneinander durch die Zimmerreihe bis zum Ende. Die Bibliothek befand sich direkt neben dem östlichen Turm. Sie stand nicht offen wie die anderen Zimmer. Jutta trat ein und Herbert schloß die Tür hinter sich. Dolly war ihnen unbemerkt gefolgt und ließ sich nun als Wache in 'einem Sessel des nebenanliegenden Zimmers nieder. In der Bibliothek befanden sich an jeder Wand hohe Bücherregale, in den Fensternischen Sitzbänke und die breiten Fensterbretter bildeten gleichsam Tische. In der Mitte des Raumes stand ein großer, schwerer Eichenfisch mit geschnitzten Füßen. Um diesen Tisch gruppierten sich bequeme Sessel. Jutta trat an eines der Regale und zeigte auf ein dickes, in Leder gebundenes Buch. „Dies ist die Chronik der Ravenaus, Herr von Sons feld, das Buch ist ziemlich schwer — wollen Sie es sich, bitte, selbst herunternehmen." Er faßte mit einer Verbeugung nach dem Buche, ließ indes wie unschlüssig die Hand wieder sinken und wandte ihr sein verdüstertes Gesicht zu. „Nein — es hat keinen Zweck, wenn ich mit dieser Lektüre beginne, gnädigste Komtesse. Ich könnte sie doch nicht zu Ende führen," sagte er leise und gepreßt. Äin flimmernder Blick streifte ihre edle, schlanke Ge stalt in dem schwarzen, mit Kreppstreifen verzierten Kleide und blieb mit unbeschreiblichem Ausdruck an ihrem Gesicht haften. „Warum nicht zu Ende führen? Sie haben doch noch so viel Zeit zur Verfügung," sagte sie erstaunt. Er schüttelte mit leidenschaftlicher Gebärde den Kopf. „Nein — ich muß fort — ich kann und darf nicht länger bleiben, teuerste Komtesse. Bitte sehen Sie mich nicht so an. Ihre Augen verwirren mir die Sinne. Nein — er schrecken Sie nicht — bitte, wenden Sie sich nicht von mir. ! Ich will ja alle Kraft zusammennehmen, um mich zu de- gestern so gedrückt, so verändert vor?" fragte sie teilnehmend. Er zog ihre Hand mit Inbrunst an die Lippen und sah ihr mit einem schmerzlichen Ausdruck in die Augen. „Fragen mich selbst," erwidert« sie leise und ging, unfähig, sich länger - zu beherrschen. . Jutta saß noch lange in Gedanken versunken auf ihrem Platze. 'Wie ernst war das Leben! Wie schwer machten es ! . sich die Menschen gegenseitig, statt sich zu helfen! Wie furcht bar mutzte ihre arme Mutter gelitten haben! Der nächste Tag verging, ohne daß Jutta oder Frau von Cterneck auf das Thema zurückkamen. Mit Innigkeit kam Jutta ihrer Hausdame entgegen. Sehr gern hätte sie Frau von Sterneck gebeten, ihr von dem Ende ihrer Mutter zu berichten, aber diese sah sehr, bleich und müde aus, und so wollte sie Jutta nicht bestürmen. Herbert Sonsfeld beobachtete die beiden Frauen mit unruhigem Forschen, besonders seine Bundesgenossin. Als man sich am Abend getrennt, ging er wieder in ihr Zimmer mit. „Was soll das heißen? Warum gabst Du mir nicht das verabredete Zeichen? Haft Du Dein Ziel aus den Augen verloren?" Sie lächelte bitter. „Daß dies nicht geschieht, dafür sorgen meine Gläubiger. Ich habe erst heute Morgen wieder einen Stotz Mahnungen bekommen." Er zuckte die Achseln: „Ich auch — trösten wir uns. Aber nun sprich. Was bedeutet D.in Zaudern, warum hast Du heute nicht aus- gefühtt, was beschlossen war?" ! Sie ließ sich in eii.-n Sessel gleiten und sah mit leeren Blicken zu ihm auf. „Auf einen Tag kommt es nicht an. Ich konnte nicht — 1 ich mutz erst meine Kräfte sammeln. Was weitzt Du, wie es mich gestern packte, als sie um ihre Mutter weinte! Die Sache ist schwerer als ich dachte, und mein Herz weniger verhärtet, als ich glaubte. Vor ihren reinen Augen dies Märchen auszuspinnen — das war unendlich schwer für mich." Ein Zug von Rohheit entstellte sein schönes Gesicht. „Zum Teufel! Sentimentalität ist ein Lurus, den wir uns vorläufig nicht gestatten können. Oder hast Du etwa Lust, mich fallen zu lassen?" fragte er drohend. Sie schüttelt« den Kopf. „Nein, ich weitzD dah ich in Deiner Gewalt bin. Wir gewinnen entweder beide "nser Spiel oder verlieren es zu sammen." „Richtig! Ich sehe, daß Du noch klar zu denken vermagst. Nun raffe Dich auf und führe Deinen Plan zu Ende. Jeden Tag kann uns Götz Eerlachhausen mit einer Werbung einen Stttch durch die Rechnung machen. Dann haben wir das Nachsehen." ' „Das wird nicht geschehen. Er ist viel zu korrekt, um Jutta in der Trauerzeit «inen Anttag zu machen. Ein Glück, daß es nicht vor dem Ableben des Grafen geschah, sonst wäre für uns nicht mehr viel zu holen gewesen, als «in Ab standsgeld von dem Bräutigam oder ein Almosen von der Braut." „Bravo, jetzt bist Du wieder logisch. Und da das Glück auf unserer Seite war, wollen wir es auch benutzen." „Du hast recht. Also morgen. Sobald ich den richtigen Zeitpunkt gekommen glaube, gebe ich Dir das Zeichen. Dann lass« ich Dich mtt Jutta allein und sorge, daß ihr ungestört bleibt. Sei klug — sage nicht zu viel und rsicht zu wenig. —Sobald Du sie dann verlassen, gehe ich zu ihr und mache Schluß. Verstanden?" „Unbesorgt, ich kenne meine Rolle." Am nächsten Tage legte Sonsfeld Jutta gegenüber eine gedrückte, melancholische Stimmung an den Tag. Er starrte sie oft lange, wie in ihren Anblick versunken, an und seufzte, wenn sie das Wort an ihn richtet«. So hatte er es schon am Tage zuvor gehalten. Da waren aber Juttas Ge danken noch zu viel mit ihrer eigenen Angelegenheit be schäftigt gewesen. Heute wurlde sie auf ihn aufmerksam, „Achten Sie nicht auf mich," bat er heiser, und dann, ! wie unfähig, sich länger zu bezwingen, sank er vor ihr in die Knie und ergriff ihre Hände. Zu ihr aufsehend, fuhr ! er fort wie zu einem Heiligenbild: „Und doch — ich kann nicht anders — einmal mutz i ich es aussprechen, einmal Ihnen sagen, wie Heitz und un endlich ich Sie liebe. Es vermag Sie ja nicht zu beleidigen, teuerste Komtesse, ich weitz, daß meine Liebe hoffnungslos ist. Wie dürste der arme Herbert Sonsfeld seine Hände begehrend nach der Herrin von Ravenau ausstrecken. Morgen werde ich in die Verbannung gehen, aber erst mutzte ich Ihnen sagen, wie selig und unselig Sie mich gemacht. Gleich beim ersten Blick in Ihr holdes' Gesicht wutzte ich, datz Sie mein Schicksal sein würden, vom ersten Blick an habe ich Sie geliebt mit aller Inbrunst meines Herzens! Ich begehrte nichts, als in.Ihrer Nähe bleiben, Sie sehen, mit Ihnen sprechen zu dürfen. Aber heiße Wünsche erwachten in meiner Brust, Wünsche, die sich nie erfüllen können. Und deshalb muß ich fort. Zürnen Sie mir nicht — ich bete Sie an wie eine Heilige — Sie werden dem Unglücklichen verzeihen." Er sprang auf und küßte ihr noch einmal die Hand. Mit unterdrückter Leidenschaft hatte er gesprochen und sie dabei angesehen, daß es wie «in Schauer über ihren Körper lief. Inniges Mitleid erfüllte ihre Seele, Tränen rannen aus ihren angstvollen Augen. Er hob die Hand gegen sie. „Heißen Dank.Für diese Tränen, teure Komtesse, sie werden ''meinen Schmerz lindern! Und nun entlassen Sie düsteres Wesen. Sie zwang sich zur Unbefangenheit. „Was ist Ihnen, Herr von Sonsfeld? Sie kommen mir seit