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142 „Wenn sie nur ausreicht, Dir über diese quälende Warte zeit hinux ^helfen, dann bin ich schon zufrieden." Götz ipurde wirtlich wieder einigermaßen beruhigt. Oben drein brachte ihm jetzt die Erntezeit wieder viel Arbeit, and io fand er nicht Zeit zu nutzlosen Grübeleien — leider aber auch nicht, um oft in Ravenau sein zu können, und wenn Jutta mit Frau von Sterneck und ihrem Besuch imch Gerlachhausen kam, weilte Götz meist auf dem Felde. So sahen sich die beiden jungen Leute in diesen Tagen äußerst selten. — — — — — — — — — — — — Fast drei Wochen waren seit Herbert von Sonsfelds Ankunst in Ravenau vergangen. Er versicherte Jutta täglich, dies sei die schönste Zeit feines Lebens. Eben kam er mit ihr von Tennisplatz, den Jutta im Park hatte anlegen lassen- Frau von Sterneck erwartet« sie bereits am TeeHch auf der Veranda. Jutta nahm Platz, und Sonsfeld legte ihr mit sorg samer .Zärtlichkeit ein Tuch um die Schultern. Sie wollte - ihm wehren. i „Mir ist reichlich warm, ich danke Ihnen." „Aber Sie sind erhitzt, gnädige Komtesse, und hier s weht «in kühles Lüftchen. Ich kann nicht zugeben, daß Sie - sich erkälten. Behalten Sie das Tuch — mir zuliebe." Er begleitete seine Wort« mit einem heißen, bittenden Blick. Jutta war bereits an diesen Blick gewöhnt und blieb ihm gegenüber ziemlich unbefangen. Lächelnd behielt sie das Luch und sah zu Frau von Sterneck hinüber. „Jetzt tyrannisiert mich Ihr Herr Neffe auch mit seiner Fürsorge, liebe Frau von Sterneck." Dolly richtete «inen zärtlichen Blick auf Sonsfeld: „Er ist sehr besorgt und zartfühlend. So war er schon als Kind " Herbert küßte seiner Tante die Hand. „Du hast mich immer überschätzt, Tantchen." Jutta betrachtet sinnend die beiden. Wie lieb sie sich hatten, wie sie einander verstanden! N'ch dem Tee verabschiedete sich Herbert von den Damen, um zu arbeiten! „Sie sind unheimlich fleißig. Herr von Sonsfeld", sagte Jutta lächelnd. Er küßte ihr die Hand. „Noch nie ist mir das so schwer gefallen als hier. Wenn man so liebenswürdiger Gesellschaft entsagen muß, um sich mit trockener Bücherweisheit abzugeben, so ist das schmerzlich. Ader die Charte Notwendigkeit, gnädige Komtesse, zwingt mich dazu. Sie wissen, daß ich danach streben muß, mein Ziel zu erreichen." „Sie tun recht daran," sagt« sie freundlich. „Ein Mann muß schaffen und streben, wenn er etwas gelten soll." Er bedachte sie wieder mit einem seiner Erobererblicke. „Wenn ich erst wieder in Berlin in meiner schmucklose» Junggesellenwohnung bin, wird mir Schloß Ravenau wie ein Märchenschloß in der Erinnerung sein.' Und Ihrer werde ick. als der holdesten, gütigsten Märchenprinzessin gedenken, die dem armen Narren, der sich in Ihr Zauberland verirrte, mit lieblichen Lächeln den Sinn verwirrte." Er brach ab. wie von Bewegung überwältigt und ging schnell davon. Jutta sah ihm «in wenig betroffen nach. War das Ernst oder «cherz gewesen? An derartige Kompliment« nicht gewöhnt vermochte sie dieselben nicht" nach dem richtigen Wert zu bemessen. Sie bemerkte plötzlich, daß sich Sonsfeld nach einer Schleif« bückte, die sie von ihrem Kleid verloren. Erschrocke» sah sie, wie er sie scheinbar verstohlen an seine Lipper preßte und schnell zu sich steckte. A > sollte sie davon denken. Dolly von Sternrck hatte sie während dieser Szene nicht aus dem Auge gelassen Befriedigt sah sie die d'unkl« Röte in Juttas Wangen steigen. Natürlich gab sie sich den Anschein nichts bemerkt zu haben, und sagte nach einer Weile: „Komtesse Jutta, ich wollte mir schon längst gestatten, eii« Frage an Sie zu richten. Es drängt mich innerlich dazu. Sie dürfen mir aber nicht zürnen, wenn ich indiskret erscheine." Jutta sah sie fragend an. „Bitte sehr — was wünschen Sie zu wissen, liebe Frau von Sterneck?" Diese legte die Hände gefaltet auf den Tisch und heftete auf Jutta einen eigentümlich brennenden Blick, dann sagt« sie langsam, mit verhaltener Bewegung: „Warum sprechen Sie nie von Ihrer Mutter?" Jutta zuckt« zusammen und erblaßt« leicht. „Wie kommen Sir zu dieser Frage?" Dolly seufzte tief auf. „Ich habe es innerlich schmerzlich vermißt, Komtess« Jutta. Sie sprechen von Ihrem Großvater, von Ihrem Vater — aber von Ihrer Mutter nie." Jutta preßt« weinend die Hände zusammen. „Wie kommt es, daß Sie so genau darauf achten?" Dolly von Sternrck beugt« sich vor und blickt« Jutta tief in die Augen. „Weil ich Ihre Mutter kannte." Jutta sprang auf und starrte di« Sprecherin an. Röte und Blässe wechselten in ihrem Gesicht. Sie drückt« dir Hände aufs Herz. „Sie haben meine Mutter gekannt? Und das sagen Sie mir erst jetzt?" rief sie mit halberstickter Stimme. „Ich wagte nicht früher davon zu sprechen, weil ich nicht wußte, -ob es Ihnen nicht unangenehm wäre." Jutta sank auf ihren Stuhl zurück. „Mir unangenehm? Mir, die ich, so sehnlich wünsch«, etwas über meine Mutter zu hören?" Mit glühenden Wangen beugte sie sich vor und faßte Frau von Sternecks Hände. „Liebe, Teuerste — Sie haben meine Mutter gekannt? Ist das wirklich wahr?" fragt« sie beschwörend. Dolly streichelte zärtlich ihre zitternden Hände. „Ja Kind, so gut als ich mich selbst kenne. Ich kenne auch ihre ganze traurige Geschichte." Jutta rückte nah: an sie heran und umfaßte sie schmeichelnd. „Erzählen Sir, o bitte, erzählen Sie mir alles, was Sie von ihr wissen. Verschweigen Sie mir kern Wort. Ich will Ihnen so dankbar sein. Denken Sie doch, ich habe meinte Mutter angebetet wie eine Lichtgestalt — aber niemand konnte und wollte mir von ihr sprechen. War sie gut und lieb? Daß sie schön gewesen, weiß ich — aber sonst nichts — nichts, als daß mein Großvater sie haßt« und ihr unversöhnlich zürnte." „Auch das weiß ich, liebes Kind. Graf Ravenau hat sie unerbittlich mit seinem Haß verfolgt und sie zur Ver zweiflung an Gott und den Menschen getrieben." Mit einem Liefen Seufzer umklammerte Jutta ihren Arm. „Aber meine Mutter war schuldlos an dirsem Haß, nicht wahr? Sagen Sie schnell, daß sie schuldlos war." Frau von Sternecks Gesicht zuckte in tiefster Erregung. Ihre Augen überzogen sich mit einem feuchten Schleier. Sie blickte an Jutta vorbei, als sähe sie in werte Fern«. „Ja, Kind, sie war schuidlos — schuldlos und sehr, sehr unglücklich." Jutta zitterte vor Aufregung. „Ach, ich wußte es ja, ich habe es in meinem Herzen gefühlt. O, meine arme, süße Mutter." Frau von St.rneck streichrlte zärtlich ihre Wangen. -Kind. liebes, teures Kind, beruhigen Sie sich erst. Sie glühen vor Aufregung und sind ganz außer sich. Sie machen sich krank. Ich verspreche Ihnen, Sie sollen alles hören, ganz rein und schuldlos sollen Sie Ihre Ntutter wiederhaben. Aber erst will ich Ihnen «in Geständnis machen. Ich bin nicht durch «inen glücklichen Zufall hierher gekommen. Jo hanna hat in meinem Auftrag gehandelt, als sie Ihnen vM mir sprach; in meinem Auftrag ist auch Johanna nach Ra- oenau gekommen. Ich,habe Ihrer Mutter versprochen, ihr Andenken im Herzen ihres Kindes von jedem Makel zu be freien. Es war mir «ine heilige Pflicht, mich Ihnen zu nähern, Sie zu schützen und zu hüten. Wie sehr Sie meines Schutzes bedürfen, werden Sie noch ermessen lernen. Und daß ich nun bei Ihnen bin, ist hauptsächlich Johannas Ver dienst. Sie werden erfahren, zu wie großem Danke Sie Jo hanna verpflichtet sind. Ich versprach ihr eine Belohnung von 5000 Mark, weil sie, um mir zu helfen, sich so lang« von ihrem Verlobten trennen mußte, den sie nach Amerika begleiten wollte. Sie wissen, ich bin arm — ich versprach Johanna die Summe in der Annahme, daß Sie ihr dieselbe gewähren wollen. Der Dienst, den Ihnen das gute Mädchen geleistet, ist es wohl wert. „Gewiß, ryit Freuden erhöhe ich diese Summe. Ich bin ja so froh und dankbar, endlich von meiner Mutter sprechen zu dürfen. Sofort steht Johanna das Geld zur Verfügung — 'sind gleich soll sie nun abreisen, um nicht