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MttwoL den 27. März 1918 Jettchen Wohlgemuts Ohnmacht verwandelte sich in -einen tiefen Schlaf. Sie erwachte, als die Helle Sonne ihr ins Gesicht schien, und fand sich zu ihrer Verwunderung in ihrem bequemen Lehnstuhl. Schlaftrunken rieb sie sich die Augen. Dann kehrte ihr dunkel die Erinnerung an das nächt liche Erlebnis zurück. Zuerst hielt sie es für einen Traum. Sie erhob sich, steif an allen Gliedern, und trat an das Fenster. Draußen triefte noch alles vom Gewitterregen. Da "fiel ihr der Blitz und der Donner ein, die sie in ihrer Ge- ^pensterfurcht so erschreckt hatten. Nun tasteten ihre Gedanken mühsam weiter rückwärts. Was war eigentlich geschehen, war Traum und was Wirklichkeit gewesen? Rach beendeter Toilette ging sie zuerst in die Zimmer der verstorbenen Grafen. Wahrhaftig — sie war hier gewesen — die geschlossenen Fenster bewiesen es, und dort stand ja auch ihr Leuchter mit der vom Zugwind verlöschten Kerze. Sie blickt« im Arbeitszimmer umher. Da hing der Damast- Roman von H. Tourths-Mahler. 11 Nachdruck v^baten Df« unheimliche Gestalt schwebte durch das Zimmer auf den Schreibtisch des Grafen zu. Nun erhob sie die eine Hand und berührte den Tisch Da sprang eine Tür daran -auf, und das weiße Gesicht neigte sich zu ihr herab. Weiter sah Jettchen Wohlgemut nichts. Cie mußte sich -an die Wand lehnen, um nicht umzusinken. Sie gewahrte nicht, daß das vermeintliche Gespenst ein ziemlich umfang reiches Kuvert aus dem Fach des Tisches nahm und in den Falten des Gewandes verbarg. Jettchen hörte nur das Geräusch, als das Fach ge schlossen wurde, und dann das Öeffnen und Schließen der Zimmertür. Verstohlen lugte sie endlich aus ihrem Versteck hervor. Dunkel und still lag das Zimmer vor ihr. Hatte sie geträumt, oder war nun auch ihr das Schloßgespenst erschienen — hatte es auch nach dem Tode des Grafen noch keine Ruhe gefunden? Allen Mut zusammennehmend, schritt sie nun zur Tür, durch welche die Gestalt verschwand, und drückte auf die Klinke. Die Tür war verschlossen. Nun erinnerte sie sich erst, daß sie ja durch das Neben zimmer gekommen. Leise und hastig legte sie ihren Weg im Dunkeln zurück. Sie fürchtete jeden Augenblick, der schatten- chasten Gestalt M begegnen. Der Angstschweiß rann ihr über die Stirn. ' Endlich hatte sie ihr Zimmer erreicht. Eilig schloß sie Lie Tür fest hinter sich zu. Dann sank sie stöhnend auf einen Stuhl. Zn demselben Augenblick zuckte ein greller Lichtschein durch das Zimmer, dem ein krachender Donner folgte. Er übertönte Jettchens Schreckensschrei. Die Sinne schwanden ihr, und zum erstenmal in ihrem Leben befiel die alte Frau ^ine Ohnmacht. Mck Za, ich glaube beinah, das große Glück, von dem man so träumt Und an das ein jeder soviel seines besten Lebens versäumt: Daß es das gar nicht gibt .... als festes, dauerndes Gut! Daß alles Glück nur in kleinen, ganz flüchtigen Dingen beruht! Cäsar .Flaischlen. Lrankknbtlgcr ErMter Unterhaltungsbeilage zum Frankenberger Tageblatt Wird jeder M't wach»., Freitags- und SonntagS-Nummer ohne Preiserhöhung des HauptdlatteS beigegehc.. Vorhang noch lang vor der Fensternische h rab. Mechanisch ordnete sie ihn in Falten und raffte ihn empor. - - Sonst befand sich alles noch am alten Plage. Sie prüfte das Türschloß — es war vollkommen in Ordnung, ihr Schlüssel öffnete es leicht und lautlos — fast leichter als sonst — als sei «s frisch geölt worden. Lange bettachtete Jettchen dann den Schreibtisch Wie seltsam das ausgesehen hatte, als die Tür daran aussprang — hier an der Seit«, wo doch gar keine Tür war! Und was hatte di« unheimliche Gestalt gerade hierher, an den Schreib tisch des seligen Grafen geführte Jettchen Wohlgemut kam nicht zu völliger Klarheit. All das Ungewöhnliche, gepaart mit weiblicher Furcht, hatte ihren Sinn verwirrt. - So viel stand aber bei ihr fest: in der Mitternachts stunde würde sie ihr Zimmer nie mehr allein verlassen, und niemandem wollte sie etwas von dieser Nacht erzählen, sie konnte doch nach allem Schelten auf die Dienerschaft jetzt nicht zugestehen, daaß sie das Schloßgespenst se sehen habe. Als Jettchen später die Morgenpost für Komtesse Jutta und Frau von Sterneck hmaufbrachte, saßen die beiden Damen plaudernd am Frühstückstisch. Jutta begrüßte die Alte freundlich. „'Sie sehen recht blaß aus, Fran Wohlgemut- Sind Sie nicht wohl?" „Danke für gütige Nachfrage, jetzt ist mir wieder ganz gut. Ich hatte Zahnweh und konnte dann des Gewitters wegen nur schlecht schlafen. Haben gnädige Komtesse oas Gewitter gehört?" j,Ja,' ich erwachte durch einen starken Donnerschlag, bin aber bald wieder eingeschlafen." „Glückliche Jugend, nicht wahr, liebe Frau Wohlgemut? Wir alten Leute haben leichteren Schlaf," sagte Frau von Sterneck, liebenswürdig lächelnd. „Sie können doch noch nicht vom Alter reden, Frau von Sterneck. Zwanzig Jahre später ist das vielleicht etwas anderes," erwiderte Jettchen ruhig. Sie vermochte sich nicht zu Helsen. Frau von Sternecks Freundlichkeit berührte sie immer unangenehm, so sehr sie sich dagegen wehrte. Jutta öffnete den Brief, den ,ie «rhalten, und Frau Wohlgemut zog sich zurück. Frau von Stftneck griff nach einem an sie gerichteten Brief. Der an Jutta war von ihrer Pensionsfreundin tzeliot Davonfhire. Er enthielt nichts wichtiges, nur leichtes MSd- chengeplauder, aber so amüsant, Jutta einige Male leise vor sich hinlachte. Frau von Sternecks Brief schien dagegen gar nicht amü sant zu sein. Sie zeigte bei der Lektüre ein "auffallend be kümmertes Gesicht und seufzte tief auf „Sie haben doch nicht schlechte Nachrichten, liebe Frau von Sterneck?" „Nicht eigentlich schlechte, Komtesse Jutta, nur betrübend. Der Brief kommt von meinem Neffen. Armer Schelm! Er hängt wie ein Sohn an mir und ist sehr traurig über unsere Trennung. Er will sich für sein Doktoreramen vor- brreiten, vermag aber vor Sehnsucht nach mir sich nicht zur Arbeit zu sammeln. Sonst ein energischer Mensch, ist er von einer Empfindungstiefe, di« man heute nur selten bei jungen Männern findet. Nun fragt er an, ob er nicht für einige Monate in dem nahen Schwarzenfels ein billiges Unter kommen finden könnte. Dort würde er, wie er hofft,-mich doch zuweilen sehen und Ruhe zur Arbeit finden. Sie gestatten mir wohl, daß ich heute oder morgen nach Schwarzen s«l« fahre und Umschau halte." „Aber wozu denn die Umstände, liebe Frau von Sterneck? In Ravenau sind ein« Menge Gastzimmer unbenutzt. Der ganze östliche Flüg«l wird nicht b wohnt. Da wollen wir