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Lranlitnbcrgcr Erjähier Unterhalt«ngLbeUage z«m Frankenberger Tageblatt Wird jeder Mittwochs-, Freitags- und Somttags-Nummer ohne Preiserhöhung des Hauptblattes beigegrbrwF Ar. SV MttwoL, dm 13. März 1918 Hans Jesora. 5 Roman von H. Tvurths-Mahkr. Nechdruck verboten Am Abend mar di« Tafel ebenso reich und vornehm geschmückt wie beim Diner. Jutta bemerkt« sofort, daß zwei ! Gedecke darauf lagen. Mit fragendem Blick wandte sie sich ! an Seidelmann. Er verstand ihn sofort. -„Der gnädige Herr Graf werden das Souper in Gesellschaft "der gnädigen Kam i tesse einnehmen," meldete er zeremoniell. > Gleich darauf öffnete sich die hohe Flügeltür und der - Graf trat ein. Er hatte wie immer sorgfältig Toilette gemacht und gab Seidelmann einen Wink, sich und die Diener vor- ! läufig zu enffernen. - Ravenau nahm Jutta gegenüber an einem Tischchen ' Platz und fragte, wie sie di« Reise zurückgelegt. Sie be richtet« das wesentlichste, ohne ihre Gedanken von Schönrot» abwenden zu können. - - Der alte Herr war nicht mehr gewöhnt, eine Unterhaltung im Hluß zu halten. Es entstand ein Schweigen. Ravenau sah in Juttas Anblick versunken da und vergaß zu reden. Die junge Dame suchte nach einem neuen UnterhaltungsstLff. Endlich fand sie ihn. ' „Frau Wohlgemut führt« mich heute auf meinen Wunsch in'die Ahnengalerie, Großpapa." Er nickte. j „Recht so, mein. Kind! Sieh Dich in Deiner Heimat um, damit Du wieder mit ihr vertraut wirst. In Frau Wohl gemut hast Du eine gute Führerin. Niemand von meinen Angestellten ist so mit den Ravenaus verwachsen, wie diese treue Seele." > * „Das hab ich auch schon herausgefunden Sie zeigt« mir die Bilder von Großmama und Papa. Aber vergeblich suchte ich ein Bild meiner Mutter. Gibt es gar k«ms von ihr?" - - Ravenau fuhr auf wie von einem Schlage getroffen. S«in Gesicht verzerrte sich Haß glühte in seinen Augen. „Schweig! Sprich mir nie mehr von Deiner Mutter, nenne mir nie mehr ihren Namen," ries er heiser, doch als er , Juttas vor Entsetzen blasses Gesicht sah, bezwang er sich > mühsam und fuhr gemäßigter fort: „Erschrick nicht, Aino. Aber rühre nie wieder an diesen Namen. Vergiß — daß Du eine Mutter hattest — sie ist . Deines Gedenkens nicht wert." Jutta preßte die zitternden Hande zusammen und rang nach Fassung. Was hatte ihre Mutter getan, daß ihr Andenken sogar ' im Herzen ihres Kindes ausgelöscht sein sollte? Ravenau bereute einen Moment hindurch, die Herrschaft über sich verloren zu haben. Er nahm Juttas kalte, bebende > Hand und streichelte sie: ^Vergiß, was ich sagt«. Jutta,, und vergiß Deine Mutter! Löse Deine Gedanken von allem, > was mit ihr zusammenhängt. Sucht Deine Ennnerung liebe Bilder, so denke an Deinen herrlichen Vat«r, dessen letzter - Gedanke voll Lieb« Dir gehörte." trachten. Man sagt, Gräfin Katharina Charlotte habe den Ravenaus Unheil gebracht. Die Dienerschaft schwört darauf. daß sie keine Ruhe im Grabe gefunden und manche von den > Leuten bilden sich gar ein, ihr begegnet zu sein." > Jutta lächelte. s „Ah, wir haben also auch «in Schlotzgespenst? Das i müssen Sie mir erzählen." i Jettchen Wohlgemut erzählt« ausführlich. Jutta hörte . ! interessiert zu und schaute unverwandt in Katharina Char- ; lottes Gesicht mit den schwarzen Augen. ! Ein kühler Luftstrom durchzog plötzlich die Galerie. Jutta i fröstelte und kehrte mit Frau Wohlgemut in ihr Zimmer i zurück. Aber ein wenig gruselig war ihr doch zumute, trotzdem ' sie sich frei wähnt« von Gespensterfurcht und Aberglauben. . Kennst du jene bunten Schwingen, Die d«r Frühlingshauch geboren, — Die für deine Seele singen? —: Dort ist Einsamkeit verdien! kinlsMeit Was ist Frohsinn, der verblüht? — Eine Harfe ohne Saiten, Ein verlor'nes Jubellied Aus den wonnevollsten Zetten! Doch was ist die Einsamkeit, Die den Menschen bang beschleicht? — Trägt sie wohl dasselbe Leid, Das des Lebens Sonn« bleicht? — Line. Schwäche ist sie nur, Einer Schwermut dunkle Welle. — Folge niemals ihrer .Spur, . Denn sie bannt des Lebens Quelle!- — Eine Weile blieb es still. Frau Wohlgemut wollte sich schon zurückziehen, da sagte Jutta plötzlich: „Gibt es im Schloß nicht Bilder von meinen Eltern?" Vom Grafen Hans-Georg hängt «in Porträt im Ar beitszimmer des gnädigen Herrn Grafen und dasselbe noch einmal in der Ahnengalerie. Es stellt ihn dar, wie er noch gesund und Heiter war. Von der hochseligen Gräfin Gwen doline existiert kein Bild. Sie sollte erst später für die Galerie gemalt werden." „Wollen Sie mir die Ahnengalerie zeigen?" " „Komtesse brauchen nur zu befehlen. Soll es gleich geschehen?" - - - „Ich bitte darum." ' Jutta erhob sich und schritt neben Jettchen Wohlgemut durch die Halle und die Trepp« hinauf. Wenige Augenblicks spätsr stand sie vor dem Porträt ihres Vaters. Lange sah Jutta in das strahlende, sonnige Gesicht, und das Herz tat ihr weh. Und doch war ihr dies lachende Gesicht fremd. So hatte der Vater nicht ausgesehen, wenn er sich Urb«voll über sie neigte und mit der traurig zärtlichen Stimme sagte: „Meine arme kleine Jutta!". Sie wandte sich ab. „Ein späteres Bild meines Vaters existiert nicht?" „Nein, gnädige' Komtesse." Jutta blickte zum Bild der. Gräfin Ulrik« empor und trat überrascht zurück. „Wer ist das?" „Die hochfilige Gräfin Ulrik«, Komtesses Großmutter." „Ach — mir ist, als sähe ich ihr ähnlich." „Das ist mir auch schon ausgefallen." Jutta bettachtete bewegt das gütig«; feine Frausnantlitz. - Dann durchwandelte sie langsam die Ahnengalerie. Hier und da blieb sie vor einem Bilde länger stehen und erbat sich "nähere Auskunft darüber. Auch vor dem Porträt der un seligen Katharina Charlotte machte sie Halt. Fast unwill kürlich streckte Jettchen Wohlgemut die Hand aus. „Gnädige Komtesse sollten dies Bild nicht so lange be-