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87 Helle Glut überflog das blasse Mädchengesicht. „Ich habe es lange überwunden, Joachim", sagte sie mit wehem Lächeln- „Jn deinem Kinde, das sein ganzes kleines Herz mir zuge- wandt, ging mir ein neues Leben auf." Joachim beugte sich erschüttert über die weiße Mädchen hand, mit deren Lebensglück er einst so leichtfertig gespielt- „Auch ich glaubte es verwunden zu haben, Marlene", sagte er langsam, „jetzt aber weiß ich, daß ich nie aufhören werde, die Frau zu lieben, die ich einst verließ, um einem Scheinglücke nachzujagen, das längst zerbrach." Marler« preßte beide Hände gegen ihre Brust und sah der hohen Gestalt Joachims nach, die langsam das Vor zimmer verließ. Dann aber strömten heiße Tränen über ihr Gesicht und wie betend hob sie die Hände empor. Kein Wün schen und Verlangen war in ihrer Brust. Aber wie Frühlings- Lau auf Blüten, so trank ihre Seele durstig das Wort, daß Joachim sie geliebt und sie noch liebe, wenn diese Liebe auch für die beiden Entsagung hieß. Diese Nacht schlief Güldane sanft und fest und wie ein Elückslächeln lag es um ihren weichen kleinen Mund, der so schmal geworden und so schneebleich, der Mund, der immer Io blutwarm glühte wie von Küssen. (Forts, folgt.) Man soll den Toten nichts rauben, Marlene. Das habe ' ich getan, oder wollte es tun. Darum trage ich jetzt die Strafe. Lebe wohl! Wolfgang v. Diethardshausen." „Er sucht den Tod", murmelte Joachim ergriffen. „Er glaubte schon vorher daran," antwortete Marlen-, „darum wollte er den Glücksbecher noch an die Lippen setzen, der jetzt so grausam zerschellt ist." „Wie der unsrige, Marlene", gab Joachim bedeutungs voll zurück. dehnung an. In Helsingfors be,mden sich mehrere tausend schwedische Staatsbürger, zwei- bis dreihundert Dänen und gegen hundert Norweger. Ein Flüchtlingszug nach dem ander« verläßt die Hauptstadt. Dank der Umsicht des schwedischen Generalkonsuls Ahlström konnten sieben bis acht Emigranten- züge in Sicherheit gebracht werden vor den Bolschewisten- Diesem Manne ist Skandinavien großen Dank schuldig. Das ? Risiko, in der Stadt eingeschlofsen zu werden, wuchs von i Stunde zu Stunde. Sollte Björneboro fallen, so wäre der Kus üer flucdt au; heMvgfor; Erlebnisse eines dänischen Juristen Von den schaurigen Zuständen, die augenblicklich in Finn land herrschen, gibt der aus Seinäjoki, dem zeitweiligen Hauptquartier der Weißen Garde, datierte Bericht Niels Hasagers, des Berichterstatters von „Politiken", ein ebenso packendes wie schreckliches Bild. „Alles ruhig in Helsingfors", so meldet jeden Abend das offizielle Bolschewistenblatt „Työmies", „aber dis Leichen halle des St. Johannisstifts von Helsingfors", so schreibt der Korrespondent, „ist über und über von Leichen erfüllt- Der Anblick, der sich mir dardot, war von einer Ungeheuer lichkeit, die sich mir unvergeßlich ins Gedächtnis emgeprägt hat. dieser Besuch unter den unbekannten Toten verfolgte mich bis in den Schlaf mit blutigen Traumbildern. In langen Reihen lag Leiche an Leiche in blutbefleckten Kleidern auf der Erde; die meisten trugen dir Verwundung im Nacken, also Meuchelmord. Hier lag ein 26jähriger Student, der bei der Beerdigung seines Vaters von der Roten Gard« ans dem Trauergefolge herausgerissen und als verhaßter „Weißer" erbarmungslos niedergeschossen worden war. Nebenan lagen ein paar anders Studenten, die nichts weiter verbrochen hatten, als daß sie eines Abends nach 9 Uhr über die Straße gegangen waren. Seite an Seite mit ihnen hatte man drei Schutzgardisten niedergelegt. Sie hatten beabsichtigt, von Hel singfors aus auf Schneeschuhen den meilenlangen Weg zum „Weißen Heer" zurückzulegen. Einige Kilometer vor der Stadt wurden sie durch eine Abteilung „Roter" angehalten; man erlaubt« ihnen, weiterzuziehen, da ihr Passierschein auswies, daß sie aus 'der nächstliegenden Stadt stammten. Erfreut gaben die Leute den Roten beim Abschied einig« Zigaretten, stießen die Stäbe kräftig in den Schnee und sausten in eilender Fahrt der Wildnis und den Wäldern zu. Aber ihre Fahrt sollte nicht lang« dauern. Eine Salve, und drei junge, frohe Menschen lagen ermordet im weißen Schnee. Noch im Tod« schwebte ihnen ein Lächeln der Freude darüber auf den Lippen, daß sie den Roten so glücklich entkommen seien- Ich gehe von Leiche zu Leiche, während mir dabei die Todesgeschichte eines jeden erzählt wird. Der Anblick all dieser Jugend, die bereits in den ersten Tagen des Bürger kriegs gefallen ist, übermannt mich — ich muß in die frische Lust. Den ganzen Tag verfolgen mich diesen weißen Ge sichter, deren gebrochen« Augen mir von dem ganzen Elend erzählten, in das Finnland jetzt geraten ist. Die Flucht aus der Stadt nimmt immer größere Aus- Weg nach Norden abgeschnitten. Es war Mitternacht, als der Zug Tammerfors erreichte. Hier mußte er über Nacht stehen bleiben. Ihn im Dunkel über die teilweise unterminierte Brücke der Björneborglinie fahren zu lassen, wäre ein zu großes Wagnis gewesen. Während langsam die Nachtstunden verrannen, saßen die vielen Reiseirden dicht arwinandergedrückt j in größter Enge. Der Kummer hielt sie wach. Jeden Augen- - blick konnte eine Bande Roter Garde diese schutzlosen Merkchen ! hier überfallen. Langsam dämmerte 'der Morgen. Da, «ine ! Salve Gewehrschüsse. Frauen und Männer springen aus, Kinder schreien und hängen sich schreckgelähmt an die Kreider ! der Eltern. Ein neuer Gewehrhagel durchschneidet die Nacht- i Die Schüsse werden durch laute Ruf« unterbrochen. Alle > Männer stürzen an die Fenster und auf di« Plattform hinaus- , Hier wurde ihnen die Lösung des Rätsels zuteil. Ein langer ! Zug Roter Gardisten rollte südwärts; begleitende Kameraden i feuerten als letzten Gruß vier Salven hinter ihnen h«r- , Trotz diesem eigentümlichen Gruß konnte man sich nicht ver- s hehlen, daß das Ganze eines malerischen Anstrichs nicht ! eMZÄte. Hunderte Roter Gardisten mit wilden Physiogno- . mlASHüte und Arme geschmückt und behangen mit roten i Bändern, feuerten ihre Gewehr« in die Luft ab, wobei lange, ; blitzende Messer an ihrer Seite hin- und herschwenkten. Ruf- ! fische Soldaten hatten sich die blanken Knöpfe ihrer Uniform ! übgeschnitten, um dadurch zivil zu wirken, standen untätig - und grinsten dem hinwegeilenden Zuge nach. Don diesem ! ertönte der Gesang junger Arbeiterinnen, die als Rote-Kreuz- - Schwestern den Bolschewisten folgten und von den Ambulanz wagen aus ihren roten Kameraden Abschied zuwinkten. Ein Revolutionsgesang voll von bitteren Hohn- und Schimpf wörtern gegen die Bourgeoisie und die „Schlächtergarde" verhallte allmählich mit dem davoneilenden Zug. Am Abend erreichten wir ohne Unfall Björneborg. Hier aber erlebten wir eine große, unerwartete Enttäuschung. Dier Schiffe waren bereits morgens ausgelaufen, was für uns ein peinliches Warten von fünf bis sechs Tagen bedeutete. Im Hotel traf ich mit dem dänischen Aegyptenforscher Kapitän Davidsen zusammen. Er war auf dem Wege von Petersburg mit Kurierpost nach Stockholm. Wir einigten uns, um d« langen Wartezeit zu entgehen, die Tour nach Kristinestad, 100 Kilometer, im Schlitten zurückzulegen. Am nächsten Tag« brachen wir auf, nachdem uns der Polizeimeister von Björne borg einen Paß vom Stab der Roten Garde und der dänische Konsul eine Danebrogflagge besorgt hatte. Flagge und Paß gaben uns den Mut, uns in Nacht und Dunkel hinauszuwagen. Aber schon nach «in paar Kilonietern wurden wir im Walde von einer Patrouille „Roter" angehalten- An unseren Pässen war nichts auszusetzen. Erbitterte Blicke ' wurden aber den reifenden Bourgeois und ihrem großen - Gepäck nachgesandt. "Wald, Wald und wieder Wald. Man achtetet« nicht der Kälte, man ließ die Pferde laufen, was sie laufen konnten- ! Plötzlich ertönte Hundegebell. In der Ferne flammte ein ! Feuer auf, in dessen Schein wir fünf, sechs schwarze Ge- ' stallen mit dem Gewehr in der Hand sahen. Eine Stimm« - durchschnitt das Dunkel, «in Ruf, «in Warnungswort. Ls ' durchfuhr uns: Weiße oder Rote? Der Ruf brachte uns die - Antwort. Es war Schwedisch, die Sprache der Oesterbott- - nischen Bauern. Also weiße Gardisten. Der Schneesturm ; Katte uns geschützt. Wir hatten die Front der Roten durch- - saust. Nach fünfzehnstündiger, ununterbrochener Schlittenfahrt, s bei der wir immer die Pferde gewechselt hatten, konnten wir ' uns endlich ein paar Stunden Schlaf gönnen. Der Rep ! unserer Reise war «in Kinderspiel. Die Danebrogflaggr weht« ! von unserem Schlitten, als wir in Kristinestad emfuhren, wo i man uns mit erstaunten Augen empfing. Waren wir doch 1 seit dem Revolutionsausbruch die ersten, die direkte Nachrichten ? aus Südfinnland brachten. Ein paar Stunden Eisenbahn- - fahrt, und wir hatten die Reise aus dem Hauptsitz der Roten ! Garde in Helsingfors nach dem Hauptquartier der „Weißen" in Seinäjoki zurückgelegt."