Volltext Seite (XML)
74 so den steilen Pfad hinanstürzt«, da kam es Christa-Maria klar und überwältigend zum Bewußtsein, wie innig doch ihr Geschick mit Ettetsrode und jedem Einzelnen dort verwachsen war. Sie fühlte plötzlich, daß da oben ein Stück von ihrem Leben war. Und endlich stand sie schwer atmend mit zerz '-en Klei dern und zerwühltem Haar unten in der großen Halle der Burg, wo sie der alte Friedrich ganz fassungslos anstarrte, als sie in heißer Erregung fragte: „Ist die Hoheit vorbei? Reden Sie doch, Friedrich. Ist di« Trauung vorüber? Ich hörte di« Glocken läuten." „Alles vorbei, gnädiges Fräulein," gab der Alte beküm mert zurück. „Dje Herrschaften sitzen jetzt beim Hochzeitsmahl, das einem Leichenschmauß nicht unähnlich ist," gab er mit dem Freimut zurück, den er sich zuweilen als sein Recht als langjähriger Diener herausnahm. „Gehen Sie sofort in den Saal und rufen Sie mir den Grafgn Günter heraus, aber bitte, ganz unauffällig. Ich muß ihn unbedingt sofort sprechen." „Es ist doch dem kleinen Herrn Grafen nichts passiert?" fragte der Alte erschreckt. „Nein, nein, gehen Sie nur, Friedrich." „Wollen gnädiges Fräulein mit ins Vorzimmer kommen?" fragte der Alte, indem er schon, so schnell es «seine zittrigen Beine erlaubten, die Treppe Hinaufstieg. Christa-Maria folgte ihm mit heiß klopfendem Herzen. Wenige Minuten stand ihr Graf Günter im Borgemach des Festsaales gegenüber. „Was ist's?" fragte er beunruhigt, die bebenden Hände des Mädchens in die seinen nehmend. „Du bist außer dir, Christa-Maria. Nur etwas Entsetzliches kann dich hierher getrieben haben." Er wollte ihren Kopf beruhigend gegen seine Brust ziehen, aber sie wehrte ihm. „Holm?" preßte er hervor. Sie schüttelte stumm das Haupt. Wie sollt« sie es ihm nur sagen, was er doch wissen mußte. „Euch," stammelte sie schwer atmend, „ist eine große Freude widerfahren, Günter — aber sie schließt auch für Eüldane etwas Furchtbares, etwas Entsetzliches ein — du mußt deine Mutter und Marlene vorbereiten — sie können ja alle unter dem furchtbaren Schlag sonst zusammenbrechen." „Was ist?" fragte Günter noch einmal. „Spanne mich nicht auf die Folter," — und dann plötzlich weiteten sich seine Augen und aufstöhnend und doch mit heimlichem Jubel fragte er: „Joachim lebt?" „Ja, er lebt," gab Christa-Maria zurück — „und gleich mutz er hier sein. Ich weiß nicht, ob mein Bater imstande war, ihn noch zurückzuhalten. Ich weiß auch nicht, ob es meinem Vater möglich gewesen, ihn vorzubereiten. Ich sah nur, wie ihm Holm in die Arme stürzte, dann lief ich hierher, um dir das Schreckliche zu sagen, immer in der Hoffnung, daß ich noch zeitig genug käme, diese Hochzeit zu verhindern." „Ich danke dir, Christa-Maria, daß du gekommen bist. Zeigt es mir doch, wie du zu uns stehst und mit uns leidest. Aber ich will Joachim entgegen — er darf nicht hier hinein — man muß es zu verhindern suchen." „Das ist unmöglich, niemand hält einen Ettersroder auf, wenn er etwas will. Nein, du mutzt in den Saal zurück, so schnell als möglich. Du mutzt schon deiner Mutter wegen deins Eröffnung möglichst schonend vorbringen. Ich werde zinterdefsen versuchen, Joachim hier- solange zurückzuhalten^ bis du" das Notwendigste da drinnen im Saal gesagt hast. Dann kommst du sofort wieder hierher, um der erste zu sein, der Joachim begegnet." Günter drückte beide Hände gegen sein« klopfenden Schlä fen. Wie ein wüster Traum war ihm das alles. Er konnte gar keinen Gedanken fassen, unentwirrbar schien ihm das alles. „Versprich mir, Christa-Maria, nicht eher Ettersrode zu verlassen, als bis ich dich noch gesehen habe." „Ich bleibe," sagte sie kurz. „Vielleicht könnt ihr mich brauchen. Jetzt aber geh, es ist höchste Zeit." Dumpf fiel die Saaltür hinter Günter ins Schloh. Die gelben Wachskerzen an der Festtafel waren schon tief herabgebrannt und der Duft der Orangenblüten lastet« wie eine schwüle Wolke aus allen Gemütern, als Günter wieder in den Saal trat und neben seiner Mutter Platz nahm. Unwillkürlich faßte er die Hand der geliebten Mutter: „Was du auch sehen und hören mögst, Mütterchen," flüstert« er ihr erregt zu, „erschrick nicht. Ich mutz hier ein paar Worte sagen." Güldane lächelte ihm holdselig zu. — Nun war M die ganze Komödie bald zu End« und sie flog mit dem Mann ihrer Liebe auf Sonnenflügeln hinaus in die Welt. Wie schade, daß Wolfgang heute so sentimental war, so rühr selig, als gelte es, schon jetzt Abschied fürs Feld zu nehmen, und ^ein frisches, männliches Gesicht wurde immer ernster und dunkler. Na, er sollte schon wieder lachen und fröhlich sein. Nun hielten sie ihr Glück, das jauchzende Glück. Am vergnügtesten war noch Wolfgangs Onkel. Der dicke Ritter gutsbesitzer ließ sich das Festmahl und die köstlichen Werne herrlich munden und mehr als einmal äußerte ec zu Güldane: „Ach, meine gnädigste Gräfin, wenn ich jung und reich wäre, ich heiratete auf der Stelle, aber mich alten Krippen setzer hat noch nie ein« gemocht." Eüldane lächelte ihn an, als hätte Wolfgangs Onkel die tiefste Weltweisheit zutage gefördert. Aber ihr Lächeln starb plötzlich, als sie in Günters ganz verändertes Gesicht sah. Sie gewahrte auch, daß Marlenes Auge fragend an Günter hing und daß Gräfin Erdmute schreckverstört in das toten blasse Antlitz ihres Sohnes starrte. Güldane schauerte zu sammen — ihr war, als griffe «ine eisige Totenhand nach ihrem Herzen. Sie wollte sich zu Wolfgang neigen, seine Rechte fassen, aber die Glieder waren ihr wie gelähmt. Und nun sprach Günter mit vor Erregung heiserer Stimme: „Mir ist soeben eine seltsameKunde zugegangen, die mich bis in die Tiefen meines Seins erschüttert hat. Ihr dürft nicht zu sehr erschrecken, wenn ich euch sage, daß der, um den wir geweint und gekauert haben, den wir auf Frank reichs Feldern begraben .wähnten, zurückgekehrt ist. Gras Joachim von Ettersrode lebt." Ein furchtbarer Schrei durchhallte den Saal. Denn in der Tür da stand, hochaufgerichtet in seinem armseligen Schifferkleid, der Totgeglaubte, unbeweglich, mit erdfahlem Gesicht und funkelnden Augen und^hob drohend die Hand. Günter hielt seine wankende Mutter in den Armen, der er liebevolle, beruhigende Worte zuflüsterte und di« sich weinend und doch glückbewegt fest an ihn klammerte. Marlen« kämpfte mit einer Ohnmacht. Mit geweitetem Blick starrte sie auf Joachim, dessen Augen sie — nur sie allein — grüß ten. Totenbleich war Wolfgang von Diethardthausen auf gesprungen. Die Hände geballt, stand er da, als wollte «r den Ankömmling zu Boden schlagen. Der dicke Ritterguts besitzer aber rang nach Luft. Zu ungeheuerlich dünkte ihn, was hier geschah. Nur Eüldane behielt ihre Fassung, obwohl auch ihr Antlitz tief erblaßte. Kühl sich in ihrem Stuhl zurücklehncnd, sagte sie mit harter Stimme: „Du tätest gut, Günter, wenn du den Eindringling da, der sich anmatzt, hier als Graf von Ettersrode Einkehr zu halten, entferntest. Ich bin überzeugt, der Mann führt keinerlei Papiere bei sich, die ihn zu seinem Auftreten be rechtigen, denn die Ausweispapiere hat man ja bei dem toten Grafen von Ettersrode gefunden." Wie erstarrt verharrten die Anwesenden. Die kalte Ruhe der jungen Frau im Brautschmuck jagte ihnen geradezu Ent setzen ein. Da brach plötzlich ein jubelndes Stammeln von Gräfin Erdmutes Lippen: „Joachim, mein Sohn!" Halb ohnmächtig taumelte sie in die Arme des Wiedererstandenen. Der Heimgekehrte hielt die Mutter fest an seinem Herzen. Einen Augenblick war es, als drohten ihn seine Kräfte zu verlassen, als aber jetzt Günter und Marlene zu ihm traten, und er ihre zitternden Hände in den feinen hielt, hob er stolz das von Leiden und Not durchfurchte Antlitz und sagt«, mit einer verächtlichen Gebärde zu Eüldane hinüber: „Die Frau da, die schamlos genug ist, den Mann zu verleugnen, dem sie einst vor Gottes Altar Treue gelobt, hat sofort Burg Ettersrode zu verlassen. Ich, Graf Joachim von Ettersrode, befehle es. Datz ich bei meiner Heimkehr nach furchtbaren Mühsalen und Gefahren mein Weib im bräut lichen Schmuck als Gattin eines anderen Mannes finde, weil man mich für tot gehalten, kann mich nicht so unver mutet keffen. Ich mutzt« ja die Treulosigkeit einer Gül dane kennen. Aber datz mein Weib, das einst, um mich zu fesseln, mit frevelnder Zand einen anderen Herzensbund grau sam vernichtete, jetzt, wo es die Hand nach einem neue» Glück ausstreckt, den Mut findet, den Mann, den sie «inst zu lieben vorgab, wie «inen Judas zu verraten, das zeigt