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42 - dazu entschlossen. Wenn Rudolf, sein Aeltester, nicht wieder- kehtte, dann stand die Arbeit seines Lebens nur noch auf zwei Augen. Und wie bald tonnten sich die keinen schließen? Mehr als je dachte er daran, seine einzige- Töchter einem Mann zur Frau zu geben, der imstande war, das mächtige § Wert aufrecht zu erhalten, und der auch für Lotti ein geeig neter Lebensgefährte sein würde. i Dafür „galt ihm der Direktor des Haupthüttenwerkes ' „Himmelreich", der vor einigen Jahren als Ingenien» bei ihm ejngetretey war und es verstanden hatte, mit sicherer und fester, allerdings zuweilen etwas brutaler Hand in das s Getriebe einzugreifen. Dr. Clemens Bergerot war nicht nur ein interessanter, sondern, wie .der Kommerzienrat glaubte, > auch «in innerlich hervorragender Mensch mit glänzenven , Eigenschaften, die ein Mädchen, wie es sein verwöhntes Töch- ' terchen war, wohl bestechen konnten. Trotzdem war er nicht ganz sicher, ob Lotti den offenkundigen Bewerbungen des Di- j rektors geneigt war, denn ihr Ton gegen Bergerot wa'' nicht immer so, wie ihn sich der Kommerzienrat wohl gewünscht ! hätte. . - - Diese Ungewißheit bedrückte Kettler und er sah ?un , sorgenvoll in die nächste Zukunft; Denn, wenn Lotti Bergerot ! ausschlug- so war er in Gefahr, seinen tüchtigsten, fast unersetz- - lichen Mitarbeiter zu verlieren. Es hatte schon sowieso Schwie rigkeiten genug verursacht, den Direktor vom Kriegsdiensts frei zu bekommen, und nur dir-ZLatsache, daß vielleicht der k ganze Betrieb auf den Werke in Frage gestellt sein würde, , ermöglichte, daß der Direktor als „unabkömmlich" vaheim ! blieb. Lotti hatte natürlich darüber die Nas: gerümpft und ! etwas von „Drückeberger" gemurmelt. Aber der Kommer- - ziemat hatte es nicht hören wollen. Lotti hatte ja nun leider mal ein leichtfertiges Mundwerk. Diese Erkenntnis hielt natürlich den Kommerzienrat v. Kettler nicht-ab, über alle i Matzen entzückt von seiner einzigen Tochter zu sein. : Heute saß er, wie alltäglich, in seinem Privatkontor i Lotti gegenüber, die mit einem undurchdringlichen Gesicht - ihren Posten an der Schreibmaschine versah, und diktierte i ihr einen Brief, nach dem andern in die Maschine. Lotti tippte emsig, ohne eine Miene zu verziehen — nur bei be sonders schwierigen Auseinandersetzungen krauste sie «in wenig die Stirn über dem seiden Näschen und sah flüchtig zu ihrem Vater herüber. Der nickte ihr dann immer ermunternd zu und Lotti schrieb weiter. Die Sonne stieg höher, es war bald Mittag. Endlich legte Herr v'. Kettler den golden«n Tintenstift, den er immer in der Hand hielt, beiseite. Das hieß „Schluß!". — Lotti atmete wie befreit auf und tat mit spitzen Fingern die großen Schreibärmel ab. „Du, Vati," ließ sie sich dann vernehmen, ,-,ich mach« nicht mehr mit." - „Nanu?" fragte der Kommerzienrat mit unwilligem Er staunen. „Willst du jetzt schon , die Flinte ins Korn werfen?" ' Lotti streckte ihre zierlichen, in weißen Schuhen steckenden Füße etwas von sich und sah angelegentlich auf ihre Fuß- - spitzen nieder. „Ich streike, Vater." „Der Lohn ist zu miserabel." ' „Aber Lotti, du erhältst denselben Lohn wie meine Sekre tärin, die auf und davon ging, weil ihr Liebster verwundet heimkehrte und sie sich nun Hals über Kopf kriegstrauen läßt." „Es ist ein Lumpengeld, Väterchen." „Du schätzest ja deine Arbeit sehr hoch ein."' „Tue ich auch, bester. Vater. Also, willst du die „Gage" erhöhen, sonst stelle ich das Tippen ein." „Das ist ja vollständige Anarchie in der eigenen Familie. Du weißt, ich kann es nicht leiden, Lotti, wenn du mir so die Pistole auf die Brust setzt. Wieviel willst du denn mehr haben, Aleine?" „Noch einmal so viel, Väterchen." Lotti schaukelte seelenvergnügt mit den Beinen und blin zelte den Kommerzienrat erwartungsvoll und doch mit Sieger miene an. „Nicht zu machen, Kind. Wie soll ich denn das mit gutem Gewissen buchen?" „Das ist mir schnuppe. Jedenfalls brauche ich das Geld." „Wozu denn?" Lotti sah einen Augenblick' nachdenklich vor sich hin. „Ja, weißt du, Vati, es reicht nicht mehr für alle meine Kriegskinder." „Aber Lotti, dir stehen doch ansehnliche Summen für wohlMigs Zwecke zur Verfügung. -Wie kannst du nur so etwas behaupten. Habe ich je gekargt, wenn du mich um etwas batest?" „Das wäre auch noch schöner, wa wir auf den Eold- säcken sitzen und die Frauen-und Kinder unserer armen Berg leute Not leiden. Gewiß gibst du gern und viel. Aber dir Angestellten" — hier äugte sie ihn schelmisch an, — „die, solltest du besser versorgen. Denke mal, die Teuerung. Ich bin fast umgefallen, als ich von den armen Weibern die Preise von Hei ke hörte und welche geringfügigen Summen ihnen dagegen zur Verfügung stehen. Ebenso wie - die Aermsten komme ich mit dem Geld, das ich mir bei dir durch „ehrliche Arbeit" — wieder blinzelte sie vergnügt in seine Augen — „verdiene, für meine Kriegskinder nicht mehr aus. Soll ich die klein! Bande hungern lassen?" Der Kommerzienrat lachte. „Aber Kind,' dir/stehen doch andere Mittel zur Ver fügung." „Aber nichts Selbstverdientes, Vater. Ich habe einmal den Ehrgeiz,- meine Kriegskinder aus eigenen Mitteln zu erhalte,u" . ,„Du gibst zu viel mit ihnen an, Lotti. Das ist ja ein Jauchgen und Singen unter den kleinem. Trabanten, als sei das Leben ein llnziges Freudenfest." „Ich wollte, es wäre so. Du weißt ja selbst, wie blaß, wie traurig und verhungert die meisten, waren. Der - Vater gefallen oder schwer . erwundet, kein Brot daheim und keine Freude, nur Tränen. Da meinte ich, in dieser schweren Zeit müßten zuerst die Kinde: der Helden, die für uns bluten, neue Lebenskraft schöpfen. Und wenn ich sehe, wie die Mädels sich fröhlich im Ringelreihen schwenken bei Laukenklang, die Köpfchen bekränzt und die Jungen Schützengräben ausheben und Vaterlandslieder singen, dann überkommt mich eine Wonne ohnegleichen und.ich sehe Deutscklands Zukunft in goldenem L-cht." „Du bist eine Schwärmerin, Lotti. — Also — wieviel willst«?" — „Das Doppelte!" „Na, meinetwegen — denn deine schätzenswerte Kraft! — er machte seiner Tochter ein« tiefe Verbeugung — „kann.ich jetzt nicht missen." „Das wußte ich, Vater. Aber was dem eiyen recht, ist dem andern billig. Ich hoffe, du wjrst nicht einen deiner Angestellten vor dem andern bevorzugen." „Was. soll denn das?" herrschte der Kommerzienrat sein liebreizendes Kind an, das jetzt mit umständlicher Sorgfalt den Kasten über die Schreibmaschine deckte. „Ich meine Vater," sagte Lotti plötzlich ganz ernst, daß du allen deinen Angestellten in den mittleren und un teren Gehaltsklassen -die Hälfte ihres Einkommens als Teue rungszuschlag gewährst." „Mädel, bist du denn ganz von Gott verlassen? Weißt du denn, daß das in die Tausende geht, daß das Riesen summen erfordert?" Lotti schnippte wegwerfend mit den Fingern. Im selben Augenblick klopfte es an die Tür und auf «in Herein des Kommerzienrates trat der Direktor Bergerot, einen Stotz ' Papiere in der Hand, über die Schwelle. „Verzeihen Sie die Störung," entschuldigte er jich nnit einer leichten Verbeugung gegen Lotti, „ich glaubte, Herr' Kommerzienrat wären allein." „Nur näher, Herr Direktor," ermunterte Lotti. „Sie kommen mir gerade recht," und mit gewohnter Zunge begann sie, ihm ihr Ansinnen an ihren Vater zu erklären. Clemens Bergerot runzelte di« breite Stirn. Es wurde ihm i"- -«r schwer, gegenüber dem schönen Mädchen, das ihn stets so lleichmütig behandelte, als könnte er für sie als Bewerber gar nicht in Frage kommen — seine Fassung zu bewahren. ' - „Ganz unmöglich, gnädiges Fräulein," wandte er «jn. „Ihr Herr Vater hat ganz recht, eine solche^Maßnahme würde von uns unerhörte Opfer fordern." „Opfer, Opfer", warf Lotti aufgeregt dazwischen. „Wer bringt denn Opfer? Wir oder das Volk? Sehen Sie sich doch mal die armen Frauen an, die um ein Stückchen Butter . oder ein paar Kartoffeln stundenlang stehen und nicht wissen, wie sie ihre Kinder satt kriegen sollen. Wenn wir" mal Hundert tausend weniger verdienen, werden wir ja wohl noch nicht sterben. Das sage ich Ihnen, Herr' Direktor, wenn Sie Vati abreden, hat unsere Freundschaft die längste Zeit gedauert." n !gc mue ( Sterl, tonne.