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— 8 — gekommen. Statt dessen mar ein Telegramm eingegangen, daß « bestimmt zum Sylvester da sein würde. Das war statt der Weihnachtsfreude eine Enttäuschung gewesen, am meisten bei Hilde Krau ft, Wenn eine Braut an einem'bestimmten'Tage ihre Verlobung zu veröffentlichen erwartet, so sieht sie jede 24 Stunden Verzögerung als em kleines Weltunglück an.'Ver patzte der Doktor Ernst Weihnachten, sb sah er möglicher- wesft auch über Sylvester fort. Ihm. der seinen ^Vornamen Ernst zum. Trotz ein ausgelassener Student gewesen war, schien längst nichts mehr besonders wertvoll, als seine chemischen Forschungen. Er war ein richtiges gelehrtes Haus geworden. Freilich, man durfte nichts darüber sagen. Früher hatte Amandus Krause dem jungen Chemiker, der mal sein Schwie gersohn werden sollte und wollte, „freundschaftlichst" geraten, sich auf praktische Erfindungen zu werfen, ein Allheilmittel für die leidenden Menschen oder wenigstens einen Schönheitstrank für alte und junge Frauen und Mädchen zu bauen, aber seit dem seine Wissenschaft dem Doktor Dekorationen und Beförde rung eingetragen hatte, schwieg Herr Krause, und sein Freund Titus Kunze, du alles billigte, was sein Sohn tat, war oben auf. Sich zu streiten, war auch nichts, da die Hauptsache, der künftige Ehebund zwischen den Sprötzlingen der Familie Kunze und Krause feststand. Sie verdienten dies Glück als gute Freunds und getreue Nachbarn. Niemals wäre es zum Weltkriege gekommen, wenn ein Funke der die beiden Nachbarn beseelenden Gefühls allen Ententegenoffen inne gewohnt hätte. Sie waren Freunde, ob wohl Titus Kunze von Amandus Krause auch jetzt noch be hauptete, jener „maure" beim Skat, obwohl das gemeinsam gespielte Lotterielos gerade in derjenigen Lotterieserie herausge kommen war, mit 3000 Mark sogar, in der die Gewinne der Verabredung gemätz an den Skat-Maurer sielen, und Kunzes den Jungen und Krauses blotz ein Mädchen hatten. Eine Tragödie nach Art von Romeo und Julia aufzufüh ren, hatten weder dis alten noch die jungen Leute Lust, aber die feierliche Verlobung, die jetzt kommen sollte, hatte sich ziem lich in die Länge gezogen. Denn im Krauseschen Blut lag viel Selbstherrlichkeit, die Fräulein Hilde überkommen hatte, und Ernst Kunze machte sich darüber lustig. „Das brauchte sich Hilde nicht gefallen zu lassen", wie sie sagte, denn sie hatte «in Ober-Lyzeum besucht und konnte ebenso gut Chemie studie ren, wie der Nachbarsoha, der sich mit allerlei Teufelszeug abgab, das mitunter schauerliche Gerüche verbreitete. Im Felde war das allerdings anders bewertet. Dr. Kunze wirkte in der Gas-Abwehr mit und seine Erfindungen hatten mancher englisch-amerikanischen Entdeckung den Garaus gemacht. Und auch im Nahkampf hatte er seinen Mann gestanden. Beim Eisernen Kreuze „erster" hatte Ernst dann Hilde geschrieben, jetzt sei der „Dalberei" aber geirug, jetzt müsse die Würde regieren. Sie hätte auch regiert, wenn nicht das versiirte „Burg- verlietz" dazwischengekommsn wäre, das sogar die nachbarlich« Freundschaft in der letzten Zeit beeinträchtigt hatte. Aber eigentlich war, wie Titus Kunze behauptet«, nicht das von Hilde Krause aus den romantischen Namen'burgverlietz" auf der Grenze zwischen den beiden Hausgärten gelegene Gemäuer schuld, sondern Gabriel der Russe, der mit der rechten Hand Geld zu allen möglichen Schandtaten nahm, mit der linken aber erst recht. Die Sachs aber war diese. Als es ratsam schien, sich allerlei Getier zu einem Sonn tagsbraten aufzuziehen, hatte Frau Kunze mit Frau Krause sich verabredet, auf der Eartengrenze ihrer Grundstücke einen Ee- flügelbehälter von Gabriel, dem Russen, bauen zu lassen, in dem Gänse, Enten, Hühner, Kaninchen in bescheidener Zahl gehalten werden sollten. Und damit der kleine Bau nicht gar zu provisorisch dreinschaue, hatte Hild« obenauf Zinnen von Gabriel, dem Russen, anbringen lassen. Daher hieß der Eänse- stall das Burgverlietz. Gabriel, der Russe, hietz aber so, weil er lange Jahre in Ruhland gelebt und von dort allerlei Mötzlich: Kenntnisse mitgebracht hatte. Auch dis des Eänse- mästsrs die er bei den beiden Insassen des Burgverliehes «usübte. Auch diesen beiden Bratvögeln, die zuletzt den Bau be wohnten, hatte Hilde ihre romantische Seite zugewendeft „Milli ' und „Molli" hatte sie dieselben getauft. Milli mit den zwei schwarzgesprenkelten Flügelfedern war Kunzesches, Molli mit den gleichen Federn Krausesches Eigentum. Und jede Ler beiden Familien hislt darauf, datz ihr Tierchen am statt lichsten dem Tage des Bratens entgegemvanderte. Da glaubte Frau Kurtze eine schreckliche Entdeckung ge macht zu haben. Milli blieb ersichtlich an Embonpoint hinter Molli zurück, sie mutzte also von Gabriel, dem Ruffen, ver raten sein. Und als sie sah, datz er von Krause ein Geldstück in die Hand gedrückt bekam, war ihr klar, datz er die nett« Milli verriet und der gierigen Molli die meiste Nahrung zu- fteckts. Die gekränkte Frau wollte zur Polizei und zum Ge richt gehen, aber ihr Gatte riet ihr, den treulosen Nachbar» mit seiner eigenen Waffe zu bekämps«n: Gab der eine Mark, datz Molli den Fettgipfel erreichte, gut, so bekam Gebriel für Millis Mästung das Doppelte. Man konnte es ja. Aber der Lindwurm des Hasses begann in beiden Häusern aus dem letz teren Zuwachs von Milli und Molli zu schlüpfen. Gabriel, der Ruffe, steckte die ihm zuflietzenden Gelder rechts und links in die Taschen, sein Gewissen ward nicht da durch beschwert. Aber allmählich wurde ihm schwül wegen der Zumutungen, die gegnerische Gans in ihrem Futter zu rationie ren. Da kam ihm «in hilfreicher'Zufall: Eines Morgens lagen die schwarzweitzen Federn, zwei Millis und drei von Molli, auf dem Boden des Burgverliehes, und nun war das Raten schwer, welches der beiden Tier« dem Titus Kunze und welches Krause gehörte. Ein anderes Merkmal fehlte. Hilde jammerte: „Hätte ich doch Molli ein rotes Band um den Hals gebunden!'^ Das war aber nicht geschehen, und somit kam ihr Vater schon mit dem derben Vorschlag, die Biester „auszuknobeln". Da kam der Oberleutnant Dr. Ernst Kunze am zweiten Tag« nach Weihnachten nach Hause. Vor dem Glück des Wie dersehens und seinen Berichten ward das Drama im Burgver lietz vergessen, aber als Kunzes unter sich am Abend waren, erzählten es die Eltern ihrem Sohne. „Das ist doch nicht schön," sagten Beide. Et nickt, lacht, meinte dann aber: „Bis zur Verlobung am Reujahrstag« wird alles wieder in Ord nung sein. Dafür werde ich sorgen." Und am nächsten Tage flüsterte Hilde ihm zu: „Einziger, Bester, du mutzt helfen. We>„r es auch deine Eltern sind, schön ist es nicht!" Er gab der Braut einen Kutz ertra und sagte ihr dasselbe wie den Eltern. Dann suchte er sich Gabriel, den Russen, auf. „Kerl, Du weißt, niemand kann zwei Herren dienen. Jetzt parierst Du mir!" Der stand stramm: „Zu Befehl, Herr Oberleutnant.," Dann gingen sie Beide zum Burgverlietz. Und als sie wieder hinaustraten, lachte der Gabriel übers ganze Gesicht. Der Doktor aber drohte ihm: „Kerl, machst Du nicht ein Gesicht wie ein erhabener Engländer, drehe ich Dir den Hals um." — „Zu Befehl, Herr Oberleutnant!" Eine Viertelstunde später wußten Kunzes und Krauses, datz Milli und Molli die schwarzweitzen Flügelfedern wieder zu wachsen beginnen und in ein paar Tagen würde man sie deutlich unterscheiden können. Es sei also nichts mehr im Wege, sie als Verlobunzsgans am Neujahrstage zu braten-. Worauf er, der Doktor, schon seinen Appetit einstellen würde- „Mit solchen Gedanken ein neues Jahr zu beginnen," sagte Hilde, ist prosaisch. Ja gefühllos!" — „Aber nahrhaft", ocr- fttzte der Doktor trocken. „Uebrigens merke Dir, Natur und Chemie sind gar keine Wundertäter und Schwarzkünstler, es geht alles natürlich zu." Hilde konnte ihm trotz ihrer früheren Prüfung im Oberlyzeum nicht recht antworten, und darum lieh sie das Thema lieber ganz auf sich beruhen. Am Sylvesterabend satzen sie alle beim Abschied vom alten Jahr beisammen. Wie das alt« Jahr so Trotzes und so Schweres gebracht, was alles das neue Jahr bescheren werde, hoffentlich auch den Frieden, das wurde ernst und heiter besprochen. Da, in der letzten Viertelstunde des alten Jahres, klopft es kräftig an die Tür, und herein trat Gabriel, der Russe, mit seinen beiden Pflegebefohlenem Und siehe tm, Milli hatte ihre zwei, Molli ihre drei schwarzweitzen Flügel- federn. Amandus Krause schwang sich zu einem dröhnende« „Hurra" auf, Titus Kunze zu einem lebhaften ,Mavo!" Und schmunzelnd steckte Gabriel, der Russe, das Schlutztrinkgeld in die Tasche, als er wieder mit Milli und Molli abmarschierte^ Dann kam die grotze Minute des Anfangs des neuen Jahres^ Kunze und Kraus« schüttelten sich besonders kräftig die Hände, wobei sie bemerkten,' datz Ihre Finger, mit denen sie vorhin Milli und Molli gestreichelt hatten, leicht geschwärzt waren. Krause achtete nicht weiter darauf, aber Kunze fragte bei Seite seinen Sohn: „Du, was bedeutet das?" Und dein antwortete trocken: „Datz die Chemie Wunder tut, kn der: Front wie im im Burgverlietz." Leantwortlich« AMckie«: Ernst Roßberg in Frankenberg i-S. — Druck und Verlag von E. G. Roßberg in Frankenberg i-S-