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Hlr. L Kreitag, de« 4. Zanuar 1918 Leipzig. s Nachdruck verboten Heilige Zeilen Ein Roman aus der Gegenwart Don Anny Wothe. Amerikan. Copyright 1918 by Anny Wothe-Mahn, Es war doch nicht so leicht, abwärts zu gelangen, Christa gewahrte, daß der Rittmeister mehr als einmal vor Schmerzen die Zähne zusammenbiß. „So geht das nicht/- erklärte sie. ,Mtie, legen Sie Ihren Arm um meine Schulter, da kann ich Sie besser Atzen, sonst müssen wir doch den Herrn Oberleutnant bitten." „Nein, nein," wehrte der Rittmeister und ganz gehorsam kegte er seinen Arm fest um die schlanke und doch kräftige Mädchengestalt, die so sicher ihm zur Seite stand. „Sehen Sie, so geht es ganz gut, wir sind gleich unten., Mützen S'- sich nur fester, Herr Rittmeister. Na, nun Sön ja Ihr Herz "schon wieder an." Sie stand still, ihm Gelegenheit bietend, Atem zu fchöp- tzen, und ,ah in >. n heiß erregtes Gesicht mit den Augen wie dunkler Samt, die so' herrisch und doch so sanft blicken konnten «nd plötzlich stieg auch ihr das Blut in die Stirn, als er, sich tief zu ihr Herniel 'rügend, sagte: „O, wie wunderschön ist die Frühlingszeit!" „Sie hörten uns singen?'' kragte Christa-Maria, sich schnell fassend, mit leisem Lächeln. „Ja," nickte er, „fast war mir, als ob Ihr Lied mir das Herz schwach machte. Das alte herrliche Frühlingslied Hier in der Morgenfrühe, in der liefen Waldeseinsamkeit meiner Heimat, draußen das furchtbare Grauen, das ich Durchlebt und dann — — n^in, Laven möchte ich heute nicht zu Ihnen sprechen, gnädiges Fräulein. — Das Lied hat für mich noch ein besondere Erinnerung, di« zwar Engst tot sein sollte. Aber, wie sagten Sie doch vorhin? Die Erinnerung kann uns niemand rauben, wenn wir sie selber sesthalten wollen! Wie aber, wenn sie nicht weicht, wenn sie immer wiederkommt, selbst, wenn wir weit vor ihr flohen möchten?" . „Das will mir fast als Eingeständnis der eigenen Schwäche scheinen," antwortete die junge Aerztin und ihr« Stimme hatte einen spröden Ton. Der Rittmeister sah seine Gefährtin befremdet an. Sie hatten jetzt die Straße im Tal erreicht und schritten nun iangsam bei die Brücke, die Oker zur Rechten zu gewinnen, „Wissen Sie, gnädiges Fräulein," sagte er plötzlich, „mir «st, als wären wir uns schon früher einmal begegnet und doch wüßte ich nicht, wo. Und dennoch ist mir, als hätten wir uns von jeher gekannt." Er sah nicht, wie Christa-Maria die weißen Zähne fest auseinander preßte und wie diese Zähne sich dann tief in die roten Lippen gruben, ab«, er meinte, ihre Stimme kling« ganz eigen, als sie entgegnete: „Das erscheint uns zuweilen so im Leben. Irgend einen Klang glauben wir schon gehört zu haben, und doch war er nie bei uns." „Ja, das ist, wenn «ine uns verwandte Saite erklingt." Dann schwiegen sie beide und lrnrgsam schritten sie, der Rittmeister jetzt nur leicht aus den Arm Christa-Marias gelehnt, das Tal hinauf. Der Oberleutnant und Lotti waren schon weit voraus. Zuweilen sahen die Nachfolgenden das Paar austauchen, wenn es die waldigen Abhänge erklomm, wohl um Blumen zu pflücken, zuweilen auch, wenn die Beiden am Wege stehen blieben «nd bewundenrd zu den gestreiften Marmorklippen Frankenberger ErMter Unterhaltungsbeilage zum Frankenberger Tageblatt Wird jeder Mittwochs-, Freitags- und Sonntags-Nummer ohne Preiserhöhung des Hauptdlattes beigegeber.. aussahen, die sich wie in Trauerfarben terrassenförmig outz- türmten. Ern tiefer SeuHer e:rtrang sich des Rittmeisters Brust, al« er mit leuchtenden Augen um sich sah. „Nie habe ich geglaubt, das hier wieder schauen DL können, meine herrliche Harzheimat, mein Okertal! Seh«» Sie dort, gnädiges Fräulein, den blauen Tonschiefer, rotz. er sich.zu dem blanken Wasserspiegel neigt, und dort die Hellen Eranitfelsen, als hätte eine Titanenfaust sie hings- schleudert Die herrlichen Tannep! Nie sah ich sie so stolz hoch bis in den Himmel ragen." Das lichtgrüne Laud der Birken und Buchen, ist es nicht einzig schön? Wie im bräutlichen Schmuck prangt das Tah, Und da draußen dröhnen die Kanonen und im furchtbarste» Trommelfeuer erstirbt so mancher blühende junge Mund." Ein Frösteln lief durch Lie hohe Gestalt des Rittmeisters, „Nun muß ich doch ernsthaft mit Ihnen schelten," ent gegnete Christa-Maria. „Sie dürfen nicht an das Grausig^ dos Vergangene denken, sondern an das Neu«, das Schöne, da» Große, das Kommende. Heilige Zeiten sind es, in denen wir leben und heilige Zeiten werden die kommenden sein." Er schüttelte wie ablehnend den schmalen Kopf und «» zuckte leise um seinen Mund. „Seitdem ich aus dem Kriege heimkehrte, ist mir*L als fände ich den rechten Weg nicht mehr, vielleicht habe ich den Tag versäumt — das Glück verscherzt. Was sollte mir jetzt noch frommen?" „Was uns allen Heil bringt — der Sieg! Deutsch lands Größe, Deutschlands Macht und Herrlichkeit festgefügt, zu sehen, teil zu haben, daß es gefestigt und unerschütterlich dasteht, ist das nicht eines Lebens wert?" „Es ist der einzige Traum von Glück, den ich noch heg» — nein — noch ein anderer: Wieder da draußen zu sein — mitten in Kamps und Sieg — und vielleicht auch im ferne» Feld ganz still mit den Brüdern zu schlafen, wenn di» Waffen ruhen." Er brach jäh ab unh ließ den Mädchenarm fahren, a«ß den er sich bis jetzt wie selbstvergessen gestützt hatte. „Verzeihen Sie, Fräulein Doktor, daß ich Ihnen, d« Fremden, das alles sage. Ich muß Ihnen seltsam erscheine» Aber — ich weiß nicht — als ich vorhin aus meiner Betäu bung erwachte und Ihnen ins Antlitz sah, da war es mir, atz würde ein Jugendtraum, der lange geschlafen, wieder lebenditz als höre ich ein altes, längst vergessenes Lied, das ich einst» Mals gekannt, und zu dem ich doch den Reim nie mehr sn» den kann." Er sah, während er an Christa-Marias Sette, jetzt ohne jede Stütze, dahinschritt, weithin in die Ferne und gewahrte nicht, wie Purpurglut das Mädchenantlitz überflammte. „Wir werden uns ja vielleicht nie Wiedersehen," fuhr der Rittmeister mit leiser Trauer in der Stimme fort, „denn da dl» Damen nicht wünschen, daß wir uns unsere Namen nennen, G ja jede Möglichkeit ausgeschlossen, von einander wieder zL hören, wenn nicht ein blinder Zufall im Leben uns wieder zusammenführt. Finden Sie es nicht grausam, meine Gnädigste daß dieser herrliche Frühlingstag wie ein holder Traum vov» übergehen soll? Können und wollen Sie nichts dazu tun, daA dieser Traum etwas an Wirklichkeit gewinnt?" Christa-Maria schüttelte mit leisem Lächeln das Haupts Wie Eoldfunken sprühte di« Sonne auf ihrem lockigen Haar. „Nein," entschied sie tief atmend. „Der Tag ist Z» schön, um in Alltäglichkeit zu versinken. Wir wollen ih» uns aufsparen als Goldmünze der Erinnerung für die alte» Tage." k Die Augen oes Feldgrauen flammten sie seltsam a» „Und wenn ich Sie doch wieder finden sollte, Fräulein