Volltext Seite (XML)
MOmATageblati ' Fernsprecher Wilsdruff Nr. 6 Wochenblatt fÜl Mlsdmff UNd LlMgegLNd Posischeckkonto Leipzig 28644 Dieses Blatt enthält die amtlichen Bekanntmachungen der Amtshauptmannschast Meißen, des Amtsgerichts Wilsdruff, des Ekadtraks zu Wilsdruff, des Forstrentamts Tharandt Verleger >md Drucker: Arthur Zschunke in Wilsdruff. Verantwortlicher Schriftleiter: Hermann Lässig, für den Inseratenteil: Arthur Zschunke, beide in Wilsdruff. Sonntag den 25. September 1921. 80. Iahrgany- Nr. 225. Meine Zeitung für eilige Leser. * Zwischen dem Reich und Bayern soll in den nächsten Tagen eine Verständigung zu erwarten sein. . * Der preußische Minister des Innern hat einen Erlaß an die Oberpräsidenten mit Anweisungen zur Bekämpfung wucherischer Preissteigerungen herausgegeben. * Der ehemalige Reichskanzler Hermann Müller erklärte auf dem sozialdemokratischen Parteitag die Nachricht für er funden, daß die Partei den Reichskanzler Wirth fallen lassen werde. * Das neue bayerische Kabinett ist gebildet worden ohne Teilnahme der Bayerischen Mittelpartei. * Im badischen Landtag machte der Staatspräsident auf sehenerregende Enthüllungen über das Bestehen politischer Geheimorganisationen. * Das Ultimatum der Entente an Ungarn wegen des Bur genlandes ist in Budapest überreicht worden. Es stellt eine Frist von 14 Tagen für die Räumung. Teuerungswucher. In den letzten drei Monaten hat sich zugleich mit dem Fall der Mark an den Börsen eine neue Teuerung ent wickelt, nachdem in der vorangegangenen Zeit bereits eine gewisse Festlegung der Preise für die Nahrungs- und Be- darssmitel festgestellt werden konnte. Im Anschluß an diese Teuerungswelle erlebte man dann Folgen jeder Teuerung: neue Lohn- und Gehalts forderungen, Be triebseinstellungen, Streiks, kurz eine außerordentliche Be unruhigung des ganzen Wirtschaftslebens. Eine außer ordentliche Zunahme der Preise und.all der erwähnten unangenehmen Folgen trat aber erst in dm letzten Wochen ein, als Gerüchte verbreitet wurden, die Ernte im Reiche sei so ungünstig ausgefallen, daß man auf Ernährungs schwierigkeiten im Winter werde rechnen müssen. Es war vergeblich, daß von amtlicher Stelle versucht wurde, sol chen Gerüchten entgegenzutreten und um so notwendiger erscheint es deshalb, zu prüfen, in welchem Zusammenhang Ernährungslage und Teuerung tatsächlich stehen, und ob die letztere vielleicht nicht durch andere unlautere Kräfte ebenso als durch die gegebenen Verhältnisse gefördert wird. Es kann nun ohne weiteres zugegeben werden, daß nach den Unterlagen, die das Reichsernährungsminifte- ! rium hat, das laufende Jahr zwar nicht eine außcrordent- , lich gute Ernte gebracht hat, aber es muß doch auch be tont werden, daß man mit Sicherheit auf eine gute Mittelernte rechnen kann, die zum Teil besser ausge fallen ist als die des vorangegangenen Jahres. Es er gibt sich das schon daraus, daß das Reichsernährungs- ministerium der Kartoffelindustrie beispielsweise in diesem Jahr die Hälfte ihres Friedensbedarfs an Kartoffeln zur Verarbeitung überweisen konnte, während sie im vorigen Jahr nur ein Drittel erhielt. Und ebenso ist es bezeich nend, daß von feiten der Regierung in diesem Jahr Kar- tofselhöchstpreise nicht eingeführt werden, weil man in einer Besprechung mit den Kartoffelerzeugern zu der An sicht kam, daß die Ernte „etwas über mittel" ausgefallen und daß der Bedarf im allgemeinen gut gedeckt sein werde. Etwas anders ist es mit der Getreideernte, und hier sind Einfuhren wie bisher gewohnt nötig. Hinzu kommt nun aber, da die Erntelage tatsächlich die entstandene Teuerung nicht begründen kann, der Kurs sturz der Mark, der, wie ohne weiteres anerkannt werden muß, auf die Einfuhren, die im Winter nötig sein wer den, verteuernd wirken und auf einzelnen Gebieten in der Tat eine Vervielfachung der Preise zur Folge haben wird. Damit kommt man-den Ursachen der jetzigen Teuerungswelle schon näher. Zahlreiche Händler be nutzen die in einem späteren Augenblick zu erwartende Teuerung, um sich schon jetzt auf Kosten der Gesamtheit zu bereichern. Sie verteidigen ihre Preiserhöhungen ständig mit dem Hinweis auf den Fall der Mark, während dieser sich ja erst im Winter tatsächlich auswirken wird und sie in Wirklichkeit heute noch mit den bei einem besseren Stand unserer Währung eingekauften Vorräten arbeiten. Sie sind also gewissermaßen wenigstens, was ihre Preise anbetrifst, der Zeit um einige Monate vor ausgeeilt, und die Differenz zwischen der Gegenwart und ihren Zukunftspreisen drückt sich in den hohen Ge winnen aus, die in ihre Tasche fließen. Es ist allerhöchste Zeit gewesen, daß von behördlicher Seite gegen dieses zeitliche Vorwärtsstreben allzutüchtiger Kaufleute endlich Front gemacht wird, denn in der ge wöhnlichen Alltagssprache bezeichnet man ihre Geschäfts- Methoden mit dem Wort Wucher, gegen den gerade in wirtschaftlich so schweren Zeiten, wie wir sie erleben, die Allgemeinheit geschützt werden muß. Ein Erlaß des preu ßischen Innenministers gegen Wucher, der soeben ver öffentlicht wird, kommt deshalb, wenn nicht schon zu spät, so doch im allerletzten Augenblick, in dem er Erfolg haben kann. Es wird darin darauf hingewiesen, daß aus Eigen sucht zahlreiche Händler billig eingekaufte Ware teuer ver kaufen, ja daß sie vielfach wichtige Lebensmittel verfäl schen und dadurch den Wuchercharakter ihrer Preise noch erhöhen. Die Polizeiorgane werden angewiesen, die Preise einer eingehenden und fortlaufenden Überwachung zu unterziehen, die Ein- und Verkaufspreise ständig zu prüfen, dafür zu sorgen, daß billig eingekaufte Lagerware nicht zu überhöhten Preisen verkauft wird und vor allem. den Wucher auch zu bekämpfen, wenn nicht beson dere Anzeigen vorliegen, sondern wenn ein eigenes Vorgehen der Polizei notwendig ist. Besonders diese letzte Anweisung wird sehr wichtig sein, denn Anzeigen erfolgen in vielen Fällen aus irgend welchen persönlichen und privaten Gründen nicht, ohne daß in solchen Fällen die polizeiliche Pflicht die Allgemeinheit vor Ausbeutung zu schützen, aufgehoben ist. Es ist auch zu begrüßen, daß die Holizeiorgane aufgefordert werden, die Finanzämter auf Geschäfte mit hohen Preisen zwecks steueramtlicher Nachprüfung aufmerksam zu machen, denn wenn der Mi nister die Meinung ausfpricht, die Verbraucher müßten in der Zuversicht gestärkt werden, daß der Staat in der Lage sei, sie vor Wucher zu schützen, so wird diese Zuversicht tatsächlich dadurch am meisten gestört werden, wenn beob achtet wird, wie die Wucherer die Steuergefetze zu um gehen wissen, während der Lohnempfänger und der Be amte allmonatlich seinen Steuerabzug geduldig hinnehmen muß. Die Verordnung selbst versucht somit den tatsächlichen Verhältnissen gerecht zu werden. Es muß die Hoffnung ausgesprochen werden, daß die ausführenden Polizei organe es verstehen, sie wirklich zur Geltung zu bringen. Denn sonst wird unser Wirtschaftsleben in unverantwort licher Art geschädigt und die wirtschaftliche Spannung so erhöht werden, daß die Folgen unabsehbar sind. Gras Lcrchenfeld-Kiifcring. Das neue bayerische Kabinett. Verhandlungen in Berlin. Der neue Ministerpräsident Graf Lerchenfeld unter- Vreitete in der Abendfitzung des Freitags alsbald nach Eröffnung den Abgeordneten folgende Ministerliste: Ministerpräsident und gleichzeitig Minister des Äußern und Minister der Justiz Graf Lerchenfeld, Inne res Dr. Schweyer, Unterricht und Kultus Dr. Matt, Finanzen Dr. Krausneck, Soziale Fürsorge Oswald, Landwirtschaft Wutzlhofer, Handel, Industrie und Ge werbe Hamm. Roth die Justiz. Der Bayerischen Volkspartei (Zen trum) gehören jetzt fünf Mitglieder des Kabinetts an: Ler chenfeld, Dr« Schweyer, Dr. Matt, Dr. Krausneck, bund Wutzlhofer; den Demokraten Hamm. Die Mittel partei (Deutschna tionale) ist im Mi nisterium nicht mehr vertreten. Landtagspräsi dent Königsbauer sagte, daß er das Einverständnis des Hauses für die Vor schläge des Mi nisterpräsidenten annehme. Wider spruch erfolgte nicht. Der Präsi dent begrüßte die Es sind somit alle Minister des vorigen Kabinetts wiedergekehrt, außer v. Kahr (Volkspartei, Zentrum) und dem Justizminister Roth (Mittelpartei, Deutfchnational). An Stelle des ehemaligen Ministerpräsidenten übernimmt dec neueingetretene bisherige Staatssekretär Dr. Schwey- e r das Innere, Ministerpräsident Graf Lerchenfeld für neue Staatsrcgie- rung, insbesondere den Ministerpräsidenten Grafen Lerchenfeld und gedachte in feinen weiteren Ausführun gen auch der vormaligen Staatsregierung, besonders des Ministerpräsidenten v. Kahr, dem er Dank aussprach. Lerchenfelds Programm. In einer Ansprache führte der Ministerpräsident aus: Wenn die Koalition sich durch das Ausscheiden einer Par tei geändert hat, so liegt doch kein Grund vor, die aus den Bedürfnissen des Landes herausgewachsenen Grundlagen der bisherigen Politik zu verlassen. Die allgemeinen Richt linien, nach denen ich die bayerische Politik in Zukunft zu führen gedenke, bleiben daher dieselben. Graf Lerchen feld gedachte dann der Verdienste des Herrn v. Kahr und betonte dann: Ich behalte mir vor, zu einzelnen Fragen später Stellung zu nehmen. Für heute möchte ich nur drei Dinge herausstellen, über die ich Ihnen, wie ich glaube, Rechenschaft schuldig bin: 1. Aufrechterhaltung der mühsam errungenen Ruhe und Ordnung im Staate. Ich bin mir bewußt, daß von dieser Grundlage aus allein der Wiederaufbau unseres Vaterlandes möglich ist. 2. Unser Verhältnis zum Reiche. In diesem Punkte steht für mich die Treue zum Reiche unver brüchlich fest. 3. Ein weiterer großer Gedanke, von dem ich mich leiten lassen möchte, ist der der sozialen Nersöb - siung Das größte Unglück sehe ich in der Zerklüftung cm Klassenkampfe. Zum Schluß seiner Rede wies Graf Lerchenfeld auf die Notwendigkeit des Vertrauensverhältnisses zwischen den Mitgliedern der Volksvertretung und der Regierung hin. Seine Tür würde jederzeit und jede st offen stehen. Im demokratischen Staatswesen müsse ein Gedanke alle Bürger erfüllen, wenn anders der Staw keinen Schaden erleiden soll: die Liebe zu Bayern, die Liebe zum großen deutschen Vaterlande! Graf Lerchenfeld hat die Reise nach Berlin angetreten, um persönlich die Verhandlungen mit der Reichsrcgicruna über die Aufhebung des Belagerungszustandes und die Anwendung der Verordnung des Reichspräsidenten vom 29. August zu führen. — Der Vorsitzende der national sozialistischen Arbeiterpartei, A-dolf Hitler, der unter dem Verdacht, die Verteilung der antisemitischen Flug blätter während der letzten Tage organisiert zu haben, verhaftet worden war, ist wieder auf freien Fuß gefetzt worden. Auch die verhafteten Zettelverteiler wurden wieder freigelassen. Verständigung in Aussicht. Zu den Verhandlungen zwischen Bayern und dem Reich wird von halbamtlicher Seite in Berlin mitgeteilt, daß die beste Aussicht bestehe, endlich zu einer Verständi gung zu gelangen, die selbstverständlich so aussehen werde, daß es weder einen Sieger noch einen Besiegten gebe. Es müsse alles geschehen, um eine Erschwerung der Lage Les neuen bayerischen Kabinetts zu vermeiden, dem man mit vollem Vertrauen entgegensehen könne. Am 29. September soll im Bayerischen Landtage die politische Aussprache beginnen. Man hofft, daß bis dahin die Verhandlungen zwischen Bayern und dem Reich zu einem befriedigenden Resultat gelangt find. politische Geheimorganisationen. Enthüllungen im Badischen Landtag. Karlsruhe, 23. September. * In der heutigen Sitzung Les Badischen Landtages machte der Staatspräsident aufsehenerregende Mitteilun gen über das Bestehen von politischen Geheimorganisatio- nen und deren Bestimmungen, die von der Staatsanwalt schaft aufgefunden wurden. Diese Bestimmungen nennen als geistige Ziele: Wei- terpslege und Verbreiterung des nationalen Gedankens, kämpsung Les Judentums, Ler Sozialdemokratie, der Weimarer Verfassung. An materiellen Zielen werden ge nannt: Sammlung entschlossener nationaler Männer, Ein setzung einer nationalen Regierung, um die durch den Ver sailler Vertrag herbeigeführte Entwaffnung unmöglich zu machen. Weiter wird gesagt: „Die Organisation ist eine Gc- heimorganisation. Sie verpflichtet die Mitglieder unter einander, ein Schutz- und Trutzbündnis zu schließen, wo durch jeder Angehörige der Organisation der weitgehend sten Hilfe aller anderen Mitglieder sicher sein kann." Der Staatspräsident stellte nach Verlesung der Mitteilungen fest, daß der Mörder Tillessen einer Kölner Zentrums familie angehört, seiner Schwester aber geschrieben habe, sie solle künftig deutschnational wählen. Ferner fügte der Staatspräsident hinzu, daß die beiden Mörder Erzbergers dieser Geheimorganisation angehörten, ebenso Killinger und Müller. potiiische Rundschau. Deutsches Reich. Reichskanzler Wirth zur oberschlesischen Frage. In der „Europäischen Staats- und Wirtschaftszei- tung" äußert sich Dr. Wirth in einem Artikel: „Oberschle sien — unsere größte Sorge" über die Notwendigkeit, eine baldige Entscheidung herbeizuführen. Der Reichskanzler sagt u. a.: „Wir wetteifern nicht um die Gunst irgendeines Vertreters im Völkerbundsrat und im Obersten Nat, wir hoffen auf die Gerechtigkeit, weil das ganze deutsche Volk ohne Unterschied der Partei von dem Gedanken unseres Rechts erfüllt ist. Eine Enttäuschung dieser Hoffnung wäre einfach unerträglich, und zwar nicht nur für das deutsche Volk allein, sondern für alle, die noch an den Sieg des Rechts in der Welt glauben." Die Verhandlungen über die Sanktionen. Eine Reutermeldung aus London besagt, daß die Verhandlungen zwischen Großbritannien, Frankreich und Deutschland wegen der Termine, an denen die wirtschaft lichen Sanktionen aufgehoben werden sollen, noch andau- crn. Einige Mißverständnisse habe die deutsche Regierung schon aufgeklärt. Obwohl noch einige technische Einwände der Regelung harrten, bestehe kein Zweifel, daß bald ein Weg zur Regelung gefunden werde. Reisekosten der Reichsbeamten. Der Neichsrat genehmigte den Entwurf einer 'Reise kostenverordnung für die Reichsbeamten. Der Entwurf