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begann fünfzehn Meilen nördlich von Bilejik. Die Dürren ziehen sich zurück. Gunaris erklärte in Athen im Ministerrat, daß die Nah- rungsmitielversorgung der Truppen in den besetzten Gebieten Kleinasiens ausgezeichnet geregelt sei. Die griechischen Ver luste schätzt man offiziell auf 1200 Tote und 6800 Verwundete. Gunaris soll ferner erklärt haben, daß Angora nur besetzt werden soll, wenn dies unbedingt nötig ist. Auf jeden Fall ist nicht die Besetzung Angoras, sondern die allgemeine Zer streuung der Reste der türkischen Streitkräfte das Ziel der griechischen Operationen. Gunaris konnte noch nicht sagen, wann die Operationen ungesähr beendet sein werden. Türkische Berichte. Während in Smyrna fortgesetzt griechische Verstärkungen eintreffen, wird aus Konstantinopel auch erhöhte Aktivität an der türkischen Front gemeldet. Kemal soll die Absicht haben, bei Angora eine Entscheidungsschlacht zu liefern. Havas meldet aus Angora, daß nach einer Debatte über die militärische Lage die türkischen Militärbehörden im Ein vernehmen mit der Nationalversammlung beschlossen haben, Angora zu räumen und sich nach Cäsarea zurückzuztehcn. Infolgedessen werden die Nationalversammlung und die Ver waltung nach Cäsarea verlegt. Dies Cäsarea (Kaisarije) liegt südöstlich von Angora, etwa in.der Mitte zwischen dieser Stadt und dem Euphratstrom. Die neutralen Alliierten. Der griechisch-türkische Krieg ist auch auf der Konfe renz zu Paris zur Sprache gekommen. Es äußerten sich hierzu, wie drahtlich gemeldet wird, Marschall Foch und der englische Oberst Heywood, der an der grie chischen Front gewesen ist. Die beiden Militärsachver- ständigen erklärten, über das endgültige Ergebnis des türkisch-griechischen Konfliktes werde man vielleicht erst nach einigen Monaten urteilen, da die endgültige Ent scheidung überall hinausgeschoben werden könne. Die Absicht der Alliierten sei, in diesem Konflikt neutral zu bleiben. Eine andere Handlungsweise sei nicht möglich, da die beiden kriegführenden Parteien bis zur Stunde einen Vermittlungsvorschlag noch nicht angenommen hätten. Die Tatj-che, daß die beiden Militärs poli tische Erklärungen abgaben, ist merkwürdig. Oie Spanier in Marokko. Sehr kritische Lage? In London hat hat man sehr ernste Nachrichten über die Lage der Spanier in Melilla erhalten. In den letzten Tagen sind die Mauren sehr schnell vorgerückt, io daß sie bereits in Reichweite der Geschütze der Stadt stehen. Nach dem „Journal" hat Abd el Krir den spa nischen Behörden mitgeteilt, daß alle in seinen Händen befindlichen Gefangenen abgeschlachtet wür den, wenn die Spanier versuchen sollten, auf das Rif- Gebiet vorzudringen, ebenso, wenn spanische Flugzeuge maurische Dörfer bombardierten. Von Madrid aus sucht man zu beruhigen. Angeblich rechnet man dort damit, daß in zehn Tagen 50 000 Mann in Melilla sein werden, und daß die Garnisonen Ceuta, Tetuan und Larache durch 30 000 Mann verstärkt werden. Die Aufständischen, heißt es in diesen Meldungen, liefern erbitterte Kämpfe gegen die Reste der Kolonne Navarro, die ihren heldenmütigen Widerstand auf dem Berge Arruit trotz der Verluste fortsctzt. Neueren Meldungen zufolge füll die Ministerkrisis in Spanien einer Lösung nahe sein. Der König will, wie verlautet, auf den bewährten konservativen Parteiführer Maura zurückgreifen, der seit dem Jahre 1903 bereits fünfmal spanischer Ministerpräsident war. Brennende Wirischastsfragen. Teuerung und Lohn st eigerungen. Unsere Zeit steht im Zeichen einer neuen Steigerung des Geldbedarfs in jeder Linsickt. wobei ein Keil den " Ilse von Krafft. Von M. Eitner. (Nachdruck verboten.) „Wir sind über den Berg hinweg," sagte er, „und jetzt kann ich heimfahren, komme aber im Lause des Vor mittags wieder." Lüders war nicht zu Bett gegangen. Er packte seine Sachen. Als Herbert nach vier Uhr bei ihm eintrat, weil er ge merkt hatte, daß er nicht schlief, sagte er nur: „Nun mutz ich gehen, und nun kann ich gehen. Um elf Uhr möchte ich abreisen." „Warum so schnell, Hans?" „Jetzt wirst du Mut und Kraft Haven. Du weißt ja auch, daß ich fort muß Ich habe noch in London zu tun, und Anfang September muß ich in Kalkutta ein- treffen, muß dort meine Arbeit wieder aufnehmen. Grüße deine Frau von mir, wenn sie so weit sein wird, sich meiner erinnern zu können, und — alter Junge! hüte jetzt besser den Schatz, den dir Gott gegeben hat. — Strich durch die Vergangenheit! — glückaufl für die Zu kunft!" - Lüders reiste ab. Nach und nach, sehr langsam, schritt Ilses Besserung fort. „Wann wurde ich krank? und warum wurde ich krank?" fragte sie eines Tages ihren Mann. „Wie kam das alles?" „Laß das jetzt alles ruhen," bat Herbett, „denke nicht und grüble nicht. Werde nur gesund. Sie warten ja alle darauf, im Schloß, auf dem ^Hof, im Dorf. Sie warten darauf, daß du gesund wirst. Klein-Werner und ich warten erst recht daraus," fügte er hinzu und küßte ihre Hand. „Ach ja, mein Junge! Wo ist er?" „Noch ein paar Tage mußt du warten, ehe ich ihn dir bringen darf. So verlangt der Doktor. Der Kleine könnte sich doch inIeiner Freudezu stür misch erweisen. Jetzt schlafe nur, schlafe dich wieder gesund." „Ach ja, ich will ««ch schlafe«. Ich bin so müde, so müde." Und jetzt schlief Ilse s» »iel, daß der Sanitätsra fast wieder unruhig wurde, erschien doch die Schwäche ab- sonderlich. Aber dieses Schlafen und Ruhen halfen dem Körper und halfen der Seele. Und schließlich, an einem der ersten Iulitage, erklärte der Arzt, es wäre gut, wenn Ilse vorläufig wenigstens für eine Stunde das Bett verließe und von der Sommer lust sich umwehen lasse. Auf seinem Arm trug Herbert sie zu dem Stuhl, der auf der Veranda bereitgestellt war. Wie wunderlich, wie köstlich war ihr zu mutet andern treibt. Von der politischen Lage nimmt diese Kette ohne Eltde ihren Anfang. Die unerfüllbar hohen Anforderungen für die aus dem Ultimatum stammenden Leistungen und für die Unterhaltung der Besatzungs armeen ziehen die ebenso unerhört hohen Steuerlasten nach sich, diese wieder bedingen im Zusammenhang mit den steigenden Lebensmittelpreisen eine Erhöhung aller Löhne und Gehälter, wodurch wieder die Fabrikation vieler notwendiger Bedarfsartikel verteuert wird. Alles das drückt auf die Kaufkraft der Mark,, und der sinkende Wett des Geldes wiederum ruft nach einem neuen Aus gleich zwischen Einnahmen und Ausgaben der breiten Schichten der Bevölkerung. Auf Grund dieser Über legungen wird jetzt vom Reichsfinanzministerium ange kündigt, wie man von feiten der Regierung zu diesem Gang der wirtschaftlichen Entwicklung Stellung zu nehmen gedenkt. Das Ministerium veröffentlicht folgende Mel dung: Bei seinem Zusammentritt im September wird sich der ReickMag voraussichtlich sofort mit einer Angelegenheit von weittragender Bedeutung zu befassen haben. Die Rcichsregie- rung ist schon feit einiger Zeit in eine Prüfung der Frage cingctrcten, inwieweit voraussichtlich demnächst die Brotpreis- crhöhung, die Steigerung der Mietpreise und die Auswirkung der Steuergesetzgebung, z. B. eine etwaige Verteuerung von Kohle, Gas usw., eine Steigerung der Kosten der Lebenshaltung herbeiführen werden, und inwieweit dein bei der durch die Reparation aufs äußerste angespannten Fi nanzlage des Reiches durch eine Erhöhung der Löhne und Gehälter der Arbeiter, Angestellten und Beamten zu begegnen ist Da diese Frage auch für die Länder von ein schneidender Bedeutung ist, wird sie nicht ohne Benehmen mit den Landesregierungen geregelt werden können. Es ist zu er warten, daß schon in kurzer Zeit die erforderlichen Ver handlungen beginnen werden, so daß dem Reichstage nach den Ferien bereits feste Vorschläge unterbreitet werden können. Weitere Steüerpläne. Auch das Steuerprogramm der Regierung, dessen erster Teil kürzlich in Gestalt von 15 neuen Vorlagen be kanntgegeben wurde, bedarf noch der Ergänzung. Die Beratungen darüber, wie eine Erfassung der Sachwerte über die laufende Vermögenssteuer hinaus möglich ist, dauern noch fort. Es soll jetzt ein besonderer Kontri butionsetat im Rahmen des ordentlichen Haus haltsvoranschlags eingesetzt werden. Beziffert wird er mit 42 bis 50 Milliarden Mark. Eine weitere Vermeh rung der Ausgaben ist von den bevorstehenden Lohn- und Gehaltserhöhungen der Beamten, Angestellten und Ar beiter zu erwarten. Die Reichsregierung beabsichtigt, in dieser Frage die Initiative zu ergreifen und sich schon in den nächsten Tagen mit den Parteien darüber ins Be- nehmen zu setzen. Der gesamte jährliche Finanzbedarf des Reiches wird sich, wenn man von den Valutaschwankungen einmal absieht, auf ungefähr 120 bis 130 Milliarden Mark beziffern. Davon sind bisher etwas mehr als 50 Milliarden Mark durch Einnahmen gedeckt. Die Mehrheit des Kabinetts mit dem Reichskanzler an der -Spitze ist der Ansicht, daß eine Erfassung der Sachwerte durch hypothekarische Belastung des landwirttchaftlichen und städtischen Grundbesitzes und durch eine direkte Beteiligung des Reiches an den Jndustrieunter- nehmungen schon allein an den politischen Machtverhältnissen scheitern würde. Aber darüber hinaus seien auch die prakti schen Schwierigkeiten, wenn man an die Verwirklichung dieses Gedankens heranträte, so groß, daß das Problem, zurzeit wenigstens, unlösbar erscheine. Dagegen denkt die Regierung dabei an eine Kapitalisierung der Körperschasts- steuer, die der Vorlage nach von 10 auf 30 Prozent erhöht werden soll und nicht bloß den ausgeschütteten, sondern den Gewinn überhaupt steuerlich heranziehen will. Die Aktien gesellschaften, Gesellschaften mit beschränkter Haftung usw. könnten nach diesem Plane Genußscheine ausstellen, die ge wissermaßen einen Wechsel auf eine Reichsbeteiligung dar stellen. Aus diese Genußscheine der Gesellschaften könnten das Reich oder seine Finanzorgane Generalpapiere ausgeben oder die Genußscheine selbst auf den Markt werfen, um rasch größere Beträge dem Reiche zuzuführen. Die Beratungen über diese Fragen sind noch im Gange. Ferner erwägt man die Möglich keit. die sämtlichen Besitzer des Produktionskapitals Herbert trug sie auf den Armen, Herbert suchte alles so bequem wie möglich einzurichten, und der kleine Werner jauchzte ihr entgegen: „Mama! Mama!" So schön erschien ihr plötzlich das Leben, so wunder schön, wie sie es nie für möglich gehalten hätte. Dann kam plötzlich der Gedanke: sie war krank, sehr krank gewesen. War sie erst wieder gesund, so würde sicher all die Sorgfalt wieder wegfallen, würde alles wieder an ders werden. Aber sie wollte sich freuen der Gegen wart und segnete die Krankheit. Und plötzlich, während sie saß, und während die Sommerluft sie umwehte, während ihre Blicke den Buchen gang umfaßten, kam ihr der Tag ins Gedächtnis zurück, da Lüders wieder eintraf und ihr das erzählte, was sie so tief erschütterte. Zum ersten Male konzentrierte sie ihre Gedanken auf das, was ihrer Krankheit vorangegangen war. Angstvoll blickte sie Herbert an, der neben ihr saß, und fragte: „Wie war das denn? Lüders war doch wieder hier?" „Ja, Ilse, er war hier, und du wurdest krank kaum zwei Stunden nach seiner Ankunft." „Wo ist er denn?" „Er hat treu bei mir ausgehalten, bis du außer Ge fahr warst, bis der Arzt dich für gerettet erklärte. Er wußte wohl, daß ich ihn brauchte. Er mußte dann gehen. Du weißt ja, daß sein Urlaub sich zum Ende neigt. In London hat er noch verschiedenes abzuwickeln. Er hat mich gebeten, dich zu grüßen, sobald du dich seiner er innern würdest." Prüfend ruhte Herberts Blick auf Ilse, als wollte er ergründen, ob diese Nachricht sie besonders bewege. In ihren Zügen war jedoch nicht die leiseste Erregung zu nierken. Und jetzt, als Herbert ihre Hand streichelte und sie an feine Lippen zog, ging es wie ein Leuchten über ihr Gesicht. „Ilse", sagte er leise. „Lasten wir die Vergangenheit ruhen. Fangen wir von vorn an. Gott der Herr hat selbst mit starker Hand einens Strich gezogen, der eine Grenze für uns bedeutet. Aus öden Zeiten werden wir hoffentlich in freundlichere geführt. Nur — habe Geduld mit mir." „O, ich will warten, füll warten," erwiderte Ilse und faltete unwillkürlichdie Hönde zusammen. Und wieder empfand Herbert, wie stark eine Fran, die liebt, im Tragen ist. Die Besserung schritt vorwärts, von einem Tag zur» anderen. / Bald konnte Ilse stundenlang draußen sitzen. Ihre blassen Wangen röteten sich wieder etwas, und in ihre« Augen lag ein freundlicher Glanz. Sie war im ganzen sehr still, aber es lag doch ein Strahl von Glück über sie hingebreitet, der auch an deren nicht verborgen blieb. Der Arzt riet, daß Herbert noch im August mit Frau (nicht ves Rentnerkapitais), auch alle Kreditinstitute Ge nossenschaften, Sparkassen, Banken usw. durch eine Zwangsanleihe. den Reparationsverpflichtungen dienstbar zu machen Auch das steht das Kabinett als eine Beteiligung des Reiches an den Sachwetten an. Das Währungsproblem hofft man zu Beginn des neuen Jahres in Angriff nehmen zu können, um damit dann die große Finanzreform zum Abschluß zu bringen Es sei jedoch nochmals betont, daß es sich bei allen diesen Plänen noch nicht um endgültige Beschlüsse handelt. Oie Hilfe für Rußland. Politische Wirkungen der Not. Die Nachrichten aus Rußland lauten nach wie vor erschütternd. Nach bolschewistischen Blättermeldungen hätten die russischen Eisenbahnen, die den Verkehr mit dem Donezbecken unterhalten und die Ukraine mit Zentral rußland verbinden, am 25. Juli nur noch für drei Tage Heizmaterial gehabt. Um eine Katastrophe zu vermeiden, wurde alles vorhandene Brennmaterial beschlagnahmt und der an sich schon sehr eingeschränkte Eisenbahnver kehr weiter eingeschränkt, was die Lage im Hungergebiet verschlechterte. Auch die Kohlenindustrie im Dongebiet wird von Verkehrseinschränkungen betroffen, fo daß da durch die Zufuhr von Lebensmitteln für die Gruben arbeiter erschwert wird. Aus zuverlässiger Quelle wird mitgeteilt, daß bis Ende Juli gegen 130 000 Personen an Cholera ge storben sind. Sowjctbeschlüsse. In Moskau fand eine Sitzung des Sowjetrates unter Lenin zur Bekämpfung des Hungers und der Cholera statt. Unter anderem wurde beschlossen, die erhöhten Verpflegungs portionen für Angestellte und Spezialisten auszuheben. Bror darf nur Pfund auf drei Tage verausgabt werden. Sämt liche Getteidevorräte der Bauern jener Gouvernements, die nicht von Mißernte betroffen sind, sind zu requirieren. Ferner wird allen Bewohnern der choleraverseuchten Zonen bei Todesstrafe verboten, jene Zonen zu überschreiten. Bezüglich der Auslandspolitik verlautet, daß die Sowjetregie rung gegen alle Staaten, die das hungernde Rußland mit Lebensmitteln versorgen werden, einen radikalen Wechsel ihrer Politik vornehmen wird. Das letztere wäre allerdings sehr zu hoffen. Es geht nicht an, daß die Bolschewisten fortfahren, die Existenz der selbst schwer notleidenden Völker zu untergraben, die von ihren kargen Existenzmitteln ihnen noch möglichst viel abgeben sollen! Das Rote Kreuz. Der Präsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, Ador, hat das deutsche Rote Kreuz ein geladen, an einer Konferenz in Genf, am 15. August, teil zunehmen. Auf dieser Konferenz soll die Frage einer internationalen Rotkreuzhilfe für Rußland beraten wer den. Der Präsident des deutschen Roten Kreuzes, Landcs- direktor v. Wmterfeldt, hat geantwortet, daß das deutsche Rote Kreuz der Einladung entsprechen werde. Das deut sche Rote Kreuz stehe auf dem Standpunkt, daß angesichts der Größe des russischen Problems nur auf breitester internationaler Basis dem notleidenden Rußland wirk same Hilfe gebracht werden könne. Die bereits eingeleitete Hilfsaktion des deutschen Roten Kreuzes auf sanitärem Gebiete wird hierdurch nicht berührt. Oie Abrüstungskonferenz Japan und Amerika. Laut „Exchange" stehen für die Tagesordnung der Washingtoner Abrüstungskonferenz fölgende Richtlinien fest: 1. Anerkennung der offenen Tür im fernen Osten und am Stillen Ozean; 2. Aufrechterhaltung der poli tischen und territorialen Unverletzbarkeit Chinas; 3. Un verletzbarkeit Rußlands, besonders Sibiriens. Hierzu sagt Oberst House in einem Telegramm an Phila delphia Public Ledaer: „Es besteben viele Fraaen. welche uno nmo mr wenigstens vierzehn Tage nach Helgoland gehen sollte. Das geschah denn auch, und Ilse erholte sich dort sichtlich. Herbert begleitete sie, wenn sie im Boot mit Werner und der Kinderfrau zur Düne fuhr, um dort zu baden und Stunden in Ruhe und Stille zu verbringen. Er holte sie auch wieder ab. Er umgab sie mit zarter Aufmerksamkeit, er streichelt« vft ihre Hände, er führte sie sorglich, wenn sie im Unter- land oder auf dem Oberland spazieren gingen. Oft stieg in Ilse der Wunsch auf, daß diese Tage kein Ende nehmen möchten, und wieder und wieder kam ein Flehen über ihre Lippen, daß sie lieber sterben möchte, als noch einmal in jene furchtbare Einsamkeit verfallen, die ihr Herz und Seele zerrissen hatte. Aber sie starb nicht, sondern wurde kräftiger von einem Tag zum anderen. Und Herbert blieb sich gleich in seinem Wesen, ließ sie nie wieder so allein, auch nicht, als sie wieder nach Kaltenborn zurückgekehrt waren. Er widmete ihr so viel Zeit, als er überhaupt erübrigen konnte, sprach auch mit ihr über literarische Themata, die er im Lauf des Winters bearbeiten wollte. Aber immer wieder beschlich sie das Gefühl: er tut es aus Reue, er tut es aus Rücksicht, aber in seinem Herzen ist kein Verlangen nach mir. Ach! wenn doch nur ein mal seine Augen sie suchen möchten mit dem Ausdruck starker Liebe! Sie wollte warten, warten, und sagte sich immer wieder, daß, wem nicht goldener Sonnenglanz fürs Leben beschieden ist, sich mit dem ruhigen Glanz der Sterne be- gnügen soll. Als Weihnacht isich wieder näherte, beschlich sie eine große Angst. Sie wußte ja jetzt, welche entsetzliche Erinnerung für Herbert mit dem Weihnachtsabend zusammenhing, und sie hätte am liebsten alles von ihm ferngehalten, was über haupt weihnachtsmäpig erschien, aber sie komnte und durfte als Schloßherrin nichts versäumen. In derselben Weise wie bisher mußte alles für die Leute eingerichtet werden, aber sie vermied es noch ängst licher als früher, mit Herbert über irgend etwas zu Weih nacht Gehörendes zu sprechen. Und er selbst schien geflissentlicher als je auch die leiseste Weihnachtsandeutung zu vermeiden. Und das verursachte ihr heimliches, tieses Weh, ob gleich sie sich selbst oorhielt, daß sie es gar nicht anders erwartet habe. Am Vormittag des 23. Dezember fragte sie ihren Mann, als verstehe sich das ganz von selber: „Fährst du heut abend fort oder morgen früh?" ^Morgen in der Frühe, Kind," sagte er. (Schluß folgt.)