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Wilsdruffer Tageblatt : 15.07.1921
- Erscheinungsdatum
- 1921-07-15
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1782027106-192107153
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1782027106-19210715
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1782027106-19210715
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Bestände des Heimatmuseums der Stadt Wilsdruff und des Archivs der Stadt Wilsdruff
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Wilsdruffer Tageblatt
-
Jahr
1921
-
Monat
1921-07
- Tag 1921-07-15
-
Monat
1921-07
-
Jahr
1921
- Titel
- Wilsdruffer Tageblatt : 15.07.1921
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ländischen Militärgerichtshöfen überein. Die Eindrücke, die er davon empfangen, seien durchaus günstig. Wohl würde er sich für den Fall, daß er die Debatten hätte lei ten müssen, in einzelnen Unterteilen anders verhalten haben. So würde er z. B. keine Debatten über die Natio nalität eines Zeugen zugelassen haben. Es komme doch gar nicht darauf an, ob ein Zeuge Elsässer oder Reichs deutscher sei. „Präsident Schmidt leitet die Verhandlungen mit bewun dernswürdiger Unparteilichkeit. Auch der Oberstaats anwalt Dr. Ebermader ist eine fesselnde Figur, ein Mann aus einem Guß. Er verhilft der Anklage zu ihrem vollen Recht. Die Enttäuschung und das unbefriedigte Gefühl über den Ab lauf der Prozesse, die sich außerhalb Deutschlands unter Laien geltend machen, werden von den Juristen in den verschiedenen Ländern nicht geteilt. Diese urteilen, gleich mir, im allge meinen günstig." Bombrnanschräge in Braunschweig. Braunschweig, 13. Juli. In der vergangenen Nacht sind hier wieder zwei Bombenan'-^'läge verübt worden. Der eine richtete sich gegen das Haus des Gcrichtschemikers Dr. Nehring in der Bismarcksiraße. Die Ostseite des Hauses mit dem im Erdgeschoß gelegenen Laboratorium wurde fast voll ständig "zerstört. Menschen wurden nicht verlebt. Der zweite Anschlag richtete sich gegen die Garnisonkirche im Stadtpark. Es wurde nur ein geringer Schaden verur sacht. Von den Tätern fehlt jede Spur. In Verbindung mit diesen Bombenanschlägen steht wahrscheinlich ein überfall auf einen Schutzpolizeibe amten, der in der vergangenen Nacht von fünf Männern im Prinzcnpark angefallen und überwältigt wurde. Der Beamte wurde in hilflosem Zustande aüfgefunden und liegt besinnungslos im Krankenhause. politische Rundschau. Deutsches Reich. Reichskanzler Wirth an die Friedens Frauenliga. Der Reichskanzler hat an den in Wien tagenden Kongreß das nachstehende Begrüßungstelegramm gerich tet: Dem dritten Kongreß der Internationalen Frauen liga für Frieden und Freiheit, die sich die Schaffung einer Atmosphäre der Verständigung unter den Nationen und die Verhinderung neuer Kriege zur Aufgabe gesetzt hat, wünsche ich für die derzeitige Tagung und ihre idealen Bestrebungen von ganzem Herzen Erfolg. Reichstagspräsidcnt Locbe mundtot gemacht. In einer großen Arbeitervcrsammlnng zu Halle sprach Reichstagspräsident Locbe über die kommenden parlamentarischen Kämpfe. Die Versammelten, zum großen Teil Kommunisten, die mit den Ausführungen nicht einverstanden waren, suchten die Versammlung zu sprengen. In der Diskussion kam es zu Prügeleien. Die Versammlung mußte aufgelöst werden.' Zur Festigung des Markkurscs. Eine aus acht Mitgliedern zusammengesetzte M'^'on von Vertretern der amerikanischen Großfinanz b-a sich tig , dieser Tage mit den amtlichen deutschen Stellen Füh lung zu nehmen und sich dabei vor allem mit der Frage einer Stabilisierung der deutschen Valuta zu befassen. Bayern gegen die Bierstcuer. Der bayerische Finanzminister hat in Berlin neuer dings gegen den Plan einer Vervierfachung der Bier steuer Stellung genommen. Das Reichsfinanzministerimn sieht aber keine Möglichkeit, auf eine erhebliche Mehr belastung des Bieres zu verzichten. Viehverschleuderung in Bayern. Im bayerischen Landtag ist von der bayerischen Mit- telvartei und der Deutschen Volksvartei eine Interpella tion eingebracht worden,'was die Regierung zu tun ge denke, um der Viehverschleuderung entgegenzutreten, die in der Pfalz und in Nordbayern infolge der großen Trockenheit eingesetzt hat. Französische Truppenmanöver in der Pfalz. Die Westpfalz steht seit einigen Tagen im Zeicyen großer Truppendurchmärsche. Französische Artillerieregi menter, Jägerbataillone und Jnfanterieabteilungen durch ziehen in feldmarschmäßiger Ausrüstung die Ortschaften. Die ländlichen Orte werden stark mit Einquartierungen belegt. Bei dem Wohnungsmangel ist die Unterbringung nahezu unmöglich. Das Marschziel der Truppen ist Bitsch, wo Scharfschießübungen abgehalten werden. Holland. X Holländische Bewegung gegen die schwarzen Truppen im Rheinland. In Deventer bildete sich eine vorläufige Kommission, die es sich zur Aufgabe macht, in allen Städten Komitees zu bilden, um gegen die Besetzung der Rheinlands durch schwarze Truppen Einspruch zu er heben, die, wie ein Rundschreiben der Kommission er klärt, eine Missetat gegenüber unserer Rasse und ein Hohn auf die Kultur ist. Die Tat der Franzosen über treffe an Barbarei alles, was die Weltgeschichte zeige. Dadurch, daß wir dagegen Einspruch erheben, so erklärt die vorläufige Kommission, verrichten wir ernste Kultur arbeit, die in weiterer Zukunft Europa vor neuem Un glück, neuen Morden und neuem Unheil behüten kann. Großbritannien. X Für den Anschluß Deutschlands an den Völkerbund. Balfour erklärte in einer auf der Reichskonserenz ge haltenen Rede, eine der größten Schwierigkeiten für den Völkerbund sei das Fehlen dreier der größten Nationen der Welt. Von diesen würden Amerika und Rußland sich kaum in naher Zukunft anschließen; er hoffe, daß Deutsch land in einem nicht sehr entfernten Zeitpunkt Mitglied des Völkerbundes werde. Das verssnkie LazareMKiff. Der U-Boot-Prozetz vor dem Reichsgericht. 8 Leipzig, 13. Juli. Im Prozeß Dittmar-Boldt wurde die Zeugenvernehmung fortgesetzt. Der vierte Offizier der versenkten „Llandovcrv Castle", Barton, behauptet, daß das U-Boot verschiedene Versuche gemacht habe, die Rettungsboote zu rammen. Sein Boot sei mehrmals mit Granaten beschossen worden. Ein Zeuge Potts, der sich als Gefangener an Bord des deutschen U-Bootes befand, hat die Torpedierung der „Llandovery Castle" mit angesehen, aber Einzelheiten über das Abfeuern der Schüsse nicht beobachtet. Zwei Schissskellner, die auf der „Llandovery Castle" beschäftigt waren, erklären mit aller Be stimmtheit, daß sie nie Munition auf dem Schiffe gesehen hätten: es sei niemals zu anderen als Lazarettzwecken benutzt worden. Der frühere Seeoffizier Charles Furing bekundet, daß die „Llandovery Castle" 19 Rettungsboote hatte, die 1000 Personen fassen konnten. Nach der Torpedierung seien von der irischen Küste ans Nachforschungen nach umhertreibenden Booten veranstaltet worden, aber man habe keine gefunden. Als erster deutscher Zeuge wird der Kanallotse Popitz, der auf U 86 Steuermann war, vernommen. Er betont, daß Oberleutnant Dittmar und er selbst gegen die Torpedierung der Lazarettschiffes gewesen seien. Man habe lange überlegt, "b ge-euert werden sollte, und der Kommandant des U-Bootes habe st-b erst nach langem Zögern hierzu entschlossen. An der Nnglücks'telle habe man dann eine ganze Menge Menschen, die im Wasser schwammen, gesunden. Da diese Menschen 500 bis 600 Meter vom Schiss entfernt gewesen seien, habe mau annehmen müssen, daß die Boote, in denen ne sich retten woll ten, bereits untcrgeganacn seien. Daß ein Boot bei der Ret tungsaktion zerstört worden fei, habe er nicht beobachtet. Hierauf wurden die Leumundszeugen der Angeklagten ver nommen. Oberleutnant z. S. Gühler stellt dem Angeklagten Boldt sowohl in dienstlicher wie auch persönlicher Beziehung das beste Zeugnis aus. Auch Kapitän z. S. a. D. Böcker (Hamburg) spricht sich günstig über den Angeklagten aus. Kapi tän z. S. Heinicke (Hamburg) charakterisiert den Angeklag ten Dittmar als einen pflichttreuen Offizier, der auch bei den Kameraden sehr beliebt gewesen sei. Weli- und VolkswrrischüfL. Der Stand der Mark. Die nachstehende Tabelle besagt, wieviel Mark für 100 Grüben, WO dänische, schwedische, norwegische, österreichische, ungarische oder ischechische Kronen, 160 schweizerische, belgische und französische Frank, lOV italicnW'. e Lire, sowie für 1 Dollar und 1 Pfund Stettin, gezollt wurden. « * .>4" --- ongeboten: „Geld" --- gesucht.! Börsenplätze 13. 7. Geld Brief IL. 7 Stand Geld! Brief IG. 1» Holland . . Gulden 2355,10 2359,90 Dänemark . Kronen 1191,30 1193,70 Schweden . Kronen >573,40 1576,60 Norwegen . Kronen 1008,95 l 006,05 Schweiz . .^Fraiik — — Amerika . . Dollar — — England . . Pfund 270,76 271,30 Frankreich . Frank — — Belgien. . . Frank — — Italien . . . Lire —— —— Dt.° Österreich Kronen 10,38 10,42 Ungarn. . . Kronen 26,27 26,33 Tschechien. . Kronen 99,65 - 99,85 2447,55 1223,75 1623,35 1038,95 1268,70 76,82 279,20 599,40 589,40 351,60 10,13 27,72 100,10 2452,45 1226,25 1626,65 104!,05 127l,30 76,98 279,80 600,60 5L0,60 352,40 10,17 27,78 160,40 170 Ml. 112 . 112 . 112 „ 72 . IM. 20,20„ 8« . 80 . 80 , 85 , 85 . 85 , Danach war also die Mark in Pfennigen ungefähr wert in Holland 6,8: Italien 22,6: England 7,2: Amerika 5,4; Frankreich 13,3. Frachtermäßigung für Lebensmittel. Seit dem 1. Juli ist der 50prozentige Gewichtszuschlag beim Eilgutversand sori- gefallen, so daß nunmehr nur das wirkliche Gewicht berechnet wird, eine Maßnahme, die insbesondere für die Transporte von Obst und Gemüse, Brot, Butter und Margarine von Be deutung ist. Sodann ist ein ermäßigter Ausnahmetarif für die Versendung von Milch geschaffen worden. Schließlich 'ft am 15. Juni ein Ausnahmetarif sür Fische in Kraft getreten, der durchschnittlich eine Frachtermäßigung um 50 Prozent in sich schließt. Weitere Vergünstigungen, insbesondere auch sür den Transport von Düngemitteln, stellen aber in Aussicht. v rmoywayerpraye Nyein-Main-Donau. In den nächsten Tagen wird die Gründung einer Aktiengesellschaft stattfinden, die den Ausbau der Großwasserstraße Rhein-Main-Donau durchführen wird. Die bayerische Regierung hat bereits dem Landtag den Entwurf eines Gesetzes vorgelegt, durch das sie ermächtigt werden soll, einen entsprechenden Anteil der Aktien zu übernehmen. An dem Kapital des Unternehmens solle das Reich mit 45 Prozent, Bayern mit 26 Prozent beteiligt werden, während die übrigen 29 Prozent von sonstigen Interessenten, n. a. verschiedenen Rbeinstädten. übernommen werden sollen Nah und Kern. o Die Briefmarken-Hochflut. Nie zuvor sind auch nur in annäherndem Ausmaß so viel neue Marken heraus gegeben worden wie seit dem Ende des Weltkrieges. Allein in der Zeit vom 1. Oktober 1920 bis 31. Mai 1921 sind nach zuverlässiger Berechnung annähernd 19 000 neue Briefmarken ohne Berücksichtigung der Abarten bekannt geworden. O Geldschrankknacker bei einem englischen Konsul. In Hamburg drangen Einbrecher in das britische Konsulat ein. Nachdem sie den modernen Geldschrank auf einer Seite „angeknabbert" hatten, raubten sie 150 englische Pfund in englischen Noten zu 20, 5 und 1 Pfund sowie 8000 Mark deutsches Geld. O Verzweiflungstat eines Familienvaters. Der 43- jährige Lehrer Lembke in Erfurt hat im Glauben, daß er seine Familie nicht mehr ernähren könne, seine Frau und feinen 13jährigen Sohn mit einem Hammer erschlagen und sich dann aufgchängt. O Zwei Raubmörder wurden in Berlin von der Kri minalpolizei unschädlich gemacht. Die Verhafteten, ein Arbeiter Koppe und ein Arbeiter Freimuth, sind überführt und geständig, im Mai d. I. im Walde bei Königswuster hausen die frühere Schauspielerin Krell ermordet und be raubt zu haben. O Amundsens Schiff gesunken. Einer Nachricht aus Washington zufolge ist das Expeditionsschiff des norwegi schen Nordpolfahrers Amundsen von einem amerikani schen Küstenwachtschiff aufaekunden und bei Whale an der Mag auch die Liebe weinen..., 49j Roman von Fr. Lehne. Oopvrißkt 1913 Oreiner üc Oomp., Herlin W Z0. Bestürzt blickte Lori die Mutter an, deren Worte sie nicht verstand, deren Gebühren für sie etwas Seltsames, fast Irr sinniges hatte. Bang fragend kam es von ihren Lippen: „Mutter, kennst Du denn Rüdiger?" „Und ob ich ihn kenne!" Dann zu dem Legationsrat ge wandt, der sie ansah und in seiner Erinnerung nach dem früheren Zusammentreffen mit ihr suchte: „Herr Graf Allwörden, kennen Sie mich denn nicht wieder? Besinnen Sie sich! Als wir uns zum ersten Male sahen, war meine Tochter allerdings kaum sünf Jahre alt und sechzehn Jahre sind eine lange Zeit —" Da wußte er mit einem Male, wem diese unheimlich leuchtenden Augen gehörten: er stand Frau Maria Wirlberger, der ersten Frau seines Bruders gegenüber — und diese Frau war die Mutter des geliebten Mädchens! Diese Entdeckung brachte ihn doch aus dem Gleichgewicht. Ottokars Wunsch, seine Familie zu finden, hatte sich ungeahnt schnell erfüllt. Sein Blick flog zu Lori — wußte sie etwa —? Doch als er ihr ängstliches, verstörtes Gesichtchen sah, tat er ihr im stillen Abbitte, daß für die Dauer einer Sekunde schattengleich der Verdacht in ihm ausgetaucht war, sie habe ein listiges Spiel mit ihm getrieben. Nein, sie war ganz ahnungslos, das süße, un schuldige Kind! Er legte seinen Arm um sie, dann sagte er, Frau Bergers Blick ruhig erwidernd: „Ja, jetzt erkenne ich Sie wieder, gnädige Frau!" Lori preßte ihr Gesicht gegen seine Schulter. „So sage mir doch, Rüdiger mir ist so bang —" „Mein liebes Mädchen, sei stark! Du wirst jetzt etwas er- sahren, was Dich sehr überraschen mag — so höre denn:" „Lori, komm her zu Deiner Mutter," unterbrach ihn Frau Berger und faßte ihre Tochter am Arm, „von mir soll sie es er fahren, nicht von Ihnen Lori, sieh Dir den Herrn da ge nau an: er ist's, der Dir Deinen Vater genommen und Deine Mutter zum unglücklichsten, elendesten Weibe gemacht hat." Lori stieß einen markerschütternden Schrei aus; sie klam merte sich fest an Rüdiger an und sah mit schreckerfüllten Augen in sein totenblasses, ernstes Gesicht. „Rüdiger, sage nein —es ist nicht wahr, was Mutter be hauptet — das kann doch nicht sein!" „Es ist auch nicht so." Er streichelte sie, wie man ein weinendes Kind streichelt, um es zu beruhigen. Sie atmete tief und befreit auf, und beglückt fühlte er ihre Hinneigung zu ihm. „Nein, meine Lore, ich bin nicht schuldig, wessen Deine Mutter mich anklagt! Sie ist aufgeregt durch meinen unver muteten Anblick, und ich kann es ihr nachfühlen. Jetzt höre mich an, ganz ruhig," er drückte ihren Kopf an seine Brust. „Lore, Du bist eine Tochter meines Bruders Ottokar." Da riß sie sich fast wild von ihm los und starrte ihn wie abwesend an. „Ich — eine Tochter Deines Bruders Ottokar? Man hat mir doch immer gesagt, mein Vater sei schon lange Lot — und dann, Rüdiger — dann wärest Du doch mein Oheim —" „Ja — das heißt, nur den Vater habe ich gemeinsam mit Deinem Vater." „Und — Du — hast — das gewußt?" „Erst seit dem Augenblick, da ich Deine Mutter wieder erkannte." Lori griff sich, das alles nicht begreifend, an den Kopf; ihre Augen irrten von einem zum andern, Auskunft heischend. „So redet doch, sagt doch! — Mutter, aber Du hast es ge wußt! Deshalb redetest Du mir damals zu, nach Lengefeld zu gehen — zu meinem Vater " „Ja, ich habe es gewußt, mein Kind! Doch aus bestimmten Gründen ließ ich Dich in Unkenntnis." „Und Erich — weiß er?" „Erich weiß alles." „Und ich nichts! — Dann wäre ja Sissi meine Schwester," rief sie plötzlich „und Ossi war mein Bruder! Mutter, damals, als das Entsetzliche geschehen, das mich so niederzog und mich beinahe um den Verstand brachte, — damals selbst hast Du geschwiegen." Sie schauerte in sich zusammen. „So er klärt mir doch endlich " „Das ist mit wenigen Worten geschehen, mein Kind! Vor nunmehr einunddreißig Jahren, Lori, hat Dein Vater, der Graf Ottokar Allwörden, bei meinen Eltern in Innsbruck als junger Maler gewohnt. Wir lernten uns lieben und heirateten uns auch im Ausland gegen den Willen unserer beiderseitigen Eltern. Als Du drei Jahre alt warst, wurde Dein Vater nervenkrank und dadurch arbeitsunfähig. Er war als Künstler auch nie so anerkannt, wie er gehofft — pekuniäre Sorgen drückten uns sehr. Schließlich wandte sich Dein Vater an seine Familie, die sich seiner auch annahm. Sie schickte ihn in ein Sanatorium — ich konnte das ja nie bezahlen — und zur Nachkur behielt man ihn gleich ganz auf Lengefeld. Ließ ihn trotz meiner Briefe und Bitten nicht wieder zu mir, zu seiner Familie." „find eines Tages kam Graf Rüdiger," fuhr sie mit er hobener Stimme fort, den Legationsrat fest ansehend, „er kam — und bot mir — Geld, daß ich auf meinen Mann, Euren Vater, verzichte, find als ich natürlich nicht darauf einging, sagte er mir kurz und kalt, daß meine Ehe mit Deinem Vater ungültig sei, j daß wir überhaupt keine Ansprüche an ihn haben. Nach der : Meinung des Herrn Legationsrates wäret ihr — Du und Erich ! — also illegitime Kinder." Lori schluchzte laut aus; sie verbarg das Gesicht in ihren Händen. Rüdiger preßte die Lippen fest aufeinander. Er war sehr blaß geworden. Wie geschickt die Frau zu erzählen verstand! Alles war wahr — und dennoch — sie hätte auch eine andere, schonendere Art des Berichtes finden können. Jedes Wort war in Haß und Rachsucht getränkt. „Ja, Lori, der Herr Legationsrat war damals noch ein ganz junger Mensch, voller Hochmut und Familienstolz, und voller Nichtachtung gegen die Gastwirtstochter, die sich in seine Fa milie gedrängt. Die man wie ein lästiges Insekt abschütteln mußte — um jeden Preis! Seinem Einfluß ist es auch zuzu schreiben, daß Euer Vater nichts mehr von uns wissen wollte, obgleich ich mit Erich in Lengefeld war." „Ihr wart in Lengefeld?" stieß Lori mit bebender Stimme hervor. Die Mutter nickte. „Ja, es war an einem Regentage — als ob es gestern ge wesen sei, so steht der Tag in meiner Erinnerung ich habe Deine Großeltern dort gesehen und auch die zukünftige Gräfin Allwörden." „Dann wissen Sie jedenfalls auch, daß ich die wenigste Schuld trage," sagte Rüdiger, „doch wenn Sie, was Sie damals erfahren haben, Lori verschweigen — ich will es wahrhaftig nicht sein, der das ausspricht, was mein Eingreifen in dieser Sache doch etwas anders erscheinen läßt! Sollte —" „Ah, Sie meinen, weil Ottokar eine Jüngere und Schönere gefunden hatte in dem jungen Mädchen mit dem roten Haar? Doch ich kann mir so genau denken, wie alles gekommen ist. Ottokar war ein Künstler, find er war sehr schwach und leicht zu beeinflussen; das weiß niemand besser als ich! Diese Schwäche hat man klug benutzt; die junge Gräfin in Ihrem Hause war schön und reich — war eine standesgemäße Partie — man hat ihm das eindringlich vorgestellt. Schließlich hat er nachgegeben — er war der Aeltere, das Majorat gehörte ihm! find ihn von einer Frau zu befreien, die eigentlich vor dem Gefetz gar nicht seine Frau war — das zu bewerkstelligen war für einen Juristen und Diplomaten ein Kinderspiel." Mit herausforderndem Blick maß sie ihn, als sie jetzt etwas erschöpft von ihrer Rede innehielt. „Mutter, nein — das hat Rüdiger nicht getan!" schrie Lori auf, „nein, nein." „Es ist sehr unrecht von Ihnen, gnädige Frau, Lore diese traurigen Geschichten in einem Licht darzustellen, das mich i» ihren Augen notwendig herabsetzen muß," entgegnete Rüdiger mit zornbebender Stimme; doch er bewahrte seine Haltung. (Fortsetzung folgt.)
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