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Wilsdruffer Tageblatt : 24.06.1921
- Erscheinungsdatum
- 1921-06-24
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1782027106-192106245
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1782027106-19210624
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1782027106-19210624
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Bestände des Heimatmuseums der Stadt Wilsdruff und des Archivs der Stadt Wilsdruff
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Wilsdruffer Tageblatt
-
Jahr
1921
-
Monat
1921-06
- Tag 1921-06-24
-
Monat
1921-06
-
Jahr
1921
- Titel
- Wilsdruffer Tageblatt : 24.06.1921
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Entwurf Vorlagen oder im Kabinett beraten werden. Vucy über den voraussichtlichen Ertrag der zu erwartenden Steuern gab der Reichskanzler Aufschlüsse. Als nächste Steuer dürste die Körperschaftssteuer verwirklicht werden, in deren Beratung der Reparationsausschutz des Reichswirtjchaftsrates cintritt. In der nächsten Woche wird der Reichskanzler noch einmal ausführlich im Reichs- wirtschastsrat das gesamte Finanzproblem und die Deckungsfrage des Ultimatums erörtern, über die neuen Steuern verlautet, datz die Reichsregierung vor allem ver suchen wird, sich wenigstens über einen Steuerrahmen zu einigen. Die Verhandlungen mit den Parteien sind bereits darüber im Gange. Man will eine eigene Steuerkom mission bilden, damit diese in den Ferien das Material für das Plenum verhandlungsreif macht. politische Nundschau. Deutsches Keich. Rückerstattung der Ausfuhrabgabe. Im Ausschuß des Reichswirtschaftsrats führte der Vertreter des Reichsfinanzministeriums aus, da es nicht möglich sei, die deutschen Exporteure aus ihr Geld warten zu lassen, bis die Liste der Gutschriften, die allein eine völlig genügende Kontrolle bilden würde, von den be schlagnehmenden Ländern eingehl, soll die Einreichung der Quittung, die die feindliche Zahlstelle bei der Beschlag nahme ausstellt, als Unterlage für die Rückerstattung der Zahlung genügen. Vertreter der Industrie und des Han dels bemängelten diese Angaben und beantragten, datz grundsätzlich das Reich die volle durch die Sanktionsab gabe verlorene Summe ersetzen soll in der Weise, daß der Exporteur am Tage der Auszahlung den Betrag in glei cher ausländischer Währung beschaffen kann. Der Antrag wurde mit geringer Mehrheit gegen die Stimmen der Ar beitnehmer angenommen. Die Einrichtung der Finanzgerichte. Nach den Regierungserklärungen im Reichstage steht die Begründung der Finanzgerichte in kurzer Zeit bevor. Die Verschiedenartigkeit der Verhältnisse in den einzelnen Landcsfinanzamtsbezirken machte die eingehende Betei ligung der Landesregierungen und Landesfinanzämter an den Vorarbeiten erforderlich. Als Ergebnis der Ver handlungen ist vor einiger Zeit Len Landesregierungen und Landesfinanzämtern ein Entwurf der zu erlassenden Bestimmungen zur Stellungnahme zugegangen. Die end gültige Fassung der Bestimmungen wird in den nächsten Wochen vorliegen. Die Einrichtung der Finanzgerichte ist alsdann lediglich eine Aufgabe der Organisation, deren Durchführung mit möglichster Beschleunigung erfolgen wird. Die Abtragung der Reparationsschuld. Die Pariser Ausgabe des „New Dork" erklärt, in unterrichteten Kreisen glaube man, daß der französische Plan, die deutsche Reparationsschuld durch beschränkte Ausgabe von Schuldverschreibungen seitens der einzelnen alliierten Gläubiger flüssig zu machen, binnen kurzem von der Reparationskommission gutgcheißen werden dürfte. Die amerikanische Finanzwelt werde den Plan begünsti gen. In einer Sitzung der Finanzdelegierten werde man sich auch von neuem mit dem Preise der auf dem Wasser wege von Deutschland gelieferten Kohle und mit der Ver teilung der in Spa festgesetzten 6)4 Prozent der deutschen Entschädigung unter die kleinen Mächte beschäftigen. Aufhebung der sächsischen Sondergerichte. Im Hauptausschuß des Reichstages teilte Geheimrat Brecht aus der Reichskanzlei im Verlaufe der Verhand lungen mit, daß die Verordnung zur Aushebung der Aus nahmegerichte in Sachsen soeben vom Reichspräsidenten gegengezeichnet worden sei und alsbald veröffentlicht werd«. Großbritannien. X Die irische Frage. Die Abreise des britischen Königs- Paares von London nach Irland ist erfolgt. Eine riesige Menschenmenge sang auf dem Bahnhofe die National hymne und rief dem Königspaare glückliche Reise zu. In Belfast sind vom Militär und von der Polizei ganz außer ordentliche Schutzmaßnahmen getroffen. Alle Zugänge zu den Dächern der Häuser, die an der Straße liegen, durch die sich das Königspaar begibt, müssen gesperrt sein. In der Grafschaft Cork haben Sinnfeiner das Schloß des Lords Bandon beschossen und verwüstet. Der sechzigjährige Lord wurde entführt. Über sein Schicksal ist noch nichts bekannt. Das Oberhaus hat mit 66 gegen 57 Stimmen einen Antrag abgelehnt, worin die Regie rung gefragt wurde, welche Abänderungen sie bezüglich des Gesetzes über die Regierung für Irland vorzuschlagen bereit sei, und ob sie Willens sei, Verhandlungen zuzu stimmen, durch die die gegenwärtigen Schwierigkeiten in Irland beseitigt werden können. Großbritannien werde mit äußerster Zähigkeit alle SonderbestreSungen in Jr- oland niederschlagen. In Belfast erfolgte die Eröffnung des Ulsterparlaments durch den König. KußlanS. X Baueruaufruhr. Nachrichten aus Helsingfors be sagen, daß der Bauernaufruhr im östlichen Rußland eine ernste Wendung genommen hat. Die Sowjetregierung Hal sich gezwungen gesehen, bedeutende Truppentrans porte dorthin abzuscnden. General Swietjin hat den Oberbefehl über sämtliche Truppen zur Unterdrückung Les Aufruhrs übernommen. Bus Moskau wird berichtet, datz alle Studenten den Befehl erhalten haben, die Stadt so fort zu verlassen und sie vor dem 15. September nicht wieder zu betreten. Der Befehl wird amtlich mit dem herrschenden Lebensmittelmangel begründet, der wirkliche Grund soll jedoch in der unter den Studenten bestehenden Gärung zu suchen sein. Amerika. X Die Gesellschaft der Nationen. Zwei südamerika nische Regierungen haben ihre Vertreter in Washington um Berichte über den Hardingschen Plan einer neuen Gesellschaft der Nationen ersucht. Dis Hauptpunkte der den Vertretern gegebenen Antwort sind folgende: Die Ge sellschaft werde zunächst ohne geschriebene Verfassung bleiben. Sie werde nm einem Rat aus Vertretern einer Anzahl von Nationen arbeiten, deren Entscheidungen mehr beratenden als bindenden Charakter haben sollen. Der gegenwärtige Oberste Rat werde als Kern für die Gesell schaft benutzt werden. Ein internationaler Gerichtshof ohne zwingende Schiedsgerichtsgewalt und ohne Straf mittel solle gebildet werden KaLr über Herr Kall Gareis. u. München, 22. Juni. Die sozialistischen Parteien hatten im bayerischen Land tag Interpellationen zu der Tötung des Abg. Gareis einge- üracht. Begründet wurden die Anfragen durch die Abgg. Saenger von den Mehrheitssozialisten und Neumann von den Unabhängigen. Der Platz des getöteten Gareis war da bei mit Blumen und einem Lorbeerkranz geschmückt. Abg. Saenger sagte, daß seine Partei Wohl bereit wäre, die Folgerung aus dem parlamentarischen System zu ziehen und den aus sie entsagenden Anteil der Verantwortung in der Regierung zu übernehmen, daß sic aber die jetzige Regierung wie jede andere Regierung, die in der Frage der Beziehungen zum Reich und in kulturellen und wirtschaftspolitischen Fragen nicht einen anderen Weg einschlage, bekämpfe. Auch dieser Redner erklärte, wie vorher schon der Unabhängige, daß es sich bei dem Morde an Gareis um eine politischen Mord handle. Nord und Süd. X Ministerpräsident v. Kahr gab bei der Beantwortung namens der Regierung dem Abscheu über den Frevel an Gareis Ausdruck und betonte, daß vor endgültiger Aufllärung ser Motive kein Recht dazu gegeben sei, den Mord als politisch hiurmtellen. Er dankte den Teilen der Arbeiterschaft, die sich Mag auch die Liebe weinen... 29j Roman von Fr. Lehne. Lopz-rigkt IS13 dv Orsiner k Lomp., Lettin VV 30. — Das zum zweiten Male frisch eingesüllte Teewaster begann schon wieder zu sieden, als die Gräfin Allwörden in lebhaftem Geplauder mit Baron Vultach aus dem Park kam, beide ganz ! in Weiß, den Tennisschläger in der Hand. Sie sahen sehr erhitzt aus. Gräfin Lella machte ganz den Eindruck eines jungen Mäd- i chens in dem kurzen Kleid und dem heruntergebogenen Panama, s Lore goß den Tee auf, während die beiden langsam die Freitreppe heraufschritten. Baron Vultach stutzte bei ihrem Anblick; er sah sie zum ersten Male und wußte nicht, wer sie war. Respektvoll verneigte er sich, da sie einen so durchaus vornehmen Eindruck machte. Die Gräfin runzelte die feinen Brauen, denen sie mit dem Stift etwas nachgeholfen hatte, als sie die junge Erzieherin am Teetisch hantieren sah. „Wo ist Betty?" fragte sie kurz, dabei mit einer herrischen s Gebärde Lore ihr Racket hinreichend. „Betty hat sich vorhin in die Hand geschnitten, Frau Gräfin, s und hat mich gebeten, ihre Stelle zu vertreten." „Jean ist doch da." „Jean hat den Herrn Grafen um Erlaubnis gebeten, ins s Dorf zu gehen, und da —" „Schon gut! Wozu hat man da Personal." Lella lachte ! kurz und unwillig auf. „Nehmen Sie Platz, Baron — da — mir gegenüber." Leo Vultach drückte feinen hageren Körper in den Peddig- - rohrsesie! und richtete seine runden Pudelaugen in unverholener Bewunderung auf das junge Mädchen, das die Gräfin und ihn bediente. „Sagen Sie dem Herrn Grafen Bescheid, daß wir ihn zum Tee erwarten, bringen Sie mir einen Schal und bleiben Sie dann bei den Kindern," sagte Gräfin Lella nun zu Lore. Baron Leo Vultach war zu klug, um nach Lore zu fragen. Er wußte, datz man vor einer schönen, eitlen Frau kein Interesse j für eine noch schönere zeigen durste — besonders, wenn diese in untergeordneter Stellung war, wie das junge Mädchen hier; anscheinend die Erzieherin der Allwördenschen Kinder. Um die lohnte es sich wahrhaftig schon, hierher zu kommen ... Mit ihren weitzen, kleinen Händen bediente ihn Lella; sie warf ihm so kokette, schmachtende Blicke zu, datz er ihre Finger festhielt und einen leisen Kutz darüber hauchte. „Sie verwöhnen mich armen Junggesellen, Gräfin." „Es liegt ja an Ihnen, diesem bedauernswerten Zustand ein Ende zu machen, Baron." „Ich habe sie noch nicht gefunden, die eine, die mir als Ideal vorschwebt," erwidete er mit einem beredten Blick auf - Lella. Jetzt kam Graf Allwörden herbei und begrützte ihn. Eine oberflächliche Unterhaltung entspann sich. Dem Grafen sagte der junge, blasierte Vultach wenig zu, und es war ihm gar nicht an genehm, datz seine Frau einen regen, nachbarlichen Verkehr mit ihm pflegen wollte, um so weniger, da er nicht verheiratet war. Doch als er diese Gedanken Lella gegenüber geäutzert, war sie heftig geworden und hatte ihm erklärt, datz sie nach ihrem Willen handeln würde. Er, Ottokar, gönne ihr nur diese Ab wechslung nicht. Sie sei froh, zum Tennisspielen endlich einen Partner gefunden zu haben, denn Ottokar sei allerdings dafür zu alt, er müsse bedenken, daß sie achtzehn Jahre jünger als er wäre — und da war sie wieder bei dem beliebten Thema angekommen. Wieder fügte er sich und duldete einen ihm unsympathischen Mann an seinem Tisch, nur um des häuslichen Friedens und der Ruhe willen. Lella war vergnügungssüchtig, und sie verlangte täglich nach Abwechslung, nach Bewunderung und Huldigung ihrer Schön heit. Des Gatten war sie längst überdrüssig geworden. Der alternde Mann flößte ihr nur Ungeduld ein und Mißmut. — Wenn er sich wenigstens nicht so gehen lasten wollte! Die Hal tung seiner sonst so vornehmen Gestalt entbehrte jetzt ganz der Straffheit. Wie saß er müde in sich zusammengesunken, mit vor- t geneigten Schultern da! Leo Vultach war von tadelloser Eleganz — vom peinlich gezogenen Scheitel durch das spärliche Blondhaar bis zu den lila seidenen Strümpfen in den weißen Tennisschuhen. Der lila seidene Gürtel, die gleichfarbige Krawatte, das seidene Taschen tuch, alles patzte zusammen. Lella liebte diese sorgfältige Ele ganz an den Männern — ihr Gatte erschien ihr in dem Samt jackett, das er meistens trug, veraltet und lächerlich ... Die Einladung der Gräfin, zum Abendbrot dazubleiben, lehnte Baron Vultach für dieses mal dankend ab; er versprach dagegen, schon morgen wieder zum Tennisspielen zu kommen. Man wollte das schöne Wetter ausnützen. Am Sonnabend kam der Legationsrat, jubelnd von den Kindern begrüßt, die es sich nicht hatten nehmen lassen, ihn von der Bahn abzuholen. Erst zum Tee sah er Lori und begrützte sie in seiner ge haltenen Weise. Und er gewahrte den Funken der Freude, der unbewutzt in ihren Augen aufsprang, als er zur Begrützung ihre Hand in der seinen hielt — ein warmes, weiches Gefühl quoll in ihm auf, wie immer, wenn er dieses junge, schöne Geschöpf vor sich sah. Sie hatte ihm gefehlt — er fühlte es ganz deutlich — er hätte sie immer um sich haben mögen! Den Kindern hatte er allerlei mitgebracht, und Schwägerin Lella war sehr erfreut über die ausgesucht seine Bonbonniere und den neuen Roman, die er ihr überreichte. j von politischen Streiks ferngel-alten haben. Nationalistischen Chauvinismus werde die Regierung immer ablehnen und un billigen. Wo Rechtsmöglichkeiten zum Einschreiten gegen die Rechts-Ultras gegeben gewesen seien, sei stets eingegrifsen wor den. Der Ministerpräsident mahnte schließlich die Parteien, die politische Erziehung und höhere politische Kultur zu Pflegen, diese brauche man in erster Linie. Dann werde das gegensei tige Mißverstehen zwischen Nord und Süd, zwischen Reichs politik und bayerischer Politik verschwinden. Die wirtschaft liche und soziale Struktur Bayerns sei eine andere als im Reiche und in gewissen, politisch besonders einflußreichen Teilen dieses Reiches. Diese Verschiedenheit bedinge auch eine Verschiedenheit der Politik hier und dort, die sich praktisch darin ausdrücke, daß Bayern immer eine im Grunde stärker nach rechts gerichtete Politik getrieben werde, als dies im Reiche der Fall sei. Man müsse im Reiche erkennen, daß kein anderer der nationalen Einheit größere Opfer gebracht habe und fortwährend bringe, als Bayern, und man müsse sich namentlich in unitarischen Kreisen hüten, Bayern mehr zuzu- muten, als nach der Eigenart seiner Verhältnisse-, und nach den Zielen, die es unverrückt sesthalten müsse, wenn es sich nickn atK Staat aufgeben wolle, was es niemals tun werde, er träglich sei. ^acy ver Rede des Mimners mm es nurmnchen Aus tritten, weil die sozialdemokratischen Abgeordneten die Ent deckung gemacht zu haben glaubten, daß ihre Pulte im Plenum von Kriminalbeamten heimlich durchsucht worden seien. Land tagspräsident Königsbauer gab zwischen verschiedenen Ord nungsrufen die Erklärung ab, datz das Präsidium keinen Auf trag dazu erteilt habe. Er werde die Angelegenheit unter suchen lasten. Der Unabhängige Lumprich versicherte, die Stimmung in den Arbeiterkreisen sei jetzt so, daß, wenn noch einmal Meuchelmorde an einem sozialistischen Führer ge schähen, drei Führer von der anderen Seite daran glauben müßten. Neuffchep Rerchstüg. ll20. Sitzung.) c?L Berlin, 22. Juni. An der ersten Stelle der Tagesordnung für die heutige Sitzung stand die Interpellation des Zentrums wegen des Grubenunglücks bei Herne. Reichsarbeitsminister Brauns erwiderte im Namen der Regierung, daß die Beantwortung dieser Interpellation nur in Verbindung mit dem preußischen Handelsministerium ge schehen könne. Die Untersuchung wird erst im Lause dieser Woche abgeschlossen sein, so daß die Beantwortung in den ersten Tagen der nächsten Woche erfolgen kann. Die Regie rung will aber vcn Anlaß benutzen, schon jetzt auch von dieser Stelle aus, den Betroffenen ihr Mitgefühl auszudrücken. Inzwischen war ein Antrag Rosemann (U. Soz.) ein gegangen, der die Forderung enthielt, sofort einen Unter- luchungsausschutz zu bilden. Abg. Hue (Soz.) regte an, zu dieser Untersuchung Arbeitervertreter hinzuzuziehen. Arbeits- Minister Brauns sagte zu, diese Anregung dem preußischen Handelsministerium zu übermitteln. Hieraus wnrden die Gesetzentwürfe über die Änderung der Reichsversichcrungsordnung und die Abwicklung der Kriegs- gesellschasten an die betreffenden Ausschüsse verwiesen. Das selbe geschah mit dem Fernsprechgebührengesetz. Alsdann wurde in allen drei Lesungen der Gesetzentwurf über die Ein- und Ausfuhr non Kriegsgerät angenommen. Bei der dritten Lesung des Gesetzes über die Abgabe zur Förderung des Wohnungsbaues wurde unter Ableh nung der von der Rechten und äußersten Linken gestellten Ab änderungsanträge die Vorlage mit unwesentlichen Ände rungen nach dem Beschlusse der zweiten Lesung angenommen Die Gesamtabstimmung wurde aber noch vertagt, da es sich um eins Verfassungsänderung handelt, zu der eine Zweidrittei Mehrheu des Hauses erforderlich ist. Die heutige Besetzung war al sehr schwach. Ferner wurde das Gesetz über den Volkseru Leid ohne wesentliche Verhandlungen gemäß den Ansschußanträgen genehmigt. Vor der Abstimmung wurde die Beratung unterbrochen und zunächst die auf 2 Uhr nachmittags angesetzte, gestern vertagte namentliche Abstimmung über die Mißtrauenskundgcbung der Deutschnationalen wegen der Beamtenverfügungen vorgs- nommcn. Die äußerste Linke sonnte ebenfalls für die Mißtrauens- Kundgebung, die Deutsche Bolkspartei enthielt sich der Abstim mung. Tas Ergebnis war die Ablehnung der Kundgebung mit 210 Zegyn 67 Stimmen bei 45 Stimmenthaltungen. Später sah er im Atelier Ottokars neuestes Bild. Lange stand er davor. Wie gut der Bruder Lore Berger getroffen, wie liebevoll er all die Schönheiten ihrer Erscheinung herausgebracht hatte! Man sah ganz deutlich, mit welchem Intereste seine Hand den Pinsel geführt hatte. Reine Poesie strahlte das Bild aus. Wie leicht und duftig wirkte die Lust. Die Obstbäume in ihrem Blütenschnee standen wirkungsvoll gegen den blauen Himmel, saftig war der grüne Rasen, auf dem die Kinder saßen, aufmerksam auf das junge, lichtgekleidete Mädchen blickend, das in anmutiger Haltung nach dem Zweige eines Apfelbaumes griff und ihn zu sich herunterbqg. Schön wie eine Frühlingsgöttin stand sie da, und die Sonne hatte schimmernde Reflexe über ihr Haar gezaubert, daß es aufleuchtete, als sei es aus dunklem Gold gesponnen. „Nun?" fragte Graf Ottokar, den Bruder erwartungsvoll ansehend; er gewahrte wohl besten Bewunderung, die ihn mit tiefer Befriedigung erfüllte. „Seit Jahren sah ich von Deiner Hand kein so gutes Bild mehr! — Wirst Du es ausstellen?" „Ich weiß es noch nicht." „Tue es! Das Bild ist es wert, gesehemzu werden." „Ich möchte es wohl — aber wiederum: ich kann mich schwer davon trennen!" „Stelle es aus, Ottokar; und dann — gib es mir." Der Künstler sah seinen Bruder erstaunt an. „Dieses Bild?" „Es ist ein Stück Heimat! Der liebe Obstgarten erinnert mich an so viele frohe Iugendtage — und Deine Kinder, meine Lieblinge, fo lebenswahr gezeichnet." Ein leises Rot lag auf den Wangen des Legationsrates, als er das hastig sagte. Da klang das Rauschen von Frauenkleidern. Gräfin Lella stand auf der Schwelle des Ateliers. „Hier findet man die Herren? Es wird Zeit zum Abend essen. Die Kinder warten auf Onkel Rüdiger." „Wir kommen!" sagte Ottokar schnell und ging seiner Frau entgegen, um zu verhindern, daß sie das Bild bemerke, das er vor ihr aus einem ihm selbst unerklärlichen Gefühl bisher ver heimlicht hatte. Doch sie schritt an ihm vorbei. „Nun, Rüdiger, was sagst Du zu dem Fleiße Deines Bruders? Einfach fabelhaft, was er leistet!" spöttelte sie, indem sie ihre Blicke umherschweifen ließ. Und was Ottokar nicht ge wünscht hatte, geschah doch: das Bild auf der Staffelei festeste ihre Aufmerksamkeit. Sie trat darauf zu. „Ah, was ist das? Das habe ich ja noch nicht gesehen! Das sollte wohl eine Ueberraschung für mich sein?" Sie lachte unan genehm auf. „Wie reizend!" (Fortsetzung folgt.)
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