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b) gemäß Artikel 233 des Friedensvert^ages die Reparations- kvmmissio» aufzufordern, der deutschen Regierung unverzüg lich Zeiten und Bedingungen für die Begleichung der deut schen Schuld in ihrer Gesamtheit mitzuteilen und ihre dies bezügliche Entschließung der deutschen Regierung bis spätestens 6. Mai bekanntzugeben; c) die deutsche Regierung auszufordern, innerhalb einer Frist von sechs Tagen nach Empfang der obigen Entschließung klipp und klar zu erklären, daß sie entschlossen ist: 1. Ohne Vorbehalt oder Bedingungen ihre Verpflichtungen zu ersüllen, so, wie sie von der Reparationskommission sest- gesetzt werden? 2. Ohne Vorbehalt oder Bedingungen hinsichtlich ihrer Ver pflichtungen die von der Reparationskommission vorge schriebenen Sicherheiten anzunehmen und durchzuführen? 3. Ohne Vorbehalt und unverzüglich die Maßnahmen zwecks Abrüstung zu Wasser, zu Lande und zur Lust, die der deutschen Regierung durch die Verbandsmächte durch Schreiben vom 2g. Januar 1921 ausgegeben sind, durchzu führen, soweit die Durchführung dieser Maßnahmen be reits fällig gewesen ist, und unverzüglich die weiteren Maßnahmen zu Ende zu führen, die zu bestimmten Fristen verwirklicht sein müssen? 4. Ohne Vorbehalt und unverzüglich die Aburteilung der Kriegsverbrecher vorzunchmen, sowie die Erfüllung der übrigen Teile des Vertrages, denen bisher noch nicht Ge nüge getan ist und von denen unter 1 dieser Note die Rede ist? d) am 12. Mai zur Besetzung des Ruhrtales zu schreiten und alle anderen militärischen Maßnahmen zu Wasser und zu Lande zu ergreifen bei Nichterfüllung der obigen Bedingungen durch die deutsche Regierung. Diese Besetzung wird so lange dauern, bis Deutschland die unter c) aufgeführten Bedingungen er füllt haben wird. London, 5. Mai 1921. gez. Lloyd Georges. Briand. Ssorz«. Jasper. Haysha. * Lloyd George gegen Briand. Bei der Regelung der finanziellen Fragen haben, Me die französischen Blätter bestätigen, die Engländer gegen den französischen Widerstand noch einige Milderungen durchgesetzt, die den wahren Erträgniswert der geforder ten 132 Milliarden fast auf die Pariser Summen zurück schrauben. Lloyd George soll sich überhaupt sehr reizbar gezeigt haben. Einwänden Doumers, das französische Kabinett könne so nicht vor die Kammer treten, erwiderte er schroff, ein Staatsmann müsse vor allem auch Mut gegen sein eigenes Volk haben. Ferner, und als wichtig stes, hat Lloyd George es durchgesetzt, daß die geplante Marine-Aktion gegen die deutschen Häfen vorläufig unterbleibt. Lloyd George erklärte, eine solche Aktion würde Schwierigkeiten mit den Neutralen verursachen und müsse noch zwei- und dreimal überlegt werden. Keine Auslieferung des Reichsbankdepots. Vierzehn Tage nach Inkrafttreten des Kbereinrom- mens (wenn Deutschland das Ultimatum annehmen mutz) ist eine Milliarde Goldmark entweder in bar oder in drei monatigen Schecks und Wechseln der deutschen Banken auf London, Paris, Newyork zu erlegen. Die Ausliefe rung des Goldmetalls wird also nicht mehr unbedingt ge fordert. Auch das hat Lloyd George durchgesetzt. Die Garantiekommission soll gleichfalls binnen vier zehn Tagen errichtet werden. Sie wird keine Befugnis haben, sich in die innere Verwaltung Deutschlands einzu mengen. Aber die deutsche Regierung mutz ihr von allen beabsichtigten Finanzmaßnahmen, die Deutschlands Zah- tungskraft vermindern oder ablcnken könnten vorhe» Kenntnis geben. „Unkluge französische Politik." Ein schwedischer Pressevertreter hatte eine Unter redung mit Graf Sforzas Sekretär, wobei dieser äutzerte, Sforza sei nach London gekommen, um, unterstützt von ganz Italien, der unklugen französischen Politik entgegcn- zuarbeiten. Italien sei sicherlich darin einig, daß Deutsch land zahlen müsse, was es könne; aber es sei sinnlos, meyr zu verlangen, als herauszuholen sei. Die Besetzung des Ruhrgebiets hätte Deutschlands wirtschaftliche Lage ver schlechtert und die französische Politik würde auch das gefährden, was Deutschland freiwillig anbot. Deshalb ist Italien bestimmt gegen die Okkupation und will mit aller Kraft dagegen arbeiten. Indessen raten die Italiener den Deutschen, nicht zu viel Gewicht auf eine gestern her vorgetretene Zersplitterung zwischen den Alliierten zu legen; denn diese würden sicher einig sein, wenn Deutsch land auch den neuen Vorschlag verwürfe, der das absolute Minimum der alliierten Forderungen bezeichne. Amerika gegen Versailles. Man meldet aus Washington, daß der Senator Mac Cormick den Versailler Friedensvertrag heftig angriff und erklärte, dieser Vertrag werde niemals vom Senat rati fiziert, vielmehr ein Sonderfriede mit Deutschland abge schlossen werden. Senator Borah erklärte, daß das ame rikanische Volk, als es für Harding stimmte, der Ansicht gewesen sei, daß es damit nicht nur den Völkerbund, son dern auch den Friedwsvertrag von Versailles verwerfe. So schlecht auch der Völkerbund und so gefährlich er für die höchsten Interessen Amerikas sei, so wäre es doch für die Vereinigten Staaten unendlich viel besser, im Völker bunde zu sein, als an dem Versailler Friedensvertrage teilzuhaben. MMritt des ReWWinetts. Vorläufige Weiterführung der Geschäfte. Berlin, 5. Mai. Mit Rücksicht auf die durch die Ant wortnote der Vereinigten Staaten geschaffene Lage hat das Kabinett einstimmig seinen Rücktritt beschloj- s e n. Der Reichskanzler hat sich gestern abend zum Reichspräsi denten begeben, um ihm den Entschluß des Kabinetts mitzu teilen. Der Reichspräsident hat das Kabinett gebeten, die Ge schäfte weiterzuführen. Das Kabinett hat zugestimmt. Eine Ueberraschung bedeutet diese Nachricht nicht, es ist nur gekommen, was kommen mußte, nachdem die Reichsregie rung — oder richtiger gesagt Fehrenbach und Simons — mit ihrem Angebot an Amerika und der darauf erfolgten ableh nenden Antwort in eine Sackgasse geraten war, aus der es einen anderen Ausweg kaum mehr gab. Dem neuen Kabinett winkt keine leichte Aufgabe. Wer wird die Führung des in Untiefen geratenen Reichsschiffes übernehmen? Die Anwärter. Berlin, 5. Mai. Ueber die Besprechungen der Partei führer beim Reichspräsidenten Ebert, die am späten Abend statt fanden und die von feiten der Deutschen Volkspartei von den Abgeordneten Dr. Rießer und Kempkes geführt wurden, er fahren wir noch, daß vom Zentrum erneut der Botschafter in Paris Dr. Mayer (Kaufbeuren) für den Kanzlerposten vvrge- schlagen worden ist. Außer Mayer ist dem Reichspräsidenten Ebert der Abgeordnete Dr. Stresemann für den Reichskanzler posten in Vorschlag gebracht worden. Der Reichspräsident hat sich bis jetzt noch an keinen der beiden Kandidaten gewandt und ist ja, wie bemerkt werden muß, im übrigen verfassungsgemäß durchaus frei in der Wahl des Politikers, dem er die Regie rungsbildung übertragen will. Sollte, wie man annimmt, Dr. Mayer ablehnen, dann würde also als voraussichtlich ein ziger Kanzlerkandidat Dr. Stresemann in Frage kommen. Einen Ministerposten in einem Kabinett Mayer gedenkt Dr. Strese mann nicht anzunehmen. In diesem Zusammenhang ist auch im interfraktionellen Ausschuß die Frage erörtert worden, ob Fürst Bülow als Reichskanzler diskutabel wäre. Dem Reichspräsidenten ist der Fürst noch nicht vorgeschlagen. In einem Kabinett Bülow würde Dr. Stresemann bereit sein, die Stelle des Vizekanzlers zu über nehmen. Ob dieser Gedanke überhaupt weiter, verfolgt wird, muß sich in der neuen Sitzung des interfraktionellen Ausschusses zeigen. Berlin, 5. Mai. Wie wir in später Nachtstunde erfahren, hat Reichspräsident Ebert, da ihm von den Fraktionen zwei Kandidaten vorgeschlagen worden sind, den Ausweg gewählt, daß er einen dritten außerhalb des Parlaments stehenden Po litiker für die Kanzlerschaft in Aussicht nehmen will, und zwar den früheren Statthalter von Elsatz-Lvthringen Dr. Schwander, der bereits vor einiger Zeit als Anwärter auf einen Posten in der neuen Regierung genannt wurde. Zer MW Ausstand. Simons über Oberschsesien. Verschärfung der Lage. Im Auswärtigen Ausschuß des Reichstages hielt Außenminister Dr. Simons eine Rede über Oberschlesien, in der er betonte: * „Die Lage hat sich verschärft und ist außerordentlich ernst. Die Aufständischen haben das gesamte Jndustrie- revicr sowie die Kreise Pleß, Rybnik und den Ostteil des Kreises Ratibor in ihrer Gewalt. Die deutschen Beamten sind zwar noch an Ort und Stelle, haben aber keinerlei Funktionen mehr; desgleichen sind sämtliche deutschen Direktoren von den Gruben und Werken vertrieben. Der Belagerungszustand ist seitens der interalliierten Kom mission auch auf die Kreise Gleiwitz Stadt und Land aus gedehnt. Die interalliierte Kommission sowie die Kreis kontrolleure geben offen zu, daß es sich ledglich um einen polnischen Aufstand handelt." Eingehend schilderte der Minister dann die Lage in den einzelnen Kreisen Oberschlesiens, die gleichmäßig äußerst gefahrdrohend ist. * Ernste Nachrichten. Breslau, 5. Mai. Die Schlesische Volkszeitung meldet aus Gleiwitz: Die Stickstofswerke Chorzow und die dortigen Elektrizitätswerke sind in den Händen der Aufständischen. Ja Petersgrätz, Kreis Groß-Strehlitz, verfügen die Banden im Kampfe mit den Italienern auch über ein Geschütz. Breslau, 5. Mai. Aus dem oberschlesischen Aufstands gebiet wird gemeldet: Die Brücken zwischen Dirschewitz und Oberglogau sowie zwischen Rassewitz und Leobschütz sind gesprengt worden. Annaberg und Ujest wurden von den polnischen Banden besetzt, desgleichen Petersgrätz durch fünfhundert Mann, die mit Maschinengewehren ausgerüstet waren. In Nieder-Wilsza ist ein Apo-Kommando überfallen worden. In Czerwionka wurden 200 Mann der dortigen Apo von einer polnischen Bande über fallen. Oppeln, 5. Mai. Der überaus große Ernst der Lage in Oberjchlesien besteht unvermindert fort. Die Aufstandsbewe gung hat noch weiter Raum nach Norden gewinnen können. Seit heute morgen ist auch die Stadt Rosenberg im Besitze der Polen. Der erwartete Angriff der Aufständischen auf die größeren Städte des Industriebezirkes ist bis zur Stunde noch nicht er folgt, doch muß nach wie vor mit dem Angriff gerechnet werden, besonders ist Gleiwitz schwer bedroht. In der Nähe von Katto- witz ist ein Lastkraftwagen mit französischen Truppen, die aus Oppeln Lebensmitteln holen wollten, von den Aufständischen überfallen worden. Ein französischer Unteroffizier wurde getötet, die Mannschaften entwaffnet und der Kraftwagen von den Polen geraubt. Aus allen von den Aufständischen eingeschlossenen Städten wird Lebensmittelknappheit gemeldet, ebenso liegen Meldungen über Raub von Lebensmitteln durch die Aufstän dischen vor. Der Eisenbahnverkehr ruht. An zahlreichen Stellen sind von den Aufständischen erneut Gleise gesprengt und Bahn anlagen zerstört worden. Weitere Nachschübe von Menschen und Material aus Polen nach Oberschlesien finden statt. Im Kreise Pleß sind besonders zahlreiche Lehrer und Beamte von den pol nischen Aufständischen festgesetzt worden. Lublinitz ist von der französischen Besatzung geräumt worden. Der Einmarsch der Polen wird stündlich erwartet. Guttentag im Kreise Lublinitz hält sich bis zur Stunde noch, wird aber stark angegriffen. Warschau, 5. Mai. Nach einer Meldung der Polnischen Telegraphen-Agentur haben die Führer der polnischen Aufstands bewegung in Oberschlesien an den Obersten Rat zu Händen Lloyd Georges ein Telegramm gesandt, in dem sie mit der Zer- Her voppelgSngei» cles 6errn kmN Schnepfe. Roman von Carl Schüler. ,Mein, Herr von Armbrüster, im Schwesterregiment. Ich spielte mal an Kaisers Geburtstag einen tzeutnant, da fiel meinen Kameraden und auch meinem Rittmeister die Aehnlichkeit auf, die ich mit dem Leutnant von Armbrüster, der bei dem andern Regiment stand, hätte. Ich habe es dann so eingerichtet, daß ich Sie öfter zu sehen bekam. Da bemerkte ich auch, wie sehr ich Ihnen ähnlich war. Sie gingen schon damals immer glatt ra- siert. Ich habe mir dann manchmal den Jux gemacht, abends in Ler Uniform eines Leutnants auf den Straßen herumzulaufen. Es war mein erstes Gästspiel als Baron. Ich freute mich kin disch, wenn die Soldaten mich grüßten. Aber einmal wäre ich beinahe in eine böse Patsche geraten. Ich traf Offiziere von Ihrem Regiment. Die verwechselten mich mit Ihnen. Ich mußte sehr vorsichtig sein, um mich während der Unterhaltung nicht zu verraten. Da hörte ich, daß Sie Ihren Abschied eingereicht hätten, weil Sie eine englische Erbschaft antreten wollten. Ich habe eigentlich bei dieser Gelegenheit zuerst bemerkt, daß ich in kritischen Situationen über eine mich selbst in Erstaunen setzende Ruhe verfüge. Ich log mich prachtvoll durch. Erzählte, daß mein englischer Onkel die Bedingung gestellt habe, daß ich aus der deutschen Armee austreten müsse, wenn ich der Erbschaft nicht verlustig gehen wollte. Das wird ja wohl auch so unge fähr gestimmt haben?" Dorival schlug halb ärgerlich, halb belustigt, mit der Faust auf den Tisch. Jetzt also wurde ihm die Aufklärung über jenes Gerücht, das sich seinerzeit so hartnäckig im Regiment behauptete, er hätte wegen der Erbschaft seinen Abschied nehmen müssen. „Donnerwetter!" rief er. „Jetzt weiß ich endlich, wieso ein Kamerad damals im Kasino dazu kam, mir den Gedanken unter- »uschieben, ich hätte wegen des englischen Geldes meinen Leut nantsrock an den Nagel gehängt. Ich habe damals einen scharfen Auftritt mit dem Uechtritz gehabt. Diese Geschichte verdanke ich also auch Ihnen?" ,Ich bedaure lebhaft, Herr von Armbrüster, daß ich Ihnen Unannehmlichkeiten verursacht habe. Es ist nicht ganz leicht, immer das richtige zu treffen, wenn man die Rolle eines anderen spielt." „Ich habe damals dem Kameraden eine energische Abfuhr zuteil werden lassen und ihm gesagt, daß ich die Erbschaft aus geschlagen haben würde, wenn an ihre Annahme mein Onkel eine Bedingung geknüpft hätte, die sich auf meine Stellung als deutscher Offizier bezogen hätte. Und dann habe ich den Leuten gesagt, daß ich beim Regiment sein werde, wenn ein Krieg aus brechen sollte, einerlei, gegen wen." Eine kleine Pause trat ein. Emil Schnepfe zündete sich etwas umständlich eine neue Zigarre an. Dann sagte er, ernster als bisher: „Geschäftlich wären wir im reinen, Herr von Armbrüster. Nun hatte ich Ihnen aber vorhin gesagt, daß ich aus einem ganz besonderen Grund ein Interesse daran hätte, Ihren Namen zu schonen. Sind Sie nicht neugierig, diesen Grund kennen zu lernen?" Dorival blickte betroffen auf. „Ich wollte Sie schon fragen —" „Zunächst noch eine andere Frage: Ist Ihnen nie der Ge danke gekommen, daß die Aehnlichkeit zwischen uns einen recht naheliegenden Grund haben könnte? Daß sie nicht ein kleiner Scherz der Natur, sondern die Folge des Gesetzes von der Ver erbung ist?" Dorival sprang auf. „Was wollen Sie damit sagen?" „Ihr Vater, der Freiherr Elgar Friedrich Karl von Arm brüster ist auch mein Vater!" sagte Emil Schnepfe. „Setzt Sie das so sehr in Erstaunen?" „Allerdings!" stotterte Dorival. „Ich habe bisher an diese Lösung des Rätsels nicht gedacht. Aber Sie werden eine Frage begreiflich finden, Herr Schnepfe. Haben Sie für Ihre Be hauptung Beweise?" „Die habe ich. Aber ehe ich Ihnen dies zeige, gestatten Sie mir, Ihnen eine kleine Erklärung abzugeben. Weder meine verstorbene Mutter noch ich haben jemals versucht, einen Vor teil für uns aus dem Umstand zu ziehen, daß die Verwandten meines Vaters vermögende Leute sind. Meine Mutter hat mich erzogen, so gut sie konnte, und wenn sich auch über die Methode ihrer Erziehung streiten läßt, so hat sie doch an einem festge halten: Sie hat mich, der ich sonst nur wenig auf dieser Welt achte, die Achtung vor dem Namen meines Vaters gelehrt. Ich habe von meinem Vater nicht nur einige Aeußerlichkeiten, son dern leider auch gewisse Neigungen geerbt, und so ist aus mir, da ich kein echter Aristokrat sein konnte, jener Pseudo-Aristokrat geworden, der sich die Mittel zu seiner Scheinexistenz ohne Be denken da nahm, wo sie sich ihm boten. Aber das soll nun anders werden." Er lächelte. Wie Schuppen fiel es Dorival von den Augen; so einfach, so natürlich war diese Erklärung der rätselhaften Aehnlichkeit zwischen ihm und seinem Gegenüber — „Es bedarf keiner weiteren Beweise," sagte er. „Ich glaube Ihnen. Ich weiß, daß meine Mutter in vielen Dingen andere Anschauungen hatte, als mein Vater. Daraus ergaben sich Ver stimmungen, die sich nach und nach vertieften und beide Teile unglücklich machten. Sie wissen wohl, daß mein Vater, unser Vater, mit eigener Hand seinem Leben ein Ziel setzte. Er hat sich erschossen." Emil Schnepfe hatte ein Päckchen Briefe hervorgeholt. Es waren alte, vergilbte Briefe, zusammengehalten von einem ver blaßten, rosafarbenen Bändchen. „Das weiß ich!" sagte Emil Schnepfe. „Einer dieser Briefe ist nur wenige Stunden vor seinem Tode geschrieben worden. Ich war damals acht Jahre alt. Meine Mutter reiste mit mir an einem kalten Wintertag zur Beerdigung. Von weitem haben wir gesehen, wie der Sarg in die Gruft gesenkt wurde. Damals habe ich Sie zum erstenmal gesehen." Er erhob sich. „Meine Mutter," sagte Dorival, „hat nach dem Tode meines Vaters in einer Aufwallung von Verbitterung alles ver brannt, was an ihn erinnerte. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir die Briefe für einige Tage überlassen würden. Es soll keine Nachprüfung Ihrer Angaben sein. Ich möchte nur einmal einige Stunden meinem Vater widmen, und ich glaube, daß diese mich ihm näher bringen, als die Erzählungen meiner eng lischen Verwandten. Wollen Sie?" -Einen Augenblick zögerte Emil Schnepfe. „Sie haben ein Recht darauf," sagte er dann. „Heben Sie die Briefe auf; sie sind bei Ihnen besser aufgehoben als bei mir. Die Polizei ist ost so — so zudringlich neugierig!" „Sie können die Briefe morgen wieder haben." „Morgen bin ich schon weit von hier," lächelte der andere. „Behalten Sie die Briefe. Sie sollen eine Sühne sein für die Unannehmlichkeiten, die Sie durch mich hatten und — vielleicht noch haben werden. Leben Sie wohl!" „Erinnern Sie sich an mich, wenn Sie Hilfe brauchen! Wenn Sie —" „Danke! Herr Baron, ich habe die Ehre!" Eine förmliche Verbeugung und — er klappte die Türe hinter sich zu. Als Dorival eine Stunde später ausgehen wollte, vermißte er seine polizeiliche Legitimationskarte. Sie war nirgends zu finden. / (Fortsetzung folgt.)