Suche löschen...
Wilsdruffer Tageblatt : 30.04.1921
- Erscheinungsdatum
- 1921-04-30
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1782027106-192104303
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1782027106-19210430
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1782027106-19210430
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Bestände des Heimatmuseums der Stadt Wilsdruff und des Archivs der Stadt Wilsdruff
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Wilsdruffer Tageblatt
-
Jahr
1921
-
Monat
1921-04
- Tag 1921-04-30
-
Monat
1921-04
-
Jahr
1921
- Titel
- Wilsdruffer Tageblatt : 30.04.1921
- Autor
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
scctn wieder ans Tageslicht kamen. Sie verkennen die deutsche Volksseele und tun so, als ob sie allein Vertreter des deutschen Volkes seien. Weiter schildert der Redner den Frieden von Brest-Litowsk und die Handelsfreiheit, die wir Rußland da mals eingeräumt haben, und stellt diesem Frieden den Zwangsfriedcn von Versailles entgegen. Die folgenden Aus führungen des Redners galten dem Auftreten des Ministers des Auswärtigen in London und jetzt. Wir bedauern außer ordentlich, daß Herr Simons nicht in London schon seine Stimme entsprechend erhoben hat. Ob Deutschland die Lasten seines Angebotes tragen kann, bleibt abzuwarten. Nur eine internationale Verständigung kann uns helfen, die deutschen Vorschläge dürften die Wege hierfür ebnen. Unser Untergang ist auch derjenige Frankreichs. Jede deutsche Regierung wird noch auf Jahre hinaus schwere Zeiten haben, selbst, wenn der jetzige amerikanische Schritt Erfolg haben sollte. Der Redner schloß mit den Worten, das Bekenntnis Tirols zu uns wird ähnliche Ergebnisse in Steiermark, Kärnten und Österreich haben. Die Entente mag es sich überlegen, ob sie nicht lieber uns die Möglichkeit geben will, durch Zusammenschluß aller Kräfte uns in den Stand zu setzen, oie Forderungen zu er füllen. (Beifall.) Dr. Simons nimmt das Wort. Der Minister des Auswärtigen dankt dem Vorredner, dessen Ausführungen zum Teil eben das vorweggenommen hätten, was er, der Minister, zu antworten gedachte. In London habe er, der Minister, gegen das Schuldbekenntnis nicht Widerspruch erheben können, weil die Entente dieses Bekenntnis schriftlich in Händen habe und ein etwaiger orato- rischer Erfolg würde die Gefahr schwerer Schädigungen für das deutsche Volk bedeutet haben. Er habe aber den deutschen Standpunkt zur Schuldfrage schriftlich festgestellt. Es muß das Bestreben der deutschen Regierung sein, daß die fremden Ar chive geöffnet werden, damit hierbei die Schuldfrage unter neu traler Überwachung festgestellt werden könne. Der Vorwurf, daß die Regierung vorher zu wenig Fühler nach Amerika aus- gestreckt habe, trifft nicht zu. Unser entsprechender Versuch ist gescheitert. Für die Behauptung, die Form unserer Note sei demütigend, ist uns kein Beweis erbracht worden. Wir sind bemüht gewesen, der Psyche der Gegenseite gerecht zu werden. Nun macht man uns auch das zum Vorwurf. Ein Wegwerfen der deutschen Ehre ist in dem Schiedsspruch nicht zu erblicken. Herr Helfferich bat mich als den Kämpfer für Gerechtigkeit bezeichnet, natürlich mit dem Hintergedanken, ich sei als Mi nister nicht brauchbar. Dem entgegen sage ich, daß ich zu lange Jurist bin, um für die Politik der alten Schule in Frage zu kommen. Ich stehe auf dem Standpunkt unbedingten Gerechtigkeits gefühls. In seinen weiteren Ausführungen bestritt der Minister, daß wir unseren Pflichten in der Entwasfnungsfrage nicht nachgekommen wären. Gegenüber dem großen polnischen Heere von 600 000 Mann fei Besorgnis im Osten wohl berechtigt. Die Aufregung der Grenzbevölkerung steige, und es muß etwas geschehen, um die Bevölkerung zu beruhigen. Eine Erkundigung bei der Botschasterkonfcrenz hat gestern die Antwort gebracht, daß Polen bereits seit Januar abrüste. Das stimmt nicht mit unseren übrigen Nachrichten überein, den» neue Jahrgänge werden zu Übungen eingczogen und nicht wieder entlassen. Die Maßnahmen der deutschen Regierung sind nur darauf gerichtet, zu verhindern, daß die erregte Bevölkerung sich zu Zwischenfällen Hinreißen lasse. Die Verhandlungen mit Polen werden fortgesetzt, namentlich ein Wirtschaftsabkommen und die oberschlcsische Frage bilden den Gegenstand der Verhand lungen. Mit einer Teilung Oberschlesiens sind selbst viele Polen nicht einverstanden. Das Ostproblem ist so schwer, daß seine Lösung eine Schicksalsfrage für Europa ist. Die Untersuchung über die Unruhen in Mitteldeutschland hat zweifellos ergeben, daß ein Zusammenhang zwischen der kom munistischen Partei Deutschlands und Rußlands bestehe. Für eine Beteiligung der Sowjetregierung indessen hat sich ein Beweis nicht erbringen lasten. Es besteht daher kein Anlaß, den Plan weiterer Verhandlungen mit Rußland wegen Auf nahme von Handelsbeziehungen aufzugeben. Im übrigen vollzieht sich allmählich ein Wechsel in der Haltung der Sowfctrcgicrung, die sich allmählich den Forderungen der Weltwirtschaft anzu» passen sucht. Auch bet dem Wiederaufbau müssen wir in die Zukunft blicken und nicht nach rückwärts. Der Minister schloß damit, daß er Stimmen aus dem Ausland ansührte, die all» mählich den deutschen Standpunkt würdigen. Abg. Gras von Bernstorff (Dem.) betonte u. a., daß tu diesem Augenblick verantwortungsvoller Verhandlungen die größte Zurückhaltung geboten sei. Deshalb betrachten wir die scharfe Kritik von rechts und links an der Haltung der Regie, rung zur amerikanischen Schiedsrichterfrage als unzweckmäßig und nur als geeignet, das mühsam eingeleitete Friedenswerk zu gefährden. Ist das deutsche Volk innerlich einig, kann es alle Opfer tragen. In der Schuldsrage ist eS Pflicht jedes Deutschen, daran mitzuarbeiten, damit im Auslande sich darüber Klarheit verbreite, daß Wir den Krieg nicht plan mäßig vorbereitet haben. Amerika ist nur wirtschaftlich, nicht politisch an den europäischen Verhältnissen beteiligt. Deshalb ist die Vermittlung dort in guten Händen. Weitgehende Unter stützung erwarte ich auch freilich nicht von Amerika, aber immerhin ist die Regierung Hardings besser als die frühere. Es muß alles geschehen zur Zerstörung der Legende, daß D-utschland überhaupt nicht zur Einlösung seiner Verpflich tungen bereit sei. Die mit dem Friedensvertrage nicht zu ver einbarenden Sanktionen bedeuten die Erneuerung des Kriegs- zustandes. Wir billigen durchaus das Ersuchen unserer Re- gierung an den Präsidenten Harding. Es ist schon ein Ge winn, daß wir der Welt gezeigt haben, daß Deutschland nichts unversucht gelassen hat, um zu einer Verständigung zu ge- "^Abg Dr. Spahn (Zentr.) behandelte die Schuldsrage und mahnte im übrigen zur Zurückhaltung bei den gegenwärtigen Verhandlungen. Seine Ausführungen blieben zum größten Teile auf der Journalistentribüne unverständlich. Der Abg Ledebour (U. Soz.) machte eine Reihe Von Aus führungen gegen die Rechte und setzte dann auseinander, daß die Rettung aus den gegenwärtigen Schwierigkeiten nur von dem vereinigten internationalen Proletariat kommen würde. Mit der Rede des Abg. Ledebour endete die Aussprache über die auswärtige Politik. Das Haus erledigte hieraus ohne Aussprache noch einige kleinere Vorlagen, darauf wurde die Sitzung geschlossen. ------ - politische Rundschau. Deutsches Reich. Reichstag und Kriegsbcschuldigte. Alle Parteien des Reichstages, mit Ausnahme der Un abhängigen und Kommunisten, haben einen Antrag einge bracht, der dem Gesetz über die Verfolgung von Kriegsver brechen und Kriegsvergehen folgenden 8 1a einfügen will: „Wenn nach der Überzeugung des Oberreichsanwalts kein genügender Anlaß besteht, eine Anklageschrift einzureichen, fo kann er gleichwohl die Anberaumung einer Hauptver handlung beantragen. In dem Antrag ist die Tat, die den Gegenstand des Ermittlungsverfahrens oder der Vor untersuchung gebildet hat, unter Hervorhebung ihrer ge setzlichen Merkmale und des Strafgesetzes zu bezeichnen. Das Ergebnis der Ermittlungen ist in den Antrag aufzu nehmen; die Beweismittel sind anzugeben. Auf das Ver fahren finden die Vorschriften des 8 5 und des § 6 des Ge setzes vom 18. Dezember 1919 entsprechende Anwendung." Pcrsonalverminderuäg bei der Post. Der Reichspostminister teilte auf eine Anfrage des Abg. Erkelenz (Dem.) mit, daß die Postverwaltung, soweit es die gesetzlichen Bestimmungen — namentlich die Fürsorge- maßnahmen für die Kriegsbeschädigten — und die Betriebs verhältnisse gestatten, aus eine Verminderung der Hilfs kräfte bedacht gewesen ist. Ihre Zahl sei von 110 000 am 1. April 1919 auf rund 95 000 am 1. Sept. 1920 zurückge gangen. Ende Januar d. I. sei die im Juli 1920 versuchs weise zugelassene Arbeitsstreckung aufgehoben und die Ent lassung von weiteren Hilfskräften unter weitgehendster Vermeidung von Härten angeordnet worden. Amerika gegen die schwarze Schmach. In Frankreich ist die Frau des amerikanischen Kon greßmitglieds Britten eingetrossen. Frau Britten ist vom Kongreß der Christlichen Frauen in Chikago mit einer Mis sion beim Marschall Foch beauftragt worden, um die Zu rückziehung der schwarzen Truppen aus dem Rheinlands zu erlangen. Die amerikanische Delegierte erklärte den an wesenden Persönlichkeiten, daß sie nicht mmehmen könnte, daß halbzivilisierte Neger die christliche Bevölkerung der Rheinlands beherrschen. Nur kein Schiedsgericht! Nach einer Meldung aus Paris hat sich der Bötschäs- tsrrat unter dem Vorsitz von Jules Cambon mit der Note beschäftigt, in der Deutschland eine schiedsgerichtliche Ent scheidung über gewisse strittige Punkte in der Auslegung verschiedener militärischer Bestimmungen des Vertrages von Versailles forderte. Auf Vorschlag der interalliierten Militärkommission von Versailles wurde der Antrag der deutschen Negierung abgelehnt und die von der Berliner Kontrollkommission getroffenen Entscheidungen bestätigt. Großbritannien. X Eine arge Enttäuschung. Die ersten offiziellen Be rechnungen über den Betrag der Zölle, die auf die in Eng land eingeführten deutschen Waren nach dem Sanktions einfuhrgesetz erhoben werden, ergaben eine Summe von 3000 Pfund. Eine Umrechnung nach diesem Ergebnis würde 53 000 Pfund als Durchschnitt für den Jahresertrag ergeben. Und das ist herzlich wenig. X Der japanische Kronprinz in Malta. Wie aus Malta gedrahtet wird, ist der Kronprinz von Japan auf seiner Europafahrt an Bord des Kreuzers „Katori" in Malta eingetroffen. Die japanischen Kriegsschiffe wurden bet ihrer Einfahrt in den Hafen von einer Flottille von sechs britischen Zerstörern salutiert und feierlich eskortiert. Der Gouverneur von Malta gab zu Ehren des Kronprinzen ein Staatsdiner, an dem auch fämtliche fremden Konsuln teilnahmen. Das Eintreffen des Kronprinzen auf der Reede von Porthmouth ist in den ersten Tagen des Mai zu erwarten. Dem Besuch des japanischen Kronprinzen in England wird erhebliche politische Bedeutung zugemessen. Man erwartet aus diesem Anlaß auf japanischer Seite an scheinend die Verlängerung und Vertiefung des englisch japanischen Bündnisses. Durch die in letzter Zeit beson ders deutlich hervorgetretene amerikanisch-japanische Span nung ist Englands Entscheidung besonders schwerwiegend. Vas Verschwinden der Ansichtskarte. Ein totgeschlagener Erwerbszweig. Es ist kein Zweifel, daß die Ansichtskarte, wenn es so weiter geht, auf den Aussterbeetat gesetzt ist. Man sieht sie noch in den Schaufenstern der Papierhandlungen, Straßen händler bieten sie noch an, aber es scheint sie kein Mensch mehr zu kaufen. Man bekommt keine mehr zugeschickt. Kein Wunder, das erhöhte Porto hat sie getötet. Wenn ich schon 40 Pfennige für die bloße Postkarte und dazu noch 5 Pfennige für das Stückchen Papier bezahlen muß, also im ganzen neunmal so viel als früher, dann habe ich keine Lust, noch 10—50 Pfennige für eine mehr oder min der hübsche Ansichtskarte zu zahlen. Selbst in Frankreich, Wo das Porto für die Postkarte bloß 20 Centimen beträgt, hat die Portoerhöhung auf die Ansichtskarte verheerend gewirkt. In früheren Jahren betrug die Portoeinnahme aus der Beförderung der Ansichtskarten allein in Frank reich 70 Millionen Franken, jetzt ist die Ziffer um 85 Pro zent gefallen! Die Fabrikanten und die von ihnen beschäftigten Ar beiter, Drucker, Maschinenmeister, die Zeichner, Photo graphen und Phototechniker, die Papierfabriken, die Kar tongeschäfte, die Papierhändler, die Hausierer, die Farben fabriken, die Goldpresser, Tausende von Menschen bekom men es zu fühlen. Gewiß, es hat einmal eine Zeit ohne Ansichtskarten gegeben, und die Leute damals mußten auch leben. Aber es ist doch einschneidend, wenn ein Er werbszweig so plötzlich aus dem Leben gestrichen wird. In Deutschland liegt es gewiß ebenso wie in Frank reich, nur haben wir keine Zahlen zu geben. Wir können aber auf die Zahl gern verzichten. Für Deutschland ' Der Voppe!g3nger lies sterrn kmil Schnepke. Roman von Carl Schüler. Dorival nahm aus der Brusttasche den Brief. „Hier ist der Brief," sagte er. Ruth stieß einen Freudenschrei aus, nahm den Brief, be trachtete zuerst den Umschlag von allen Seiten, dann überflog sie den Inhalt des Schreibens. „Er ist's! Er ist's!" jubelte sie. „Wie wird sich Vater freuen! Sie glauben gar nicht, in welcher Sorge mein guter Vater wegen dieses Briefes gewesen ist. Aber Sie haben ihn gerettet!" Ehrliche, überströmende Dankbarkeit sprach aus ihren Worten, ihrem Blick, dem Druck ihrer Hand. Sie sah, wie seine Blicke wieder bewundernd auf ihr ruhten. Und da verstummte sie plötzlich, wandte sich ab und wurde rot. Aber dann nahm sih sich zusammen und fragte mit erzwungener, geschäftsmäßiger Ruhe: „Wie darf Ihnen mein Vater das Geld auszahlen?" „Welches Geld?" „Für den Brief." „Ich will kein Geld. Das habe ich Ihnen doch schon gesagt." „Warum wollen Sie keine Belohnung annehmen? Viel leicht, weil Sie dem Labwein zwölftausend Mark fortgenommen haben? Das ist ganz Ihre Privatsache. Wir bezahlen Ihnen trotzdem die dreitzigtausend Mark aus, die Ihnen von mir ver sprochen sind." „Ich will kein Geld, Fräulein Ruth." „Was wollen Sie denn?" „Erinnern Sie sich nicht mehr meiner Forderung? Sie sprachen damals, wenn ein Kuß einen Wert haben soll, so muß man ihn als Geschenk erhalten. Ich bitte um mein Geschenk, Fräulein Ruth." Sie hatte den Brief schon in ihrem Täschchen geborgen. Einen Augenblick schien es, als wolle sie ihn wieder heraus nehmen und ihn zurückgeben. Aber die Hand, die schon das Täschchen geöffnet hatte, drückte es mit plötzlichem Entschluß wieder zu. Dorival glaubte ihr an den Augen abzulesen, daß es Mit leid mit den Sorgen ihres Vaters war, das sie veranlaßte, das Täschchen wieder zu schließen. Sie rückte näher an ihn heran und schob ihr Köpfchen vor. Dicht vor sich say er ihr blasses, ernstes, trauriges Gesichtchen. „So, jetzt können Sie mir einen Kuß geben!" sagte sie. Einen Augenblick zögerte er. Aber — dann faßte er mit beiden Händen ihr Köpfchen und drückte auf den roten, frischen Kindermund einen kräftigen Kuß. Sie blieb regungslos auf ihrem Stuhl sitzen, die Augen gesenkt, die Hände im Schoß gefaltet. Sie saß hilflos da, erbar mungswürdig verängstigt. Wie ein kleiner Vogel kam sie ihm vor, der still und geduckt in seinem Käfig sitzt. Er dachte daran, wie er als Knabe einmal einen schönen, bunten Schmetterling gefangen hatte. Vorsichtig hatte er das zarte farbenprächtige Tierchen in seinen kleinen schmutzigen Fingern gehalten und von allen Seiten bewundernd betrachtet. Dann hatte er dem Schmetterling seine Freiheit ge schenkt, auf die flache Hand hatte er ihn gesetzt. Aber der arme, bunte Schmetterling, dessen feiner Flügelstaub an seinen Finger spitzen klebte, saß angstvoll auf der Hand und sand nicht den Mut, von seiner Freiheit Gebrauch zu machen. Er mußte ihn in die Luft werfen, um ihn los zu werden. Mit müdem Flügel schlag flatterte der gedemütigte, seines schillernden Farbenstaubs beraubte Schmetterling davon ... Dorival hätte sich ohrfeigen mögen! Ruth schwieg. Dann entnahm sie ihrem Täschchen eine Be suchskarte und schrieb mit Bleistift einige Worte auf die Karte. „Ich fahre jetzt zu meinem Vater und gebe ihm den Bries," sagte sie leise. „Sie können selbst oder durch einen anderen das Geld, das Ihnen gehört, im Geschäft meines Vaters an der Kasse abheben. Sie brauchen nur die Karte vorzuzeigen, die ich Ihnen dort hingelegt habe." Sie stockte einen Augenblick, dann fuhr sie fort: „Und — wenn Sie einmal in Not geraten sollten — mein Vater wird nie vergessen, was er Ihnen schuldet. Und ich —" Sie brach mitten im Satz ab, erhob sich und reichte ihm die Hand. „Sie wollen schon gehen?" fragte Dorival erschrocken. Sie nickte. Da wurde er rabiat. „Ich kann Sie so nicht gehen lassen!" sagte er heftig. Sie sah ihn an. „Das kann ich nicht. Es ist alles dummes Zeug. Ich habe die Komödie satt. Ich muß Ihnen sagen, wer ich bin. Sie haben ja keine Ahnung. Ich bin der Freiherr —" „Halt!" sagte Ruth. Er schwieg verblüfft. Sie sah ihn lange an und Tränen kamen ihr in die Augen. „Nein," sagte sie endlich leise, „ich will den Namen nicht hören. Wie — wie können Sie mich in diesen Minuten be lügen wollen!" Und sie griff nach ihrem Täschchen, stand auf und lief eilig fort. „Zahlen!" schrie Dorival. Der Kellner kam. Er warf ihm ein Geldstück hin und stürmte auf die Straße. Aber Ruth war nicht mehr zu sehen ... „Gräßlich!" sagte Dorival. „So! Jetzt muß Umbach 'ran!" 11. Als Dorival in seine Wohnung zurückkehrte, meldete Galdino: „Herr Baron möchten die Güte haben, Herrn Direktor Zahn so bald als möglich anzurufen. Herr Direktor Zahm hat den Herrn Baron schon zweimal angerufen, weil Herr Direktor Zahn dem Herrn Baron sehr dringend etwas zu sagen hat." „Schön!" sagte Dorival. Er ging an den Apparat und stellte die Verbindung her. Er vermutete, daß sein Detektiv ihn wieder um einen Vorschuß a"' gehen würde. Er wollte dann die Gelegenheit benutzen, dern Manne seines Mißtrauens den erteilten Auftrag zu entziehen. Das Institut Prometheus meldete sich. Als Dorival seinen Namen nannte, wurde er sofort mit dem Direktor verbunden. „Hier Direktor Zahn!" „Hier Armbrüster! Was gibt's? Sie wollen mich sprechen?" „O, mein lieber Herr Baron, Sie werden staunen! Win haben ihn!" „Wen haben Sie?" „Emil Schnepfe ist zur Strecke gebracht!" „Was?" „Emil Schnepfe ist verhaftet!" „Blödsinn!" „Aber erlauben Sie —" „Sie haben Emil Schnepfe verhaftet?" „Jawohl — ich! Wir! Das Institut Prometheus!" „Donnerwetter!" schrie Dorival entgeistert. „Nicht wahr, Herr Baron? Da wundern Sie sich? IÜ habe ihn einstweilen in meine Arrestzelle eingelocht. Was soll mit ihm geschehen? Wollen Sie ihn erst sprechen, oder soll el gleich nach dem Alexanderplatz abtransportiert werden? Nun, Herr Baron, habe ich die mir gestellte Aufgabe nicht glänzend gelöst?" Dorival war wie betäubt von dieser Nachricht. War es denn möglich, daß dieser Emil Schnepfe, der die Polizeibehörde" aller Kulturländer an der Nase herumsührte, diesem dummen Di rektor Zahn, der nur Vorschüsse verlangen konnte, ins Gar" gegangen war? Er fühlte sich nicht imstande, dem Direktor Zahn das Lob zu erteilen, auf das dieser Mann Anspruch zu haben glaubte. „Ist der Verhaftete denn wirklich der Emil Schnepfe?" fragte er zweifelnd. „Haben Sie sich nicht geirrt?" „Ausgeschlossen! Diesmal haben wir den echten, wirkliche" Schnepfe gefaßt!" klang es durch den Fernsprecher zurück. „Behalten Sie ihn dort! Ich komme gleich!" Dorival legte den Hörer auf den Apparat. Verzweifelt sank er in seinen Schreibsessel. Auch das noch! (Fortsetzung folgt.)
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)