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KWiMrAgeblÄ Fernsprecher Wilsdruff Nr. 6 Wochenblatt für MlsdsUff UNd ilMgegLNd Postscheckkonto Leipzig LS614 Dieses Blatt enthält die amtlichen Bekanntmachungen der AmtShauptmannschast Meißen, des Amtsgerichts Wilsdruff, des Stadtrats zu Wilsdruff, des Forstrentamts Tharandt Verleger and Drucker: Arthur Asch««»« tu Wilsdruff. Verantwortlicher Schriftleiter: Herma«« Lässig, für de« Inseratenteil: Arthur Zschunke, beide i« Wilsdruff. Nr. 59. Freitag de» 11. März 1921. 80 Jahrgang. Kleine Zeitung für eilige Lescr. * Dem Vernehmen nach wird die Reichsregicrung über die Londoner Verhandlungen ein Weißbuch veröffentlichen. * In den nen besetzten deutschen Gebieten am Rhein ist der Belagerungszustand proklamiert worden. * Wie es heißt, hat das Zentrum den Abgeordneten Dr. Porsch als seinen eventuellen Kandidaten für den Posten des preußischen Ministerpräsidenten bezeichnet. * DaS Prager Blatt „Cas" ist ermächtigt, festzustellen, daß sich die Tschechoslowakei an den Sankiionen gegen Deutschland nicht beteiligen werde; alle gegenteiligen Gerüchte seien voll ständig unbegründet. Der böse Geist. Von unterrichteter Seite wird uns geschrieben: Lloyd George und Dr. Simons — Dr. Simons und Lloyd George, andere Namen bekam die Öffentlichkeit während der achttägigen Dauer der Londoner Konferenz überhaupt nicht zu hören. Belgier, Italiener, Japaner hielten sich sorgfältig im Hintergründe, und von der gan zen großen Tafelrunde öffnete während der drei kurzen Sitzungen, mit denen die Arbeit der Konferenz erschöpft war, kein Teilnehmer den Mund außer dem britischen Pre mierminister auf der einen und Dr. Simons auf unserer Seite. So wurde die Geschlossenheit des Auftretens der Ententeregierungen geflissentlich markiert, und was dabei zustandekam, war höchstens die Karikatur einer Verhand lung; in Wirklichkeit war es ein strenges Verhör mit vor her genau zurechtgelegten Strafpredigten. Der „Schuldige" mochte sagen, was er wollte: seine Abkanzelung, seine Bloßstellung, seine Verurteilung vollzog sich nach einem von vornherein vereinbarten Programm, das innezu halten die Herren von der Gegenseite unter allen Umstän den entschlossen waren. Ein Vergnügen, das ihnen in dessen, soweit Deutschland in Frage kommt, zum letzten Male bereitet worden ist. So war es vor den Kulissen. Hinter den Kulissen haben freilich mancherlei Leute am meisten geredet, die sich im Angesicht der Zuschauer am unschuldigsten gebärdeten. Auf französischer Seite insbesondere Herr Loucheui, der in holländischen Berichten aus London geradezu als der böse Geist der Konferenz bezeichnet wird. Hinter ihm verschwand diesmal der sonst durchaus nicht schweigsam veranlagte Ministerpräsident Briand säst bis zur Unsicht barkeit, während dieser sogenannte Wiederaufbauminister überall zur Stelle war, wo es galt, eine gerade auftau chende Verständigungsmöglichkeit sofort zu zertreten. Ihm wird auch namentlich die bösartige Fälschung zugeschrie ben, die es zu Wege brachte, daß Lloyd George den Deut schen unterstellte, sie wollten das Ergebnis der Abstimmung in Oberschlesien nicht anerkennen — als wenn sie von vorn herein davon überzeugt wären, daß es zu unseren Un- gunsten aussallen würde! — während sie doch nur daraus hinwiesen, daß ja nach dem Ausgang der Abstimmung unsere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wachsen oder zu- sammenschrumpfen werde. Aber dieser Herr Loucheur wußte wohl, was er tat, und erstaunlich ist nur, daß ein solcher Mann nicht nur in Frankreich, sondern auch am Ort einer sozusagen internationalen Konferenz eine fo aus schlaggebende Nolle spielen konnte. Mit seinem Minister amt verbindet er nämlich die Leitung einer Erwerbs- Gesellschaft, die sich gerade den Wiederaufbau der zerstörten Provinzen Frankreichs zum Ziele gesetzt hat. Einer Erwerbsgesellschaft wohlverstanden», soweit bei ihr von Gemeinnützigkeit die Rede ist, bildet diese nur das Aushängeschild, hinter der sich die Profitgier be stimmter französischer Unternehmergrup pen um so geschickter verbirgt. Diese Leute sind es, die alle deutschen Wiederaufbaupläne bisher immer durch kreuzt haben, die von keiner deutschen Mitwirkung an die ser Kulturleistung riesenhaften Umfanges etwas wissen wollen, und die ihre Landsleute aus den verwüsteten Be zirken lieber jahrzehntelang auf die Wiederherstellung von Haus und Hof warten lassen, ehe sie zugeben, daß dabei nicht ungezählte Millionen in ihre Tasche fließen. Diese Leute sind es, die die Entschädigungsforderungen der Be teiligten zu phantastischen Ziffern emportreiben, sie ihnen aber für ein billiges Geld abkaufen, unter allerhand schönen Redensarten selbstverständlich, die die brutale Tat sache verdecken sollen, daß hier mit der Not von Kriegs opfern Schindluder getrieben wird, daß ekle Spekulations wut sich ihrer bemächtigt hat, um unter patriotischem Mäntelchen sich den Geldbeutel zu füllen. Selbst in Frankreich ist es schon kein Geheimnis mehr, daß sich hier ein neuesPanama vorbereitet, mit dem verglichen das frühere ein Kinderspiel Ivar. Der Mann, Mit dessen Namen dieser Skandal des 20. Jahrhunderts in erster Reihe in Verbindung gebracht werden wird, heißt Loucheur. Und dieser Mann war es, der jede ver nünftige Regelung der deutschen Schuldzahlunacn in Lon don verhindert hat! Wahrhaftig, Herr Lloyd George ran« nolz sein auf das Werk, das er vollbracht hat. * Ole Fremdherrschaft am Rhein. . Das Komanndo der alliierten Truppen mit dem Sitz M Düsseldorf hat der französische General Degoutte. Bel len schickt das zweite Grenadierregiment an den Rhein, ^ie Interalliierte Kommission in Koblenz erließ zwei Ver ordnungen, von denen die eine strenge Zensur für Tele gramme, Telephone, Druckschriften einführt, die andere die an der deutschen Westgrenze erhobenen Zölle beschlag nahmt. Aus Marseille sind farbige Soldaten, Senegal schützen, nach dem Rhein abgegangen. Die amerikanische Negierung gibt bekannt, daß die amerikanischen Truppen am Rhein nur für die Anwendung der Klauseln des Ver sailler Friedensvertrages bestimmt sind. Durch eine Ver fügung des Oberkommandierenden der Besatzungstruppen ist der Belagerungszustand über die neu besetzten Gebiete verhängt worden. Die Ein- und Ausreise in das besetzte Gebiet ist einstweilen nicht gestattet, mit Ausnahme für diejenigen Personen, die täglich die Grenze des besetzten Gebietes passieren müssen, um zu ihrer Arbeitsstelle zu ge langen. An „Rheinländer, Rheinhessen, Pfälzer" richten die Reichstagsabgeordneten den folgenden Aufruf: Eure schöne Heimat, die Perle der deutschen Länder, ist in Gefahr! Das Vaterland kann sie nicht schützen, ihr allein könnt sie retten. Was auch kommen mag, wahrt euerDeutschtum,haltetfest am Reich! Keine Macht der Erde ist stark genug, euch gegen euren Willen von Deutschland loszureißen. Vor allem seid einig! Schließt eure Reihen! Was immer auch kommen mag — reicht euch die Hände zu dem einen einmütigen Gelöbnis: Komme, was kommen mag — wir bleiben deutsch! Rhein länder! Rheinhessen! Pfälzer! Die Augen der ganzen Welt sind auf euch gerichtet. Zeigt ihr, daß deutsche Treue kein leerer Wahn ist, daß ihr eher alles ertragt, als daß ihr Deutschland jemals die Treue brächet! Haltet treue Wacht am deutschen Rhein! Das Vaterland vertraut aui euch! Verletzung des Versailler Friedens. Im Reichstag waren der wirtschaftliche Ausschuß des Neichskabinetts mit einem Teil der Sachverständigen, mit Abgeordneten aus dem besetzten und bedrohten Gebiet und Vertretern der Arbeitgeber und Arbeitnehmer aus diesen Gebieten versammelt. Von den anwesenden Vertretern der Regierung wurde im einzelnen über die Vorkehrungen Mitteilung gemacht, die getroffen worden sind, um die Versorgung der Bevölkerung in den neu besetzten Gebieten sicherzustellen. Auch ist erreicht worden, daß der staatliche Verwaltungsapparat ohne Unterbrechung weiterarbeitet. Die Beamtenschaft in dem neuen „Kriegsgebiet" hat es als ihre vaterländische Pflicht anerkannt, ihren Dienst unter der fremden Oberherrschaft fortzusetzen. Die parlamentarischen Vertreter der besetzten Gebiete erklärten einmütig: Die von den gegnerischen Mächten an gedrohte Errichtung eines besonderen Zollgebiets am Rhein würde eine offensichtliche schwere Verletzung des Versailler Friedens bedeuten, da die Errichtung eines sol chen Zollgebiets nicht, wie der Versailler Frieden als Be dingung für eine solche Maßregel vorsieht, den Interessen des besetzten Gebietes dienen, sondern im Gegenteil diese Jnterefsen auf das schwerste schädigen würde. Aber auch die Errichtung eines besonderen Zollgebiets und die damit unzweifelhaft verbundene wirtschaftliche Schädigung der besetzten Gebiete wird die Bevölkerung dieser Gebiete in ihrer Treue zum deutschen Vaterland nicht Wanken machen. Begrüßung Dr. Simons in Elberfeld. Bei der Rückkehr der deutschen Delegierten aus London naym ihr Zug Mittwoch morgen in Elberfeld als der ersten größeren Stadt im unbesetzten Deutschland einen längeren Aufenthalt. Eine unübersehbare Menschenmenge hielt den Hauptbahnhof besetzt und begrüßte den Außenminister Dr. Simons mit großem Jubel. Der Minister richtete einige Worte an die Menge, wobei er zum Ausdruck brachte, die De legation habe in London getan, was nur irgendwie möglich gewesen sei, um die weiteren Maßnahmen der gewalttätigen Feinde von der Heimat abzuhalten. Es sei ihr aber unmog- lich gewesen, mehr zu Versprechen, als Deutschland zu halten imstande war. Das Vaterland würde aber alles überstehen, wenn nur alle Deutschen treu zusammenstünden. Dr. Simons nahm dann noch die Begrüßung verschiedener Körperschafts- Vertreter entgegen und wurde von allen Seiten reich mit Blumen beschenkt. Englische Bedenken gegen die Wirtschafts maßnahmen. Die Londoner City, die Handelsstadt, nimmt die wirt schaftlichen Sanktionen sehr ernst. Sie erblickt darin all gemein eine schwere Gefährdung der mühsam wieder an- geknüpften Beziehungen, die auch für England angesichts der fortdauernden Wirtschaftskrise, der Stockung des Han dels, der Arbeitslosigkeit und des Preissturzes unentbehr lich sind. Lloyd Georges Idee der Abführung eines Tei les des Kaufpreises deutscher Waren wird als ruinös an gesehen. Die Ankündigung eines sofortigen Gesetzent- wurses mit rückwirkender Kraft durch Lloyd George führte eine völlige Ungewißheit herbei, obselbst schwebende Ge schäfte zerstört würden. Die Besorgnis vor Eingriffen in Privatrechte dürfte die Zurückziehung von Guthaben aus England zur Folge haben, nachdem die Sanktionen be weisen, daß für die Alliierten Rechtsschranken nicht existieren. Telegraphisch wird uns weiter gemeldet: Die Sanktionen werden nur dann rückgängig gemacht ... London, 10. März, (tu.) Offiziell wird mitgeteilt, daß gestern auf den Sitzungen der Leiter der alliierten Delegationen die Einzelheiten über die Durchführung der Sanktionen in Deutschland geregelt wurden. Man kam überein, daß die Sank tionen nur dann rückgängig gemacht werden sollen, wenn eine befriedigende Lösung in der Frage der Schadenersatzleistungen und der Bestrafung der Kriegsschuldigen gegeben werde. Da neben wurde die türkische Frage besprochen. In der Mittags sitzung erklärte Briand, daß die französische Regierung nicht beabsichtige, die deutschen Provinzen am Rhein dauernd zu be setzen oder einzuverleiben. Frankreichs Absicht sei einzig und allein die Sicherung der Durchführung des Friedensvertrages. Die Ankunft der deutschen Delegation in Berlin. Berlin, 10. März, (tu.) Eine gewaltige Menschen menge hatte sich vor dem Potsdamer Bahnhof angesarnmelt, um unsere aus London heimkehrenden Delegierten zu empfangen. 10 Minuten vor Ankunft des Zuges erschien Reichskanzler Fehrenbach mit Frau Minister Simons, in Begleitung der Unter staatssekretäre Haniel und Albert, des Gesandten von Lucius, Geheimrat Trautmann und zahlreichen Herren vom Auswär tigen Amt. Der Zug lief mit starker Verspätung um 7,50 Uhr in die Halle ein. Als Minister Simons mit dem Reichskanzler und seiner Gattin den Bahnsteig verließ, hielt Professor Archen holz von der Sternwarte in Treptow eine kurze Ansprache, die mit den Worten schloß: „Sie, Herr Minister, haben in London als ein wackerer Deutscher gehandelt." Unter zahllosen Iubel- rufen und unter den Klängen der Wacht am Rhein gelang es, den Minister mit seiner Gattin aus dem lebensgefährlichen Ge dränge der begeisterten Menge in sein Auto zu retten. Die Zollerhebung hat bereits begonnen. Paris, 10. März, (tu.) Nachrichten aus Koblenz melden, daß die Erhebung der Zölle zu Gunsten der Alliierten bereits begonnen habe. Lloyd George für neue Verhandlungen? Rotterdam, 9. März. Die „Times" meldet: Lloyd George sprach im Unterhause: Wir sind entschlossen, mit den Deutschen neue Verhandlungen aufzunehmen und die Deutschen zu neuen Verhandlungen einzuladen. Wir hoffen, daß uns die Deutschen in 14 Tagen annehmbare Vorschläge machen werden. Wir werden dann in eine Erörterung.eintreten, ob und wann wir die Truppen aus dem besetzten Gebiete zurückziehen können. Erst Räumung! Breslau, 9. März. Die „Schles. Volksztg." meldet: Nach Erklärungen Fehrenbachs zu Parlamentariern wird Deutsch land vor der Aufnahme neuer Verhandlungen mit der Entente die vorherige Räumung der besetzten rechtsrheinischen Gebiete verlangen. VieAuslsMüspreffs über den Einbruch Kritische Stimme n. Es ist kaum nötig zu sagen, daß bei dem eigentüm lichen Zustand des französischen Geistes die Pariser Zeitungen fast allesamt in den wüstesten Taumeltönen kriegerischer Angriffslust gegen Deutschland schwelgen. Nur wenige linksstehende Organe behalten Besinnung genug, in diesem Augenblick den Mut zur Wahrheit nicht zu verleugne». Die britische Presse verhält sich im ganzen et was ruhiger, obwohl auch hier meistenteils der Eindruck hervorgerufen wird, man suche durch heftiges Beschult»- gungsgcschrei auf Kosten des vergewaltigten Gegners die innere Unsicherheit gegenüber der geschaffenen Situ ation zu betäuben. Jedenfalls ist es überflüssig, die Aus lassungen der um jeden Preis deutschfeindlichen Blätter aus den beiden alliierten Ländern als besondere Offen barungen zu betrachten. Sie kauen nur längst Bekanntes wieder und erwecken deshalb allergeringstes Interesse. Die wenigen kühler und kritischer denkenden Stimmen verdienen aber einen Platz unter der nachstehenden kurzen Übersicht einiger ausländischer Urteile über die Gewalt maßnahmen der Alliierten: England. Der bekannte politische Schriftsteller E. D. Morel dringt in seinem Blatt „Foreign Assairs" eine Reihe von Zu- schristen führender Persönlichkeiten. Es wird da in klaren Worten dargelegt, wie sich Großbritannien ins Schlepptau der französischen Gewaltpolitiker nehmen läßt und davor gewarnt, sen englischen Interessen, die gebieterisch den wirtschaftlichen Wiederaufbau Mitteleuropas fordern, entgegenzuarbeiten, il. a. sagt der in England hochangcschene Ben Turner, die britische Regierung sei verrückt, da sie sich vom rachsüchtigen Frankreich führen läßt. Das englische Volk büße für seine Bünden vom Dezember 1918. „Daily Expreß" hält das Schei tern der Konferenz für eine Tragödie, die zu Befürchtungen für Sie Zukunft Anlaß gebe. Das Blatt hofft, daß England einen möglichst geringen Anteil an dem Vormarsch in Deutschland rehme, da die Reparationen nicht durch solche militärischen Nittel gewonnen werden könnten. „Daily News" schreibt, Lloyd George habe das Angebot sür eine friedliche Lösung, »as von den deutschen Delegierten unterbreitet worden sei, bci- stite geschoben. Lloyd George habe vollkommen vor Briand tapituliert. Die französische Rachepolitik triumphiere. „Daily News" protestiert zum Schluß feierlich gegen den Bankerott »er Politik und den Wahnsinn, der diesen Ausgang möglich remacht habe. „Westminster Gazette" nennt das Scheitern der Londoner Konferenz einen Bankerott der Diplomatie ohne- zleichen in der Weltgeschichte. Der „Manchester Guardian" nennt die Sanktionen einen Blender von größter und ver hängnisvoller Bedeutung. Durch die Haltung der britische» Negierung und des Ministerpräsidenten wird eine Politik ge rieben, die direkt im Gegensatz »u unseren nationalen Jnter- rssen steht.