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Wilsdruffer Tageblatt : 12.01.1921
- Erscheinungsdatum
- 1921-01-12
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1782027106-192101125
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1782027106-19210112
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1782027106-19210112
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Bestände des Heimatmuseums der Stadt Wilsdruff und des Archivs der Stadt Wilsdruff
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Wilsdruffer Tageblatt
-
Jahr
1921
-
Monat
1921-01
- Tag 1921-01-12
-
Monat
1921-01
-
Jahr
1921
- Titel
- Wilsdruffer Tageblatt : 12.01.1921
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Rettungsanker, die Bereinigung mit Deutschland, ergreift, und ist deshalb zu weiteren Vorschüssen bereit, kann aber nicht allein die Ernährung von sechs Millionen Menschen übernehmen. England und Italien haben aus eine An frage Frankreichs, ob sie sich an Vorschüssen an Österreich beteiligen wollen, ausweichend geantwortet. Ms Aufwendungen für dir Nicht 7, sondern 2,8 Milliarden. Durch die Presse geht ein Bericht über eine Ver stimmung der Eisenbahner-Organisation über die Rede, die der Reichssinanzminister in der Freitag-Sitzung des finanzpolitischen Ausschusses des Reichswirtschaftsrats gehalten hat. Die Erregung soll darauf zurückgehen, daß der Reichssinanzminister von Aufwendungen des Reiches in Höhe von 7 Milliarden gesprochen habe, während Staatssekretär Schroeder die Kosten für die allenfalls zu bewilligenden Beamtenforderungen mit 2^ Milliarden angegeben habe. Es ist zutreffend, wird dazu amtlich be merkt, daß der Neichsfinanzminister von 7 Milliarden Mark gesprochen hat; aber nicht im Zusammenhangs mit den neuen Beamtenforderungen, sondern gelegentlich eines Vergleiches der Etats für 1921 und 1920. Er führte aus, daß der ordentliche Etat von 1921 bereits jetzt einen Mehr bedarf von insgesamt rund 7 Milli'arden aufweist. Da nach geht die Auffassung, als ob der Reichsfinanzminister mit der Benennung der 7 Milliarden die Kosten für die Neuforderungen der Beamten gemeint und sich damit in Gegensatz zu der von Staatssekretär Schroeder genannten Summe, die übrigens auf 2,8 Milliarden beziffert wird, gesetzt habe, von einer völlig unzutreffenden Voraus setzung aus. Oer Fall Schiffmann. Ein Auslandspaß für einen Zuchthäusler. Mit einer eigenartigen, vorläufig noch recht dunklen Angelegenheit beschäftigt sich eine kleine Anfrage, die der deutschnationale Landtagsabgcordnete Lüdicke an die Preußische Regierung gerichtet hat und in der es heißt: „Der Kaufmann Leo Schiffmann aus Berlin ist vom Schwurgericht Berlin im Jahre 1917 wegen Eigentums vergehens (schwerer Urkundenfälschung, betrügerischen Banke- rotts usw.) nach etwa fünfjähriger Untersuchungshaft zu einer Gesamtstrafe von zwölf Jahren Zuchthaus verurteilt worden. Die von ihm eingelegte Revision ist im Juli 1919 vom Reichs gericht zurückgcwiesen worden. Leo Schiffmann ist. wie ver lautet, wegen Herzleidens bis heute noch nicht zur Verbüßung der Freiheitsstrafe eingezogcn, es ist ibm vielmehr vom Polizeipräsidenten zu Berlin ein Auslandspaß erteilt worden. Seit Mai 1919 ist Schiffmann als Leiter der von ihm ge gründeten Firma Meißner und Co. in Berlin, Joachims- thaler Straße, tätig und erneut und mehrfach mit den Straf gesetzen, insbesondere wegen Verschiebung nach der Schweiz, in Konflikt geraten. Trotz alledem bedient sich, wie in Juristen kreisen verlautet, der Herr Minister des Innern des Leo Schiffmann in besonderen Austragsangelegcnheften und hat zirka fünf Millionen Staatsgelder zur Verfügung gestellt, die in diesen Angelegenheiten Verwendung finden sollen. Ent sprechen die vorbezeichneten Angaben den Tatsachen und be jahendenfalls billigt der Herr Minister des Innern die Er teilung des Auslandspasses an Schiffmann in besonderen An gelegenheiten, welcher Art ist diese Verwendung des Schiff mann, und wie verhält es sich mit den zur Verfügung gestellten Staatsgcldern?" Der preußische Innenminister ist zurzeit auf Dienst reisen, indessen wird vom Ministerium bestritten, daß Minister Severing Beziehungen zu Schiffmann hat. Irgend etwas stimmt aber nicht. Tatsächlich hat Schiff mann im Juni 1920 die Erlangung eines Auslandspasses betrieben. Der Paß ist ihm mit Genehmigung der vom Justizminister angewiesenen Staatsanwaltschaft von dem für seinen Wohnort Friedenau zuständigen Landratsamt Teltow ausgestellt worden. Die Genehmigung wurde er teilt, weil auch damals noch die Haftunfähigkeit auf nicht absehbare Zeit bestand, und weil außerdem Aussicht vor handen war, daß die außerordentlich hohe Strafe, die gegen Schiffmann verhängt worden war, im Gnadenwege herabgesetzt würde. Außerdem seien die in Frage kom menden Behörden nach der Art der mit ihnen gepflogenen Verhandlung offenbar der Überzeugung gewesen, daß sich Schiffmann nicht der Vollstreckung der Strafe entziehen wolle. Schiffmann hält sich seit Juni 1920 im Auslande auf. In der Öffentlichkeit wird man diese Erteilung eines Auslandspasses an einen zu schwerer Strafe verurteilten Mann nicht verstehen, zumal wenn man bedenkt, Welchs Umstände es für vollkommen einwandsfreie Leute macht, einen derartigen Paß zu erhalten. Ferner schweben augenblicklich beim Landgericht Berlin Prozesse von Gläubigern des Schiffmann gegen den Fiskus, denen folgender Tatbestand zugrunde liegt: Die Gläubiger des Schiffmann haben bei einem Berliner Bankhaus ein größeres Guthaben des Schiffmann ge pfändet. Sie behaupten, daß diese Gelder dem Schiff mann gehören, während der Fiskus dieses bestreitet und das Geld für sich in Anspruch nimmt. In der Tat ist das Geld, wie man zuverlässig versichert, vom Fiskus her- gegeben, und es bleibt nur noch aufzuklären, ob es dem Schiffmann für einen fiskalischen Auftrag oder aus einem andern Grunde gegeben wurde. Aus Sm aßZsireiM'M OMeZieien. „Gott bewahre uns vor dem kulturellen Tiefstand Kongreßpolens!" — das ist so etwa der Grundgedanke, der alle Bewohner der abgetretenen ehemaligen deutschen Ostgebiete beherrscht, denn was die sogenannte polnische Kultur ist, bat ihnen der ungehemmte Zustrom ihrer neuen Naterlandsbrüder gezeigt. Die früher blühenden deutschen Gebiete sind ein Schieberparadies geworden und arg ! heruntergewirtschaftet. Wenn man mit den Leuten spricht, s so klingt überall eine gewisse hochachtungsvolle Zuneigung r für ihr früheres Vaterland durch alle Reden, und das hat r neben den kulturellen natürlich auch ebenso wirtschaftliche , schwerwiegende Gründe. Obwohl die Leute nominell mehr verdienen als früher, ist der Wert des polnischen Geldes doch so gesunken, daß sie sich längst nicht mehr so viel leisten können wie unter deutscher Herrschaft. Käme es heute in ganz Pommerellen zu einer Abstimmung — und es ist möglich, daß sie einmal aus dem Volke heraus selbst gefordert werden wird — so fiele im großen und ' ganzen fast alles in Westpreußen abgetretene Gebiet wieder s an Deutschland. Denn dieses, in dem ein großer Teil der ! Männer seine Militärzeit verbracht hat und für das sie schließlich jahrelang gekämpft haben, ist ihnen doch das ! wirkliche Vaterland und steht ihnen als Vorbild der Ord- s nung und Reinlichkeit vor Augen. Sie wissen auch, daß . ihnen aus Kongreßpolen wirtschaftlich keine Hilfe kommen kann, weil es dort an Waren fehlt. Man wartet im Gegenteil auf den Austauschverkehr mit Deutschland, dem man gern von dem Überfluß der landwirtschaftliichen Er zeugnisse abgeben will. Freilich sind auch schon die großen Güter nicht mehr so rationell bewirtschaftet wie früher. Maschinen und Dünger fehlen, und es ist oft schwer genug, den Betrieb aufrechtzuerhalten. So stellt sich also das abgetretene Gebiet heute in einem Zustand wirtschaft lichen und kulturellen Verfalls dar, und sollte für alle die eine Warnung bilden, welche in ihren Neigungen für die Polen sind. Namentlich in Oberschlesien kann aus Er fahrung gesagt werden, daß ihrem blühenden Industrie länder leicht derseKie Verfall droht wie Pommerellen und auch Posen, wo, ebenso wie in Thorn sogar die Waren häuser aus Mangel an Waren schließen mußten. Jeder Oberschlesier, der im Reiche wohnt, muß wissen, was seinem engeren Heimatlande droht. Er mutz sich aber auch bewußt sein, daß der Verlust Oberschlesiens für das ganze Deutsche Reich unersetzlich ist und verheerend auf dessen Bestand wirken muß. Er halte sich das Schicksal der abgetretenen Ostgebiete vor Augen und tue seine Pflicht für Deutschland. Russischer Willkomm für ausländische Arbeiter. Ähnlich wie den deutschen Arbeitern ist es zahlreichen Personen gegangen, die in Amerika den Lockungen der Sowjetregierung nachgegeben haben und nach einer vor hergegangenen technischen Ausbildung nach Rußland ge kommen sind, um ihre frisch erworbenen Kenntnisse als Spezialisten und qualifizierte Arbeiter in den Dienst der großen Sache zu stellen. Als bester und ausschlaggebender Beweis für die Mühseligkeiten und Entbehrungen, denen diese Unglücklichen gleich nach ihrer Ankunft ausgesetzt waren, sei eine Schilderung der bolschewistischen Wirt schaftszeitung „Ekonomitschefkaja Shisn" hier in wort getreuer Übersetzung wiedergegeben: „Ich will nicht beschreiben, welchen Mühseligkeiten die Genossen unterwegs ausgesetzt waren, aber hier in Moskau, wo man glauben sollte, alle Entbehrungen müßten zu Ende sein, sehen wir, daß sie eigentlich erst an- „Niemand will die auf dem Bahnhof mit Kind und Kegel Ankommenden empfangen. Erst nach langem Hin und Her kommt man zu der Überzeugung, daß sie irgendwo, untergebracht werden müssen, und schafft sie in ein mit Gefangenen und Flüchtlingen überfülltes Durch gangslager, wo sie mit Frauen und Kindern in Korri doren, auf Treppen, ja fast unter freiem Himmel lagern müssen. Und in einer solchen Lage, ohne Nahrung, ohne Unterkunft, müssen sie wochenlang zubringen." Man müßte annehmen, daß ein solches Verhalten der Sowjetregierung nur auf die allgemeine Desorganisation und den Mangel an Nahrungsmitteln zurückzuführen sei, da sich die Sowjetregierung ja durch ein solches Vorden- kopfstoßen der ausländischen Arbeiter selbst ins Fleisch schneidet und sich alle Sympathien verscherzt. Diese äußeren Umstände können aber nur zum Teil als Erklä rung für diese merkwürdige Art der Gastfreundschaft dienen. Die Sowjetregierung ist nämlich gezwungen, die Fremden nicht besser zu behandeln, als ihre eigenen Arbeiter, da sie dieselben dadurch noch mehr gegen sich aufbringen würde. Der nationalrussische Arbeiter und Bauer will von einer Solidarität des internationalen Proletariats nichts wissen, im Gegenteil, er sieht in jedem Fremden einen Feind und lästigen Konkurrenten, den er innerlich zum Teufel wünscht. Die den Nationalrussen Wohl durchschauende, seinem Wesen aber völlig fremd gcgenüberstehende Sowjetregierung fürchtet daher durch ein Entgegenkommen den Ausländern gegenüber den russischen Arbeiter zu offener Empörung zu bringen und hieraus erklärt sich auch der berühmte, den deutschen Arbeitern in Kolomna entgegengeschleuderte Ruf: Wir können zwischen deutschen Arbeitern und chinesischen Kulis keinen Unterschied machen! Von der Rätezeitung aber tönt nichtsdestoweniger der Ruf entgegen: Trotz alledem gehen wir nach Rußland! Deutscher Arbeiter, wann wirst du endlich dir die schlaftrunkenen Augen reiben und im grausen Erwachen erkennen, wie es in Wahrheit um die vielgepriesene Solidarität der Völker steht? Rah und Kern Der Reichszuschuß für dis Leipziger Messe wird für 1921 in Höhe von 20 Millionen Mark (bisher 2 Millionen Mark) beantragt. Er soll hauptsächlich verwandt werden für dis Werbearbeit im Auslande, dessen Zuspruch auf der letzten Herbstmesse nicht den Erwartungen entsprach. Den Antrag haben auch die sächsischen Gewerkschaften unter stützt, da schätzungsweise über zwei Millionen Arbeiter und Angestellte mittelbar an der Messe interessiert sind. Valutazuschläge für Ausländer will die Leipziger Hotel vereinigung künftig nicht mehr erheben. Goldene Eheringe sind Gegenstände des täglichen Be darfs. Diesen Grundsatz teilt jetzt das Reichswirtschafts ministerium allen Behörden und Stellen, die mit dem Preisprüfungswesen befaßt werden, mit. Das Reichs ministerium stützt seine Stellung auf die Rechtsprechung und das Sckrikttum Verhaftete Kriegsmillionäre. Wegen Wuchers wurden in Berlin der Agent Martin Cohen und sein Teilhaber Avellis in Untersuchungshaft genommen. Die beiden „Geschäftsfreunde", die noch vor wenigen Jahren fast mittellos waren, hatten es verstanden, sich bei der Ver waltung des Reichsbranntweinmonopols als Handels anwälte einzuschleichen und durch Vermittlung von Sprit einfuhrfreigaben sowie durch Spritgeschäfte auf eigene Rechnung Millionengewinne zu erzielen. Cohen besitzt nach feinen eigenen Angaben ein Vermögen von acht Millionen Mark, ferner ein Guthaben von zwei Millionen in Holland, eine Villa in Wannsee, Reitpferde und zwei Luxusautomobile. Beamte der Wucheralfteilung beschlag nahmten die nach Millionen zählenden Wertgegenstände und Bankguthaben der beiden Schieber zur Einziehung und Wahrung der Steuerinteressen. v Die Notgcmeinschast der Deutschen Wissenschaft, Lie kürzlich gegründet wurde, hielt unter dem Vorsitz des früheren .Kultusministers Dr. Friedrich Schmidt-Ott eine Versammlung ab, in der ein trauriges Bild von der Not lage der deutschen wissenschaftlichen Einrichtungen entrollt wurde. Die Notgemeinschaft unterhält bei der Disconto- Gesellschaft in Berlin ein Konto, auf das Spenden einge zahlt werden können. Deutsch-italienische Fürstenhochzeit. Auf dem Schlosse Tglie (Piemont) wurde im engsten Familienkreise die Vermählung der Prinzessin Bona von Savoyen mit dem Prinzen Conrad von Bayern vollzogen. Der König und die Königinmutter von Italien, sowie alle Prinzen des Hauses Savoyen und die Angehörigen des Prinzen Conrad wohnten der Feierlichkeit bei. Die Eheschließungs- Urkunde wurde von Giolitti ausgenommen, der Vizepräsi dent des Senats fungierte als Standesbeamter, die Ein segnung des Brautpaares vollzog Kardinal Richelmy. Gräfin Pia Raman von H. Courths-Mahler. 31. Fortsetzung. (Nachdruck verboten.) So kamen sie in Schloß Buchenau an. Zuerst begegnete Ihnen Frau Dornemann. Sie schlug die Hände zusammen und rief erschrocken: „Mein Gott — Komteßchen! Das schöne frische Kleid — es ist ja klitschnaß geworden." Pia sah an sich herab. „O weh, Dornemännchen — da haben wir die Pastete! Ich sage es ja immer, so weißer Plunder ist nichts für mich. Was tun wir denn da, liebes Dornemännchen?" „Sie müssen sich natürlich sofort umziehen. In den nassen Sachen können Sie unmöglich bleiben." Pia sah schelmisch zu Hans von Ried hinüber. „Also da hilft nichts — das Verhängnis muß seinen Lauf nehmen. Bitte, gehen Sie inzwischen zu Papa — aber mit dem Frühstück auf mich warten — ja? Ich beeile mich, so sehr ich kann," sagte sie. Ried verneigte sich lachend. , - „Wir warten, Komteß — uni» wenn wir inzwischen vor Hunger umkommen." Pia rannte die Treppe hinauf nach ihrem Zimmer. Da Lina noch im Badehäuschen zurückgeblieben war, um dort Ordnung zu schaffen, mußte sie sich ohne Hilfe fertig machen. Hastig streifte sie ein anderes Kleid über. Das Haar durchzukämmen und zu flechten war sie allein außer stande. Es war viel zu schwer, vollends in dem feuchten Zustand. So drehte sie es nur fest wie ein Tau zusammen und türmte es in einem großen dicken Knoten auf den Kopf, es mit großen Nadeln feststeckend. Der Riesen knoten stand in grotesker Weise von dem feinen Köpfchen ab. Diese ge waltsame Frisur sah einfach schauerlich aus. Sie entstellte das arme Komteßchen furchtbar. Aber Pia nahm sich gar nicht erst Zeit, in den Spiegel zu sehen. Sie Hütte wohl auch dann schwerlich etwas geändert, denn sie war in höchster Eile, wieder hinabzukommen, an den Frühstückstisch — und in Hans Rieds Gesellschaft. Dieser hatte inzwischen den Hausherrn aufgesucht und begrüßt, und dann waren die beiden Herren hinausgegangen auf die Veranda, wo auch heute unter einem rot und weiß gestreiften Leinenzelt der Frühstückstisch gedeckt war. Die Herren ließen sich aber noch nicht daran nieder, sondern warteten, langsam auf und ab gehend, auf Pia. Als diese dann nach einer Weile erschien, fiel es selbst ihrem Vater aus, wie unvorteilhaft sein Töchterchen in dem steif abstehenden Haarknoten aussah. Hans von Ried aber starrte sie ganz betroffen an. Er begriff wieder einmal nicht, daß ein weibliches Wesen so total ohne jede Regung der- Eitelkeit sein konnte. „Wie siehst du denn aus, Pia? Was hast du mit deinem Haar gemacht?" rief ihr Vater fast unwillig. Auch Frau Dvrnemcmn, die, gefolgt von einem Diener, eben auf die Veranda trat, sah ganz entsetzt auf das Komteßchen. Pia aber blieb ganz gleichmütig. „Es ist naß, Papa — vom Vaden," antwortete sie. „Ich bitte dich, ziehe die Nadeln aus dem Haar und laß es trocknen. Konnte dich Lina nicht besser frisieren?" „Lina ist noch nicht zurück, Paxa. Und mit offenem Haar darf ich mich nicht zu Tisch setzen, da zankt Frau Dorne mann. Und Herr von Ried mag sicher auch nicht mit einem Struwelpeter zu Tisch sitzen." Wider Willen mußte Graf Buchenau nun lächeln — Hans Ried tat es auch, und Frau Dornemann trat an das ganz unglückselig aussehende Komteßchen heran und löste schnell die Nadeln aus dem grotesken Knoten. Schnell holte sie dann ein blaues Band herbei und band es dicht am Hinter- kops um das Harr, so daß es Pia nicht so wild um das Gesicht hing. „So geht es schon besser, Komteßchen," sagte sie, mit fast mütterlichem Stolz über das herrliche Haar streichend, als wollte sie sagen: „Es kann sich schon sehen lassen." Vergnügt nahm Pia nun mit den beiden Herren am Frühstückstisch Platz und schmauste mit dem gesunden Appetit der Jugend. Hans von Ried aber dachte: „Sie muß unbedingt einige Zeit unter die Obhut eiiwr Dame kommen, die sie lehrt, Toilette zu machen und sich darin damenhaft zu bewegen. An der nötigen Grazie und Anmut wird es ihr bei ihrem elastischen Körper nicht fehlen. Das müßte geschehen, ehe sie meine Frau würde." So schien der Gedanke, der heute zuerst in ihm auf getaucht war, schon festere Gestalt anzunehmen. „Heute oder morgen braucht es ja noch nicht zu sein — ich kann noch warten, ehe ich eine Entscheidung treffe," dachte er weiter. * Einige Wochen später entschloß sich Graf Buchenau ganz plötzlich, seinem jungen Freunde in Schloß Riedberg einen Besuch zu machen. Er ließ den Wagen anspannen und verkündete dann Pia seinen Entschluß. Sie war sehr freudig betroffen. „Laß mich mitfahren, Papa — ich möchte so gern da bei sein," bat sie erregt. Er schüttelte aber fast finster den Kops. „Nein, Pia, heute nicht — heute muß ich allein sein. Es wird nik schwer, sehr schwer fallen, dieser erste Schritt über eine fremde Schwelle. Dabei kann ich dich nicht ge brauchen. Das nächste Mal sollst du mit mir gehen." Etwas bang war ihr ums Herz, als der Vater in den Wagen stieg. Sie drückte ihm krampfhaft die Hand, als gehe er einen schweren Weg. Und das war auch der Falft Für ihn war dieser Weg sehr schwer. Er brach dadurch mit einer jahrelangen Gewohnheit und bezwang seine Menschen scheu, die ihm doch in Fleisch und Blut übergegangen war. Auch Frau Dornemann hatte sich herbeigeschlichen und sah ihrem Herrn mit unruhigen Augen nach, als der Wagen davonfuhr. (Fortsetzung folgt.)
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