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Wilsdruffer Tageblatt : 20.02.1920
- Erscheinungsdatum
- 1920-02-20
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1782027106-192002202
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1782027106-19200220
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1782027106-19200220
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Bestände des Heimatmuseums der Stadt Wilsdruff und des Archivs der Stadt Wilsdruff
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Wilsdruffer Tageblatt
-
Jahr
1920
-
Monat
1920-02
- Tag 1920-02-20
-
Monat
1920-02
-
Jahr
1920
- Titel
- Wilsdruffer Tageblatt : 20.02.1920
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euiwickelten sich mit der größten Regelmäßigkeit und Ord nung. Aus dienstlichen Gründen werden die Gefangenen nicht mehr in Mannheim und Düsseldorf, sondern in Ludwigshafen und an der Mosel übergeben. Am 2V Februar beginnen die Krankentransporte in besonderen Lazarett- iügen. Frankreich. X Nichtigkeitserklärung der Mannesmann - Kon zessionen. Bor dem- interalliierten Schiedsgericht über marokkanische Minenangelegenheiten in Paris ist über die Mannesmann-Minenreklamationen die Entscheidung gefällt worden. Das Schiedsgericht hat gegen die Stimme des deutschen Schiedsrichters die von den Gebrüdern Mannes mann 1908 und 1909 vom Sultan Mulay Hafid erworbenen Minen-Konzessionen für nichtig erklärt. Für die Kosten, die die Gebrüder Mannesmann zur Erwirkung der Konzessions rechte seinerzeit verausgabt haben, läßt das Schiedsgericht aber die Zahlung einer Entschädigung zu. Großbritannien. X Lord Churchill über Deutschland und Ruhland. Wie die englischen Blätter vom 16. Februar melden, sagte Churchill in seiner Rede in Dundee noch: Unser Interesse war es, in Rußland eine Regierung zu sichern, die sich nicht in die Hände der Deutschen geben würde. Das haben wir versucht. Es liegt auch im Interesse Englands, daß Deutsch land nicht in die Arme Rußlands getrieben wird. Deshalb muß England alles tun, um der gegenwärtigen deutschen Regierung weiterzuhelfen. Nutzland. X Rückkehr der russischen Kriegsgefangenen. Der englische Vertreter in Kopenhagen erklärte, Dänemark habe seine Zustimmung gegeben, daß die 1600 aus Deutschland nach Dänemark geflohenen russischen Kriegsgefangenen, die interniert sind, nach Rußland zurückkehren, während ander seits den in Rußland befindlichen dänischen Untertanen die Heimkehr gestattet wird. Holland ist auf ähnliche Be- dingungen eingegangen. Auch die Schweiz und Belgien und vielleicht auch Frankreich und die andern Ententeländer werden ein ähnliches Abkommen treffen. O'Grady drückte schließlich den Wunsch aus, daß die Blockade gegen Rußland sofort aufgehoben werden möchte Helfiugforö. Wie hier verlautet, bat die polnische Re gierung der lettischen mitgeteilt, daß Polen wahrscheinlich in der nächsten Woche die Friedensverhandlungen mitRäte- ru bland beainnen werde. Derhandlungspause. 8 Berlin, 18. Feb uar. Heute und morgen ist Ruhetag in Moabit. Der Neben kläger ist durch eine wichtige Staatssitzung am Erscheinen verhindert. In gehobenerer Stimmung als bei früheren Unter brechungen konnte gestern der scharf angegriffene Reichsfinanz- minister den Verdandlungssaal verlassen, denn ein Vrozeß- abschnitt, von dem man eine „große Sensation", den „großen Kladderadatsch" erwartet«, ist zugunsten des Nebenklägers ab geschlossen worden. Es war behauptet worden, daß der Großkauimann Ottomar Strauß, Mitinhaber der Eisenhandels firma Otto Wolff, mit Hilfe Erzbergers zum Ge heimen Regierungsrat ernannt wurde, der nun am Rcgierungstisch sitze, wo er allerlei erfahren kann, was seinem Geschäfte von Nutzen sein mag. Unter Eideszwang gestellt, bekundete Herr Strauß, daß an seiner Ernennung zum Geheimrat Herr Erzberger unbeteiligt ge wesen, und daß er aus seiner Stellung in keiner Weise Nutzen für sein Geschäft gezogen habe. Er habe sich nicht der Negierung angeboten, sondern die Stellung als Chef der Nachrichtenabteilung beim preußischen Siaatsministerium sei ibm angeboten worden. Der Teilhaber seiner Firma, Herr Otto Wolff, bekundet, daß zwischen ihm und Herrn Erzberger keinerlei Beziehungen finanzieller Art bestanden hätten und daß er Informationen irgendwelcher Natur von keiner Seite erhalten noch verlangt habe. Staatskommissar o. Berger lagt ans, daß Erzberger von der Ernennung des Geheimrats Strauß überhaupt keine Kenntnis haben konnte. Nach diesen Aussagen bemerkte der Vorsitzende, es müsse in erster Linie der finanzielle Hintergrund festgestellt werden. Mit leisem Tadel sügte er hinzu: Das Gericht sei doch keine Kommission zur Aufdeckung von allen möglichen Schäden im Staatswesen. Nicht ganz so günstig wie der „Fall Strauß" schloß der „Fall Kolk" kür den Nebenkläger ab. Es wurde da feit- geueur, daß der Avg. Erzberger an einer Malchtnensaonr rur Eisenbedarf, die ein früherer Maschinenschlosser Richter ge gründet halte, mit 40 °/° beteiligt war. An der Fabrik, die ausschließlich für die Eisenbahnbshörde arbeiten wollte, war auch ein Herr von der Kolk beteiligt. In einem Briefe, den er an den Nebenkläger gerichtet hatte, erklärte er sich bereit, „irgendeine einflußreiche Persönlichkeit" mit 3 vom Umsatz oder einem Mindestbetrag von Mk. 10 000 jährlich an dem Geschäfte zu beteiligen. Abg. Erzberger, der damals schon Staatssekretär war, rüffelte den Herrn Kolk wegen des Schreibens, das wie ein Bestechungsversuch anmutet, gab aber trotzdem den Brief an einen Geheimrat im Reichsamt des Innern weiter. Obwohl der Nebenkläger bei diesem Geschäft sein Geld verlor, wird ihm seine Haltvna im Falle Kolk leitens seiner Gegner scharf angekreidet. So schloß der 15. Berhanülungstag. Wenn es wieher zum Kriege käme... Die allerneueste Kriegstechnik. „Die Vollendung in der Kunst, Massen zu töten, dis während des Weltkrieges erzielt wurde, erscheint als gering fügig gegenüber den Fortschritten, die seit dem Waffenstill stand in dieser grauenvollen Kunst gemacht worden sind." Dies ist das Ergebnis einer Rundfrage, die ein Pariser Boulevardblatt an Gelehrte und Militärs gerichtet hat, um zu erkunden, was geschehen würde, wenn der Krieg von neuem ausbräche. Die Unterschiede und Abstände, die zwischen der Kriegstechntk von 1870/71 und der der Jahre 1914/18 bestanden, wären geringer als die Unterschiede zwischen der Kriegstechnik von 1918 und der von 1920. Brandy, den die Franzosen als den „theoretischen Er finder" der später von Marconi praktisch erprobten draht losen Telegraphie preisen, sagt: „Geradezu fabelhaft sind die Fortschritte der Luftschiffahrt. Da ein Luftfahrzeug Tausende von Kilogrammen an Geschossen mit ungeheurer Geschwindig keit von einem Ort zum andern schaffen kann, muß man sich fragen, ob es im Augenblick einer neuerlichen Kriegs erklärung nicht vor allem notwendig wäre, unter den Städten tiefe Unterstände zu bauen. Sonst gäbe es für niemand und an keiner Stelle der Erde Sicherheit. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann Luftfahrzeuge mit der Tragfähigkeit von hundert Personen gebaut sein werden. Bald werden die Luftschiffe eine Fahrgeschwindigkeit von 300 Kilometern in der Stunde erreicht haben. Ein künftiger Krieg würde also noch mörderischer sein als der eben beendete, da er noch „wissenschaftlicher" geführt würde. Theoretisch ist es ja möglich, Zerstörungseffekte auch mittels der drahtlosen Telegraphie zu erzielen. Noch gibt es aber gewisse Schwierig keiten. Man brauchte zum Beispiel Aufnahmeapparate in Varis, die von Berlin aus dirigiert werden müßten. Während des Weltkrieges wollte man mittels drahtloser Telegraphie die deutschen Pulversabriken in die Luft sprengen. Es gelang nicht, weil es in diesen Fabriken keine von den Franzosen dirigierten Aufnahmeapparate gab. Aber auf dem offenen Meere könnte ein ganzes Schiff, das mittels drahtloser Telegraphie dirigiert würde, in eine feindliche Flotte hineingeworfen werden und furchtbare Zerstörungen Hervorrufen. Ebenso könnte man sich Unterseeboote oder Luftfahrzeuge denken, die keine Besatzung haben und, mittels drahtloser Telegraphie gelenkt, Explosionen beim Feinde ver anlassen." Der ehemalige Kriegsminister Painlevs, der einer der bedeutendsten Physiker und Mathematiker Frankreichs ist, schreibt: „Ein künftiger Krieg würde sich von allen srüberen Kriegen vor allem durch die erhöhte Anteilnahme der Lust technik unterscheiden. Man würde Lustbombarüements sehen, die unendlich wirksamer, häufiger und verderblicher wären, als es selbst die des Jahres 1918 waren. Auch der Gas krieg wäre noch mehr durchgebildet. Geschosse, nicht von Kanonen geschleudert, sondern sozusagen von selbst fort bewegt, wie Raketen, hätten eine ungeheure Trag- und Zer störungskraft. Es wird gelingen, solchen Geschossen die Präzisionsfähigkeit zu geben, die jetzt die größten der groß kalibrigen Geschosse haben. In dieser Richtung sind bereits große Erfindungen gemacht und Fortschritte erzielt worden." Professor Moureau, einer der größten Chemiker Frank reichs, meint: „Eines der charakteristischen Merkmale des letzten Krieges war das Eingreifen der Chemie. Ein nächster Krieg würde noch „chemischer" sein, er würde im Wesen ganz chemisch sein und darum auch außerhalb des eigent lichen Kampfseldes fürchterlich wirken. D.-e Chemie würde sich nicht bloß auf die Entwicklung aller Möglichkeiten oer Herstellung giftiger Gase und auf die Erfindung neuer Explosivstoffe beschränken, sie würde auch in das ganze wirt schaftliche Leben eingreifen, wie dies die deutschen Chemiker im Weltkrieg getan haben, indem sie zum Beispiel die Her stellung von Stickstoff aus der Luft improvisierten, um der notleidenden deutschen Landwirtschaft zu Hilfe zu kommen." Ein Mitglied des Admiralstabes der französischen Marine ist der Überzeugung, daß für die nächste Zeit eine gewaltige Entwicklung der Unterseeflotte zu erwarten sei. Die Unterseeboote würden (vollkommene Unterseekreuzer werden. Im letzten Kriege mußten sich die Unterseeboote fast ausschließlich der List bedienen: sie verbargen sich und flohen, wenn sie sich entdeckt sahen. In Zukunft aber würden sie so gut bewaffnet und ausgerüstet sein, daß sie den Kampf aufnehmen würden. Der Seekrieg werde künftighin mit Riesenunterseeschiffen und Wasserflugzeugen geführt werden. Was die Artillerie angehe, so sei eine gewaltige Erstarkung des Kalibers und der Flugweite der Geschosse zu gewärtigen. Das 450-Millimeter-Geschoß werde das Minimum dar stellen. Botschaften vom Mars? Klopfgeister auf drahtlosen Stationen Englands und Amerikas. Seit einiger Zeit werden die dratlosen Stationen in London und Newyork durch allerlei seltsame Störungen beunruhigt, für die Herr Marconi durchaus keine Erklärungen abgeben kann. Die ganze Gelehrtenwelt der angelsächsischen Well ist befragt worden, und eine Menge von populären Schriftstellern beschäftigt sich init der rätselhaften Geschichte. Da man durchaus keinen Anhalt dafür finden kann, wer auf der Erde solche Wellen aussenden kann, die jeder Entzifferung trotzen, ist man natürlich darauf verfallen, die Ausgangs quelle außerhalb unserer Mutter Erde zu suchen. Vermutlich wollen unsere nächsten Nachbarn im Planetensystem, die Be wohner des Planeten Mars, gern wissen, was denn eigent lich in den letzten Jahren auf der Erde los gewesen ist. Man hält es nicht für ausgeschlossen, daß man auf dem Mars irgendwie gewartet hat, daß ein großer Weltkrieg tobte, und nun sind die Marsleute begierig zu erfahren, ob es wirklich zwanzig Mächten gelungen ist, einen schlimmen Feind, der sich noch dazu verzweifelt wehrte, niederzu kämpfen. Der französische General Fcrriö, der den drahtlosen Dienst der französischen Armee leitet, glaubt allerdings gar nicht an das Wunder. Auf dem Eiffelturm zu Paris hat man keine abnormen Zeichen bekommen, abgesehen von ein paar Störungen, die man schon längst als atmosphärischer Natur kennt. Er meint auch, daß es kaum möglich sein würde, die Wellen der drahtlosen Telegraphie durch die höheren Luftschichten der Erde hindurchzuschicken, da die Sonne diese Schichten in Leiter verwandelt. Wenn wirklich Zeichen vom Mars kämen, sagt Ferris, so müßten alle drahtlosen Stationen der Erde mit einemmal Wellen pon derselben Länge zu verzeichnen haben, und das ist doch offenbar nicht der Fall. Baillaud, der Direktor der Pariser Sternwarte, erklärte, von der ganzen Geschichte überhaupt nichts zu wissen, aber es wäre möglich, daß magnetelektrische Strudel auf der Korona der Sonne die Ursache der Erscheinung wären. Eine etwas weniger klare, aber im ganzen dasselbe be sagende Ansicht scheint der Major Julien zu haben, der die drahtlose Station des Eiffelturmes beaufsichtigt. Auch Professor Branly von der französischen Akademie der Wissenschaften denkt an Ausbrüche in der Sonnen atmosphäre. Er hält es für möglich, daß hierdurch Zeichen in gewissen Intervallen entstehen, aber glaubt nicht, daß sie als Buchstaben eines Alphabets zu deuten wären. Wenn man annehme, sagt Branly, daß auf diesem Wege Bewohner eines fremden Planeten mit uns in Verkehr treten möchten, so würde das voraussetzen, daß jene Wesen eine der unseren entsprechende Zivilisation besitzen, und daß ihre Sprache in gewissem Grade doch der unseren ähnlich organisiert wäre. Daß die Hertzschen Wellen über den Ball unserer Atmosphäre hinaus weit in den Weltenraum dringen können, hält dieser Gelehrte nicht für ausgeschlossen. Aber viel schwieriger würde es sein, diese Wellen auf einem andern Planeten zu registrieren, und es wäre kaum zu denken, daß dis dort Vas kulenhaus. 67) Roman von E. Marlitt. „Es ist ein Verzeichnis der kleinen Andenken, die ich nach meinem Tode verteilt wissen will. Bewahre es — es Ft eine Abschrift, das Original hat der Herzog." „Du sollst dich nicht so entsetzlich aufregen, Elisabeth." „O. ich werde ruhiger sein, wenn alles geordnet ist, Dina. Lies noch einmal laut, ob ich auch nichts versäumte. Es soll niemand sagen: Sie vergaß mich!" Mit bebender Stimme las Klaudine. Zuweilen machn ein Tränenflor ihren Augen die Schrift unleserlich; es war alles so zart ausgewählt, es zeugte jedes einzelne von einein so innigen tiefen Gemüt. „Meiner lieben Klaudine gehöre der Schleier aus Brüsseler Spitzen, den ich getragen als Braut —" Eine flammende Rote schlug über das Mädchen ver grämtes Gesicht — sie wußte, was die Herzogin gemeint „Nimm es zurück, nimm es zurück!" schluchzte sie und kniete am Bette nieder. „O wie schlimm! O wie schlimm!" sagte die Herzogin „du und er — unglücklich. Ihr, meine beiden liebsten Menschen I" Klaudine küßte die heißen Hände der Kranken und eilte hinaus; der Schmerz tobte zu heftig in ihr. Im Winter garten unter den Magnolien und Palmen weinte sie sich aus; das leise Geplätscher des Springbrunnens zu ihren Füßen beschwichtigte ihre wilde Verzweiflung; sie war nach einigen Minuten so weit gefaßt, daß sie ruhig „Gifte Nacht!" wünschen konnte. Als sie durch die seidenen Vorhänge hinüber,spähte zu dem Bette, lag die Kranke anscheinend im Schlummer, einen grainvollen Zug um den Mund. Im Vorzimmer traf Klaudine den alten Medizinalrat, er begrüßte sie freundlich. „Ist es denn wirklich so nahe, das Ende?" fragte das er schütterte Mädchen. Er reichte ihr zutraulich die Hand. „Solange noch Atem ist, gnädiges Fräulein, ist auch Hoffnung, Aber nach mensch- ltchdm Ermessen — Hoheit wird auslöschen wie ein Licht, wird vor Erschöpfung einschlafen eines Tages." Klaudine beutete unwillkürlich nach ihrem Arme »Herr Rat?" „Ach, gnädiges Fräulein," sagte der alte Mann gerührt, »Has Hilst nicht mehr, Hier ists vorbei, hier!" und er deutete auf die Brust. „Ich will noch zum Herzog, um Nachricht zu bringen von dem Befinden Ihrer Hoheit," sprach er leise, ' indem er neben der jungen Dame den Flur entlang ging. „Seine Hoheit hat übrigens gleich eine sehr unerfreuliche Ueberraschuna hier voraefunden. Sie wissen doch schon? Palmer ist verschwunden und hat eine große Unordnung hinterlassen," „Nach Frankfurt fuhr er die vergangene Nacht," sagte Klaudine betroffen, „er wollte vermutlich den Herrschaften entgegenreisen; ich sah ihn auf dem Bahnhof in Wehrburg." „Dieser Schuft," murmelte der alte Herr, „er ist längst jenseits der Grenze. Entgegenfahren? Wer hat Ihnen das vorgefabelt, gnädiges Fräulein?" „Ich hörte, wie er zu Frau von Berg davon sprach." Und Klaudine stand still; das ganze merkwürdige Erlebnis wurde ihr plötzlich klar. „Die passen füreinander," lachte der Arzt; „ich will's aber doch vorläufig Seiner Hoheit erzählen. Da werden wir morgen die Nachricht erhalten, daß auch die Gnädige verreist ist, mit Hinterlassung von allerhand merkwürdigen Sachen. Man soll nicht schadenfroh sein, aber Ihrer Durch laucht gönnte ich es; sie hat auf eine wunderbare Art die Dame beschützt. Gute Nacht, gnädiges Fräulein!" Es war so. Am anderen Morgen erfuhr man im Schlosse, daß Frau von Berg Plötzlich verschwunden sei. Sie hatte nichts weiter hinterlassen als ein Päckchen Briefe, an die Herzogin gerichtet, und einen Brief an Seine Hoheit. Aber der Schutz engel, der an der Schwelle des Krankenzimmers Wachs hielt in Gestalt der Frau von Katzenstein, ahnte sofort, daß der Inhalt des Päckchens nicht geeignet sein könne für Ihre Hoheit, sie übergab es daher sogleich dem Herzog. Die alte Dame kam just in dem Augenblick, als Seine Hoheit mit der Zornader auf der Stirn einen Haufen Papiers durchstöberte; der Polizeidirektor war ebenfalls im Zimmer anwesend. » Der Herzog mochte glauben, Frau von Katzenstein bringe ihm Nachricht von Ihrer Hoheit. Statt dessen reichte ihm die alte Dame nun ernsthaft ein mit himmelblauen Seiden bande umwundenes Päckchen Briefe hin, dessen oberster, unverkennbar von der Handschrift Seiner Hoheit, die Adresse der Frau von Berg trug. Der Herzog ward blaß. „Und das sollte man Ihrer Hoheit übergeben?" fragte er bewegt und sah schier fassungslos die Zeugen einer lustigen Junggesellenzeit an, von damals, wo man so gern bei Herrn und Frau von Berg aben^ saß und Whist spielte in dem blauen, koketten Gemach dc^ schönen Frau. Dieses Weib, das niemals in einem Raume mit der Frau, deren Lebenszeit nur noch Tage zählte, der man diese Tage durch eine Gemeinheit zu qualvollen gemacht, hätte atmen dürfen — dieses Weib wagte, noch an den Frieden des Sterbebettes zu rühren? „Ich danke Ihnen, gnädige Frau!" sagte der Herzog erschüttert. Und er nahm die Briefe und warf sie in den Kamin, und iene anderen Vaviere warf er ebenfalls nach. Unwillkürlich wischte er sich hinterher die Finger a» dem Batisttuch. „Lassen Sie den Schuft laufen, Her? von Schmidt/ sagte er dann verächtlich und machte eine liebens würdige verabschiedende Bewegung zu dem Polizeidirektor. Der Herzog ging, nachdem jener sich entfernt hatte, fehr- erregt im Zimmer auf und ab. Einer der Briefe, ein kleines Kärtchen, war da liegen geblieben vor dem Kamin; der Herzog bemerkte es erst nach einer Weile und hob eS auf. Es war Herrn von Palmers wohbekannte Handschrift. „Gestern abend," laS er, „habe ich der schönen Klaudine ein Briefchen des Herzogs überreichen müssen; ich stahl es ihr, als ich ihr beim Einsteigen half. Anbei übergebe ich Ihrem großartigen erfinderischen Sinn das wertvolle Blättchen zu beliebiger Verwendung. Nun, mein Schätzchen wird die Mine so geschickt zu legen wissen, daß die kluge, uns beiden so freundlich gesinnte Dame in die Lust fliegt —" „Also Palmer auch schuldig hierin!" Er lächelte bitter und dachte an das heißblütige, dunkeläugige Geschöpfchen, dem man die Zündschnur zu dieser Mine m die Hand gab. Die Mine war explodiert, das erste Opfer lag da drüben und — die Verbrecher waren entkommen. " Dieser schlaue Mensch hatte sich wenigstens vorgesehen, hatte verstanden zu betrügen mit lächelnder Natürlichkeit, wie es bis jetzt noch an keinem Hofe vorgekommen sein mochte. Es war kein Bediensteter unter dem gesamten Personal des Hofhaltes, der nicht rückständigen Lohn zu fordern hatte; kein Hoflieferant, welcher Art er sei, der seit zwei Jahren einen Pfennig bekommen. Die Beamten des Herzogs hatten alle Hande "voll zu tun um zu erfahren, bei wem er etwas schuldig war. Im herzoglichen Rentamt drängten sich die Leute mit Forderungen, nachdem die Flucht Palmers bekannt geworden. Der Herzog mußte zornig lachen, als er die Einzelheiten erfuhr. Die in Geldsachen sehr peinliche Herzoginmutter war darüber empört, einen Landauer zum zweiten Male be zahlen zu müssen, und ertrug dennoch nur mit Mühe den Gedanken, daß sie in eben diesem Wagen ganz ruhig an dem Hause des Fabrikanten vorübergefähren sei, der so oft untertänige Mahnbriefe an Palmer geschickt hatte. Die ganze Residenz war außer sich und wünschte dem Ent kommenen Zuchthaus und Galgen; aber so schlaue Bögel entwischen in der Regel. Klaudine erfuhr dies alles durch die Zofe; es erregte kaum flüchtig ihr Interesse. Sie dachte nur an das, was das Heute ihr bringen würde, an die Entscheidung ihres Schicksals, Die Nachrichten über das Befinden der Herzogin lauteten nicht schlechter; sie hatte oerschiedene Stunden ge schlafen, aber noch nicht die Gegenwart der Freundin ge wünscht.
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