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Wilsdruffer Tageblatt : 24.01.1920
- Erscheinungsdatum
- 1920-01-24
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1782027106-192001249
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1782027106-19200124
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1782027106-19200124
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Bestände des Heimatmuseums der Stadt Wilsdruff und des Archivs der Stadt Wilsdruff
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Wilsdruffer Tageblatt
-
Jahr
1920
-
Monat
1920-01
- Tag 1920-01-24
-
Monat
1920-01
-
Jahr
1920
- Titel
- Wilsdruffer Tageblatt : 24.01.1920
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ähnlichen Lage würde kein Pole oder Däne an der Urne fehlen. Auf dem Rücken trüge man den letzten zu ihr hin. wenn es keine andere Möglichkeit gäbe. Die Kinder unseres Volkes schreien nach unserer Hilfe. Ihrer dreimalhunderttausend Helfer stehen bei uns bereit, zu der Abstimmung Berechtigte, weil im Abstimmungsgebiet Geborene: es gilt nur. sie hinzuschaffen, ihnen, die vielfach in der Not der Gegenwart um ihr eigenes tägliches Brot zu kämpfen haben, dieses für einige Tage zu sichern und sie selber mit einem Fahrschein in die Heimat zu versehen, deren Rufen nicht ungehört verhallen darf. Wir Deutschen sind seit jeher ein gebefreudiges Volk, wir haben das ver brannte Aalesund wieder aufgebaut, die Erdbebentrümmer von Messina hinweggeräumt, den Hungernden im fernen elften Nahrung gesandt, sollten wir das, was wir Nor wegern und Italienern und Indern reichlich spendeten, den in letzter, größter Not ringenden eigenen Landeskindern ver sagen? Diese Schmach bliebe ein Kainszeichen, das keine Jahrtausende abwischen könnten. Es geht um unser Leben oder Sterben als Nation. Jetzt müssen Klatsch und Haß und Parteistreit und Nachbar mißgunst schweigen, jetzt heißt es angestrengt, wortlos — and, wenn es nottut, keuchend — nicht nur vom Überfluß herzugeben, sondern auch vom Spargroschen, um deutsches Land, deutsche Menschen nicht versinken zu lassen in den Fluten. Sonst verschlingen sie einst uns alle. Zum letztenmal noch stellt die Weltgeschichte uns eine Prüfungsfrage, ehe sie uns verwirft oder für gereift erklärt. Diese letzte Frage darf kein kleinlautes Geschlecht bei uns sinüen. Politische Rundschau. Deutsches Mich. 4- Teuerungszulage für Pensionäre. Die vom Reich genehmigte Erhöhung der laufenden Teuerungszulagen für die Reichsbeamten um 150 "/» für die Zeit vom 1. Januar bis zum 31. März 1920 erstreckt sich auch auf sämtliche Pensionäre und Hinterbliebene, die bisher Teuerungszulagen erhalten haben oder nach den maßgebenden Grundsätzen erhallen konnten. Es muß zwar daran sestgehvlten werden, daß die Teuerungszulagen an Pensionäre usw. nicht ohne weiteres zu gewähren sind, sondern daß dabei das Bedürf nis geprüft werden mutz. Im Hinblick auf die jetzigen Teuerungsverhältnisse soll aber bei der Prüfung der Be dürfnisfrage ein besonders » lder Maßstab angelegt werden. Bei den erforderlichen Fettstellungen und bei den Aus zahlungen soll mit größter Beschleunigung verfahren werden. Es besteht auch die Absicht, bei der zum 1. April 1920 in Aussicht genommenen Besoldungsreform Mittel für eine Aufbesserung der Lage der Pensionäre usw. anzufordern. -b Heimkehr der ersten'Kriegsgefangenen. Die ersten Kriegsgefangenen aus Frankreich sind bekanntlich inzwischen im besetzten Rheinland eingetroffen. Irgendein festlicher Empfang war seitens der Besetzungsbehörden verbeten. Nicht einmal Ansprachen dursten gehalten werden. Die Stimmung der Heimkehrenden ist durchweg gut. Ihr Be finden ist ebenfalls zufriedenstellend, wie auch ihre Kleidung. Der Gesamteindruck, den die Leute machen, die jetzt aus langjähriger Gefangenschaft heimkehren, ist im allgemeinen gut. Es handelt sich durchweg um Leute aus dem links rheinischen Gebiete und. soweit es sich bisher übersehen läßt, nur um Mannschaften und Unteroffiziere, dagegen keine Offiziere. 4- Keine britischen Truppen für die Abstimmungs gebiete. England hat dem Obersten Nat mitgeteilt, daß es nicht imstande sei, seinen Anteil an Truppen für die Ab stimmungsgebiete, wie Schlesien, Schleswig, Allenstein usw., zu stellen. Es wird berichtet, daß Italien den gleichen Schritt getan bat. Die Aufgabe, den Polizeidienst in den Ab stimmungsgebieten zu versehen, wird auf Frankreich allein fallen: wie verlautet, war England um die Stellung von 25 Bataillonen ersucht worden. * Maudatsniederlegungen. Der Zentrumsabgeordnete, Domkapitular Hebel, Mitglied der Nationalversammlung, ist wegen der Lösung der Verbindung der bayerischen Volks partei mit dem Zentrum des Reichstages aus der National versammlung ausgeschieden und bat sein Mandat gelegt. AuS der Deutsch-demokratischen Partei find der frühere Oberbürgermeister von Bayreuth und Führer der Nationalliberalen im bayerischen Landtag, Dr. Casselmann, ferner der frühere Nationalliberale Dr. v. Langheinrich, der unlängst aus der Nationalversammlung ausschieü, und die Führerin der demokratischen freien Bewegung, Frau Linhardt. ausgetreten. Wie man hört, beabsichtigen diese, sich der Deutschen Volkspartei anzuschließen. Zweite EniLnierwis an Holland. Deutschland soll die Auslieferung Wilhelms ll. fordern. Die Entente will sich mit der bestimmt zu erwartenden Ablehnung der Niederlande in der Frage der Auslieferung Wilhelms II. nicht begnügen und unternimmt weitere Schritte. So meldet „Havas" amtlich: Eine zweite Note r-er Alliierten ist an Holland abge- gaugen. Die Alliierten teilen darin Holland mit, dass das Mandat zur Übernahme des zur NnSliefcrung geforderten früheren deutschen Kaisers an England übertragen wurde. Weiter meldet „Haoaö", dass eluc Rote der Alliierte» au Deutschland «»mittelbar bevorstehe, in der die Unter, stntznng der deutschen Negierung in der Auslieferuugs- sorderNng bei Holland beansprucht wird. Ferner hat die Entente noch den eigenartigen Beschluß gefaßt, eine Anzahl ihrer Agenten in Deutschland zu beauf tragen, die ihnen übergebenen Abzüge der Anklageschrift gegen die auszuliefernden Deutschen in westen Kreisen der deutschen Presse und auch in jeder anderen Form zu ver breiten. Die Entente will auf diese Weise versuchen, die auszuliefernden Personen beim deutschen Volk als Verbrecher hinzustellen, die ihrer Strafe nicht entgehen dürften. Es werden bereits weit über eine Million solcher Exemplare in deutscher Sprache gedruckt, welche im besetzten Gebiet, in Elsaß-Lothringen und im unbesetzten Deutschland verbreitet werden sollen. Aufruf der Niederlande an die Neutralen. Aus Stockholm wird gemeldet, daß die holländische Re gierung an alle übrigen neutralen Staaten einen Appell richten werde, um einen allgemeinen Protest gegen die Aus lieferungsforderung und die erzwungene Verletzung der international anerkannten Asylrechte zu veranlassen. Solcher Schritt, bei dem wohl auch Schweden zur Teilnahme auf gefordert werden wird, erscheine wohlüberlegt und könnte vielleicht die Einleitung zu gemeinsamem Vorgehen der Neu tralen auch in anderen Fragen werden. — »Stockholms Dagbladet" schreibt: »In drohendem Tone wird in der Note daran erinnert, daß das niederländische Volk großes Interesse daran hat, sich nicht den Anschein zu geben, als wolle es den Kaiser beschützen. Hier sind wir weit von allen Rechtsgedanken entfernt und dieser ganze Absatz ist entschieden beleidigend für das holländische Volk." Erzberger gegen Helfferich. (Dritter Tag.) 8 Berit», 22. Januar. Saal und Zubörerraum sind beute noch stärker besetzt als an den zwei bisherigen Verhandlungstaaen. Der Vorsitzende teilt mit, daß der von Helfferich geladene Direktor Beyer von den Serumwerken nicht aufzufinden sei. Weiterhin teilt er mit, daß August Thyssen wegen Krankheit auf wahr scheinlich drei Monate am Erscheinen verhindert sei. Nach einer längeren Auseinandersetzung zwischen den Parteien und ihren Rechtsbeiständen beschließt das Gericht, den Zeugen August Thyssen durch ein Mitglied des Gerichtshofes an Ort und Stelle vernehmen zu lassen. Der Vorsitzende bittet dann die erschienenen Zeugen einstweilen wieder abzutreten und ersticht den Angeklagten Helfferich, sich zum Fall Thyssen zu äußern. Helfferich über den Fall Thyssen. In der Kreiszeitung habe ich am 21. Juni 1919 gesagt, daß Erzbergers Stellung zur Annexionsfrage während seiner Zugehörigkeit zum Tbyssenkonzern eine andere war, als nach seinem Austritt aus dem Tbyssenkonzern. Das war zunächst alles. In der Deutschen Allgemeinen Zeitung wurde darauf erwidert, ich hätte sagen wollen, Erzberoer habe erst nach seinem Ausscheiden bei Thyssen eine Friedenspolitik getrieben. Tas war eine Unterstellung. Die Beziehungen Erzbergers zum Hause Bourbon-Parma und zu Tbyssen waren so komvliziert. daß sie sich nicht aus eine einfache Formel bringen lassen. Ich h«b« Nachweisen wollen, daß Herr Erzberger weiter gegangen ist als jeder Annexionist, indem er sogar die normannischen Inseln verlangte. Von allen Annexionisten bat nur Herr Erzb?raer diese Notwendigkeit entdeckt. Erz berger mußte bei seinen Beziehungen zu Herrn August Tbyssen wissen, daß Tbyssen an der normannischen Küste große tkrzlager besaß. Ich behaupte, nach der Lösung seiner Beziehungen zum Tbyssenkonzern bat Herr Erzberger sich anS einem blutigen Annexionist-» in einen blutige» Gegner deS AnnexionismuS verwandelt. Nicht Ludendorff oder ich, sondern Herr Erzberger Kat durch die Annexion des Erz-Beckens von Longwy-Brien eine vollendete Tatsache zu schaffen versucht, indem er die Über weisung der Gruden an den Tbyssen-Konzern erstrebte. Der Annexionismus des Herrn Erzberger besaß einen weltver- schlingenden Avpetit. Herr Erzberger bat sich durchaus von der verräterischen Sipve der Bourbon-Parma leiten lassen, er wollte auch auf zwei Pferden reiten, auf dem alte« Thyssen-Pferd und dem neuen Varma-Pferd. Der Vorsitzende macht den Angeklagten wiederholt darauf aufmerksam, nicht zu weit zu geben und allgemeine politische Ausführungen zu unterlassen. Helfferich fährt fort und betont, noch niemals habe sich ein Abgeordneter io für eine Sacke eingesetzt wie? Erzberger für den Tbyssenkonzern und die von diesem gewünschte Aus beutung der Erzgruben im Briev-Gebiet. Die biegierung, auch der Angeklagte nach seinem Amtsantritt, sei mit Eingaben in dieser Angelegenheit überschwemmt worden. Ein von dem Angeklagten vorbereiteter Gesetzentwurf zur Einführung von Abgaben bei der Ausfuhr von Eisen usw. scheiterte am Widerspruch einer Anzahl Abgeordneter, unter denen Erzberger in erster Reihe stand. Aber im Frühjahr 1S18. nach seinem Ausscheiden auS dem Thyssen- Konzern, stellte er den Antrag, nicht nur diese Abgabe für alle Zukunft zu erbeben, sondern auch den Unterschied zwischen In- und Auslandspreisen einzuziehen. Erzbergers Erwiderung. Meine Beziehungen zu Herrn August Thyssen waren seit 12 dis 13 Jahren freundschaftlicher Natur, haben aber nie einen pekuniären Charakter gebadt. Ich batte auch nickt nur zu Herrn Thyssen Beziehungen, sondern zu einer ganzen Reihe anderer Herren der Industrie, d te mir ihre Wünsche vor trugen, auch mit Berliner Bankdirektoren batte ich solche Be sprechungen. — Vorsitzender, unterbrechend: Ohne je etwas dafür zu erhalten? — Erzberger: Jawohl, ohne je etwas dafür zu erhalten. Herr Thyssen nahm durchaus keine Aus nahmestellung ein. Ohne mein Zutun erhielt ich dann von ihm im Mörz 1915 einen Brief, in dem er mich fragte, ob ich bereit sei, in seinen Aufsichtsrat einzutretcn und für ihn als Testamentsvollstrecker tätig zu sein. Ich habe mich dazu nicht ablehnend verhalten. Mir war das Anerbieten cus ein Vertrauensbeweis sehr ehrenvoll, zumal es sich um einen .Konzern handelte, der 10 der gesamten deutschen Stahlproduktion leistete. Ich verlangte, daß nie eine Zumutung an mich gestellt weide, die ich als Abgeordneter hätte ablehnen müssen. Demgemäß ist ver fahren worden. Tbvssen bot mir 40 000 Mark jährlich, was ich zu hoch sand. Thyssen war anderer Ansicht. Herr Erz berger gebt näher auf seine Vermögensverhältnisse ein, lehnt es aber ab, leine Beziehungen zum Hause Parma weiter zu erläutern: Meine Gesinnungsänderung erfolgte nicht erst im Frühjahre 1917, sondern bereits Ende 1914, als die Oberste Heeresleitung nach Hause kam und als über die Marneschlacht die Wahrheit bekannt wurde. Der trübere Reichskanzler von Bethmann Hollweg kann das bezeugen. Die Friedensresolutton war durchaus kein Hindernis sür einen territorialen Ausgleich. Ick trat dafür ein, daß Deutschland nicht erst Frieden machen müsse, wenn eS besiegt iei. sondern solange es noch stark sei. Ich erklärte weiter, baß es im deutschen Interesse läge, die Erzläger von Briey und Longwy zu erhalten. Mich über raschte die Eröffnung, daß die Oberste Heeresleitung damals damit umging, Oderelsaß an Frankreich abzutreten für Longwy und Briey. Die Erwerbung der Erzbecken von Briey und Longwy lag durchaus im Rahmen der Frieüensrejolution. Nur eine gewaltsame Erwerbung durste nicht stattfinden. Gespräch mit dem Kaiser. Beim Empfang der Abgeordneten durch den Kaiser, bei dem auch der Abgeordnete Südekum dabei war, empfanden wir es schmerzlich, daß wir mit dem Kaiser nickt sprechen konnten. Der Kaiser sagte: »Das h«be» Sie gut gemacht mit brr Resolution »uv dem Ausgleich." Ich erwiderte, von einem Ausgleich stehe doch in der Resolution nichts drin. »Ja/ sagte der Kaiser und deutete aus tzeifferich, „das hat der dazu getan. Wir stecke» «nS Pole» und die übriaru Vas kulenbaus. 45) Roman von E. Marlitt. Klaudine war rasch aus den Flur getreten; sie konnte nicht mehr das namenlos bestürzte Gesicht der schönen Italienerin erblicken, die aus ein Paar verzweiflüngsvoll geflüsterte Worte der Prinzeß Helene über das befremdende Schauspiel kraft ihres Amtes einmal in der Kinderstube nachschauen wollte. Klaudine schritt schon am Ende des Ganges, als Lothar sie einholte. Nebeneinander betraten sie die Treppe, die in die Halle führte. Es ging wie staunende Bewunderung einen Augenblick durch alle die Menschen, die den Raum füllten oder draußen vor der Halle standen. Wie ein Bild erschien diese schöne Frauengestalt auf der reichgeschmückten Treppe in dem Äten Urgroßmuttergewand. „Großartig! Entzückend!" murmelte der Herzog, und kein Blick trübte sich etwas. Die Herzogin aber winkte mit ihrem Granatstrauß empor. „Klaudine," sagte sie, als das Mädchen vor ihr stand, „wir haben beschlossen, mitzulosen; warum sollten der Herzog und ich nicht auch dem Zufall heute einmal sich anvertrauen? Unsere liebenswürdige Wirtin hat noch rasch unsere Namen hineinwerfen müssen." Und als jetzt Komtesse Moorsleben in einem blumigen Rokokokostüm mit zierlichem Knicks Ihrer Hoheit die silberne Schale darbot, welche die goldgeränderten Zettelchen ent hielt mit den Namen der Herren, griff die schmale Frauen hand keck hinein und entnahm eine der kleinen Rollen. Prinzeß Thekla dankte. Die Hand der«Prinzeß Helens, die einen Schritt hinter Ihrer Hoheit stand, zitterte, als sie den kleinen Zettel nahm. Es war, als ob die Komtesse absichtslos unbemerkt an Klaudine vorüberschreiten wollte, aber die Herzogin berührte lächelnd die Schulter der jungen Daine mit dem Strauß; sie mußte anhalten. „Liebste Klaudine," sprach die fürstliche Frau, „Ihr Schicksal winkt," und die Angeredete ergriff nun auch eines der Zettelchen. „Noch nicht iesen!" sagte die Herzogin, die außerordentlich erheitert schien von diesem Spiel. Ihre großen, dunklen Augen glänzten freundlich; sie stützte sich leicht aus Klaudines Arni. „Sieh, Dina," sagte sie leise, „mit welch neugierigen Gesichtern die Herren die Damen mustern! Mich düntt, selbst Adalbert wirft einen komisch fürchtenden Blick auf meine gute Katzenstein; wie sie drollig aussieht in dem Kostüm der Frau Rat Goethe." Das weiß gepuderte Köpfchen der hübschen Hofdame war hin und wieder auS der Menge aufgetaucht; jetzt hielt sie das geleerte Silberkörbchen in die Hohe, und im näm lichen Augenblick begann die Kapelle den Hochzeitsmarsch aus dem „Sommernachtstraum". Die Damen sollten die ihnen durch da? Los zugeteilten > Herren zur Tafel führen; so -war es von Prinzeß Helene bestimmt. In die weichen Töne der Musik mischte sich das Knistern der Zettelchen; Lachen, Ausrufe wurden laut. Ihrer Hoheit Augen leuchteten. Sie hatte den Namen eines blutjungen, schüchternen Leutnants aus ihrem Zettel gefunden. „Nun, Klaudine?" fragte sie, indem sitz in das Papier der Freundin blickte. „Oh!" machte sie dann — „Seine Hoheit!" Klaudine war bleich geworden; der Zettel in ihrer Hand bebte. „Eigentümlicher Zufall!" flüsterte eine leise Stimme hinter ihr. Die Herzogin wandte sich langsam um und maß Prinzeß Helene mit einem kühlen Blick von oben bis unten. „Hier, mein Freund," sagte sie zu dem Herzog, der noch immer neben Palmer stand, „deine Tischnachbarin, die dir ein gütiges Geschick bestimmte. Mein Herr von Palmer, bringen Sie mir den Leutnant von Waldhaus; er wurde mir durch das Los zugeteilt. Herr von Palmer flog davon. Die fürstliche Frau stand, das Antlitz lächelnd in dem Granatstrautz geborgen, neben Seiner Hoheit und Klaudine. Dann kam ckemlös, dunkel glühend, ein schlanker, blonder Husarenoffizier und ver- ueigte sich tief vor Ihrer Hoheit. In wenig Sekunden hatte sich die bewegte Schar um die Tische gruppiert; ein breiter glitzernder Strom von Jugend, Schönheit und Pracht quoll aus der Halle, wo die Herzogin unter einem Pupurbaldachin an der Tafel neben ihrem jungen Kavalier den Vorsitz.führte, bis in den Garten, hinaus. Man saß auf den teppichbelegten Treppenstufen im bläulichen Mondkicht, unter den Linden im rötftchen Schein der Laternen, und dazu die schwüle duftige Sommer nacht, die weiche Musik. Der Herzog wandte sich mit Klaudine dem Garten zu und deutete auf das Dunkel der Linden. „Es ist schwül hier in der Halle," erklärte er. Auf den Stufen der Treppe blieb er stehen und blickte in das von peinvoller Verwirrung unsagbar liebliche Mädchengesicht. , „Um Gottes willen, gnädiges Fräulein," sagte er er schreckt und mitleidig, „was glauben Sie —? Ich bin weder ein Räuber noch ein Bettler, und — Sie haben mein Wort. Mißgönnen Sie mir doch diese harmlose Freude nicht!" Sie ging mechanisch neben ihm die Treppe hinunter zu einem der kleinen Tische unter den Linden, der nur vier Gedecke trug. Ihre lange rosa Schleppe lag noch im silbernen Mondlicht auf dem Rasen, ihren Aufenthalt verratend, sie selbst stand im Dunkeln hinter ihrem Stuhle, bockaufaericktet jetzt. (Fortsetzung nächste Seite.) „Eh!" rief der Herzog plötzlich, „Gerold, hier ist noch Platz!" Der Baron war mit seiner Dame, der jungen, harmlose« Frau des Landrats von N., die Stufen herabgeschritten; es lag eine qualvolle Unruhe über seinem Wesen. Er kam im völligen Sturmschritt auf den Tisch deS Herzogs zu; die niedliche Frau an seiner Seite, in perlendurchwirkter grüner Gaze mit Wasserrosen im Hoar, vermochte kaum ihm zu folgen. „Hoheit haben besohlen," sprach er. ES war, als hole er tief Atem, während er seiner Dame den Stuhl hielt, als sie Platz nahm. Und er winkte d«n Diener, der di« Platt« mit Speisen trug. Der kleinen Prinzeß war Herr von Palmer durch bas Los zu gefallen. Sie faß in der Hall« an der Tafel Ihrer Hoheit, ebenso Prinzessin Thekla. Die Herzogin konnte von ihrem Platz aus den Tisch erblicken, an dem ihr Gemahl sich befand; die Gestalten der vier Personen waren wie in ei« RembrandtscheS Helldunkel gewußt. L e ergriff verschiedent lich den Sektkelch und trank dem Herzog zu. Baron Lothar erhob sich einmal, trat aus di« Treppe und brachte das Hoch aus die Hoheiten aus. Der Herzog ließ di« Damen leben. Dis Augen der Prinzeß Helene hingen mit wahrhaft dämoni schem Ausdruck an jenem Tisch dort unten im Garten; man schien sehr heiter dort, das tiefe Lachen des Herzogs scholl deutlich in ihr Ohr. Zuweilen wandte sie das bleiche Gesicht mit den funkelnden Augen nach der Herzogin und sah mit stiller Befriedigung, wie mich sie ihre Micke unablässig dort hin sandte: eine lange Frage schienen sie zu enthalten, ob gleich ihr Mund lächelt«, obgleich sie so heiter schien, wie sei* langer Zeit nicht. Di« Stimmung ward auch hier angeregt. Frau von Katzenstein, di« mit dem Jagdjunker zu Tische ge gangen, war köstlich in ihrem trockenen Humor. Zum Nachtisch, als di« Knallbonbons mit den Raketen draußen wetteiferten, saß Prinzeß Helene plötzlich neben der Herzogin; sie hatte Herrn von Palmer gebeten, den Stuhl mit ihr zu tauschen, worauf er eifrigst einging. Ihr« Hoheit hatte sowieso kein Wort für ihn gehabt, nur für ihren jungen Kavalier. Die kleine Prinzessin blieb anfänglich stumm. Trotz ihrer besinnungslosen Eifersucht klopft« ihr das Herz bei dem Gedanken an das, was sie tun wollte. Sie trank gegen alle Hofsitte ihren Kelch einigemal rasch aus; Herr von Palmer wußte ihn immer unbemerkt wieder füllen zu lassen. In ihrem tollen, leidenschaftlichen Köpfchen sah es er barmungswürdig aus an diesem Abend. Wieder blickte sie hinunter; ein großer bengalischer Licht flammte eben auf »nd Lei«« ihr deutlich jene Verhaßte neben ibm: sie
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