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Wilsdruffer Tageblatt : 04.01.1920
- Erscheinungsdatum
- 1920-01-04
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1782027106-192001044
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1782027106-19200104
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1782027106-19200104
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Bestände des Heimatmuseums der Stadt Wilsdruff und des Archivs der Stadt Wilsdruff
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Wilsdruffer Tageblatt
-
Jahr
1920
-
Monat
1920-01
- Tag 1920-01-04
-
Monat
1920-01
-
Jahr
1920
- Titel
- Wilsdruffer Tageblatt : 04.01.1920
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«« Satz« de» Tarifvertrages keinesfalls unter vtefe Zu lagen heruntergehen werden, und daß die Arbeiter auf jeden Fall die im Tarifvertrag festzustellenden Zulagen rückwirkend vom 1. Januar 1920 ab nachgezahlt erhalten. ES handelt sich also bei diesen Zuschlägen nicht, wie be hauptet worden ist, um einen Vorschub, der etwa von den Arbeilern wieder zurückgezahlt werden müßte, sondern um ttne teilweise Vorwegnahme deS Tarifvertrages. Nach Auffassung der Verwaltung besteht kein Grund zu der Annahme, baß die Tarifoerhandlungen nicht zum Abschluß gebracht werden könnten." * Schwedische Kredite für Deutschland. Die schwe dischen SchtffKexporteure hielten eine Versammlung unter dem Vorsitz der Landeshauptmanns v. Sydow ab, in welcher auch der schwedische Finanzminister Thorson an wesend war. Man verhandelte über die Gewährung eines Kredit» an Deutschland, damit die Schtffsausfuhr nach Deutschland fortgesetzt werden könne. Es wurde erklärt, dab der schwedische Staat helfend eingreifen müsse. Der Finanzminister erklärte jedoch, daß dieses nicht vor Zu sammentritt des Reichstages im Januar geschehen könne. Man beschloß, vorläufig einen Kredit auf privatem Wege zu beschaffen. * Auflösung der Reichsstelle für Obst und Gemüse. Als erste der groben Reichsstellen für Lebensmittel ist die Reichsstelle für Gemüse und Obst in schleunigem Abbau begriffen. Mit dem 1. Januar 1920 ist ihre Geschäfts abteilung in Liquidation getreten. Die laufenden Gemüse- ablieferungsoerträge werden hierdurch nicht berührt, müssen vielmehr auch fernerhin von Anbauern und Erwerbern vollinhaltlich erfüllt werden. Die Rechte, welche die GeschästSabteilung der Reichsstelle auf Grund von Ver ordnungen ausübt, werden durch eine demnächst erscheinende Verordnung des Reichswirtschaftsministers teilweise neu geregelt werden. Die Verwaltungsabteilung der Reichs stelle wird bis auf weiteres noch fortbesteben Hc Keine weitere Brotverkürzung zugunsten Wiens. Zu der Meldung, dab die Regierung beabsichtige, di- deutsche Brotration auf weitere vier Wochen zugunsten Wien» zu verkürzen, wird im ReichSwirtschaftSministerium erklärt, dab eS augenblicklich unmöglich und auch nicht vorgesehen ist, irgendeine Fortsetzung der bisherigen Hilfs aktion für Wien erneut oorzunehmen. * Warum Deutschland ausgekauft wird! Aus Kopen hagen wird berichtet, daß zahlreiche dänische Handels ämter riesige Friedensgewinne auf folgende Weise ein- streichen: Gleich nach Abschluß des Waffenstillstandes kauften sie in Amerika massenhaft Ware ein, um diese nach Deutschland und den baltischen Provinzen weiter zu ver kaufen. Da aber diese Länder ihre Kaufkraft verloren haben, der Wert der lagernden Waren inzwischen aber um da» Fünffach« gestiegen ist, so verkaufen die Dänen diese jetzt au Amerika zurück. ES scheint, daß man mit den gegenwärtigen Ausverkäufen in Deutschland Lie gleichen Pläne verfolgt. Die Deutschen sollen später ihre eigenen Waren um teures Geld zurückkaufen müssen. Hab vn<i fern. o Nachtquartier im Schlafwagen. In Berlin will man jetzt einen interessanten Versuch zur teilweisen Ab stellung des Mangels an Übernachtungsräumen in den Hotels machen. Es ist geplant, die vielen unbenutzten Schlafwagen als Nachtquartiere freizugeben. Schon in den ersten Tagen des neuen Jahres sollen diese „Ersatzhotels" so weit bereitgestellt sein, daß sie von den obdachlosen Reisenden bezogen werden rönnen. Die Wagen müssen naturgemäß so aufgestellt werden, daß sie den Reisenden leicht und gefahrlos zugänglich sind. Es sollen bereitge stellt werden: am Anhalter Bahnhof sechs Wagen, am Militärbahnhof zehn, am Lehrter Bahnhof drei und am Stettiner Bahnhof acht Wagen. Die Abgabe der Schlaf plätze an die Reisenden ist so geregelt worden, daß das Reisebureau an die nachweislich obdachlosen Fremden Karten ausgibt und sie aus die einzelnen Bahnhöfe verteilt. Die Höhe des Preises ist noch nicht festgestellt, jedoch ist in Vorschlag gebracht worden, sie möglichst mäßig zu halten. Wenn die Organisation vollkommen ausgebaut sein wird, dann stehen etwa 2000 Betten zur Verfügung. o Eisenbahuerstreik mit behördlich«! Genehmigung. Der vierundzwanzigstündige Ausstand der Eisenbabn- arbeiter der Direktion Magdeburg verfolgte Len Zweck, auf Lie in Berlin schwebenden Tarifoerhandlungen einen Druck auszuüben. Die Führer Ler Magdeburger Eisen bahnarbeiter setzten nach dem Berl. Lok.-Anz. die zu ständigen Behörden von ihrer Absicht rechtzeitig in Kenntnis, und diese gingen in ihrer Loyalität den Arbeitern gegenüber so weit, daß sie sich mit ihnen auf nähere Festsetzung für Lie Durchführung des Proteststreike» einlieben. 0 „WittelSbach" gestrandet. DaS frühere Linienschiff, jetzige Minenmutterschiff .WittelSbach" ist auf seiner Aus reise nach dem Kattegat im südlichen Langeland-Belt gegen über vom Leuchtfeuer Kjelnoor gestrandet. Die „Mittels- buch" sitzt auf weichem Grund. Die Reichswerft sandte Schlepperhilfe. Eine Gefahr für Schiff und Besatzung besteht nicht. D Der Schnelligkeitsrekord eines Kriegsschiffes wurde von dem soeben vollendeten englischen Torpedo- bootszerstörer „Tynan" zurückgelegt. Das Schiff, LaS 273 Fuß lang ist und eine Tonnage von 1060 Tonnen besitzt, legte in einer Stunde über 45 Seemeilen (zirka 80 Kilometer) zurück. Diese Geschwindigkeit ist die höchste Leistung, die bisher von einem Kriegsschiff Ler Welt er reicht worden ist. s Die Dürre in Australien, über die schon mehrfach berichtet wurde, hält noch an. Die Aussicht auf die Aus saat und die Aufzucht von Jungvieh ist in diesem Jahr geradezu entsetzlich. Zu Hunderten und Tausenden stehen die Kolonisten vor dem Untergang. Wirtschaften, die seit hundert Jahren im Besitze einer Familie sind, müssen jetzt von den Nachkommen verlaffen werden. Besonders in Neu-Südwales gleicht das Land einer Wüste. Nicht eine grüne Wiese gibt es da zu sehen, die Bäume find vertrocknet, die Sträucher ohne Blätter, die Rinden find oon den hungernden Tieren abgeknabbert und auf dem Boden liegen allenthalben die Gebeine verhungerter Tiere. G Wiener Kinder in Italien. Italienischen Blättern zufolge find Lie ersten 463 Kinder in Mailanb eingetroffen, um an die Riviera gebracht zu werden. Während de' Fahrt durch Oderitalien waren sie überall Gegenstand herzlichster Aufnahme, namentlich durch die Eisenbahner, die ihnen Milch, Schokolade und Geld schenkten. Vermischte«. Die Erfindung der Serviette. Wir haben uns jetzt lange beim Essen ohne Tischtuch und Serviette behelfen müssen. Aber es ist überhaupt erst ein halbes Jahrtausend seit der Zeit vergangen, dab Tischtuch und Serviette in die Kultur einzogen. Vornehmen Herrschaften wurden freilich schon früher nach dem Essen oon den Dienern Handtücher gereicht, mit denen sie sich die Hände ab trockneten, nachdem ihnen vorher Waschwasser geboten worden war. Aber dab jedem Gast eine Serviette zur Reinigung von Hand und Mund neben den Teller gelegt wurde, das kam erst zu Anfang des 15. Jahrhunderts auf. Soweit wir wissen, war der erste, der sich einer solchen Serviette bediente, der König Karl VI. von Frankreich, und zwar wurde diese „aussehenerregende Erfindung" im Jahre 1403 gemacht. Von der Königin Isabella oon Frankreich wissen wir, daß sie bereits ein halbes Dutzend Servietten besaß. In Deutschland ist die Serviette in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts allgemeiner eingeführt worden, denn Erasmus von Rotterdam empfiehlt 4n seiner „Tischzucht", in der er den guten Ton beim Essen be- handelt, eindringlich die Benutzung dieser Tücher. Im 17. Jahrhundert besaßen auch bürgerliche Leute schon eine große Anzahl von Servietten. Allmählich trieb man großen Luxus mit diesem zunächst von der Allgemeinheit so wenig beachteten Gegenstand. Die Servietten wurden aus der feinsten Leinwand hergestellt; die Marquise von Pompadour gab die Riesensumme von 600000 Livres dafür aus. Auch die Kunst der Tafeldecker bemächtigte sich nun der Serviette, und es gibt ausführliche An leitungen mit künstlerischen Abbildungen, in denen dar gestellt wird, wie man die Mundtücher zu den ver schiedensten Figuren zusammenfalten, ganze Tiergestalten aus ihnen Herstellen und die sämtlichen Servietten einer Tischgesellschaft zur Nachbildung einer ganzen Jagd v<- nutzen konnte. Rockefellers Steuerzettel. Zum ersten Male, seit er auf der Steuerliste der Newyorker City steht, hat John D. Rockefeller, der Milliardär der Standard Oil Lo., an Eidesstatt versichert, dab sein persönliches Einkommen nicht, wie die Einschätzungskommission behauptet bat, fünf, sondern „nur" 1,9 Millionen Dollar betrage. Rockefeller hat stets behauptet, daß er in der Steuer zu hoch einge schätzt worden ist, gleichzeitig aber erklärte er sich auch nnmer bereits die Steuerdifferenz der Stadt Newyork als Geichenk zu überweisen. Bürgermeister Hylan hat jedoch ein solches Geschenk abgelehnt, was für die Stadtkaffe einen baren Verlust von 78 000 Dollar bedeutet. Em amerikanisches Lebensverlängerungsinstitut. Das Lebensoerlängerungsinstitut, das vor einiger Zeit unter dem Vorsitz des früheren Präsidenten Taft und mit einem Stabe von mehr als hundert Gelehrten und über 5000 Ärzten eröffnet worden ist, ist das Tagesgespräch von Newyork. Das Institut stellt eine Organisation der Lebensversicherungsgesellschaften dar, die auf diese Weise die Amerikaner zu einer vorteilhaften Verlängerung ihres Lebens bestimmen wollen. Wer seine 15 Dollar erlegt hat, der wird zunächst einer genauen körperlichen Untersuchung unterworfen. Seine Herkunft und die daraus entspringende erbliche Veranlagung, seine früheren Krankheiten und sein augenblicklicher Gesundheitszustand werden auf das genaueste festgestellt. Dann kommt die Hauptsache: man berichtet ihm die volle Wahrheit über seine Person; erst erhält er einen vorläufigen Bericht und dann einen ausführlichen, in dem ihm ohne die geringste Schonung miigeteilt wird, wie sein Gesundheitszustand ist. Jedes Vierteljahr erfolgt eine neue Untersuchung, die dann mit den früheren Ergebnissen verglichen wird, und so wirkt das Lebensoerlängerungsinstitut als ständiger Gesundheitsbeirat, der seine Mitglieder nicht mehr aus den Augen verliert. Bricht eine Epidemie aus, so empfängt man von dem Institut Anweisungen, wie man sich dagegen zu schützen hat. Lastet eine Hitzwelle über Amerika, dann findet das Mitglied des Instituts am Morgen unter seiner Briefpost eine Mitteilung mit An weisungen darüber, was es während der Hitzezeit zu tun hat usw. Das Institut will seine Abonnenten auf alle gefährlichen oder gesundheitsschädlichen Faktoren aufmerk sam machen und dadurch zur Lebensverlängerung seiner Kunden beitragen. Hungerszeneu aus dem Moskauer Straff*«leben schildert die Fürstin Lwow. Sie berichtet u. a.: Staas Morgen» ging ich über eine Brücke gegenüber dem Kreml. Dort begegnete ich einer Frau, die ein Kind am Arm hielt. Beide waren zu Skeletten abgemagert, und schmutzige Lumpen bedeckten ihre Blöße. Das Kind stieß herz zerreißende Schreie aus. Auf meine Frage, waS dem Kinde fehle, antwortete die Mutter mit ersterbender Stimme: „ES hat Hunger." Ich zog mein Portemonnaie und wollte der Frau Geld geben, aber sie murmelte: „Kein Geld, kein Geld, nur um der Barmherzigkeit will« ein Stück Brotl" Das konnte ich ihr nun beim best« Willen nicht geben, denn das letzte Brot, da» wir zu Hause noch besaßen, hatten wir am Tage vorher auis«- zehrt... Ich ging einige Schritt weiter, die nächste Straße entlang. Da lehnte an einer Mauer eine junge Dame, aus deren furchtbar entstellten Zügen noch Spuren früherer Schönheit leuchteten. Der Kopf war nach rück wärts geworfen, die Augen weit aufgerissen, das blonse Haar fiel wirr über das Gesicht herab, die Arme hatte die Unglückliche ausgestreckt, so daß sie den Anblick einer Gekreuzigten bot. Einige Leute umstanden die Unglück, liche und bestürmten sie mit Fragen. Sie antwortete unverständliche Satze, aus denen man immer das Wort Hunger heraushörte; sie war vor Hunger wahnsinnig g» worden. Gleich darauf erlebte ich eine neue erschütternde Szene. Ein furchtbar abgemagerter Hund trug etnea Knochen im Maul, an dem noch einige Stückchen blutig« Fleisches hingen. Ein etwa zwölfjähriger Knabe spran« auf ihn zu, und mit einem Blick wütendsten Neide» ver suchte er dem Hunde den Knochen zu entreißen, überall trifft man auf alte^Leute, die mit leeren Augen dastehen und betteln und deren Kleidem man anmerkt, daß sie LaS früher nicht nötig hatten. sie sich auf die Hand der Herzogin, deren zartes Gesicht vor Wonne über diese Spazierfahrt leuchtete. „O, danke, danke, meine beste Klaudine, eS geht mir vor trefflich!" sagte sie mit ihrer matten belegten S-timme, „wie soll es auch anders sein? Dieses himmlische Wetter, dieser Tannenduft, der Herzog als Wagenlenker und — Sie mir zur Seite! Sagen Sie selbst, meine Beste!" Man war stundenlang in den Wäldern umhergefahren; vor einer einsamen Mühle am rauschenden Bach wurde halt gemacht und die Herzogin hatte von der jungen, ganz bestürz ten Müllersfrau ein Glas kühler Milch erbeten, während der Herzog dem Diener die Zügel zuwarf plaudernd am Wagen schlag lehnte. Den ehrerbietig herzugeeilten Müller hatte er huldvoll nach dem Gange des Geschäfts gefragt und ihn ge heißen, der Frau Herzogin die drei Buben vorzustellen, die mit den kleinen Prinzen just in einem Alter standen, und die fürstliche Frau hatte die blonden sonnenverbrannten Kinder gefragt, was sie werden wollten und auf die Antwort: „Solda ten!" jedem für die Sparkasse einen blanken Taler mit dem Bilde des Herzogs geschenkt. Dann war man weitergefahren, heimwärts; denn die Abendsonne begann durch das Tannen gezweig zu leuchten. Die Herzogin tat noch immer tausend Fragen gewaltsam mußte Klaudine ihre wild davonflatternden Gedanken zu sammennehmen. „NeuhauS hat Gäste," sagte jetzt die fürstliche Frau; „dort weht die Standarte unseres Hauses." „Ihre Durchlaucht Prinzeß Thekla," bestätigte Klaudine mit matter Stimme. „Und Helene?" „Prinzeß Helene wird ebenfalls erwartet, Hoheit." „Leb wohl, du schöne Einsamkeit!" rief die Herzogin, Die Kutsche näherte sich rasch der niedrigen Mauer des Neuhäuser Parkes; ihr entgegen rollten in scharfem Trabe zwei Landauer, die Kutscher und Diener in großer Livree. Man mußte sich unmittelbar an der Einfahrt begegnen, und in der Tat, der Herzog senkte grüßend die Peitsche, und die Herzogin winkte freundlich mit der Hand zu dem Wagen hin über, m deren braunseidenem Rücksitz zwei Damen saßen, gegenüber Baron Lothar. Klaudine sah, wie die junge Prin zessin, im koketten Reisemaytel aus hellgrauer glänzender Seide mit blaugefütterten weiten Aermeln, unter dem zier lichen Strohhütchen hervor einen spöttisch verwunderten Blick zu ihr hinüberwarf; wie Prinzeß Thekla die Lorgnette bei der Verneigung, die sie der regierenden Herzogin halb widerwillig angedeihen ließ, kalten Auges auf sie richtete und wie Lothar sie kaum zu beachten schien. Nach ein paar Sekunden war man aneinander vorüber. „Dort tritt die künftige Herrin in das Neuhäuser Schloß," sagte der Herzog, indem er sich wandte aus dem hohen Sitz, und seine blitzenden Augen streiften das bleiche Mädchen gesicht. „Du meinst wirklich, Adalbert? Welch Glück für die kleine Verwaiste!" Er antwortete nicht. Klaudine preßte die Hände um den Griff ihres Sonnenschirmchens; sie zwang sich gewaltsam, ihre tiefe Bewegung nicht zu verraten. Ahnte der Herzog, wer es war, den sie im Herzen trug? — Sie konnte Nicht hindern, daß eine heiße Röte sich über ihr Antlitz ergoß, und^etzt be gegnete sie abermals dem forschenden Auge des Herzogs. „Sie ist ein verwöhntes kleines Geschöpf," sagte die Her zogin, die jetzt wie träumerisch in dem Polster des Wagens lehnte, „möchte sie Glück bereiten und finden! Unter uns, liebste Klaudine, ich glaube, Gerolds Neigung wird von ihr erwidert und von Prinzessin Thekla begünstigt." „Ich glaube es auch, Hoheit," bestätigte Klaudine und er schrak fast über ihre harte Stimme. Es war mit einem Male seltsam kalt und still in ihr geworden. In NeuhauS waren indessen die fürstlichen Gäste heimisch geworden. Prinzeß Helene hatte das Kind ihrer Schwester, das Frau von Berg den Damen im weißen, überreich mit Spitzen verzierten Kleidchen engegentrug, geküßt und dann sofort Umschau gehalten. Sie war treppauf und -ab gegan gen, hatte Türen geöffnet, in die Zimmer gesehen und gefragt, wo denn ihr Schwager sein Heim habe, um stehenden Fußes auch in dessen Räume ein- zudringen, die mit ihren Jagdtrophäen und Waffen, mit Bilderschmuck, mit antiken Möbeln und persischen Teppichen das Muster einer elegantem Herrenwohnung boten, und hatte dort, neugierig wie ein Kind, mit ihren schwarzen Beerenaugen alles gemustert. Sie war im Garten ge wesen und wieder in das Herrenhaus gekommen und hatte -a plötzlich vor einer Tür aestanden> die mit großer energischer Schrift die Worte: „Verbotener Eingang!^ zeigte. Sofort hatte Ihr« Durchlaucht den Drücker gebogen, und ihr dunkles Köpfchen lugte neugierig in das altväterliche Wohn zimmer. Wie das gemütlich ausfah! Wie traulich daS Abendrot die altersbraunen Möbel Überhauchte! Und wunderbar — dort am offenen Fenster saß «in schlanker Mann und laS; sein feines Profil hob sich scharf ab gegen das dunkle Grün der Bäume hinter ven Scheiben. Er war so tief in den alten Lederband versunken, daß er gar nicht bemerkte, wie er beobachtet wurde. Leise machte die kleine Prinzeß die Tür wieder zu und flog die breite eichene Treppe hinaus. Oben warf sie sich in einen Lehnstuhl und wollte sich totlachen über das er schreckte Gesicht der Frau von Berg, Lie da eifrig schrieb auf ihrem gewöhnlichen Platz. „WaS haken Sie »nS oerm eigentlich immer berichtet van diesem Nenihwus, liebste Berg?" fragte fi« «nd setzte ihre kleinen Füße energisch auf ein Kissen. „Da war m Ihren Briesen an Mama von weiter nichts die Rede, als von /durchaus nicht standesgemäß', van spießbürgerlichen Gewohnheiten' und so weiter. Ich finde es reizend, überaus reizend hier; ich werde nicht einen Augenblick die Lan»^ Werle verspüren, die man immer zwischen Ihren Zeiten lesen mußte. Und was wollen Sie denn von der Schwester des Barons? Sie ist eine originelle Dame und sicht statt lich genug aus in ihrem grauen Seidenkleid; und waS das Aeußere deS Kindes anbetrifft, so waschen Sie der Kleinen nur die dichte Schicht Reispuder ab, die Eie auf da» arme Gchchtchen gelegt haben, wahrscheinlich um Mama M rüyren. Daun wird'» besser aussehen. Augenblicklich glicht es Ihnen, liebste Berg, wenn Sie nämlich schmachtend M erscheinen Wünschen." „Durchlaucht!" rief Frau von Berg beleidigt «O wurde rot unter der Schminke. „Ereifern Sie sich doch nicht," fuhr die Prinzefffn fort, „gAen S:e lieber derartige Versuche auf! Ich finde »S nun einmal reizend hier draußen und werde da» m«««i Schwager sagen." „Da werden Durchlaucht völlig seinen Geschmack trMrn; auch er findet es in hiesiger Gegend reizend!" „O, was Sie meinen, Beste, das weiß ich," «wEderte die Prinzessin/ „aber das ist lächerlich, einfach lächerlich. Heraus mit der Sprache, liebstes Bergchen, wenn Sie etwas Positives wissen," sagte sie siegesgewiß. „Sie begreifen doch, «S kann mir nicht gleichgültig sein, wer die des KindeS" —.ste wieS nach der Nsbentür — „wird." „Durchlaucht glauben mir ja doch nicht," schmollt« dl» Dame und sich vorüber an den funkelnden schwarzen Mädchenaugen, die sich fast leidenschaftlich in di, ihrem senkten. „Mitunter nicht! Ich weiß indessen ganz genom Wahr heit und Dichtung bei Ihnen zu unterscheiden." „Nun, so lasse ich Ihnen die Wahl, PrinMin," be gann Frau von Berg eifrig, „ob Sie glauben wollen »der nicht. Er —" „Es ist nicht wahr! „Aber, Durchlaucht, ich sprach noch gar nichts „Alice, sagen Sie nichts, es ist nicht so," ries die Pria- zefsin fast drohend. ,/Er hat sie niemals angesehen, er ist rhr geflissentlich aus dem Wege gegangen. Sie wollten etwas anoeres erzählen." „Gut, wie Durchlaucht befehlen. Sie—" „Sie ist in anderen Ketten und Banden, ich habe es gesehen," rief Prinzeß Helene. „Der Herzog—" > (Fortsetzung folgt.)
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