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Beilage zum Wilsdruffer Tageblatt/ Amlsbl. Nr. 300. 77. Jahrgang. Mittwoch de« 25. Dezember 1918. Amtlicher Teil. Freiwillige für die 10. Arn»«« werd«« gebrancht! 3m Einverständnis mit äen Garnilon-Soidatenräten des 12. A.-K. veröffentlicht das Armee-Oberkommando der 10. Armee folgenden Aufruf: Oie 10. Armee — Oberbefehlshaber General äer Infanterie von faikerchazm — Kehl an äer Ostgrenze Litauens, um äie Heimkehr äer Oruppen äer Heeresgruppe Kiew, sowie äer 8-. Armee zu sichern. 3 Monats etwa muß äie io. Armee ihre Linie noch kalten, damit äie Kameraden aus Estland unä Livlanä, vom Kaukasus unä Oon ungefährdet äie Heimat erreichen können. Oie 10. Armee hat seinerzeit alle jüngeren Mannschaften zur Unterstützung äer West front abgegeben. Jetzt sinä ihr äie EffaK-Lolhringer unä Links-Kkeinländer, aus äenen sie zum groben Oeile bestand, entzogen woräen. Oer Rest äer Gruppe ist überalteter Lanästurm, äer nach Hause ärängt. Oie entstandenen unä entltehenäen Lücken müllen sofort ausgefüllt weräen. Jecker, äer eine Waffe führen kann unä gewillt ilt, äen nicht schweren Viens« hier ärauken treu zu tun, wie es sich für einen äeutschen Soläaten von altersker gekört, ist willkommen. Ziehen wir in äielem guten äeutschen Soläatengellte zusammen, äann gibt es hier keinen feind, äen wir im Augenblick zu fürchten kätien. 3m Hinblick auf äie gegenwärtige Lage äes Arbeitsmarktes unä äer sonstigen Verhältnisse in Oeutlchlanä wirä nicht wenig für äen freiwilligen Gintritt geboten- kräftige, ausreichenäe Verpflegung neben Unterkunft, kekleiäung unä Aus rüstung. M. zo.— monatliche Grunälöknung für jeäen Mann, äazu W. Z.— L^ageszulage vom vienstantritt an. Unteroffiziere erkalten an Stelle äer Grvnälöknung ikre vienstgraälöknung neben äer ^ageszulage, soweit unä sobalä sie in btatstellen einrücken können. Oie erste Dienstverpflichtung erfolgt auf z Monate, nach äeren Ablauf gilt istägige Kündigung von beiden Seiten, wenn nicht Verlängerung äes Vertrages erfolgt. Oienst- prämie von M. 100.— nach Ablauf äes 1. Vierteljahres ist in Aussicht gestellt. Kameraden! Wer äen Uebergang vom Heeresäienst zum bürgerlichen Leben jetzt noch nicht finäen kann, wer im fremden Lande noch etwas von der Welt sehen will, wer vielleicht eine neue Zukunft im fremden Lande sich zu gründen gedenkt, der melde sich zum freiwilligen Dienst in der io. Armee. Anmeldung: Garnison-Rommanäo Meiöen, „Hamburger Hof". welche Forderungen un den Stadtrar haben, werden wegen des bevorstehenden Rech nungsabschlusses dringend ersucht, Rechnung bis 22. Dezember 1918 e nreichen zu wollen. Zwecks beschleunigter Auszahlung empfiehlt es sich, die Rechnungen vor Einreichung tesiätigen zu lassen. Geleistete Arbeit und gelieferte Gegenstände für den Umbau des Verwaltungsgebäu des sind möglichst auf besonderer Rechnung auszuführen. Wilsdruff, am 18. Dezember 1918. Der Bürgermeister. BelrOW sir Wei-mW. Luc. l, «8. „Gelobet sei der Herr, der Gott Israels, denn er hat besucht und erlöset sein Bolt." Er ist gekommen der ewige Gott aus dem Licht, da niemand zukommen kann, hervorgetreten in der Gestalt dieses zu öethlehem geborenen Menschenkindes. Gott war in Ekristo und versöhnte äie Welt mit ihm selber, vieler 3e1us ist nicht gewesen einer von äen Geisteshelden der Menschheit, auf äie wir stolz sein dürfen, weil wirs so herrlich weit gebracht. Gr ist nicht ein frommer Mensch gewesen, der die christliche Keligion gestiftet hat, wie sonst ! der Genius etwas schafft: es ist hier etwas, das uns ! hindert, diele Oat auch nur im geringsten als das Verdienst der Menschheit in Anspruch zu nehmen. Wer keiner Gr- ! lösung bedarf für sich und für das ganze große Menschenge schlecht, der mag sich bei dem bloßen Menschen 3esus be ruhigen, es ist seine Sache; wer aber nach Erlösung nicht nur sich sehnt, sondern in d r von Ohristus her erfahrenen Erlösung seinen frieden, seine Seligkeit hat, für äen ist es ein unmöglicher Gedanke, daß er seine Erlösung einem bloßen Menschen verdanken soll. Gelobet sei der Herr, der Gott Israels, denn er hat besucht und erlöset sein Volk! ! Ond so laßt uns mit dankbarem Herzen Weihnachten feiern, ein christliches, glaubensgewilles Weihnachten. Es ist und bleibt ja ein Wunder, aber eines, dem auch der modernste Mensch sich kingeben darf unä muß, denn okne äies Wunäer ist er arm, eleng unä verloren. Werdet wie äie Kinder! Das keißt nicht nur, daß wir uns zurück- empfinäen sollen in den Märchenzauber derWeiknachten, den wir als Kinder durchlebten, das keißt vielmehr, mit ell der Klarkeit, die dem reifgewordenen Gemüte ziemt, die überwältigende Macht der Liebe anbeten, die uns in der Geburt des Ekristkindes erschienen ist, einsättig, demütig uns in ihren großen Zinn versenken und uns selig preisen, daß wir dadurch Gottes Kinder lind. Aus Gia-? uvv Lass Mitteilungen für diese Rubrik nehmen wir immer dankbar entgegen. Wilsdruff, am 24. Dezember. — Unsere Postbezieher werben gebeten, den Bezug unserer Zeitung schon jetzt bei dem liefernden Postamte zu erneuern, damit in der Lieferung zum s. Januar keine Unterbrechung eintritt. Neubestellungen werden von jedem Briefträger und Postamt entgegengenommen. — Aus dem Felde eingetroffen: Stab 3. Abteilung Fädart.-Regt. 48 und 7. und 8. Batterie (Dresden), Teile ves Reserve-Jäger-Bataillons 25 (Krögis), Teile des Reserve- Jäger-Bataillons 26 (Pockau-Lengefeld), Landsturm- Infanterie-Bataillon Dresden XII/1 (Neschwitz) und > Jn- lanterie-Regiment 392 (Zittau) — Die Vorbereitung zur Nationalversammlung. Die Verlegung des Wahstermins auf den (Y. Januar hat auch die Abänderung der Fiistbestimmungen im Wahlgc- srtz notwendig gemacht. Nie Regierung ist dabei von der Auffassung ausgegangen, daß die Rechte der Wähler und Parteien nicht eingeschränkt werden dürfen, daß vielmehr die Fristen in der Arbeit der Behörden einzusparen sind. Dementsprechend sind die Wählelüsten jetzt am 30. Dezember aufzulegen. Die Einspruchsfrist hat innerhalb einer Woche zu erfolgen, die Vorschlagslisten der Parteien mit ihren Kandidaten sind spätestens bis zum H. Januar dem Wahl kommissar emzureichen und der Wahlkommissar Hal die dazu erforderliche Aufforderung sofort zu erlassen. — Wann kann das Wahlergebnis zur National versammlung bekannt werden? Bei den Wahlen zum Reichstage wurden die Hauptresultate meist schon am nächsten Alorgen bekannt gegeben. Jetzt, bei der Wahl der Ab geordneten für di« Nationalversammlung, dürft« das Zählen der Listen, die bei der verhältniswahi zur Verwendung gelangen, wett zeitraubender sein, sodaß das genaue amt liche Ergebnis s i waitten in den 38 Wah bezirken eist nach 6 Tagen sestgestellt werden kann. Das Reichsamt des Innern will jedoch — wie die „N. G. E." erfährt — dafür sorgen, daß schon am Mittwoch nach dem Wahl- sonntag ein wenigstens vorläufiges Ergebnis zur Veröffent lichung kommen kann. — Was die Kirche dem Staat leistet, darüber hat der bekannte Statistiker Schneider auf der August-Konferenz am 22. August sysZ einen tiefgründigen Vortrag gehalten. Der hervorragende Sachkenner schätzt allein die Leistungen der evangelischen Kirchen an Anstalten für Blöde, Taub stumme, Krüppel, Sieche, Alt« usw., die sonst der Staat unterhalten müßte, auf mehr als 100 Millionen Mark, vielleicht auf )40 bis 150 Millionen Mark in jedem Jahr! Was die Kirche dem Staat und unserem Volksleben an inneren geistigen Werten bietet und leistet, läßt sich natürlich noch nicht zahlenmäßig feststellen. Kein Kenner wird leug nen, daß hier uoch weil größere Werte in Betracht kommen. — Eine Zulage zur Altersrente aus der Invaliden versicherung in Höhe von 3 Mark monatlich erhalten vom I. Januar ab die Altersrentenempfänger. vielfachen Wünschen auf Einbeziehung der Empfänger einer Alters rente in den Kreis der Personen, welchen infolge der Teuerung eine Zulage zu ihrer Rente gewährt wird, ist damit entsprochen worden. Die Zulage kann im einfachen Verfahren erhoben werden, das für Gewährung der Zu lagen an Empfänger von Invaliden- oder Witwenrente vorgesehen ist. In Aussicht genommen ist die Zulage einstweilen bis 3s. Dezember 1919 — Neuerungen im Postscheckoerkehr. Nach ß 4 der Postscheckordnung kann der Postscheckkundediebeiseiner BrsteUpostanstalt für ihn eingehenden Post- und Zahlungs anweisungen seinem Postscheckkonto gutschreiben lasten. Die Postanstalt überweist die Anweisungen mit Zählkarte und kürzt den Gesamtbetrag um die Zahlkartengebühr. Da die Erhebung -er Gebühr als lästig empfunden wurde und die Ausbr«itrfftg des barlosen Zahlungsausgleichs be- Pas Geheimnis der allen Mamsell. 6j Roman von E. Marlitt. j "Die Kleine stand dort und zog und zerrte verlegen an ihrem Röckchen; der bedeutend größere Junge imponierte (ihr offenbar, aber allmählich kam sie näher, und ohne sich durch seine gehässige Stellung abschvecken zu lassen, griff sie Mit leuchtenden Augen nach dem Kindersäbel, der an seinem Gürtel hing. Er stieß sie zornig zurück und lief seiner Mut ter entgegen, die eben wieder eintrat. ; „Ich will aber kein Schwesterchen haben!" wiederhol., er weinerlich. „Mama, schicke das ungezogene Mädchen fort, ich will allein sein bei dir und dem Papa!" Frau Hellwig zuckte schweigend die Achseln und trat hinter ihren Stuhl am Eßtische/ „Bete, Nathanael!" gebot sie eintönig und faltete die Hände. Sofort fuhren die zehn Finger des Knaben inein ander; er senkte demütig den Kopf und sprach ein langes Tischgebet . . . Unter den obwaltenoen Umständen war dies Gebet die abscheulichste Entweihung einer schönen christ lichen Sitte. . Der Hausherr rührte das Essen nicht an. Auf sei isonst so blassen Stirn lag die Röte innerer Aufregung, . während er mechanisch mit der Gabel spielte, flog sein g.- trübtcr Blick unruhig über die mürrischen Gesichter der Seinen. Das kleine Mädchen ließ es sich dagegen vortreff lich schmecken. Sie steckte einige Bonbons, die er neben ihren Teller gelegt hatte, gewissenhaft in ihr Täschchen. „Das ist für Mama," sagte sie zutraulich; „die ißt Bon bons zu gern; Papa bringt ihr immer ganze große Düten voll mit." „Du hast gar keine Mama!" rief Nathanael feindselig herüber „O, das weißt du ja gar nicht!" entgegnete die Kleine sehr aufgeregi. „Ich habe eine viel schönere Mama als du!" Helttvig sah tieferschrocken und scheu nach seiner Fran, und seine Hand hob sich unwillkürlich, als wollte sie sich aus deü-Leinen rosigen Mund legen, der das eigene Interesse ,so schlecht zu wahren verstand. „Hast du für ein Bettchen gesorgt, Brigittchen?" fragte er hastig, aber mit sanfter, bittender Stimme.' „J<-" , - „Un- w» wir- sie schlafen?" - , S.. Hellwig war Kaufmann. Erbe eines bedeutenden Ver mögens, hatte er dasselbe durch verschiedene industrielle Unternehmungen noch vermehrt. Er zog sich jedoch, weil er kränkelte, ziemlich früh aus der Geschäftswelt zurück und privatisierte in seiner kleinen Vaterstadt. Der Name Hell« wig hatte da einen gewichtigen Klang. Die Familie war seit undenklichen Zeiten eine der angesehensten, und durch viele Generationen hindurch hatte immer einer der Träger des geachteten Namens irgend ein Ehrenamt der Stadt be kleidet. Der schönste Garten vor den Toren des Städtchens und das Haust am Markte waren seit Menickenaedenken im (Fortsetzung auf der nächsten Seite.) „Bei Friederike." ' „Wäre nicht so viel Platz — wenigstens für die erste Zeit — in unserem Schlafzimmer?" „Wenn du Nathanaels Bett hinausschaffen willst, ja." Er wandte sich empört ab und ries das Dienstmädchen herein. „Friederike," sagte er, „du wirst des Nachts dies Kind unter deiner Obhut haben — sei gut und freundlich mit ihm; es ist eine arme Waise und an die Zärtlichkeit einer guten, sanften Mutter gewöhnt." „Ich werde dem Mädchen nichts in den Weg legen, Herr Hellwig," entgegnete die Alte, die offenbar gehorcht hatte; „aber ich bin ehrlicher Leute Kind und hab' in meinem ganzen Leben nichts mit Spielersleuten zu schaffen gehabt —' wenn man nur wenigstens wüßte, ob die Menschen ge traut gewesen sind." Sie schielte hinüber nach Frau Hellwig und erwartete ohne Zweifel einen belobenden Blick für ihre „herzhafte" Antwort, allein die Madame band eben Nathanael die Ser viette ab und sah überhaupt drein, als sehe und höre sie von dem ganzen Handel nichts. „Das ist stark!" rief Hellwig entrüstet. „Muß ich denn erst heute erfahren, daß in meinem ganzen Hanse weder Mit leiden noch Erbarmen zu finden ist? Und du meinst, du dürf test unbarmherzig sein, weil du ehrlicher Leute Kind bist, Friederike? . . . Nun, zu deiner Beruhigung sollst du wis sen, daß die Leute in rechtlicher Ehe gelebt haben; aber ich sage dir auch hiermit, daß ich von nun an sehr streng mit dir verfahren werde, sobald ich merke, daß du dem Kinde irgendwie zu nahe trittst." Es schien, als sei er des Kampfes müde. Er stand aus und trug die Kleine in die Kammer der Köchin. Sie ließ sich gutwillig zu Bette bringen und schlief bald ein, nach dem sie mit süßer Stimme für Papa und Mama, für den guten Onkel, der sie morgen wieder zu Mama tragen werde, und — für „die große Frau mit dem bösen Gesichte" ge betet batte. s Spät in der Stacht ging Friederike zu Bett. Sie war -Hornig, daß sie so lange hatte aufbleiben müssen, und ru morte rücksichtslos in der Kammer. Die kleine Felicitas fuhr jäh aus dem Schlafe empor; sie setzte sich im Bette aus, strich »ie wirren Locken aus der Strin, und ihre Augen glitten angstvoll suchend über die räucherigen Wände und dürftigen Möbel der engen, schwach beleuchteten Kammer. „Mania, Mama!" ries sie mit lauter Stimme. , „Sei still, Kind, deine Mutter ist nichi da; schlafe wie- der ein," sagte die Köchin mürrisch, während sie sich ent kleidete. E Die Kleine sah erschreckt zu ihr hinüber; dann sing sie an, leise zu weinen — sie fürchtete sich offenbar in der fremden Umgebung. „Na, jetzt heult die Range auch noch, das könnte mir fehlen — gleich bist du still, du Komödiantenbalg!" Sie hob drohend die Hand. Die Kleine steckte erschrocken das Köps- chen unter die Decke. „Ach, Mama, liebe Mama," flüsterte sie, „wo bist du nur? Nimm mich doch in dein Bett — ich fürchte mich so . . . ich will auch ganz artig sein und gleich einschlasen... Ich habe dir auch auch etwas aufgehoben, ich habe nicht alles gegessen — Fee bringt dir etwas mit, liebe Mama ... Oder gib mir nur deine Hand, dann will ich in meinem Bettchen bleiben und —" „Bist du wohl still!" ries Friederike und rannte wis wütend nach dem Bette des Kindes ... Es rührte sich nicht mehr und nur dann und wann drang ein unterdrücktest Schluchzen unter der Decke hervor. 1 Die alte Köchin schlief längst den Schlaf des Gerechten) als das arme Kind, dis aufgeschreckte Sehnsucht im kleinen -Herzen ,noch leise nach der toten Mutter jammerte. /"