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Wilsdruffer Tageblatt : 31.12.1918
- Erscheinungsdatum
- 1918-12-31
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1782027106-191812310
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1782027106-19181231
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1782027106-19181231
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Bestände des Heimatmuseums der Stadt Wilsdruff und des Archivs der Stadt Wilsdruff
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Wilsdruffer Tageblatt
-
Jahr
1918
-
Monat
1918-12
- Tag 1918-12-31
-
Monat
1918-12
-
Jahr
1918
- Titel
- Wilsdruffer Tageblatt : 31.12.1918
- Autor
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Leuen der Stadt zu regelrechten Feuerkämpfen, »um Len out Maicktnengeivehren und Handgranaten. Es gab Tote und Verwundete. Abends und in der Nacht letzten sich di« Kämpfe fort. Abteilungen polnischer Soldaten haben sich nach dem Bahnhof begeben auf dft Meldung hin, daß Truppen aus Berlin im Anmarsch seien. Man befürchtet weitere Kämpfe. Vertreter des polnischen Staatsrates und der englischen Mission, die mit Paderewski hier ein« getroffen ist, verhandelten im Generalkommando, um geoen die Ausschreitungen Stellung zu nehmen. Der Kommandierende General erklärte, daß er gegenüber den, ^Soldaten machtlos sei. Auf weitere Bemerkungen üben das Herunlerreißen der Fahnen der Entente erklärte der Chef des Stabes, daß man doch in Preußen sei und feind liche Fahnen nicht dulden könne. Auf diese Antwort des Generalmajors verließen die englischen und polnischen Vertreter unter Abbruch der Verhandlungen das General- kommandlp Wie verlautet, hat die Regierung Einspruch gegen Lie Posener Demonstrationsreise Paderewskis erhoben mit der Begründung, daß ihm lediglich ein freies Geleit von Danzig an die polnische Grenze zur Reise nack Warschau zugesichert sei. Die preußische Regierungs behörde in Posen ist infolgedessen angewiesen worden Paderewski sofort zur Weiterreise nach Warschau zu ver anlassen. _ > Berlin, 29. Dezember. Die Lage in Posen hat sich außerordentlich ernst gestaltet. Die Polen sind HerrenderStadt.die vollständig vom Telephon- und Telegraphenverkehr abgeschnitten ist. Offiziere und Mann schaften, die mit den vorschriftsmäßigen Legitimationen ver sehen waren, sind ihrer Waffe beraubt und zum Teil stand rechtlich erschossen worden. Zwischen deutschen Truppen und polnischen Legionären haben sich heftige Straßenkämpfe cntsponnen. Die Regierungsmitglieder Landsberg, Hirsch und Breitscheid begeben sich heute nach Posen. Oie Lage -er Hetchsregterung. Neue Umsturzplüne Liebknechts. Berlin, 27. Dezember, regierungsoffiziös^Ecke Allgemeine Zeitung schreib! Bon verschiedenen, unbedingt zuverlässigen Seiten ist der Regierung authentisch mttgeteilt worden, das? di« Spartakusgruppe beschlossen hat, sobald wie möglich, wenn angängig schon heute, die BolkSbcanftragten zu stürzen nnd die neue Regierung Liebknecht-Ledebour-Etchhorn zu prokla- Mieren Die Spartakusleute rechnen dabet auf Unterstützung der erbitterten Matrosen und großer Teile deS Sicherheit«. Dienstes. - . Die Kabinettssitzung am gestrigen Vormittag verlies und kam rasch zu Ende, nachdem Klarheit daß das besetzte Vorwärts- Gebäude wieder geräumt wurde. Eine weitere Kabinetts- gestern nicht stattgefunden. Der Zentralrat der ASR ist heute zu einer entscheidenden Sitzung in der Frage der Kabinettskrisis zusammengetreten. Die Volks- "Ar, im. Gegensatz zu anderen Meldungen, an dieser Sitzung nicht teilgenommen. Viel- mehr wird eine gemeinsame Beratung der Regierung und des Zentralrats erst morgen stattfinden. In dieser Be- ratung wird dann auch die Entscheidung fallen. Es ist wohl mit Bestimmtheit damit zu rechnen, daß die Re gierung ihre jetzig« Zusammensetzung nicht beckehalten wlro. Das künftige deutsche Heer. Die Notwendigkeit einer festgefügten Wehr. Die Frage, was aus unserem Heer wird und wie sich die zukünftige deutsche Wehrmacht gestalten soll, wird nicht zum wenigsten von den Bestimmungen des Friedens- Vertrages abhängen. Immerhin aber beschäftigt sie be greiflicherweise schon jetzt alle Kreise des Volkes. Das Bedürfnis, sich zu der Angelegenheit zu äußern, hat auch Kriegsminister Scheüch. Der Kriegsminister spricht sich entschieden für eine Möglichst baldige Wiederherstellung einer „festgefügten' Wehrmacht aus. „Zum Schutze Deutschlands", meinte er, „brauchen wir ein Volksheer auf bre.ter Grundlage, kommen demnach um die Durchführung der allgemeinen Wehrpflicht nicht herum. Für ein Volksheer aber ist es selbstverständlich, daß es in fester Disziplin herangebildet Md erhalten werden muß. Disziplin ist der oberste Grundsatz eines jeden Heereswesens. Die Dienstzeit werde man stark kürzen müssen. Man werde vielleicht mit einer einjährigen rechnen müssen. Die militärischen Fertigkeiten würde man dann in Übungen, etwa nach Schweizer Muster, festigen und erweitern." Für den inneren Aufbau des Heeres verlangt General leutnant Scheuch: „Ein unbedingtes Erfordernis ist es, das Gebälke des Heeresneubaues, nämlich die Berufs offiziere und Unteroffiziere, in diesen Neubau einzufügen. Die Tendenz, daß die Truppe sich ihre Vorgesetzten wählen soll, müsse zu einer vollkommenen Zerrüttung der Autorität führen." Der Kriegsminister ist sich klar, daß die augenblicklich betriebene Hetze gegen die Offiziere von den Schlagworten der „Zertrümmerung des Militarismus" und „des Kadavergehorsams" stark beeinflußt ist. glaubt aber, daß man bei vernünftiger Überlegung doch zu der Einsicht kommen werde, daß man ohne den Offiziersstand, ohne Berufsunteroffiziere und ohne deren Autorität ein Heerwesen nicht schaffen, geschweige denn erhalten kann. Den Soldatenräten erkannte General Scheüch den guten Willen zu, die Wiederherstellung geordneter Zustände herbeizuführen, aber es überwiege doch die Tatsache, daß durch ihre Tätigkeit an Stelle der militärischen Ordnung die Willkür getreten sei. Ole Lon-oner Trinksprüche. Wilson für Recht und Gerechtigkeit. London, 28. Dezember. Bei dem feierlichen Empfang durch den König voni England hielt Prädent Wilson in Erwiderung der Be- Lrüßung durch den König eine Rede, die einige bemerkens werte Punkte aufweist. So sagte er u. a.: „Wir haben alle große Worte ausgesprochen. Wir haben die graßen Worte „Recht" und „Gerechtigkeit" ausgesprochen, und jetzt müssen wir zeigen, ob wir diese Worte verstehen oder nicht, und wie sie im Einzelnen auf die Abmachungen anzuwenden find, die diesen Krieg abschlteßen müssen. Wir müssen sie nicht nur verstehen, sondern wir muffen auch den Mut haben, nach unserer Ansicht zu handeln. Nachdem ich das Wort „Mut" ausgesprochen habe, drängt sich mir die Überzeugung aus, daß es mehr Mut erfordern würde, der großen moralischen Strömung Widerstand zu leisten, die jetzt durch die Welt geht, als ihr nachzugeben und zu gehorchen. Durch die Herzen der Menschen gebt jetzt eine große Strömung. Die Menschen sind sich nie zuvor besten bewußt gewesen, wie wenig Unterschied zwischen Recht und Gerechtigkeit in den verschiedenen Brettegraden und unter den verschiedenen Staatsgewalten bestand." In seiner Begrüßung wies der König von England darauf hin, daß ein Plan entworfen werden müsse, durch den die Gefahr künftiger Kriege wenn möglich abgewendet werden könne und der die Nationen von der unerträg lichen Last befreie, die die Furcht vor dem Kriege ihnen aufgebürdet habe. Zum Aus« und Auf« schneiden heben! Merktage für -ie Wahlen. 30. Dezember: Beginn der Auslegung der Wähler listen. Nur wer in der Wählerliste steht, wird zur Aus übung des Wahlrechts zugelassen. 4. Januar: Letzter Termin für die Einreichung der Wahlvorschläge beim Wahlkommissar. 6. Januar: Ablauf der Frist für die Auslegung der Wählerlisten. Etwaige Einsprüche gegen die Wählerliste müssen bis zum 6. Januar bei der Gemeindeoerwaltungs- behörde angebracht werden. 12. Januar: Letzter Tag für die schriftliche Mitteilung, an den Wahlkommissar, daß Wahlvorschläge miteinander verbunden werden sollen. Ebenfalls bis zum 12. Januar muß der Wahlkommissar eine Erklärung des Bewerbers der auf verschiedenen Wahlvorschlägen oorgeschlagen ist, darüber herbeiführen, für welchen Vorschlag er sich ent scheiden will. Bis zum 12. Januar müssen auch alle Maßnahmen für Lie technische Durchführung der Wahlen getroffen sein. 14. Januar: Spätestens an diesem Tage haben die Bekanntmachungen über sämtliche zugelassenen Wahl vorschläge und über etwaige Verbindungen von Wahl- Vorschlägen zu erfolgen. 16. Januar: Letzter Tag für die Ernennung des Wablvorstandes, der aus dem Wahlvorsteher bzw. seinem Stellvertreter, 3 bis 6 Beisitzern sowie 1 Schriftführer be steht. Die Ernennung erfolgt in der Form der Einladung an die Mitglieder des Wahlvorstandes, ,bei Beginn, der Wahlhandlung zur Bildung des Wahlvorstandes rm Wahl- raum zu erscheinen. Die Wahlhandlung wird damit er öffnet, daß der Wahlvorsteher den Schriftführer und die Beisitzer durch Handschlag an Eidesstatt verpflichtet und so den Wahlvorstand bildet. 19. Januar: Wahltag. Die Mahlzeit dauert von 9 Uhr vormittags bis 8 Uhr nachmittags. Unmittelbar nach Schluß der Abstimmung werden die Wahlumschläge un eröffnet gezählt, ebenso die Abstimmungsvermerke in der Wählerliste. Falls nicht mehr am Wahltag selbst, muß am 20. Januar die Prüfung des Abstimmungsergebnisses erfolgen. Das Nähere bestimmen 41 ff. W.O. 25. Januar: Berufung des Wahlausschusses zur Erl mittlung des Wahlergebnisses. Nach Feststellung unverzüg liche Bekanntgabe des Wahlergebnisses. 1. Februar: Spätestens an diesem Tage müssen die Gewählten eine Erklärung abgeben, ob sie die auf sie ge fallene Wahl annehmen. / Neueste Meldungen. s Wien, 28. Dezember. Das Staatsamt LeS Nutzern er? hielt von dem Bevollmächtigten in Bern eine Nachricht, wo nach die dort anwesenden Vertreter der interalliier - ten Lebensmittelkonferenz die vorläufige f o - fortige Lieferung von 4000 Tonnen Weizen für Deutsch-Österreich zusagten. Zwecks Verhand lungen über weitere Lebensmittelsendungen wird eine aus amerikanischen, englischen, französischen und italienischen Vertretern bestehende Kommission in Wien eintreffen. Dl« Unruhen »m Ruhrgebiet. i„» ^Eboru, 27. Dez. Nach Berichten aus den Versamm lungen der streckenden Bergleute kam es vor und im Rathause zu Tumulten, bei denen mehrere Beamte schwer verlebt wurden. Mehrere Läden wurden geplündert. Nach er- Versammlungen verhafteten die Streikenden einige Industrielle. Die Neichsrxgjxrung verlangt in Tele- grammen die sofortige Aufnahme der Arbeit. Auch erklärt sie sich nochmals für die Sozialisierung der Bergwerke. Scheidemann tritt nicht zurück. Berlin, 27. Dez. Zu den Gerüchten, daß die Regierung Mücktreten werde, erklärte Scheidemann, er denke nicht «n seinen Rücktritt. Die Stellung der Mehrhetts-Sozial. dcmvkratie im Kabinett und im Zentralrat sei so stark, daß sie «inen Rückzug nicht in Betracht zu ziehen brauche. I» den Mittagsstunden sand im Kabinett eine Beratung über die Ostfragen unter dem Vorsitz von Haase statt. Die An. sichten gingen stark auseinander, doch wurde schließlich ein VermtttlungSantrag Erzberger angenommen. Nochmals Franzosen und ASR. Berlin, 27. Dez. Die Waffenstillstandskommission gibt bekannt: Am 23. 12. erschien überraschend in Mannheim, also in der neutralen Zone, ein französischer Major und teilte mit, am 24. 12. würden 5000 Franzosen in Mannheim ein» rucken, um die Ordnung aufrechtzuerhalten. Es stellte sich heraus, daß die Franzosen geglaubt hatten, infolge von Beschlüssen des Mannheimer Soldatenrats seien Unruhen entstanden. Die Franzosen wollten dies nicht dulden. Immerhin lag dem, was die Franzosen gehört batten, doch ein wirklicher Vorfall zu Grunde. Der Mannheimer Soldatenrat hatte nämlich un- begreiflicherweise den Beschluß gefaßt, das deutsche Bataillon in Mannheim zu entwaffnen. Die Durchführung des völlig unbegründeten Beschlusses wurde jedoch durch das Dazwischen» treten der badischen Regierung vereitelt. Die ASR in der sieutralen Zone werden von den Franzosen nicht anerkannt. Sachsens Bedrohung durch die Tschechen. " Chemnitz, 27. Dez. Alle Militärpersonen der Jahr» gänge 18SS bis 18SS der Chemnitzer Regimenter erhielten am 25. Dezember den Befehl, sich in den Kasernen ein- ,«finden, um gegebcnenfqllS den Grenzschutz zu verstärken, da man die Gefahr eine« tschechischen Einmarsches nach Sachsen für vorliegend erachtet. Deutschfeindliche Zollplänc MasarhkS. Wt«i, 27. Dez. Der Präsident der tschechisch-slowakischen Republik Masaryk hat mit den revubltkanischen Regierungen Ungarns und der Südslawen Verhandlungen eingöleitet. die zur Schaffung eines Zollbündnisses zwischen den nationalen Staaten der ehemaligen habsburgischen Monarchie führen sollen. Die Pläne Masaryks verfolgen im Einverständnis mit der Entente den Zweck, den Anschluß Deutsch-Osterreichs an da- Deutsche Reich zu verhindern. Günstigere Friedensbcdingungen für Deutschland? Genf, 27. Dez. Der jetzige Stand der VorfrtrdenS. Verhandlungen macht eS ersichtlich, daß die Deutschland auf- -uerlegendru Bedingungen sich günstiger gestalten als die Deutschen selbst glauben. Clemenceau steht ans viel ver söhnlicherem Standpunkt als früher. Das Gchkimis -er alten Mamsell. Ss Roman von E. Marlitt. Aller Augen richteten sich verwundert auf das Fenster, aber Felicitas sah nur die großen, grauen, deren Blick sie vor hin so tief erjchreckt hatte. Er blickte strafend herüber; s» verließ das Fenster und flüchtete sich hinter den großen, dunk len Vorhang, der das Zimmer in zwei Hälften teilte. Dori kauerte sie sich nieder und blickte furchtsam nach der Tür, wo er gewiß eintreten und sie scheltend hinaussühren würde. In ihrem Verstecke sah sie nicht, wie draußen die Träge« den Sarg auf die Schlittern nahmen, wie der Onkel sein Haus verließ für immer. Sie sah nicht den langen schwarzen, um heimlichen Zug, der dem Verstorbenen folgte, wie der letzte Schatten auf dem nun vollendeten Lebenswege . . . Dort an der Ecke hob ein Luftzug alle die prächtigen weißen Atlas- bänder, die am Sarge niederhingen — sie flatterten hoch auf; war es der letzte Gruß des Geschiedenen für das verlassene Kind, das eine zärtlich besorgte Mutter dem trüben Sumpfe der väterlichen Laufbahn entrissen hatte, um es unwissentlich an einen öden, unwirtbaren Strand zu werfen? 7. Das Stimmenaemurmel in dem Flur wär Plötzlich Vere stummt — and es folgte tiefe Stille. Felicitas hörte, wie die Haustür geschlossen wurde; aber sie wußte nicht, daß damit das Drama in dem Hausflur zu Ende sei. Noch wagte sie sich nicht aus ihrem Winkel hervor. Sic saß auf dem kleinen, c>e- polsterten Lehnstuhle, den der Onkel ihr am letzten Weih nachtsabend geschenkt, und daS Köpfchen ruhte auf ihren bei den Händen, die sich auf dem Tische kreuzten. Ihr Herz köpfte nicht mehr so ängstlich, aber hinter der kleinen ge- enlten Stirn hämmerte es, und die Gedanken reihten sich in ieberhafttr Schnelligkeit aneinander. Sie dachte auch an die kleine ,alte Dame, deren Bukett draußen auf den Ateinfliesen lag und wahrscheinlich von den unachtfameN-Leuteu zertreten iwur'de. . . Tas war afto die „alle Mcmiseu" gewejen, ;eni Einsame hoch droben unter dem Dache des iHnterhauses, dei stete Zankapfel zwischen der Köchin und Heinrich! Nach Frie- srrikes Aussage hatte die alte Mamsell Furchtbares «ruf deni > Gewissen — sie sollte MUd ;ein an ihres Balers Tode. Di« »haarsträubende Geschichte hatte der kleinen Felicitas stets ,Furcht und Entsetzen emgeflößt- aber jetzt war das vorbei . ; !Die kleine Dame mit dem guten Gesichte und den Augen voll sanfter Tränen eine Vatermörderin! Da hatte Heinrich sicher recht, wenn er beharrlich den dicken Kopf schüttelte uni ebenso konsequent den geistreichen Satz aufstellte, das müsst anders Zusammenhängen! Vor Jahren hatte die alte Mamsell auch hier unten in Vorderhause gewohnt, aber, wie sich die alte Köchin mit immer neu aufloderndem Zorne ausdrückte — sie war nicht davon abzubringen gewesen, Sonntagnachmittags unheilig« Lieder und lustige Weisen zu spielen. Die „Madame" hatte ihr Himmel und Hölle vorgestellt, aber das war alles umsonst gewesen, bis kein Mensch im Hause den Greuel mehr mit an hören konnte — da hatte Herr Hellwig seiner Frau den Wil len getan, und die alte Mamsell hatte hinauf gemußt unters Dach . . . Dort wäre sie unschädlich, meinte Friederike stets, ,und man mußte ihr recht geben, denn man hörte nie auch nm einen Laut des verpönten Klavierspiels im Hause . . . Der Onkel mußte jedenfalls sehr böse auf die alte Mamsell ge wesen sein, denn er hatte nie von ihrer gesprochen; und doch war sie seines Vaters Schwester und sah ihm so ähnlich . . . Eine heiße Sehnsucht erfaßte die kleine Felicitas bei dem Gedanken an diese Äehnlichkeit — sie wollte hinauf in d« Dachwohnung, aber da stand ja der finstere Johannes — dal Kind schüttelte sich vor Angst — und die alte Mamsell steckt« jahraus, jahrein hinter Riegeln und Schlössern. Am Ende eines langen abgelegenen Korridors, dicht a« der Treppe, die aus den unteren Stockwerken hcraufführte war eine Tür. Nathanael hatte einmal, als sie da drobsr spielten, leise zu ihr gesagt: „Du, da droben wohnt sie!' dann hatte er, mit beiden Fäusten auf die Tür schlagend, lau! geschrien: „Alte Dachhexe, komm herunter!" und war ft schleuniger Flucht die Treppe hinabaelaufen. Wie hatte d« das Herz der kleinen Felicitas vor Angst und Schrecken ge> klopft! Denn sie war keinen Augenblick im Zweifel gewesen es müsse ein schreckliches Weib mit einem großen Messer ft der Hand hervorstürzen und sie bei den Haaren fassen . . . Es fing «in, leise zu dämmern. Drüben sm Rathaus, huschte der letzte goldene Schein der tzerdstsrnne um d« Mebettreuz, und aus der großen Wanduhr drinnen tm Ztm mer schlug es langsam und rasselnd fünf — sie hatte genau ft eintönig und langsam jene drei Schläge herabgerasselt, nack denen ihr ehemaliger Besitzer, der sie lange Jahre hindurch pünktlich und mit liebevoller Vorsicht bediente, hinausgetra- gen worden war. Bis dahin war es ziemlich still im ganzen Hause geblie ben; aber jetzt wurde die Tür des Wohnzimmers Plötzlich ge öffnet, und harte, feste Schritte schollen durch den Flur. Fe licitas zog ängstlich den Vorhang an sich heran, denn Fra« Hellwig näherte sich dem Zimmer des Onkels. Das erschien dem Kinde wunderbar neu; es war nie vorgekommen, oaß di« große Frau bei Lebzeiten ihres Mannes je diese Schwelle be treten hatte . . . Sie kam ungewöhnlich rasch herein, schok leise den Nachtriegel vor und blieb dann einen Augenblici mitten im Zimmer stehen. Es war ein Ausdruck unsäglichen Triumphes, mit welchem diese Frau ihre Blicke langsam durch den so lange streng gemiedenen Raum gleiten ließ. Ueber Hellwigs Schreibtisch hingen zwei schön gemalt« Oelbilder, ein Herr und eine Dame. Die letztere, ein stolze« Gefickt, aus dessen Augen aber Geist und Lebenslust sprühte, war in jener Tracht, welche so unsckön die altgriechische nach- zuabmen sucht. Die kurze Taille, oie ein Weitzer leuchtend« Seioeustoff umschloss, wurde noch verkürzt durch einen roten, golddurchwirkten Gürtel; Brust und Oberarme, fast zu üppig geformt und nur sehr wenig bedeckt, harmonierten in ihre« herausfordernden Schönheit durchaus nicht mit dem an- fpruchslosen züchtigen Veilchenstrautze, der im Gürtel steckst .... Es war Hellwigs Mutter. Vor dieses Bild trat die Witwe jetzt; sie schien sich eine« Augenblick daran zu weiden. Dann stieg sie auf einen Stuhl, hob es von seiner gewohnten, langjährigen Stelle und schlug vorsichtig, ohne großes Geräusch erneu neuen Nagel inmitten der zwei alten, an welchen sie das männliche Brustbild, Hell wigs Vater, hing. Es blickte jetzt einsam hernieder, währen) -die Witwe den Stuhl verließ und, das weibliche Porträt ft jder Hand, aus dem Zimmer ging . . . Felicitas gespanntes Ohr folgte ihren Schritten durch den Hausflur über die erst« Treppe — sie stieg immer höher in dem widerhallenden Trep- Penhaule — wahrscheinlich bis in den Bodenraum. - (Fortsetzung folgt.)
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