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MisdrMer Lagevlatt 2. Blatt Nr. 157 Montag, den 9. Juli 1934 Tauesspruch Ein jeder seines Glückes Schmied Wo bleibt da Gottes Ehre? Was seine Schickung mir beschied. Wer -bin ich, daß ich's wehre? And doch, was dir des Höchsten Rat An Lieb' und Leid beschjeden. Du wirst dir erst durch eigne Tat Wohl oder Weh draus schmieden. Karl.Gerok- * Lerne groß erst sein im kleinen, aber dann im großen klein, und im großen wie im kleinen wird dein Matz das rechte sein. Fritz Keuter. Vor 60 Jahren, am I2. Juli 1^4, starb in Eisenach, wo er seit 1863 in seinem eigenen schönen Hause am Fuße der Wartburg wohnte, Fritz Reuter. Kein anderer von den vielen mundartlichen Dichtern Deutschlands hat cs zu so allgemeiner Geltung und Volkstümlichkeit ge bracht wie er, auch Klaus Groth nicht, der als Lyriker weit größer und bedeutender war als er. In Jena und Neu brandenburg stehen Reuter-Denkmäler, in Amerika gibt es ihrer fünf, vielleicht noch mehr. Das zeigt, wie beliebt dieser Mann war, der in seinen Studentenjahren als Mit glied der damals verbotenen Burschenschaft nach drei jähriger Untersuchungshaft zum Tode verurteilt und dann zu dreißigjährigem Festuugsgefängnis begnadigt wurde. Von den dreißig Jahren hat er aber nur sieben „abge sessen", in Silberberg, Großglogau, Magdeburg, Grau- denz, Dömitz, und diese sieben Festungsjahre hat er in seinem humorvollen Werk „Ut mine Festungstid" in köst licher Weise geschildert. Durch Reuter drang die neuniederdeutsche Literatur, drang die plattdeutsche Sprache, die er in „Hanne Nüte" mit einem knorrigen Eichbaum verglich, mitten ins Volk, auch in solche Kreise, die vorher kaum ein Wort Plattdeutsch verstände« hatten. Seine plattdeutschen Gedichte „Läuschen un Rimels", seine wunderbare Vers- novelle „Kein Hüsung", seine Sammlung „Olle Kamellen", seine großen Prosadichtungen „Ut de Franz-sentid" und „Ut mine Stromtid", ein Nachklang seiner zehn Landwirt schaftsjahre, seine „Reis' nach Belligen" und vieles andere noch gehörten zu den verbreitetsten Büchern deutscher Zunge: Millionen Bände Reuter gingen allein nach Amerika. Seltsam war das Leben dieses Mannes, der am 7. November 1810 in der kleinen mecklenburgischen Stadt Stavenhagen als des Bürgermeisters Sohn geboren wurde. Ohne besondere Neigung widmete er sich auf den Wunsch des Vaters juristischen Studien, war dann „ver bummelter Student", wurde, nachdem er die Freiheit wiedererlangt hatte, Landwirt, gab diesen Beruf, der für ihn aussichtslos war, auf, wurde Privatlehrer und trat schließlich auf den Nat guter Freunde, aber ohne allzu große Hoffnungen, als Schriftsteller an die Öffentlichkeit. Und „als er eines Morgens erwachte, war er welt berühmt." Von den vielen prächtigen Gestalten, die er schuf, mögen nur der unsterbliche „Onkel Bräsig", der stutzerhafte Laudwirtschaftsvoloutär Fritz Triddelfitz, der aufgeblasene Pomuchelskopp erwähnt sein, von seinen geflügelten Worten" Bräsigs Äußerung: „In der Fixig keit war ich dir über, aber in der Richtigkeit warst du mir über", die klassische Deutung der großen Armut in der Stadt, die „von der großen Powerteh" herkomiM, das Wort „Daß du die Ras' ins Gesicht behältst", der tief sinnige Spruch „Wer't mag, de mag't! Un wer't nich mag, de mag't jo woll nich mögen" und vor allem der Trost in allen Fährlichkeiten dieses Lebens: „Wenn einer dauhn deiht, wat hei deiht, denn kann hei nich mihr dauhn, as hei deiht." Vie rote Revolte in voilanck. Rote Fahnen. Von Adolf Hitler aus Deutschland vertrieben, jetzt der Kommunismus seine verhetzende, zer störende und blutige Arbeit in den anderen Ländern in verstärktem Maße fort. Wem über das Wesen kommu nistischer Agitation, nachdem es in Deutschland schonungs los und rechtzeitig aufgedcckt worden ist» noch nicht die Augen nufgegangen waren, dem mußte es klarwerden, durch die Ereignisse der letzten Monate. Erinnert sei nur an die blutigen Straßenkämpfe in Wien und Paris. Dazu kommt jetzt der Aufruhr in Amsterdam. Holland, das bisher noch von der kommunistischen Seuche ziemlich verschont geblieben war, ist jetzt zum Tummelplatz der kommunistischen Hetzer und Banden führer geworden. Wenn man bisher nur die Vermutung haben konnte, daß hinter den Unruhen der letzten Tage Kommunisten als Drahtzieher und Führer stehen, fo ist es jetzt ganz deutlich zutage getreten. Auf den Barri kaden und aus den zerschossenen Fenstern der belagerten Häuser heraus wurden rote Fahnen gehißt zum Zeichen, daß die 3. Internationale hier ihre blutigen Finger im Spiel hat. Auch das ganze Vorgehen und Ver halten der Aufrührer zeigt die Taktik der kommunistischen Straßenkämpfe, wie sie an anderen Orten beobachtet wurde. Wird Europa jetzt endlich einsehen, welchen un ermeßlichen Dienst der westlichen Welt das tatkräftige und voraussehende Eingreifen von Hitler-Göring gegen den Kommunismus geleistet hat? Guerillakämpfe in Amsterdam. Kriegsmarine eingesetzt. In Amsterdam wiederholten sich an verschiedenen Stellen der Stadt die Ausschreitungen aufrührerischer Elemente. Das allgemeine Interesse konzentriert sich wieder auf den Jordaan, in dem jedoch diesmal fo starke Militär- und Polizeikräfte zusammengezogen waren, daß die Behörden im Gegensatz zum Vorabend der Lage völlig Herr waren. Wiederholt drangen Mili- tLrstreise n in die Häuser ein und nahmen verdächtige Elemente fest, die sich auf den Dächern ausgehalten hatten. Bei mehreren Verhafteten wurden Schußwaffen gefunden. Dagegen kam es im nördlichen Stadtteil auf ver änderen Seite des Amsterdamer Hafens, in dem eine Ab teilung Marine-Infanterie Patrouillendicnstc ausführte, zu heftigen Straßenkämpfen zwischen einer zahlreichen Menge und der Polizei, die bald durch Militärabtci- lungen verstärkt wurde. Sanitätsautomobile fuhren hin und her, um die Verwundeten zu bergen. Auch hier wurde aber der Widerstand gänzlich gebrochen. Da es noch in mehreren anderen Stadtteilen zu Zwischenfällen kam, wurde die Polizei überall durch Militär st reifen verstärkt. Zur Niederkämpsung der Aufrührer bat der Umstand wesent lich beigetragen, daß Militär und Polizei rücksichtslos von den Waffen Gebrauch machten. Die genaue Zahl der Toten und Verletzten, die die Stratzenkämpfe des Freitag gekostet haben, steht noch nicht endgültig fest. Bis zur erstell Morgenstunde des Sonnabend zählte man fünf Tote, elf Schwerverletzte und 50 Leichtverletzte, von denen die meisten den Kranken häusern zugesührt werden mußten. Etwa zehn Personen wurden als Rädelsführer oder wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt ver haftet. Auf Anordnung des Bürgermeisters wurde die Bürgerwehr alarmiert, die zur Bewachung der öffentlichen Gebäude und Werke eingesetzt ist. Ferner wurde ein Kompagnie Infanterie aus Amersfoort nach Amsterdam dirigiert. Am Sonnabend früh trafen weitere Truppcnabtcilungen in Amsterdam ein. Mit der Mobilisierung der etwa 4000 Mann betragenden Bürgerwehr wird fortgefahren. Auch in anderen Städten des Landes, insbesondere im Haag und Haarlem, und in der Bergwerksstadl Heerlen wurden von kommunistischen Drahtziehern Versuche unternommen, um Zwischenfälle hervorzurufcn. Die Polizei war jedoch überall auf dem Posten und griff von vornherein energisch durch, so daß es zu keinen ernsteren Zusammenstößen kam. Kommunistische Straßenkämpfe in Amsterdam. Zu schweren Unruhen kam es in den Arbeitervierteln von Am- I Bild zeigt berittene Polizei mit Stahlhelmen in einer Straße sterdam, wo die Kommunisten Barrikaden errichteten. — Unser , des Amsterdamer Stadtviertels Sordaan während der Unruhen- Laarvolk will Keim! l^ornsr, sus clsm Sssrgsdist von d/I. KcrrdsOli Urkcber-kcükt-ückuk: Orei (Zu-IIen-Verls». K«„i»sbrüek (Ss.) 34j „Nun, dann kann ich mich kurz fassen: Er agiert geheim gegen die Autorität Frankreichs und bemüht sich aus allen Kräften, die zu unseren Gunsten zu erwartenden Abstim mungsergebnisse zu Deutschlands Gunsten zu lenken. Er besucht geheime Veranstaltungen und Versammlungen, die doch streng verboten sind, und hetzt die Arbeiter gegen mich auf." „Ich weiß", nickt der Kommissar, „er steht bereits auf der Liste der besonders zu überwachenden Personen." „So, das ist gut, das war es, um was ich Sie bitten wollte mit der Bemerkung, daß Sie absolut nicht Rücksicht auf mich zu nehmen brauchen, sondern daß Sie mir einen besonderen Dienst erweisen, wenn sie diesen jungen Hitzkopf sobald wie möglich unschädlich machen ... da er meiner eigenen Propaganda für den Sieg und den Ruhm der französischen Nation und die endgültige Besitzergreifung des uns gehörenden Saarlandes entgegenarbeitet." „Ich werde dafür Sorge tragen", sagt der Kommissar und erhebt sich. Vertier geleitet ihn mit ausgesuchter Liebenswürdigkeit bls an das Gartentor. Bonmot bringt am selben Tag lächelnd einen Brief und legt ihn vor Vertier hin. Es ist Ottis steile, entzückende Handschrift und trägt die Anschrift: „Herrn Otto Hort, Fabrikant." „Fabrikant...?" knirscht Vertier zwischen den Zähnen. „Mein Lieber, bis dahin hat es noch gute Wegei" Dann fährt dös elfenbeinerne Messer schlitzend durch den starken, knisternden Briefumschlag. Mit zusammengebissenen Zähnen liest Vertier. Dann steht er so hastig auf, daß der Stuhl umkippt, läßt sein Taschenfeuerzeug aufflammen, hält es unter das Blatt. Und so, mit dem brennenden Papier, von dem die ersten verkohlten Flocken glühend auf den blauen Teppich fallen, geht er zum Ofen und wirft den nun hell brennenden Brief hinein. „Volls, mein liebes Kleinchen. Wir schieben einen Riegel vor!" Dann setzt er sich an seinen Schreibtisch, und die kleine Schreibmaschine legt ihre Typen schnell und fast lautlos auf das eingespannte weiße Blatt. „Mary", sagt die Miß zu ihrer Schwester, ^>ie ihr in der Leitung des Pensionats zur Seite steht, „bitte, lies diesen Brief." Mary liest, legt den Brief hin und sagt: „Ich habe immer gesagt, du bist in diesen Sachen zu nachsichtig. Es schadet dem Ruf des Pensionats. Junge Mädchen müssen streng überwacht werden." „Aber wir haben doch die ganze Korrespondenz über wacht!" „Das heißt gar nichts, daß du die Briefe liest, die in der Office auf dem Tisch als abgehende Post liegen. Lu mußt doch denken, die Mädchen sind hell genug, daß sie ... Liebesbriefe nicht dorthin geben. Ich habe schon lange einen Verdacht." „Welchen?" „Gib mir Vollmacht, und die Sache hört auf." „Wenn du glaubst..." sagt die Miß. — Maud stürzt in den Studiersaal. „Wißt ihr das Neueste? Gladys ist ... entlassen. Die Miß muß sein darauf ge kommen, daß sie immer unsere Liebesbriefe besorgt hat. Sie seien in der Küche und heulen. Und sie haben . - - gestanden alles. Wir können warten auf eine große ... Affäre." Die Mädchen sehen sich entsetzt an. Otti schiebt schnell ein Briefblatt in den Ausschnitt ihres Kleides. „Wo kann ich das verbrennen?" „Oh, du gar nicht verbrennen! Wir müssen suchen andere Weg." Sie stecken die Köpfe zusammen. Aber es findet sich kein Weg. Da fällt Otti Verzweiflung an. Sie beginnt leise und bitterlich zu weinen. Die kleine Ilona aber, die in derselben Lage ist wie Otti, ballt wütend ihre kleinen Fäuste. „Kann ich nicht ver stehen. Mu^man sich nicht gefallen lassen. Sind wir nicht kleine Kind. Muß man sagen der Miß ... sind wir junge Mädchen ... haben wir Recht auf Liebe. Laß ich mir nicht nehmen." Da beschließen sie, eine Deputation zur Miß zu senden, bestehend aus Ilona, Maud und Ingeborg. Aber sie kommen mit hängenden Köpfen zurück. „Sie hat gesagt, es wäre sehr schlecht von uns, und sie wäre für unsere Tugend und Moral verantwortlich. Und .. von Männern müsse man ganz absehen im Leben. Sie brächten junge Mädchen nur zu Fall." Aber die heißblütige Ilona ist nicht zu beruhigen. „Glaub' ich gern ... hat sie keiner zu Fall gebracht ... altes Heuschreck ... dünnbeiniges." Da müssen sie lachen. Nur Otti lacht nicht. Sie hat ihr schmalgewordenes Ge sichtchen dem Fenster zugekehrt, und ihre Augen tauchen mit sehnsüchtigem Glanz in die Nebelwände da draußen und über die Dächer von London. Otto ...! „Mama", sagt Alfred Grießenbeck, „wir müssen etwas machen. Otto wird von Tag zu Tag stiller, in sich gekehrter. Es zehrt an ihm, daß er nicht herausbringen kann, wo Ott: ist, und dann ... das Ganze ..." „Ja", sagt der Bergrat, „Mutter, schenk' mir noch eine Tasse Kaffee ein. Ich hab' von Dl-. Levacher nichts mehr gehört, außer daß er dem Regierungsrat Merten in Saarbrücken die Sache wegen der Mündigkeitserklärung vor gelegt hat." Und schaut auf die Uhr. „Der ist mein Studien freund. Alfred, fahr' den Wagen aus der Garage ... und vielleicht magst du mich begleiten. Ich könnte mich bei ihm erkundigen." (Fortsetzung folgt.)