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leit des Landes also abgetan ist. Damit nicht genug, wir haben auch das linke Rheinufer zu räumen und diesseits des Rheins einen 30 Kilometer breiten Gürtel als neutrale Zone herzurichten. Der Pufferstaat taucht hier leibhaftig vor unseren Augen auf,' von dem in den Geheimverträgen unserer Feinde, vor allem der Russen und Franzosen so viel die Rede war und der, wie man jetzt sieht, trotz aller Ab leugnungen, trotz des Umsturzes in Rußland und auch trotz der wiederholten Proteste der französischen Sozialisten nicht von der Gegenrechnung unserer Feinde verschwunden ist — geschweige denn daß Herr Wilson ihn verhindert hätte, mit dessen Friedensprogramm eine so krasse Ver gewaltigung einer kerndeutschen Bevölkerung ja niemals zu vereinbaren wäre. Aber wer fragt auf der Gegenseite jetzt noch nach Grundsätzen des Rechtsfriedens. Wir haben das Spiel verloren und müssen uns nun eben wehrlos machen lassen. Auch daß die Engländer sogar unsere kleine Heldentruppe in Deutsch-Ostafrika nicht vergessen haben, wollen wir in diesem Zusammenhänge nicht ganz über sehen: das läßt auf die beabsichtigte Lösung der Kolonial frage schon ganz bestimmte Schlüsse zu. Aber das ist noch lange nicht alles. Natürlich sollen wir Waffen aller Art abgeben, Schiffe und Flugzeuge. Das wäre zu verschmerzen, wenn doch die Kämpfe einge stellt werden. Aber wie steht's mit den 5000 Lokomotiven und den 150 000 Eisenbahnwagen, die wir abliefern sollen? Abliefern nach dem Westen, nachdem der stattliche Wagen park, den wir jenseits der ehemaligen Ostfront laufen haben, so gut wie verloren ist? Das trifft unser ganzes Wirtschaftsleben, unser Ernähruugs- und Versorgungs mesen, unsere industrielle und landwirtschaftliche Arbeit bis ins Mark, und gerade deshalb ist sie gestellt, eine -aridere Erklärung dafür gibt es nicht. Man muß daniit noch zusammenhalten die weitere Bestimmung, daß die Blockade gegen Deutschland, fortdauern soll, daß wir also auch nicht auf dem Wasserwege die geringste Er leichterung unserer Lage zugestanden erhalten, um zu erkennen, wie stark der Druck sein soll, unter den man uns' halten will, bis wir uns auch in den Diktatfrieden gefügt haben, der ja gleichfalls schon in Versailles in allen Einzelheiten festgelegt sein soll. Dazu dann noch die bedingungslose Herausgabe der Kriegsgefangenen, während unsere gefangenen Söhne und Brüder noch weiter in fremder Knechtschaft schmachten sollen — wahrlich, es ist mehr, als selbst ein sozialistisches Deutschland wird ertragen wollen. Doch was nützt eS: werden wir nicht ertragen müssen, nachdem die Dinge nun einmal so gekomnien sind, wie wir es seit Wochen, ja seit Monaten schon be fürchten mußten? Wer wehrlos geworden ist, ob durch eigene oder durch fremde Schuld, kann über sein Unglück klagen und jammern, aber er kann es nicht ändern. Nur eines iteht noch in seiner Macht: nicht mutlos zu werden, sich stark zu machen zum Ertragen des allgemeinen und des pe sönlichen Leids, dem er ente-g-ngeht, und nus den neuer körten die sich m Volke regen, frische Zuversicht zu schopjer: für die Zukunft. Bitte an Wilson. Heute nacht ist folgende Note des Staatssekretärs des Auswärtigen Amtes Dr. Solf an den Staatssekretär Lansing nach Washington gefunkt worden: Herr Staatssekretär! Überzeugt von der Gemeinsam keit der demokratischen Ziele und Ideale, hat sich die deutsche Regierung an den Herrn Präsidenten der Ver einigten Staaten mit der Bitte gewandt, den Frieden wiederherzustellen. Dieser Friede sollte den Grundsätzen entsprechen, zu denen Präsident Wilson sich stets bekannt hat. Er sollte eine gerechte Lösung der strittigen Fragen und eine dauernde Versöhnung der Völker zum Zwecke haben. Der Präsident hat ferner erklärt, daß er nicht mit dem deutschen Volke Krieg führen, und es in seiner friedlichen Entwicklung nicht behindern wolle. Die deutsche Regierung hat die Bedingungen für den Waffenstillstand erhalten. Nach einer Blockade von 8V Monaten würden dies« Bedingungen, insbesondere die Abgabe der Verkehrsmittel und die Unterhaltung der BesatzungStrnppen, bet gleich zeitiger Fortdauer der Blockade die Eruährungslnge Deutsch lands zu einer verzweifelten gestalten und den Hunger tod Von Millionen Männern, Frauen und Kindern be deuten. Wir mußten die Bedingungen annehmen: wir machen aber den Präsidenten Wilson feierlich und ernst darauf aufmerksam, daß die Durchführung der Bedingungen im deutschen Volke^ das Gegenteil der. Gesinnung erzeugen mug, me eine Boraussetzung für den Neuaufbau der Völker gemeinschaft gemeinsam bilden und einen dauerhaften Rechtsfrieden verbürgt. Das deutsche Volk wendet sich daher in letzter Stunde nochmals an den Präsidenten mit der Bitte, auf eine Milderung der vernichtenden Bedingungen bet den alliierten Mächten hinzuwirren. DreL Tage Revokriion. Bildung der neuen sozialdemokratischen Regierung« Berlin, 11. November. Aus dem Wirrwarr der aufregenden Stunden, die Sonnabend früh mit dem Aufmarsch der Arbeitergruppen aus einzelnen Werken eingele tet wurden, beginnt sich heute allmählich ein fester Punkt hervorzuheben, die Konstituierung der neuen Regierung, deren Lebens fähigkeit einstweilig durch das Übereinkommen der beiden sozialdemokratischen Parteien gesichert zu sein scheint. Im Zirkus Busch traten gestern nachmittag die in Berlin und Vororten Sonnabend gegründeten Arbeiter und Soldatenräte zusammen und die Einigung der Un abhängigen mit den Mehrheitsvar teien war bald voll zogene Tatsache. Das Resultat, die paritätische Verteilung der obersten Ämter unter je drei Vertreter der Parteien erfuhr die Bevölkerung durch ein Flugblatt um die sechste Stunde. Ebert, Scheidemann und Landsberg von den bisherigen Mehrheitssozialisten, Haase, Dittmann Barth, Angehörige der Unabhängigen, bilden das neue Kriegskabinett, das die Regierungsgewalt in die Hände nahni unter dem Namen Rat der Bolksbeanftragten. i Den Vorsitz führen Ebert und Haase. Dieses regierende, rein sozialistische Kabinett, das keinen Bürgerlichen in sich schließt, soll bei der Auswahl der Fachministerdie Ermächtigung ha ben, von dem Prinzip der Aus schließlichkeit Ab stand zu nehmen um hier auch auf Persönlichkeiten außerhalb der So zialdemokratie zu rückgreifen zu kön nen. Die Verhand lungen in dieser Richtung schweben noch. Den Aus schluß der Bürger lichen aus dem Kriegskabinett hatten die Unab hängigen als Be dingung für ihre Mitwirkung ge stellt. Neben der Errichtung der Re gierung lief die Bildung des Arbeiter- und Soldatenratcs, dem eine wichtige Ralle übertragen ist, denn es heißt im Übereinkommen zwischen den beiden Parteien: Die politische Gewalt liegt in den Händen der Arbeiter- und Soldatenräte, die zu einer Vollversamm lung aus dem ganzen Reich alsbald zusammenzuberufen sind. Die Frage der konstituierenden Versammlung wird erst bei einer Konsolidierung der durch die Revo lution geschaffenen Zustände aktuell und soll deshalb späterer Erörterung vorbehalten bleiben. Die erste Regierungshandlung stellte ein Aufruf dar, unterzeichnet Ebert, der vor verschiedentlich vorgekommenen Eingriffen von Arbeiter- und Soldatenräten in Bahn angelegenheiten warnte, da bei Störung des Bahn betriebes die Gefahr der Hungersnot auftaucht. Die zweite Tat war die Unterzeichnung der Waffen stillstandsbedingungen Fochs, die der Vorwärts als bitterernste Notwendigkeit bezeichnet. Auch abseits der sozialdemokratischen Ideen stehende Kreise gewinnen nach der aus dem Hauptquartier eingetroffenen Nachricht, daß die Oberste Heeresleitung im Einvernehmen mit dem Arbeiter- und Saldatenrat zu arbeiten gedenkt, mehr Ruhe; ebenso wirkt in dieser Beziehung die Erklärung des Kriegs ministers Sch Lisch, seine Kraft zur Verfügung zu stellen. Der Arbeiter- und Soldatenrat hat. beschlossen, .daß die Friedrich Evert. Liselottes Heirat. Roman von H. Conrths-Mahler. 10s Liselotte saß noch lange am offenen Fenster. Der Mond stand in leuchtender Klarheit am Himmel, und die Sterne funkelten wie tausend Verheißungen. Sternschnuppen fielen durch die Nacht. Liselotte wußte die alte Mär von erfüllten Wünschen, die mit dem Fall der Sternschnuppen in Ver bindung gebracht wurden. Und sie hielt einen Wunsch bereit; sobald wieder ein leuchtender Funke davpnflog, sprach sie ihn leise aus, und dann verbarg sie, vor sich selbst erglühend, ihr Gesicht in den Händen. Da knirschte draußen der Kies unter langsam heran kommenden Schritten. Sie schrak empor und schaute hinaus. Vom Mondlicht hell beschienen erblickte sie Wolf, der auch keine Ruhe hatte finden können und im Garten promenierte. Scheu zog sie sich vom Fenster zurück und beobachtete ihn heimlich durch die Gardinen, nachdem sie ihr Licht schnell verlöscht hatte. Täuschte sie sich, oder sah er nach ihrem Fenster herauf? Es war nicht sicher zu erkennen in dem blassen Mondlicht. Liselotte hatte starkes Herzklopfen, und als Wolf dann verschwand und sie sich endlich niederlegte, da konnte sie nichts anderes denken als: „Hat er zu meinem Fenster heraufgesehen oder nicht?" Wochen waren vergangen. Der Erntesegen war bis auf den letzten Halm hereingebracht. Es war ein gutes Jahr gewesen. Zum Erntefest, das auf Schönburg nach guter alter Sitte gefeiert wurde, hatte Wolf mit Liselotte getanzt. Als er ihre schlanke Gestalt im Arm hielt, über kam ihn ein trunkenes Glücksgesühl, und er mußte ge waltsam an sich halten, um sich nicht zu verraten. Lise lotte hörte ganz deutlich seinen starken Herzschlag, sie war so befangen, daß sie sich, als der Tanz zu Ende war, schnell von ihm abwandte und sich mit ihren Leuten unterhielt. Was sie gesprochen, wußte sie ttachher selbst nicht mehr. Die beiden waren sich inzwischen klargc orden, daß einer für den andern eine tiefe Liebe im Herzen trug. aber während Liselotte sich willig dem süßen Zauber hin gab, wehrte sich Wolf mit aller Kraft dagegen. Einige Tage nach dem Erntefest sagte Fritz Gernrode zu Liselotte: „Wie ist es, Kind. Ich reite nach den Tannenschonungen hinüber. Begleitest du mich oder reitest du mit Wolf nach Buchenau?" „Ich wollte eigentlich nach Buchenau, um im Pfarr haus einen Besuch zu machen", sagte sie leichthin. Als sie sich aber dann aufrichtete, begegnete sie Wolfs auf- leuchtendem Blick und erschrak. Ihr Vormund schien weder ihre Verlegenheit, noch Wolfs strahlendes Gesicht zu bemerken. „Dann adieu, Kinder, und auf Wiedersehen heut mittag. Bestelle einen schönen Gruß an Pfarrers, und ich ließe mich bedanken für die wirksame Fürsprache beim lieben Herrgott. Die Scheunen sind fast zu klein, um den Segen zu fassen, ob die Stalldächer repariert sind, und wie es mit dem Dreschen steht. Wenn die Obsternte be ginnt, müssen die Kammern im Verwaltungshause zuvor gelüftet und geschwefelt werden, dazu ist jetzt die höchste Zeit. Die Leute vergessen das immer." „Wird alles besorgt, Vater, ich^habe mir schon Notizen gemacht." „Schön — dann lebt wohl." Der alte Herr ging hinaus, und Liselotte folgte ihm, um sich für den Ritt umzukleiden. — Schweigend ritten die beiden jungen Leute eine halbe Sturme später auf dem schattigen Waldwege nach Buchenau hinüber. Wolf schalt sich innerlich, daß er nicht inv^a de war, sich gegen das heiße, unruhige Gefühl zu wei're as sic« in Liselottes Gegenwart seiner bemächtigte. Luese un- Nnntge, unvernünftige Liebe würde ihn sicher wieder von dannen treiben, denn lange ertrug er diesen Zustand nicht mehr. Was dann? Wieder neue Abhängigkeit, neue Ver hältnisse, neue Sorgen und Schmerzen. Er raffte sich auf und begann ein Gespräch. Liselotte antwortete indes auch nur kurz und befangen. Ihr junges Herz war in Unruhe. Schon seit ihrer Kindheit hatte sie ein wqrmes Interesse für Wolfs Schicksal gehabt. Sie Arbeit in sämtlichen Betrieben am Dienstag früh wieder aufzunehmen ist. Lebensmittel- und Druckereibetriebe gingen schon, heute Montag wieder ans Werk. Auch die seit Sonnabend ausgeschaltete Berliner Schutzmannschaft wieder in Dienst zu sehen, wird man heute erleben. Die zurückgezogene Schutzmannschaft erklärt sich bereit, den neuen Verhältnissen Rechnung zu tragen und wird von heute ab, mit roten Armbinden versehen, ihr Amt für die öffentliche Sicherheit erneut verwalten im Zusammenwirken mit den hierzu bestellten Soldaten. Durch Plakataushang wird die Zivil bevölkerung aufgefordert, von acht Uhr abends ab den Aufenthalt auf der Straße zu vermeiden. Die Abgabe der rationierten Lebensmittel solle in derselben Weise wie bisher weiter gehen, alle Verstöße und Eigenmächtigkeiten werden streng untersagt. Der gestrige Sonntag verlief ziemlich stürmisch, während der erste Revolutions tag, der Sonnabend, eigentlich fast ruhigen Charakter ge tragen hatte. Das Bekanntwerden von der Abdankung des Kaisers, die allgemeine Niederlegung der Arbeit, die Umzüge mit vorgetragenen roten Fahnen, hinter denen auch viele bewaffnete Zivilisten marschierten, die Besetzung der öffentlichen Gebäude und der Palast gebäude Unter den Linden und im Lustgarten rief fast keinerlei Zwischenfälle wach. Nach 5 Uhr stieg eine kleine rote Flagge am Mast des Hinteren Königlichen Schlosses hoch, Liebknecht hielt eine Rede aus einem Fenster. Draußen aber fluteten die Menschen in unzähl baren Scharen auf und ab. Mitunter bahnte sich ein Patrouillenauto, Maschinengewehr auf Deck, Bahn. So blieb es bis zum Abend, wo eine Hin- und Her schießerei am Marstall entstand. Ernstere Vorfälle brachte, wie gesagt, der Sonntag. Die Linden, ein Teil der Friedrichstraße, die Gegend am Schloß und um den Reichstag herum waren Schauplätze wiederholter und sich bis gegen Abend hinziehender Kämpfe und Feuergefechte. Im Marstall sollten sich der neuen Macht Widerstrebende noch aufhalten, ebenso sollten nach dem Vorwärts von einem Gebäude am Friedrichsbabnbof und an dm übrigen erwähnten Punkten Schüsse gegen Sie Volksmenge abgefeuert worden fein. Herbeieilende Truppen setzten Maschinengewehre und Handwaffen in Aktion, jedoch sollen nur wenige Verletzungen vorgekommen sein. Das stellvertretende Oberkommando in den Marken erließ eine Bekanntmachung, in der es hieß: Noch immer wird an einzelnen Stellen der Stadt auf Organe der gegenwärtigen Reichsleitung und Bürger in Zivil und Waffenrock geschossen. Es wird festgestellt, daß bereits vor Tagen von allen militärischen Stellen, insbesondere auch dem Oberkommando in den Marken, befohlen ist, mit allen Mitteln die gegenwärtige Reichs leitung zu unterstützen und die Ruhe unbedingt zu wahren. Dieser Befehl wird hiermit noch nachdrücklich wiederholt. — Abends wurde auch der Potsdamer Platz abgesperrt, in der Nacht trat aber vollständige Ruhe ein. Heute wickelt sich das Leben fast wie gewöhnlich ab, alle Verkehrs wege sind frei, Straßen und Vorortbahnen laufen ungestört hin und her. Der Umschwung im Prestwesen Berlins hat noch nicht zu dauernden Verhältnissen geführt. Heute ist der von der sogen. Spartacusgruppe, den jenseits der Unabhängigen Sozialisten stehenden Anhängern rein kommunistischer Anschauungen, die mit den russischen Bol schewistensympathisierte, anektierte und als „Rote Fahne" her ausgegebene Lokalanzeiger nicht erschienen. Wie man hört, weigern sich die Setzer der Druckerei, ein derartiges Organ weiter herzustellen, in dem gestern erst zum Wider stand gegen die herrschende Sozialdemokratie und zur Er richtung einer unumschränkten Diktatur nach dem Muster der Sowjets aufgefordert wurde. Die Norddeutsche Allgemeine Zeitung erscheint weiter unter dem Titel „Die Internationale", für die Unabhängigen Sozialisten, die Volkszeitung und die Berliner Allgemeine Zeitung dienen den Interessen der Sozialdemokratie. Die Umwälzung im Reiche. Flucht des Königs von Bayern — Absetzung der Könige von Sachsen und Württemberg. — Abdankung der Groß herzöge von Sachsen-Weimar und Hefsen-Darmstadt. Im allgemeinen hat sich die Umwälzung ohne Blut vergießen vollzogen. Die ohne Störung der Ordnung vollzogene Gründung von Arbeiter- und Soldatenräten wird aus Frankfurt, Köln, Osnabrück, Magdeburg, Darm stadt, Danzig, Königsberg und vielen anderen Städten gemeldet. sprach oft und gern mit ihrem Vormund über seinen Sohn und lernte ihn durch diesen kennen. Sein heißer Schmerz um Gernrode, sein energisches, männliches Schaffen und Wirken daheim und in der Fremde war ihr ebenso gut bekannt wie seinem Vater. Wolf war ihr lieb und vertraut gewesen, schon ehe er nach Schönburg kam. Da brauchte es nicht mehr viel, um ihm ihr Herz zu öffnen. Sie sah seitwärts in sein kluges, männliches Gesicht mit dem kühngeschnittenen Profil und dem flotten blonden Lippenbart. Er war wieder verstummt und sah mit gefurchter Stirn vor sich hin. Warum sah er immer so düster aus, wenn er in Nach denken versunken war? Litt er immer noch unter dem Verlust Gernrodes? Ein heißes Verlangen stieg in ihr empor, ihm, dem Heimatlosen, die verlorene Heimat zu ersetzen. Wie schön müßte es sein, ihm sagen zu dürfen: Alles, was mein ist, soll auch dir gehören, an meinem Herzen sollst du deine Heimat wiederfinden. Sie wußte ja — auch wenn er sie liebte, wie sie ihn, er würde zu stolz sein, um sie zu werben. Und manchmal glaubte sie zu erkennen, daß sie ihm teuer war. Wie oft leuchteten seine warmen, grauen Augen auf, wenn er sie erblickte, wie bewegt und unsicher klang zuweilen seine Stimme, wenn er zu ihr sprach. Sah sie ihn dann aber an in selbstvergessener, atem loser Erwartung, dann ging es wie ein Ruck durch seine hohe, kräftige Gestalt, der Kopf steifte sich in den Nacken und sein ganzes Wesen war ein einziger Protest gegen alle Schwäche. — Als fühle er ihre forschenden Blicke, wandte er sein Gesicht nach ihr um. Eine Weile sahen sie sich, an, wie gebannt, dann richtete er sich auf wie in jäher Abwehr. Geben Sie acht, Ihr Pferd geht zu dicht an den Grabenrand", rief er heiser und wie zornig auf sich selbst. Sie spielte mit der Reitgerte. In jedem Weibs schlummert ein Stück Eva. Es lockte sie plötzlich, ein wenig zu versuchen, ob sie Gewalt über ihn hätte. „Würden Sie sehr traurig sein, wenn ich da hinunter stürzte?" fragte sie wie svielend. (Fortsetzung folgt.)