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Wilsdruffer Tageblatt 2. Blatt Nr. 52 — Freitag, den 2. März 1934 Die deutsche Front an der Saar Restlose Einigung an der Saar. Statt der Parteien die Deutsche Front. Mit dem 1. März hat sich das restlose Aufgchen aller Parteien in die Deutsche Front an der Saar vollzogen. Der Landesleiter der Deutschen Front veröffentlicht dazu einen Aufruf, in dem es u. a. heißt: „Am heutigen Tage schließen wir das herrlichste Bruderbündnis. Der Katholik geht in die katholische Kirche, der Protestant in seine — aber beide sprechen das gleiche Gebet: unser Deutschland. Der Arbeiter, der Bauer, der Unter nehmer, der Beamte, jeder tut an seiner Stelle seine Pflicht, aber alle tragen sie das Gemeinsame in ihrem Herzen: Unser Deutschland. Der Sozialdemokrat, der Kommunist, der Zentrumsmann, der Nationalsozialist, der christliche Gewerkschaftler, der freie Gewerkschaftler, jeder mag politisch anders gedacht haben, nun aber treffen sie sich alle bei dem einen Gedanken: Unser Deutschland. Von diesem geschichtlichen Augenblick an sind wir eine eingeschworene Genossenschaft, in der einer für den anderen einsteht und keiner gegen den anderen aufsteht. Mit diesem Wollen gehen wir nun an die Arbeit! Der Sieg wird unser sein! Es lebe die Deutsche Front! In einem weiteren Aufruf an alle Nationalsozialisten der Saar wird u. a. ausgeführt: „Fort mit allen Gegensätzen! Wir echten Nationalsozialisten erklären an diesem 1. März: Bei uns gibt es bei Anerkennung gleicher Rechte und Pflichten an der gleichen Front nur eines: Unser Deutsch land!" Zu dieser restlosen Einigung im Saargebiet auf der gemeinsamen Linie der Deutschen Front schreibt der neue Landesführer Pirro im Organ der Deutschen Front u. a. folgendes: „Den deutschen Arbeitern an der Saar ist es unter den furchtbaren Nackenschlägen der letzten 14 Jahre bewußt geworden, wer ihm seine völlige Existenz nehmen will. Sein Kamps um die Existenr ist ein Kamps um sein Deutschtum. Deutschland hat aus eigener Kraft die Parteien über wunden. Eine einzige gemeinsame Front gibt es in Deutschland: die Deutsche Front. Da können wir an der Saar nicht zurückstehen. Der Nationalsozialist hängt nicht an dem Wort „Par tei". Er weiß, daß er in der großen deutschen Bewegung steht. Es geht ihm um die große Sache allein: unser Deutschland! Was der 12. November für das innere Reich bedeutete, bedeutet der 1. März für das deutsche Saar volk." Der Führer des Bannes Ost der Hitlerjugend, Münch, gibt in der „Deutschen Front" bekannt, daß die Hitler jugend des Saargebietes nach wie vor besteht. Stürmische Freude -er Sevöllermig. Fahnen überall. In einzigartiger Geschlossenheit und Begeisterung hat die gesamte Saarbevölkerung die frohe Kunde von der Bildung der Saarländischen Eidgenossenschaft der Deutschen Front ausgenommen. Saarbrücken und alle Ortschaften des Saargebiets sind ein Flaggenmeer. Fast jedes Haus hat geflaggt, um der Verbundenheit aller in diesem geschichtlichen Augenblick für das Saardeutschtum Ausdruck zu geben. Durch große Aufrufe in der Presse wurde die Be völkerung von den Geschehnissen in Kenntnis gesetzt. An den Zeitungsaushängen der Organe der Deutschen Front scharen sich dichte Menschenmengen, um die Aufrufe und Nachrichten über die Bildung der einheitlichen Front an der Saar zu lesen. Schlag 12 Uhr ertönte von allen Kirchen Saarbrückens Glockengeläut, um dem festlichen und erhebenden Tag eine ganz be sondere Weihe zu verleihen. Alle Schranken konfessioneller, parteilicher und sozialer Bindungen sind damit gefallen. Die marxistische und separatistische Presse hatte von den in Vorbereituna befindlichen Ereignissen keine Kenntnis. Tagesspruch Sag, was du willst, kurz und bestimmt, Laß alle schönen Worte fehlen, Wer unnütz unsre Zeit uns nimmt, Bestiehlt uns, und du sollst nicht stehlen! Was die Musiriellen fordern. Arbeitstagung beim Reichsstand der Deutschen Industrie. Unter dem Vorsitz von Krupp von Bohlen und Hal bach trat der Ausschuß für allgemeine Wirt schafts- und Sozialpolitik beim Reichsstand der Deutschen Industrie zu einer Arbeitstagung zu sammen. Bei voller Würdigung der auf dem Jnlands- markt zu verzeichnenden Belebung bildete die Sorge und die - Erhaltung und Stärkung unseres Auslandsabsatzes den Hauptgegenstand. Einmütigkeit bestand darüber, daß unter Aufrechterhaltung der Währung Erleichterungen für die Ausfuhr im Gesamtinteresse der deutschen Volks wirtschaft dringend geboten seien. Generaldirektor Junghans, der Vorsitzende des Kar tellausschusses betonte u. a., es sei zu hoffen, daß die unfreundliche Einstellung, die heute noch wie früher den Kartellen gegenüber bestehe, der Einsicht weiche, daß in der Hand eines starken Staates das von neuem Geist durchdrungene Kartell ein Werkzeug sei, um im Interesse des Staates und der Wirtschaft eine Ordnung des Marktes herbeizuführen, und daß deshalb bei etwaigem Mißbrauch nicht die Kar telle als solche, sondern nur die Schuldigen zur Rechen schaft gezogen werden sollten. über die Durchführung des Gesetzes zur Ordnung der nationalen Arbeit sprach Handels kammerpräsident A. Pietzsch. Er stellte seine Ausführun gen unter den Leitsatz, daß die Durchführung des Gesetzes in nationalsozialistischem Geist der Gemeinschaftsarbeit zwischen Unternehmern und Arbeitnehmern erfolgen müsse. Er richtete an das Unternehmertum den dringendenAufrus, als Führer der Betriebe ihre verantwortlichen Aufgaben imSinneechterVolks- gemeinschaft dnrchzuführen. Wenn so alle Teile zu sammenstehen, dann sei nicht daran zu zweifeln, daß das Ziel des Gesetzes, den Klassenkampf endlich zu beseitigen, erreicht werden würde. Aach deutschem Muster. Das erste freiwillige Arbeitslager in Polen. Das erste freiwillige Arbeitslager für Jugendliche wurde im Dombrowaer Revier errichtet. Nach den be stehenden Vorschriften können in das Lager junge Leute vom 17 Lebensjahr an ausgenommen werden. Die Ar beitsfähigkeit muß durch ärztlichen Befund festgestellt werden. Oie deutsch-polnische Annäherung. Der Temps" befaßt sich in seinem Leitartikel mit dem deutsch-polnischen Verhältnis und begrüßt die Bemühun gen beider Negierungen, durch moralische Abrüstung herz liche Beziehungen zueinander herzustellen. Es habe der ganzen Autorität Hitlers bedurft, um diesen Wechsel in dec gegenseitigen Haltung der beiden Länder herbei- z -führen, und den Nichtangriffspakt abzuschließen. Die Entspannung stelle einen nennenswerten Fortschritt dar und erlaube es, gerade in der gegenwärtigen schwierigen internationalen Lage Zeit zu gewinnen. Wie amtlich aus Warschau mitgeteilt wird, wurde ein in Rybuik erscheinendes Witzblatt wegen e-n^-s Ausfalls gegen den Reichskanzler polizeilich beschlagnahmt. Gegen der: verantwortlichen Redakteur ist ein gerichtliches Straiversabren einaeleitet worden. Sochvmatsversahren gegen Partei- Vorstand der SPS. Die österreichische Staatsanwaltschaft hat gegen den gesamten sozialdemokratischen Partei- oorstand und die maßgebenden Führer der Partei, ins gesamt gegen 24 Personen, das Verfahren wegen Hoch verrats und Mitschuld am Hochverrat eröffnet. Unter den Angeklagten befinden sich die vier nach der Tschecho slowakei geflohenen Schutzbundführer Deutsch, Bauer, König und Schorsch sowie der frühere Staatskanzler Karl Renner und der Bürgermeister von Wien, Seitz. Gegen die vier geflohenen sozialistischen Führer kann das Aus lieferungsbegehren nicht gestellt werden, da nach den geltenden internationalen Regeln für politische Verbrechen ein Auslieferungsantrag nicht in Frage kommt. Gegen die leitenden Beamten der aufgelösten sozialistischen Är- beitcrbank ist gleichfalls das Hochvcrratsversahren er öffnet worden. Schilder der aufgelösten AutoAuks entfernen! Anordnung des Führers des Deutschen Krastfahrsports. Die Pressestelle der Obersten nationalen Sportbehörde für die deutsche Krastfahrt (ORS.) teilt mit: Nach einer Verfügung des Führers des Deutschen Kraftfahrsports, Obergruppenführer Hühnlein, sind bis zum 5. März von den Hausfronten der Hotels, Gaststätten, Garagen und Reparaturwerkstätten sämtliche Empfeh - lungsschilder der früheren, nach Bildung des DDAC. aufgelösten Automobilklubs und -verbände zu entkernen. Das NSKK gibt ein eigenes Empfehlungsschild nicht heraus. Anträge au, Genehmigung zum Führen des DDAC.-SchildeS sind an die Hauptverwaltung des DDAC. in München, Königinstraße 11 a, *u nchwi I Und der Berg ... warum redet denn er nicht? Für was ! habe ich ihn denn gerufen?" Der letzte Zeuge wurde aufgerufen: Anna von Dahlen, i Sie stand sehr ruhig, sehr königlich, fast herablassend vor den Richtern. „Sie wollen nachweisen, daß Herr von Hollweg ein Verhältnis gehabt hätte mit Maria von Twele, vor ihrer Vermählung mit Herrn von Hartenberg?" „Ja." „Wie wollen Sie das beweisen?" „Sie hatten eine heimliche Zusammenkunft. Ich war unfreiwilliger Zeuge." , „Wo war diese Zusammenkunft?" „Am Wikinggrab in der Heide." Doktor Berg stand auf. „Diese Zusammenkunft kann eine ganz zufällige gewesen sein. In Anbetracht dessen, daß die Güter alle im Umkreis von ein paar Meilen beisammen- liegen, wird diese Begegnung ohne jede Absicht erfolgt sein." Der Richter beachtete den Einwurf des Verteidigers nicht. Er fixierte Anna von Dahlen scharf. „Hörten Sie, was gesprochen wurde?" Anna zögerte einen Moment. „Nicht genau." „Ungefähr?" „Ich hörte Hollweg flüstern: Es ist mir schrecklich! Ich kann es nicht ertragen." Der Staatsanwalt warf ein: „Diese Äußerung deckt sich mit den Äußerungen in seinen Briefen ..." Der Richter schloß die Zeugenvernehmung. Anna von Dahlen trat zurück. Der Staatsanwalt erhob sich zu seiner Rede, auf die er brannte. Er schloß: „Sie sehen also, daß wir es mit einem Mörder zu tun haben, der wohl im Banne der Leidenschaft gehandelt, jedoch seine Tat vorher wohl er wogen hat und mit raffinierter Grausamkeit den Zeitpunkt erwählte, den Moment, der den Gegensatz vom Leben zum Sterben, vom Glück zum Unglück am schärfsten hervortreten lieh. Stellen Sie sich den Jubel des Hochzeitstages vor, die Freude der alten Mutter, das Glück -es jungen Ehemannes, ! die Teilnahme aller guten Freunde und Bekannten, ja die ! Teilnahme der ganzen Bevölkerung, und diese Freude jäh Widerlegung unwahrer Gerüchte. Die Pressestelle der Landesleitung Öster reich der NSDAP, teilt mit: Die in den letzten Tagen von verschiedenen Seiten besonders in der Auslandspresse — in Umlauf gesetzte Meldung, daß Lan desinspekteur Theo Habicht vom Führer seines Amtes enthoben worden sei, ist unwahr und entspricht in keiner Weise den Tatsachen. Ebenso unwahr und aus der Luft gegriffen ist die in diesem Zusammenhang ge brachte Meldung, „daß an seiner Stelle der Stabsleiter des Steirischen Heimatschutzes, Ing. Rauter, unter Bei gabe des Reichsstatthalters von Bayern, General Ritter von Epp, als Inspekteur für Österreich eingesetzt wurde." Oie Strafanträge gegen Esser und Genossen. Im Kölner Handwerkskammerprozeß. Im Kölner Handwerkskammerprozeß beschäftigte sich zunächst Staatsanwalt Winkler mit den einzelnen Straf taten der Angeklagten. Der Erste Staatsanwalt Thyssen stellte dann die Strafanträge. Er beantragte gegen Dr. Engel eine Gesamtstrafe von drei Jahren 4 Monaten Gefängnis, 500 Mark Geldstrafe und fünf Jahre Ehr verlust; gegen Welter eineinhalb Jahre Gefängnis, 500 Mark Geldstrafe und drei Jahre Ehrverlust, gegen Pesch ein Jahr Gefängnis, 200 Mark Geldstrafe und drei Jahre Ehrverlust und gegen (den früheren Zentrumsabgeord neten Reichstagsvizepräsidenten) Thomas Esser ein Jahr Gefängnis, 500 Mark Geldstrafe und drei Jahre Ehrverlust. Gegen Stelzmann beantragte er Freispruch mangels Beweise. Die Anklage geht davon aus, daß genossenschaftliche Untreue bei den Angeklagten in zahlreichen Fällen als er- wiefen gilt. durchschnitten durch diese furchtbare Tat. Er hatte noch die Stirn, weiter in der Gesellschaft zu verbleiben. So fein hatte er alles vorbereitet, daß er sich so sicher fühlen konnte und nun mag er sich, da seiner Eifersucht Genüge geschehen war und die arme Braut nun ein anderes Lager gefunden hatte als das Hochzeitslager, das ihr bereitet war, noch an dem Schrecken aller und an dem Schmerz und der Verzweiflung des um sein Glück betrogenen Ehemannes geweidet haben. All diese Umstände verdoppeln das Furchtbare dieses schreck lichen Verbrechens und verlangen infolgedessen auch eine um so schärfere Strafe. Ich bitte die Herren Richter und Ge schworenen, sich von keiner unangebrachten Milde leiten zu lassen. Sprechen Sie das Urteil wie es sein muß, streng und unnachsichtig und gerecht! Das Urteil sei die verdiente Strafe dem Täter, den schwer Betroffenen eine Genugtuung, für die Tote eine Sühne ihres in der Blüte gebrochenen Lebens und für uns alle die Beruhigung, daß das Gesetz wacht über uns, solche Menschen aus der menschlichen Gesellschaft austilgt und unsere Sicherheit und Ruhe für immer gewährleistet." , Durch den Saal lief ein Murmeln Heller Empörung. Hermann schwankte auf. Er wollte fort. Ein Schwindel hatte ihn gefaßt, alles drehte sich um ihn. Da hörte er Len Doktor Berg laut und eindrinlich sagen: „Ich bitte, daß noch eine Zeugin vernommen wird. Sie hat sich eben in der Pause bei mir gemeldet. Ich konnte also die Herren Richter und Geschworenen und den Herrn Proto kollführer nicht mehr verständigen. Es ist Claire von Brack haufen, die Tochter des LanLrats von Brackhausen." Hermann war wieder auf seinen Stuhl gesunken und barg sein Gesicht in Len Händen. Der Staatsanwalt, Ler sich gesetzt hatte, sprang wieder auf. „Das ist gegen alle Ordnung! Die Zeugenvernehmung ist bereits geschlossen. Die Zeugin war gar nicht vorgeladen. Ich protestiere!" Der Richter und Lie Geschworenen sahen sich an. Sie flüsterten. „Die Tochter des Landrats ... man kann nicht gut ... außerdem, sie kann Wichtiges aussagen wollen." Der Landgerichtsrat aab einen Wink. (gorsieLunA -lolM komsn um eins wskns Lbgsksnkeit von v. Lsrsnkofon 22! 16. Novembers In Schwerin regnete und schneite es durcheinander. Die Menschen eilten mit Schirmen und hoch geschlagenen Mantelkragen. Ein paar klitschnasse Autos fuhren wie Ler Teufel Lurch die Straßen und stoppten vor dem Gericht. Der Saal war an diesem grauen Tage besonders nüchtern, so schauervoll wie ein ewiges Verhängnis. Sünde, Verzweiflung, Tränen und Irrtum schienen von diesen weiß gekalkten Wänden eingefangen und lasteteten atemberaubend im Raume. Mehr Menschen als das letztemal! Wieder Zeugenvernehmung, Protokoll und Schwur finger und gespannte, angstvolle Gesichter. Hollweg erkannte, wie sich über ihm das Netz enger und enger zusammenzog. Alle Fragen enthielten schon belastende Antworten. Er war allein im Pavillon gewesen ... er war also mit Absicht dort hin gegangen, wo er sich unbeobachtet glauben mochte. Jeder Ler Zeugen mußte vor dem Richtertisch aussagen, daß ihm das verstörte Wesen des Angeklagten sofort aufgefallen, daß er sich von den anderen Gästen zurückgezogen, Laß er allen Fragen und Reden, die ihn zu sprechen genötigt hätten, aus gewichen war. Der Staatsanwalt triumphierte innerlich und lächelte stegessicher. Hermann Brackhausen verbarg sich hinter einem dicken Getreidehändler. Er kämpfte schwer um seine Fassung. Am liebsten wäre er aufgesprungen und hätte diesen Richtern """ Geschworenen entgegengeschrien, die sich bemühten, ihn schuldig sein zu lassen: „Ihr begeht einen Mord! Nicht er >7 Gewissen, ihr, ihr! Ihr seid es, die einen unschuldigen verurteilen! Warum spricht da der Herrgott nicht dazwischen! Diese Idioten! Diele Tölvel! Diese Narren!