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I Wilsdruffer Tagedlatt I 2. Blatt Nr. 43 — Dienstag, den 20. Februar 1934 8 «tUWMUMIVIW «YMM !, TagesspruH. So legt bie Nacht mit Muttergüte Sich um die Seele schmerzensvoll; Es läutert still sich im Gemüte Zur Wehmut jeder bitt're Groll. Gottfr. Keller. 50 Jahre Landwirtschaft!. Verein Wilsdruff Bauernfaust und Bauerngeist, Ob auch selten man sie preist, Sind des Staates Glück und Macht, Sind die Sieger in der Schlacht. Wohl dem Staat, der das bedacht. Manche Schlacht ist im Wechsel der Geschichte schon durch Bauernfaust entschieden worden, und Bauerngeist und Pfiicht- bewußtseint standen seit langen Jahren gegen falsche Welt- und Wirtschaftspolitik im Kampfe für Hof, Heimat und Vater land. Dank ist ihm dafür wenig geworden. Daß das nun an ders geworden ist, ist des Führers Werk. Ihm ist die Rettung des deutschen Bauern und des deutschen Arbeiters Grundge danke aller Politik. Neue Hoffnung ist in den Bauernhöfen eingezogen und mit froher Zuversicht und vollem Vertrauen wird das Feld neu bestellt, damit unsere Volksernährung aus eigener Scholle gedeckt werden kann. In diesen Aufbruch hoffnungsvollen Werdens fällt das goldene Jubiläum des Landwirtschaftlichen Vereins zu Wils druff. Auf Anregung des damaligen Rittergutspachters von Limbach und späteren Geh. Oekonomierates Dr. Andrä auf Braunsdorf versammelten sich am 3. Februar 1884 mehrere Landwirte der hiesigen Gegend, um unter Zuziehung von Bür germeister Ficker-Wilsdruff über die Gründung eines Land wirtschaftlichen Vereins zu beraten. Da von dieser vorbe ratenden Versammlung die Gründung eines solchen Vereins zu dem Zwecke, die beruflichen Interessen der Landwirte der Stadt und ihrer Umgebung durch belehrende Vorträge, gegenseitige Aussprache, praktische Versuche und genossenschaftlichen Zu sammenschluß zu fördern, allseitig als ein Bedürfnis anerkannt wurde, so wurde am 11. Februar im Wilsdruffer Wochenblatt zu einer Versammlung am 17. Februar aufgerufen, die mit 27 Mitgliedern den Landwirtschaftlichen Verein für Wilsdruff und die Umgegend aus der Taufe hob. Vorsitzender wurde Ritter^ gutspachter Andrä-Limbach, Stellvertreter Gutsbesitzer K a pler-Limbach, Kassierer Gutsbesitzer Gerlach-Sachs- dorf, Schriftführer Bürgermeister Ficker- Wilsdruff und des sen Stellvertreter Gutspachter Mühlig-Hofmann- Wils druff. Als Vereinsvrt wurde Wilsdruff sowohl wegen seiner zentralen Lage als auch wegen der mannigfachen, besonders geschäftlichen .Beziehungen zwischen Stadt und Land gewählt zur großen Freude ter Bürgerschaft, welche in verständiger Würdigung der durch die landwirtschaftliche Bevölkerung der Umgebung für Handel und Gewerbe der Stadt erwachsenden Vorteile das freundschaftliche Band zwischen beiden zu pflegen immer bemüht war. Schon in der nächsten Versammlung mel deten sich wieder 22 neue Mitglieder an. Und so wuchs der Verein fort und fort. Als am 8. Februar 1894 das zehnjährige Bestehen gefeiert wurde, da konnte der Vorsitzende Geheimrat Andrä in seiner Festansprache, in der er sich in progammati scher Weise über die Aufgaben des Vereins äußerte, mit Ge nugtuung des bereits errungenen Erfolges freuen, war doch die Mitgliederzahl bereits auf 170 gewachsen. Am 10. Februar 1909 konnte man die silberne Jubelfeier begehen. Der Vorstand bestand damals aus den Herren Geh. Oekonomierat Andrä- Braunsdorf als 'Vorsitzender, Rittergutsbesitzer Kluge- Steinbach als stellvertretender Vorsitzender, Rentier Gerlach- Niederwartha als Kassierer, Kantor Kranz-Grumbach als Schriftführer, Kantor Hientzsch-Wilsdruff als Stellvertre ter, Oberlehrer Thomas-Wilsdruff als Bibliothekar und Gutsbesitzer Kirchner-Birkenhain als Stellvertreter. In unermüdlich treuer Arbeit stand der Vorstand zusammen, um die Landwirtschaft in allen ihren Teilen zu fördern. And be sonders war es Geheimrat Andrä, der es jederzeit verstand, den Mitgliedern in den Vereinssitzungen immer das zu bieten und darüber Aufschluß zu geben, was not war. Aus der reichen und Umg. Fülle seiner Erfahrungen und der Fühlung bis in die höchsten Instanzen konnte er immer wertvollen Ausschluß geben. Als ihn dann später Regierungsgeschäfte und Aemter in landwirt schaftlichen Körperschaften immer mehr in Anspruch nahmen, da war es sein Freund Martin Kirchner-Birkenhain, der ihn in der Vereinsleitung tatkräftig unterstützte, bis ihn viel zu früh für die Seinen und alle seine Berufsgenossen der Tod von dieser Welt abberief. Auf den Posten des stellvertreten den Vorsitzenden folgten ihm Gutsbesitzer Wetzel-Birken hain und später Rittergutspachter Böhme-Klipphausen, der spätere Vorsitzende und Ehrenvorsitzende. Mittlerweile war der Weltkrieg über die deutschen Lande gebraust, war jener dunkle 9. November 1918 heraufgezogen, das Schanddiktat von Ver sailles uns aufgezwungen worden und die deutsche Reichsmark drohte ins Uferlose zu versinken. Da erreichte am 30. April 1923 das Wilsdruffer Land die erschütternde Kunde, daß der Ehrenvorsitzende des Vereins, Geh. Oekonomierat Dr. phil. ohrenh. Georg An,drä auf Braunsdorf, plötzlich und uner- (Die Inschrift lautet: Dem Förderer der heimischen Landwirt schaft Geh. Oekonomierat Dr. h. c. Georg Andrä auf Brauns dorf zum ehrenden Gedenken. Der Landwirtschaftliche Verein Wilsdruff und andere landwirtschaftliche Körperschaften 1854—1923.) Um deutsche Not Roman von Leontine v. Winterfeld-Platen. SO. Fortsetzung Nachdruck verboten Schwärzer wird die Luft, undurchsichtiger. Die trun kenen Franzosen wollen an den Rhein. Irgendwo ruft jemand vom Hause her: „Sibylle! Sibylle!" Sie hört es nicht. Wie ein Standbild steht sie, hoch gereckt, die blauen Augen hinübergerichtet zur Stadt. Die gewaltigen Türme der Kirchen sieht sie schwanken und stürzen, das Rathaus, den Dom... Und sie weiß, daß ein anderer es auch sieht. Daß ein anderer nicht fortfinden kann von den Trümmern seiner Heimat. Wo ist er? — Wo ist er? Es ist dunkel auf der Erde geworden wie am späten Abend. Und ist doch erst sechs Uhr. Aber diese furcktbaren Rauchmassen, die sich ohne Ende wälzen, hüllen alles ein. Da sieht sie von der brennenden Stadt her einen Rei ter galoppieren. Sein Gesicht ist schwarz von Nuß. Seine Hände, sein Kleid. Hart vor ihr reißt er das Pferd zurück, daß es sich aufbäumt. Er steht in den Bügeln. Er ringt nach Atem. „Ich habe einen Fischer gedungen für viel Geld. Um Mitternacht legt ein Bot an hinter der Gartenmauer des Wormser Hauses. Für Elisabeth und die Kinder. Und wer sich sonst noch retten will über den Rhein. Die Ahne, die Jungfer Dorothee und Ihr, Sibylle." Sie sieht ihn an aus großen fernen Augen. Es ist ein so unsagbares Glück in'ihr, daß er lebt, daß -r da ist. Daß er nicht umkam in dem furchtbaren Flammenmeer da drüben. „Und Ihr, Johann Friedrich?" „Ich reite noch diese Nacht mit dem Alt-Schultheißen Peter Moritz und dem Alt-Bürgermeister Philipp Schütz nach Frankfurt. Zu kämpfen und zu arbeiten für ein neues Worms." Sie sieht ihn an. Stolz ist in ihren Augen. „So laßt mich Euch noch einen Äbschiedstrunk bringen zum letztenmal, Johann Friedrich. Ihr werdet ihn nötig haben." Sie holt ihm einen Becher Wein und reicht ihn zum Pferde hinauf. „Reitet ohne Sorge. Ich bürge dafür, daß Frau Elisa beth und die Kinder sicher über den Rhein kommen." Ihre Stimme ist fest und klingend. Und ihr Haar leuchtet wie Gold in dem dunstigen Grau der Rauch wolken. Er beugt sich nieder und reicht ihr die Hand. Zum Dank. Zum Abschied. Sie öffnet zweimal die Lippen, als suche sie nach Wor ten. Dann sagt sie fest: „Frau Elisabeth war in großer Not um Euch. Ich will sie gleich beruhigen und ihr sagen, daß Ihr am Leben seid. Die Mutter Eurer Kinder soll nicht in Sorge sein. Denn Eure Kinder müssen dermaleinst eine neue Wacht werden am Rhein." Eine Stille von Sekunden, dann ein jähes, kurzes „Gott mit Euch!" Sie hört ihn davonreiten im grausenvollen Dunkel der Rauchschwaden. Als sie just in das Haus zurllckgehen will, kommt noch einer von der Stadt her. Ganz langsam, ganz müde, als hätte er gar keine Eile. In der Linken trägt er den Vogel bauer, in der Rechten einen Blumentopf. Und die Tränen fallen immer wieder über sein altes, zerfurchtes Gesicht. „Mein Lindenbaum brennt, Sibylle. Mein junger, kräftiger Lindenbaum! Ich habe dabeigestanden am Lin denhof, wo sie mich nicht gesehen haben. Erst hat mein Häuslein gebrannt. Es ging schnell, weil es so alt und morsch war. Aber dann kam der Baum! Wie ein lebendiger Mensch war es, Sibylle. Er hat sich sehr quä len müssen. Weil die ganzen jungen Maientriebe so voll Saft waren." Er hat sich auf die steinerne Stufe vor die Haus wartet zum ewigen Frieden eingegangen war. Unter gewaltiger Anteilnahme wurde er auf dem Friedhöfe in Kestelsdorf zur letzten Ruhe bestattet. Eine schier endlose Zahl von Nachrufen offenbarte die hohe Verehrung, die man ihm in allen Kreisen zollte. War doch mit ihm einer der bedeutendsten und verdienst vollsten Führer der Landwirtschaft dahingegangen. Das Leben im Landwirtschaftlichen Verein nahm seinen Fortgang. Ritter gutspachter Böhme leitete ihn ganz im Sinne des Verstor benen, bis er als Generaldirektor der Sächsischen Staatsgüter berufen und Gutsbesitzer Preußer- Kausbach mit der Füh rung des Vereins betreut wurde. In bewährten Bahnen völlig sich sein weiterer Lauf, erschwert freilich durch eine immer fühl barer werdende grundverkehrte Agrarpolitik der liberalistischrn Regierung, die den Bauer immer mehr der Verelendung an heimfallen, die den Kampf des Bauern um Hof und Scholle im mer schärfer entbrennen ließ. Trotzdem erklang in den Sitzungen des Vereins immer und immer wieder die Mahnung, durchzu halten und sich in der Pflicht, für die Ernährung des deutschen Volkes zu sorgen, durch nichts erlahmen zu lasten. Das war Andräscher Geist, gepaart mit Energie, Weitblick und Zielbe wußtsein. Und daß in dem Verein Dankbarkeit und Treue noch kein leerer Begriff geworden war, das bewies die einhellige Zustimmung, die die Anregung von Rittergutsbesitzer Pötzsch- Braunsdorf fand, dem unvergessenen Vereinsgründer an der Stelle seines früheren Wirkens im Schatten der sechshundert jährigen Reformationslinde am Eingänge des Rittergutshofes ein Denkmal zu sehen. Ein gewaltiger Findling wurde aus dem Saubachtale herbeigeschafft und Bildhauer Starke-Dresden mit den künstlerischen Arbeiten betraut. In erhebender Feier wurde der Gedenkstein am 17. September 1930 im Beisein von Vertre tern des Wirtschaftsministeriums und anderer Behörden, von landwirtschaftlichen Korporationen, landwirtschaftlichen Schu len und der Universität Leipzig sowie zahlreichen Bewohnern der Stadt und des ganzen Landkreises geweiht. Oekonomierat Welde-Oberhäslich hielt die Gedenkrede, Gutsbesitzer Preußer- Kaufbach pries die unvergänglichen Verdienste Geheimrat An dräs um den Verein. Oberlandwirtschaftsrat Dr. Höfer schll- derte trefflich sein Leben und Wirken und Bürgermeister Dr. Kronfeld übernahm den Gedenkstein in die Obhut der Stadt mit dem Wunsche, daß der Stein immer daran erinnern möge, was wir Geheimrat Andrä zu verdanken hätten, daß Stadt und Land aufeinander angewiesen seien und zwischen ihnen stets das beste Einvernehmen herrschen möchte zu Nutz und Frommen der beiderseitigen Einwohnerschaft. In der Nachfeier im „Ad ler" gab Landwirtschaftsrat Dr. Dietrich-Tharandt seinem in nersten Empfinden dahin Ausdruck, daß er mit Freuden kon statierte, daß Wilsdruff seinen alten Ruf als Bauernstadt be währt habe, und daß die Wilsdruffer Bauernführer noch im mer die bewährten Bahnen eines Dr. Andrä weiterbeschritten. Hin eilt die Zeit. Tas Jahr 1933 brach an. Der altehr würdige Reichspräsident von Hindenburg übertrug dem junges Volkskanzler Adolf Hitler die Regierung. Er fand nur einen Trümmerhaufen vor. Aber meisterlich hat er es verstanden, in einem Jahre bereits unendlich viel wieder gutzumachen. Er gab dem deutschen Bauer einen Führer in dem Reichsernäh rungsminister Darrs, dem er voll vertrauen kann. Gewiß hat der Bauer noch schwer zu ringen um seine Existenz, aber er kann es nun mit voller Zuversicht und Vertrauen. „Dem Volke Brot, dem Führer Treue", ist die Losung des Bauern, das steht auch aller Arbeit dey Landwirtschaftlichen Vereins vor, der ja an seinem Teile mithilft, die Ernährung des deutschen Volkes sicher zustellen, damit wir möglichst unabhängig vom Auslande wer den. Daß man die Arbeit der Landwirtschaftlichen Vereine an maßgebender Stelle schätzt, betonte bei dem Empfang der sächsischen Presse in Dresden Landesbauernführer Körner- Piskowitz. Er führte da aus, daß es noch gelte, verschiedene Gruppen, die als Untergliederungen der Landwirtschaftskammer einmal geschaffen worden waren (Landwirtschaftliche Vereine, Versuchsringe, tierzüchterische und sonstige Landesverbände) or ganisatorisch zu erfassen. Die Organisationen auszulösen hieße die Pioniere der technisch-fortschrittlichen Landwirte und Bauern auseinanderzutreiben und einer oft über ein Jahrhundert lang währenden fruchtbaren Arbeit ein Ende zu machen. Für diese Gebiete sind jetzt Maßnahmen in Vorbereitung, damit auch hier eine einheitliche, gleichmäßige Arbeit im Sinne des Reichs nährstandes geleistet werden kann. Und wenn der Landwirtschaftliche Verein für Wilsdruff und Umgegend nun sein goldenes Jubiläum festlich begeht, dann können wir ihm nur wünschen, daß er in dem neuen Lebensabschnitt weiter blüht und gedeiht und seinen alten Zielen weiter nachstrebt im neuen Geiste: Gemeinnutz geht vor Eigennutz, du bist nichts, dein Volk ist alles! türe gesetzt und seine Sachen neben sich gestellt. Wie ein Kind schlägt er nun die Hände vor das Gesicht und weint. Tief beugt Sibylle sich herab zu ihm. In unend lichem Mitleid. Sie streicht über seine glatten, grauen Haare, die ohne Hut sind. Sie weiß nicht, was sie sagen soll. Zwei französische Offiziere kommen geritten. Sie sehen den weinenden, alten Mann und das schlanke, stolze Mädchen. Sie halten an. „In diesem Hause dürft ihr nicht bleiben. Es ist be fohlen worden, daß es auch zerstört werde." Klar und ruhig sieht sie die Offiziere an: „Wann müssen wir es räumen?" „Diese Nacht noch nicht. Aber im Laufe des morgigen Tages!" Kurz hat es der eine der Offiziere gesagt. Und ein we nig zögend fügt er hinzu:" „Wenn wir Euch behilflich sein können.-." Sibylle denkt einen Augenblick nach. „Wenn wir einen Wagen bekommen könnten für eine alte Frau. Und jemand zum Eskortieren als Schutz?" Man zuckt bedauernd die Achseln. „Es ist im ganzen Umkreis von Worms kein Wagen mehr aufzutreiben. Aber wir wollen es noch einmal ver suchen. Bis morgen seid Ihr sicher in diesem Hause." Sie salutieren und reiten wieder davon. Sibylle geht die Treppe hinauf, wo Muhme Dorothee und Marie bei der Ahne hocken und auf das Flammen meer starren. Ruhig und fest sagt Sibylle: „Ihr müßt ein wenig Vorrat einpacken für eine lange Wagenfahrt, Dorothee. Man will uns behilflich jein, noch einen Wagen zu bekommen. Denn morgen muß auch das Wormser Haus geräumt werden." Muhme Dorothee geht leise hinaus, um alles Nötige zusammenzusuchen. Sie hat es lange geahnt. Fortsetzung folgt.