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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 18.10.1910
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1910-10-18
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19101018029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1910101802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1910101802
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1910
-
Monat
1910-10
- Tag 1910-10-18
-
Monat
1910-10
-
Jahr
1910
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Amtsblatt des Rates und des Volizeiamtes der Ltaöt Leipzig. Anzeigen-Prek ¬ är Inserat« an» Lewzig und Umgedang di« «^spaltene bl) ww drrtt» Petitgeil» 2b 2^, dio 74 nun dicht« «ekiainqeil, 1 da» aaäwärt» M Ae-teinea i.2l) Inserat» o»n Bebärde» l» «mMche» le« die 74 nun breit» Petttzetl« 40 »«sch»»t»an^i,en mit v «H»or1chritte» «ch tn der Lvendautaad« im Preise «höht. Nabaii nach Tar>>. Beilagegrdühr b chß p. Tausend exki. Postgebühr. Festen eilt« «ntträae kännrn nicht pirbA. gezogen werden, Für da» -ärschetue» an bestimmten Tagen und Blähen wird Win« charantt« übernommen. «nutzen. Annahme: Angustngplatz H der sämtlichen Filialen u. allen Lnaoncr»- ldhpedttloaeo de» In, und Auslandes. P«upt-Stltal, Merlin. I«rl Von« er. Herrogi. Vayr. Hastwch» Handlung, Lühowstiad« lN tTelephoo VI, Nr. 4699). Haupt-sttllale Dresdem Seeftrage 4, l (Telephon 4SN^ Nr. 288 Viensisg, Seit IS. vkwber lSI0. 104. Ishrgsny. Unü üer Sunü üer Lsnüwirte? Die Regierung des Herrn von Bethmann HoUweg hat das beneidenswerte Geschick, auf allen Gebieten, wo sie sich betätigt, h^vorragende Unparteilichkeit zu zeigen. So lieh es sich vom philosophischen Stand punkt aus rechtfertigen, daß der Vertreter des Reichs kanzlers, der damalige Staatssekretär des Reichs amtes des Innern, die Reichsfinanzreform unter zeichnete, derentwegen sein Chef von der politischen Bühne zurücktrat. So wurden mit jener philo sophischen Unparteilichkeit die Maßregelungen all der nationalliberalen Beamten und die Parteinahme der Regierung begründet. Der neueste Akt dieser Art sind Ausführungen in der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung", die sich mit dem Hansabund beschäftigen und von denen man wohl annehmen darf, daß ihnen der Reichskanzler nicht allzusern steht. Wir haben schon in der Sonn tagsausgabe kurz von ihnen Notiz genommen. Danach hat sich der Hansabund das Mitzsallen der offiziösen Zeitung dadurch zugezogen, datz er in einem seiner Wahlaufrufe geschrieben hat: „Schutzlos standen bis her Gewerbetreibende, Kaufleute und Industrielle den jahraus, jahrein eintretenden schweren Schädigungen gegenüber, mit denen fort gesetzt gcwerbefeindliche, von Unverstand oder Eigen nutz diktierte Matzregeln der Gesetzgebung und Ver waltung jeden einzelnen Kaufmann und jeden ein zelnen Industriellen entrechten und belasten." Ferner bemängelt das Blatt, datz der Hansabund in drei Zeichnungen die politischen Rechte, die Steuerlasten, die wirtschaftlichen Leistungen der Landwirtschaft, der Industrie und des Eewerbestandes verglichen habe, datz dies aber in einem „rohen Schema" ge schehen sei. Was den ersten Satz anbetrifft — der gewiß einigermaßen temperamentvoll ist, was ja gar nichts schadet —, so braucht man ja nur an die Reichsfinanz- resorm zu denken: an die Reichsversicherungsordnung, die 30 Millionen für neue Versicherungsämter dem deutschen Gewerbcstand auferlegen sollte; an die Telephongebühren-Neuordnung des Herrn Kraetke; an den ehemaligen Wertzuwachssteuergesetzentwurf; an die Fabrikgesetzgebung, um praktisch nachzuweisen, was mit jenen Sätzen gemeint war. Besonders interessant ist aber dabei, datz sich die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung" selbst von der Wendung „gewerbefeindliche, von Unverstand oder Eigennutz diktierte Matzregeln" getroffen fühlt. Hiermit kann doch gar nichts anderes gemeint sein, als daß der Gesetzgebung und der Verwaltung durch die agrardemagogische Richtung des Bundes der Landwirte derartige Maßregeln diktiert, abge zwungen worden sind, die, wie wohl alle annehmen müssen, der Regierung selbst nicht immer sehr ange nehm gewesen sind. Ist doch heute in weitesten Kreisen anerkannt, datz die allgemein in Deutschland herrschende Verstimmung mit darauf zurückzuführen ist, datz eben die Negierung leider nicht immer mit der nötigen Energie im Sinne des Ausgleichs die Interessen aller Erwerbsstände genügend zu schützen gewußt hat. Was aber die st a t i st i s ch e n T a b e l l e n und Zeichnungen des Hansabundes betrifft, so halten wir für selbstverständlich, datz diese voll kommen korrekt sind — was ja auch die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung" nicht anzweifelt. Die Wendung vom „rohen Schema" ist jedenfalls ebenso billig wie nichtssagend. Schließlich ist aber dieses energische Auftreten der Regierung ein Zeichen dafür, daß sie fernerhin nicht mehr gewillt ist, irgendwelche Aus schreitungen der Agitation zu dulden. Wir dürfen daher die Frage stellen: Was wird der Herr Reichs kanzler gegen die agrarische Boykottpolitik unternehmen? und wie wird er den agrar de magogischen Ausschreitungen entgegen treten, die das ständige Tagewerk der „Deutschen Tageszeitung" und Dutzendcr von Bundesrednern sich leisten? Er könnte sich durch die zahlreichen preßgesetz- lichen Berichtigungen, die jenes Blatt selbst immer abzudrucken genötigt ist, ein Bild davon machen, aus welche Weise von dieser Seite vorgegangen wird. Also wenn schon die eine Seite einen Tadel erhält, dann bitten wir, doch die viel, schuldigere andere Seite nicht zu vergessen. lvellmsns Dresnkahrt. Nach Pariser Meldungen besagen die letzten Depeschen, die aus New Park über Wellman eingetroffen sind, datz Wellman bereits ein Viertel seiner Reise zurückgelegt hat. Alles gehe gut an Bord, aber man könne nicht genau den Ort bestimmen, wo sich der Ballon gegenwärtig befinde. Man glaube je doch in New Park, datz Wellman zu sehr die nördliche Richtung eingeschlagen habe. Ein Telegramm, das ein Amerikadampfer auf hoher See aufgefangen habe, laute: „Alles an Bord wohl, xoost b^o!" — Der Ballon ist bis jetzt SO Stunden in der Lust. Graf de la Veaux, der Konstrukteur des Lenkballons „Amerika", erhielt ebenfalls ein Telegramm, wonach an Bord des Luftschiffes alles wohl sei. Der Ballon befindet sich 750 Kilometer vom Ufer entfernt. Wenig hoffnungsvoll für das Gelingen der Well manschen Fahrt lauten die folgenden Drahtnach richten: * London, 18. Oktober, 12 Uhr 35 Min. früh. Wie dem „Reuterschen Bureau" aus NewPork gemeldet wird, hegt man dort große Besorgnis, datz Wellman von dem richtigen Wege abgekommen ist, weil sein Ballon fast vom Augenblick des Aufstiegs an vom Nebel eingeschlossen war. Seit 30 Stun den hat man nichts mehr von Wellman gehört. * Siasconset, 18. Oktober. Die hiesige Funken- station wechselte bis Mitternacht noch mit ver schiedenen anderen Schiffen auf der See Depeschen, konnte aber über Wellman nichtsinErfahrung bringen. — New York, 18. Oktober. Die Marroni-Station Camperdown in Neuschottland meldet, daß alle Versuche, eine Verbindung mit dem Lenkballon „Amerika" herzustellen, ergebnislos verlaufen sind. — Hier herrscht große Besorgnis um Wellman. Mehrere Dampfer, die im Hafen von New Park ein gelaufen sind, melden, daß auf hoher See ein fur ch t- bares Gewitter niedergegangen sei. Man be fürchtet das Schlimmste. Sollte Wellman dem Sturme entgangen sein, so müßte er sich jetzt 200 Met- len von New Port entfernt befinden. Die Konstruktion des Lenkballons „Amerika". Ueber die Konstruktion des Wellmanschsn Lenkballons „Amerika" teilt das amerikanische Blatt „Scientie American" interessante Einzelheiten mit: Das Luftschiff ist 70 Meter lang, bei einem grüßten Durchmesser von 15,85 Meter. Der Gesamt auftrieb beträgt 10 650 Kilogramm. Der Ballon selbst ist unstarr, ähnlich wie die „Parseoal"-Ballons, hat jedoch eine Gondel von 47,5 Meter Länge, die mit der Ballonhülle starr verbunden ist. Die Gondel be steht aus einer Stahlrohrkonstruktion von dreieckigem Querschnitt. Als Kiel dient der Gondel ein Stahl rohrträger von 23 Meter Länge, der gleichzeitig das Benzinreservoir bildet. Zum Antrieb dienen zwei Benzinmotoren von 80—90 ?. 8- Stärke. Außerdem ist noch ein kleiner Hilfsmotor von 12 ?. 8. vor banden. Jeder Motor treibt zwei Schrauben, von denen die vorderen einen Durchmesser von 355 Zenti meter, die Hinteren einen solchen von 315 Zentimeter haben. In der Ballonhülle liegen vorn vier unv hinten zwei Luftballonetts. Unterhalb der Gondel ist noch ein unkenterbares Rettungsboot anaebrachl, in dem gleichzeitig der Apparat für drahtlose Tele graphie untergebracht ist. Als Schleppseil dient ein 100 Meter langer sog. Eguilibrator von besonderer Konstruktion. Der Aktionsradius des Luftschiffes soll angeblich 5000 Kilometer betragen. Die Ballonhülle selbst wiegt über 2000 Kilogramm; sie besteht aus zwei Lagen Seide und einer Laos Baumwolle, die miteinander durch Kautschuk zusommennnlkonisiert sind, so daß die Gefahr eines Entweichens von Sauer stoff auf das Minimum reduziert ist. politische Nachrichten. Erkrankung des ungarischen Ministerpräsidenten. Pest. 18. Oktober. (Tel.) Ministerpräsident KhuenHederoary ist, wie regierungsseitig be stätigt wird, an einem Augenübel erkrankt, weshalb er sich demnächst einer Operation unter ziehen mutz. Trotzdem ist das Leiden nicht derart, daß er seine politische Tätigkeit einstellen muh. Es wird auf seine politische Zukunft nicht den geringsten Einfluß haben. Zum Befinden des serbischen Kronprinzen. Belgrad, 18. Oktober. (Telegramm.) Das Be finden des Kronprinzen Alexander ist unverändert. Kaiser Franz Josef ließ offi ziell durch den österreichischen Gesandten Grafen For- gach seine lebhafteste Anteilnahme an der Er krankung des Kronprinzen aussprechen und um Nach richten über sein Befinden ersuchen. Der serbische Ge sandte in Wien wurde beauftragt, dem Kaffer den warmen Dank des Königs für die liebenswürdige Aufmerksamkeit auszusprechen. Auch der Sultan und die rumänische Regierung drückten dem König ihre Teilnahme aus. Türkische Kabinettskrisis. Konstantinopel, 18. Oktober. (Telegramm.) Hier ist es zu einer Kabinettskrisis gekommen. Der Groß wesir Hakki Pascha, der Kriegsminister Ma- mud Schefket Pascha und der Finanzministei Dschavid Bey demissionierten. Der Grund soll in Zwistigkeiten zwischen Dschavid Bey und Mamud Schefket Pascha zu suchen sein. Die De mission wurde vom Sultan noch nicht angenommen. Das Lnüe ües franzöMlhen Eilen- dsllnersusltanües. Paris, 18. Oktober. (Tel.) Die ausständigen Eisenbahner hielten gestern abend eine Versammlung ab, in der die Fortsetzung des Streiks be schlossen wurde. Zur allgemeinen Ueberraschung gab jedoch das Streikkomitee um 2 Uhr morgens fol gende Mitteilung aus. Das Streikkomitee hat ein stimmig beschlossen, daß die Wiederaufnahme der Arbeit am Dienstag, den 18. Oktober, auf allen Eisenbahnlinien erfolgen soll. Das Streik komitee beschloß weiter die sofortige Veröffentlichung eines Manifestes, das die Gründe für die sen Beschluß darlegen und die Eisenbahner auf fordern wird, alle Maßnahmen zu treffen, um ihre Syndikatsorganisationen zu erhalten und weiter auszu bauen. — Anderseits haben die Bahngesellschaften der Nord-, West-, Paris— Lyon—Mittelmeer- und Orleans-Bahn folgende Ver- fügung getroffen: Alle Angestellten der Pariser Bahnhöfe, die bis heute morgen die Arbeit nicht wieder ausgenommen haben, werden ihres Amtes enthoben und ersetzt. Ueber neue Ausschreitungen der Streikenden sind folgende Meldungen eingelaufen: Paris, 18. Oktober. (Tel.) In der Nähe von St. Etienne wurden mehrere Telegraphen drähte durchschnitten. Zwei Dynamit bomben explodierten bei Maramas, ohne je doch größeren Schaden anzurichten. Die Pariser Journalisten erhielten von der roten Arbriitz- börse eine Drohnote, wonach die Nichtausgabe der von der Arbeitsbörse ausgegebenen Bulletins über die Zahl der Streikenden mit Attentaten gegen die Redakteure beantwortet werden soll. Am Abend kam es zu einem Zusammen stoß zwischen streikenden Bauarbeitern und Polizei beamten. 4 Polizisten erlitten Verletzungen, zwei Streikende wurden als die Täter festgenommen und zum Kommissariat gebracht. Die Menge zog zum Kommissariat und verlangte die Freilassung der Ver hafteten. Kavallerie trieb die Menge ausein ander. Versailles, 17. Oktober. (Tel.) Heute abend wurde eine Bombe in den Eingang zum Bahn- tunnel geworfen in dem Augenblick, als der Zug nach Enghien den Tunnel passieren wollte. Sie prallte mit großer Gewalt an einen Baum, aber an statt den Tunnel zu treffen, zerplatzte sie mit lautem Krachen links von der Bahn, den Boden tief aufreibend, ohne die Gleise zu beschädigen. Der Dienst ist nicht unterbrochen. n Die Mm im Spiegel. Von E. W. Appleton. (Autorisierte Aebersetzung.) Ich schüttelte mich, um die anhängenden Regen tropfen loszuwerden, wie ein nasser Hund, und griff dann, herzhaft an meiner Pfeife ziehend, tüchtig in der Richtung von „Schweizerhäuschen" aus. Die Wolken hatten sich gelichtet. Der Sturm hatte seinen letzten Hauch ausgeblasen. Im Osten wurde eme blasse Verheißung des kommenden Tages sichtbar. Meine Gefühle begannen rasch vom Gefrierpunkt auf zusteigen. Ich verspürte nun auch Hunger und Durst, und an einer Straßenecke machte ich meine erste Be kanntschaft mit einer Kaffeebude. Der Dampf des duftenden Getränkes stieg mir wohltuend in die Nase. Er war ein unerwarteter Genuß. Nie im Leben werde ich diese im Freien ge nossene Tasse Kaffee, die ich möglicherweise unter anderen Umständen mit Ekel zurückgewiesen haben würde, und die zwei harten Eier vergessen, die sie zur großen Befriedigung meines schwer gestörten Ver- dauunassystems begleiteten. Für mich war es ein lukullisches Mahl, und ich zog die Finchleystratze neu gestärkt hinunter. Jetzt kam mir ein' Gedanke. Sollte ich nicht vor allem der Polizei Mitteilung von den zwei Schüssen machen, die ich in meinem Zimmer vernommen hatte? Doch wozu? Die Polizei schien ja das ver dächtige Haus zu bewachen, und schließlich waren es ja alles Gauner, um deren Streitigkeiten ich mich nicht zu bekümmern brauchte. Jedenfalls wollte ich erst Richard fragen, was ich m dieser Sache für Schritte tun sollte. Es wurde immer Heller. Während die dunkleren- Wolken sich allmählich nach Westen verzogen, blitzte es an ihren Rändern dann und wann noch schwach auf, und ein- oder zweimal ließ sich noch ein leises Grollen vernehmen. Aber die tolle Walpurgisnacht der entfesselten Elemente war zu End«. Jetzt war die Reihe an der Sonne, und lange bevor ich noch die Oxfordstraße erreichte, verwandelten sich die leichten Wölkchen über mir in Rosenblätter, während der Zenit sich m den ganzen Pomp und Stolz lauteren Goldes kleidete. Dann hatte ich zum ersten Male in meinem Leben das Gefühl, als ob das ganze London mir allein ge höre. Da und dort ward eine blaue Uniform, die von einem Manne ausgefüllt war, sichtbar, aber sie schien, wie die Briefkasten, einen Teil der Straße selbst zu bilden, auf jeder Seite aber waren lange Reihen toter Backstein- und Mörtelmauern zu er blicken, ein häßlicher und deprimierender Anblick für jeden durchnäßten Menschen, wenn er nicht gleich mir eine Tasse heißen Kaffees und zwei harte Eier im Leibe hatte, die ihn für seine Reise stärken sollten. Der Grund dafür ist darin zu suchen, datz London, im Gegensatz zu seinen großen Brüdern Paris und New Pork, Zeit braucht, um seine Glieder zu strecken und zu gähnen, b»s es wach wird, und noch lange nach dem ersten Hahnenschrei bieten seine Straßen einen ungewöhnlich leeren und verlassenen Anblick, während die Bewohner der anderen Weltstädte weit früher sich im Freien sehen lassen. Mit dem Tage in London aufzustehen, kann, wenn nicht ein wichtiger Grund dafür vorliegt, nur zu dem Zwecke geschehen, die Zeit totschlagen zu lernen. Zu dieser Erkenntnis gelangte ich, als ich endlich, nach planloser sechsstündiger Wanderung, in der Nähe der Seven Dials sah. wie an einem unappetitlichen Früh stückslokal die Rolläden heraufgezogen wurden. Ich machte beinahe einen Freudensprung, als ich das beobachtete. In zwei weiteren Stunden wäre es mir vielleicht möglich, Richard aufzusuchen! Allmählich begann mir die Ahnung aufzudämmern, daß die Zeit in London totzuschlagen unter Umständen gleichbe deutend war mit Selbstmord. Da indes auch in den unglücklichsten Lagen ein kleiner Trost verborgen liegt, fand ich den meinigen darin, daß meine Kleider durch das Herumwandern getrocknet waren, und ich müßte den Sinn des Wortes schlecht verstehen, wenn das nicht ein wahrer Komfort für mich war. Die Sonne war an diesem Tage in übermütiger Stimmung. Sie brannte mitleidlos herunter, und ich stand erhitzt im Pump Court herum, als Richard in weißen Hosen und einem Panamahute auf dem Kopf erschien. „Was?" rief er. „So früh schon?" „Das nennst du früh?" erwiderte ich. „Und dabei habe ich geschlagene sieben Stunden gewartet!" „Diese Behauptung erfordert eine Erklärung", bemerkte er. „Komm herauf!" Ich folgte ihm in sein Prioatzimmer. „Ja. ja, diese Hitze! Eie wäre schon imstande, dem stärksten Manne die Gedanken zu verwirren. Nimm Platz!" Ich folgte seiner Einladung. Er setzte sich eben falls, ganz in meine Nähe. „Sieben Stunden, sagtest du?" „Eher acht, mein Lieber." „Ist dir nicht ganz wohl, oder was?" fragte er ernst. „Nicht besonders. Aber es handelt sich nicht darum, Richard. Tod und Teufel ist in dem Hause dieses lieben alten Herrn Eoliby los. Kannst du eine freudige Miene aufsetzen?" „Wenn es die Umstände erheischen, ja." „Sie erheischen es. Freue dich, mich noch am Leben zu sehen!" „Tue ich auch. Doch zum Teufel, was willst du damit sagen? Was ist denn los mit dir? Du stehst ja aus, als ob du in deinen Kleidern eine kleine Schwimmreise unternommen hättest!" „Schlimmer als das! Meine Kleider sind auf mir geschwommen", versetzte ich. Richard begann ein unglückliches Gesicht zu machen. „Ich fürchte, ich bin schuld daran", sagte er. „Natürlich, du hast mir ja geraten, bei der Stange zu bleiben." „Allerdings. Aber gestern schrieb ich dir, die Stange fahren zu lassen." „Zu spät", erwiderte ich. „Warum zu spät? Du scheinst in einer tragischen Stimmung zu sein." „Bin ich auch." „Warum denn? Ist in eurem Haus etwa wer er mordet worden?" „Ja." Er sprang auf. „Heiliger Gott! Doch nicht Eoliby?" „Nein, der nicht. Habe keine Ahnung, wer es ist. Wurde heute morgen früh bei einem Gelage erschossen. Einer wollte seine Kunstfertigkeit im Schießen auch an mir üben. Aber ich bin ihm durch die Lappen gegangen und habe auf Kosten meines Schuhleders seit sieben guten Stunden die Londoner Straßen studiert." „Komm Ted, sei vernünftig!" „Vernünftig soll ich sein!" rief ich aus. „Großer Gott! Was verstehst du denn unter „vernünftig"? Willst du Ammengeschichten oder di« Wahrheit hören? Ich wiederhole dir, daß heute morgen in aller Frühe jemand in unserem Hause ermordet worden ist. Mir hat um ein Haar dasselbe Schicksal geblüht, und du nun, in deiner üblichen freundlichen Weise, ersuchst mich, vernünftig zu sein! Ist denn ein Mord etwas so Lachhaftes?" Er bot mir die Hand. „Nein, Ted, nein. Verzeih mir! Aber ich konnte es nicht glauben, alter Junge. Ist das alles denn möglich? Erzähle mir das etwas genauer." Ich folgte seiner Aufforderung. „Mein lieber alter Ted", sagte er, als ich mit meinem Berichte zu Ende war, „das ist ja entsetzlich. Ich habe dich da m eine saubere Geschichte hineinge- bracht! — Weißt du auch, was die Männer im Garten zu schaffen hatten?" Ich sah rhn fragend an. „Den Ermordeten haben sie begraben", er widerte er. „Wie hatte ich nur nicht daran denken können? Ich verstehe es lediglich, wenn ich mich erinnere, wie sehr ich in jenem Augenblicke um mein eigenes Leben besorgt sein mußte." Nach einer kleinen Pause fragte ich Richard: „Was meinst du, soll ich der Polizei Mitteilung davon machen?" „Wenn die Polizei das Haus bewacht", erwiderte er nach kurzer Ueberlegung, „halte ich es für unnütz. Später kannst du es ihr immer noch mitteilen. Sonst könnte man dich wieder in diese Geschichte hineinver wickeln. Danke dem Himmel, daß du glücklich ans dem Haus gekommen bist und es nie mehr betreten wirst." Ich schüttelte den Kopf. „Ich kehre heut' abend zurück", sagte ich in be stimmtem Tone. „Wahnwitz!" „Wahnwitz oder nicht, ich kehre zurück. Bitte, gib mir Papier und Tinte!" Richard leistete kopfschüttelnd meinem Wunsche Folge. Ich setzte mich an seinen Schreibtisch und ver. faßte den folgenden Brief, den ich meinem Freunde zu lesen gab, bevor ich den Umschlag zuklebte. Er lautete: „Geehrter Herr Goliby! Ich teile Ihnen in aller Kürze mit, daß ich die vergangene Nacbt bei meinem Freund Hamilton ver bracht habe. Aus Ihren Worten entnahm ich die Erlaubnis dazu. Auf jeden Fall werd« ich mich heute abend einfinden, um Ihre Instruktionen entgegenzu nehmen. Hochachtungsvoll Ihr ergebener Eduard Lart." Achselzuckend gab er ihn mir zurück.
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