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Zweites Blatt. Wochenblatt flir Msbmff Erscheint wöchentlich zweimal u.zwarDienstags «nd Freitags. — Abonncmentspreis vierteljährlich 1 Mk., durch die Post bezogen 1 Mk. 25 Pf. — Einzelne i Nummem 10 Pf. Tharandt, Men, Mealthn md die UMMden. Ilntsbluü Inserate werden Montags und DvMerstagS bis Mittags 12 Uhr angenommen. Jnsertionspreis 10 Pf. pro dreigespaltene Corpuszeile. für die Agl. Amtshauxtmannschaft Meißen, für das Agl. Amtsgericht und den ^tadtrath zu Wilsdruff, sowie für das Rgl. Lorstrentamt zu Tharandt. No. 1V«. Freitag, Heu 15. Dezember 1893. Die Fran des Waffenschmiedes Dem Holländischen nacherzählt von H. N. O. (Nachdruck verboten.) (Fortsetzung.) Als Begga sah, daß sie sich als Wittwe denken mußte, und den Leichnam ihres theuren Mannes nicht fand, um ihm ein ehrbares Begräbniß zu verschaffen, da erinnerte sie sich an Gertrud und Sylvester, die einzigen Menschen, wo sie Unter stützung und Mitleiden erwarten konnte. Sie kannte das gute opferfreudige Herz Gertruds und von Hubert wußte sie, daß ihr Schwager edelmüthig und stets hilfbereit war. Auf den gött lichen Beistand vertrauend, machte sie die nöthigen Vorbereit ungen zur Reise nach Brüssel; den kleinen Ludwig weinend ans Herz gedrückt, verließ sie Nachts die Wohnung, wo sie einst so glücklich gewesen und nach einem innigen Abschied von der alten Gertrud, schlug sie den Weg nach Brüssel ein. Sie ging zu Fuß, da das wenige Geld, was sie noch belaß, ihr bedürftig war, um für sich und ihr Kind zu kaufen und Nachts Unter kunft in der Herberge zu finden. Bald fürchtete sie, ihre Kräfte möchten nicht hinreichen, das gewünschte Ziel zu erreichen. Gott war mit ihr und beschirmte sie; beinahe sterbend vor Ermüdung und bitterem Seelenschmerz sank sie eines Abends an der Thürschwelle von Sylvester nieder, kaum besaß sie die Kraft den eisernen Thürklopser anzuschlagen. Gertrud öffnete die Thür und fand ihre Schwester halb ohnmächtig an der Thüre liegend, das weinende Kind ängstlich an ihre Brust gepreßt. „Begga", rief sie starr vor Staunen über den seltsamen Anblick aus, „Begga". In wenigen Augenblicken war die Wittwe von dem herzu eilenden Waffenschmiede in das Haus gebracht, wo sie in den Armen Gertruds bald wieder zum Bewußtsein kam. Ihr erster Blick galt dem kleinen Ludwig, der schon im Zimmer mit den Kindern seiner Schwester spielte. „Wo ist Hubert?" frug Sylvester bangen Tones. Die junge Wittwe rang verzweifelt ihre Hände, als sie in abgerissenen vom Schluchzen unterbrochenen Sätzen die Vor kommnisse der letzten Tage erzählte. Der Waffenschmied lauschte der Erzählung ohne auch nur mit einem Worte zu unterbrechen, nur als Begga's Stimme schließlich durch ihre Thränen unterdrückt wurde, sagte er: „Hubert starb den Martertod für unsere Freiheit! aber Gott sei gedankt, daß er der Hand des Henkers entgangen, die seine unglücklichen Freunde aufhingen." In der Gudulakirche in Brüssel versammelte sich nach und nach eine schweigende Menge; Chorknaben erschienen am Fuße des Altars und die Geistlichen nahmen ihre Plätze ein. Die Glocken erklangen ernst. Eine große Zahl Frauen und Mäd chen umgaben den Ehrenstuhl, der am Hauptschiffe errichtet war. Als die Glocken schwiegen, trat ein Geistlicher ein, ge folgt von einer jungen Frau in Trauerkleidung, die ein kleines Kind üuf ihren Armen trug: zu ihrer Seite schritt ein ernster, würdig aussehender Mann, der sie in den Ehrenstuhl geleitete. Eine andere junge Frau mit drei Kindern zur Seite folgte der ersten Gruppe. Als die in Trauerkleidung erschienene Frau in dem Ehrcn- stuhle Platz genommen hatte, stellte der Geistliche sich vor sic hin. Eie schlug den Schleier zurück und man erkannte Begga, die umringt war von Sylvester, Gertrud, deren Kindern, sowie Freundinnen und Bekannten. Der Geistliche war der Abt Lambrecht von Senne. Derselbe hatte Gertrud und Begga getauft zur ersten h. Communion geführt, ihre Ehe eingesegnet, und jetzt sah er sie wiederum vor sich knieen. Aber welcher Unterschied war es nicht, zwischen jenem Tage als Hubert und Sylvester die Ringe wechselten mit Begga und Getrud und diesem Augenblicke, wo jene die Hülfe des Himmels erflehte zu crnst- lickem Entschluß. „Meine Tochter," sagte der Abt zu Begga mit einer Stimme, die Trauer und Mitleid durchzittern ließ: „ich erwarte von Dir einen Eid, der das Gegentheil von dem sagen will, was Du zur Zeit an demselben Platze hier gelobt hast. Da mals segnete ich Deine Ehe ein und rief Gottes Segen herab für eine glückliche Braut, heute habe ich eine Wittwe zu trösten . . . . Wittwe! Alle hier Anwesenden glauben, daß Du eS bist .... die Beweise dafür fehlen allerdings .... Du be weinst Deinen verlebten Gatten, aber es ist Dir nicht vergönnt, sein: sterblichen Ueberreste der Erde zu übergeben. Die Zurück ziehung wartet Deiner, in der Blüthe Deiner Jugend bist Du Wittwe geworden, Dein einziger Trost ist das Kind, das bei Dir steht .... Willst Du Dich dem Laufe unterwerfen, um das Du gebeten?" „Ich unterwerfe mich demselben," antwortete Begga. Dann wandte der Abt sich an Sylvester, an diesen die Frage richtend, ob er Begga als seine Schwägerin erkenne und in Zukunft für ihren Unterhalt, soweit sie ihn nicht selbst be streiten könne, Sorge tragen wolle, was dieser laut und deut lich bejahte, letzteres jedoch mit der Bedingung, daß Begga eine andere Ehe nicht mehr eingehen dürfte. „Ich schwöre es," antwortete Begga; „bis der kleine Lud wig in die Welt treten kann, werde ich mich dessen Erziehung widmen und nach deren Vollendung mich in die völlige Einsam keit des Klosters zurückziehen." Nach Beendigung der Ceremonien ertheilte der würdige Priester beiden noch den Segen zu ihren Gelöbnissen und dann entfernten dieselben sick zusammen. Sylvester geleitete seine Schwägerin in die für sie bestimmte Wohnung und um ihr die Strenge der Verpflichtung, die er übernommen, sofort vor Augen zu führen, überschritt er die Thüre nicht. Gertrud zog Begga ans Herz. „Bis morgen," sagte sie ihr, „bis morgen." Darauf entfernten sich Sylvester und Gertrud und Begga war allein, die jetzt ihren Thränen freien Lauf ließ. Sie setzte sich auf einen Schemel, nahm den kleinen Ludwig auf ihre Kniee und bedeckte das Kmd mit heißen Thränen und Küssen. Sie erzählte dem Kinde, das sie mit seinen großen Augen fragend anblickte, die traurigen Begebenheiten, die sich am Ufer der Maas in Lüttich zugetragen. Dann verfiel sie in Nach denken über das, was sie heute gelobt hatte. „Warum Sylvester noch seine besonderen Gelöbnisse wollte beschworen wissen," sagte sie leise vor sich hin. „Sollte die Einsamkeit mich wie ein Kind abschrecken, an den theuren Ver storbenen zu denken? Kann man denn im Leben zweimal wahrhaft lieben? Theuerster Schatz, der mir geblieben, siehe mich an, auf daß ich in Deinen Augen den Blick Deines Vaters erkenne. Schlmge Deine Händchen um meinen Hals und erzähle mir einmal, wie lieb Du mich hast. Ich werde mich ganz Dir widmen . . . Wenn Dein Vater im Himmel ist, ist der Engel in meinen Armen . ." Lange Zeit wiegte Begga ihr Kind auf den Knien und als die Mittagszeit heranrücktc, wurde es ihr eigentlich klar, daß sie bestimmt war, allein zu wohnen, allein ihre Mahl zeiten einzunehmen, allein bei der Arbeit zu sein, allein bei den langen Abenden im Hause zu bleiben. In ihrer Abgeschlossenheit drang das Geräusch des Ver kehres in den Straßen an ihr Ohr, das sie erst recht ihre Ein samkeit fühlen ließ. Erst nachdem sie eine Nacht schlaflos auf ihrem Lager verbracht, fand sic die Kraft, die Wohnung einmal ganz in Augenschein zu nehmen, die bestimmt war, ihr Kind größer wachsen zu sehen und die sie über Jahren nur verlassen sollte, um ins Kloster cinzutreten. Thränen traten Begga in die Augen, als sie bei ihrem Rundgang an jene Wohnung dachte, die sie eine -leit lang mit Gertrud und der alten Katharina inne ge habt hatte. Später brachte sie den Stickramen ans Fenster und wäh rend sie eifrig an einem feinen Schleier arbeitete, spielte der kleine Ludwig zu ihren Füßen. Ihre Freude an der Arbeit machte ihr nach und nach ihr Loos erträglicher. Sylvester war seit dem Tode Huberts in eine ungewöhnliche Schwermuth verfallen. Hatte er früher schon seine häuslichen Pflichten treu erfüllt, so widmete er sich jetzt mit größerem Eifer der übernommenen doppelten Verpflichtungen. Wie früher verbrachte er den ersten Theil des Abends damit, seine Kinder um sich zu versammeln und sie in allerlei nütz lichen Sachen zu unterrichten, worin Begga ihn, wenn sie sich im Hanse ihres Schwagers einfand, eifrig unterstützte. Die Ausgänge Beggas waren selten und führten sie allein zum Be- sucye ihrer Schwester oder wenn ihr Kind schlief in die Kirche zum Gebet. Ihr Schmerz wurde gemildert; die Wunde ihres Herzens blutete zwar noch immer. Eines Abends, als Begga aus der Klosterkirche über die Straße zu ihrer einsamen Wohnung schritt, trat plötzlich aus einem dunklen Hinterhalte ein Mann auf sie zu, und legte seine rechte Hand auf ihren Arm. „Begga," sagte er zu ihr, „ich muß Dich sprechen und sogleich " Begga ganz erschrocken, stieß einen lauten Schrei aus und wollte flüchten. Der Mann aber, der sie erwartet hatte, und sie sprechen wollte, hielt sie zurück. Derselbe flüsterte ihr einige Worte zu, die Begga zwar erschreckten, doch dachte sie nicht mehr an die Flucht, lauschte vielmehr mit größter Spannung den Worten des Mannes. Näher kommende Schritte veranlaßten den Mann in die dunkle Ecke eines nahen Thorweges zu treten, während Begga eilig nach Hause eilte. „Mein Sohn," rief sie aus, das Kind in die Arme neh mend, „mein Sohn!" Mehr sagte sie nicht, dann bedeckte sie das Kind mit Liebkosungen womit sich freudige Thränen mengten; Ludwig verbarg sein Gesichtchen schlafend an der Brust der Mutter. Am folgenden Tage, als Begga Gertrud verließ, sagte Sylvester zu dieser:j „Hast Du nicht gefunden, daß Deine Schwester heute ganz anders war wie gewöhnlich?" „In der That," antwortete Gertrud, „sie schien aufge räumter." Acht Tage später glaubte Sylvester selbst ein Lächeln in den Zügen der Wittwe seines Bruders zu finden und einen Monat später hörte Gertrud, als sie unerwartet bei ihrer Schwester eintrat, diese singen. Von da ab war von Tag zu Tag, von Woche zu Woche eine Besserung im Gemüthszustande Beggas wahrzunchmen. Sie schien sich aufzurichten unter der Last der Ereignisse, die sie getroffen. Die veränderte Seelenstimmung rief auch in ihrem äußeren Thun eine Aenderung hervor. An Stelle wie bisher die Abende bei Gertrud zu verbringen, verließ sie dieselbe früh zeitig, um, wie sie sagte, noch ins Kloster zu gehen. Gertrud konnte sich nicht erklären wie ihr fröhliges Wesen, das sie an frühere Zeiten erinnerre mit den allabendlichen Besuchen im Kloster vereinbar sei. Aus Furcht, Begga zu betrüben, enthielt sie sich einer dies bezüglichen Frage, doch war ihr Herz von einer geheimen Furcht erfaßt. „Vergißt Du die Todten nicht," frug sie eines Tages die Wittwe. „Ich habe gestern noch das Grab unserer Mutter besucht," antwortete Wittwe Hubert Köppens ausweichend. Wohlhabenheit, Zufriedenheit und Glück herrschten in dem Hause des Waffenschmiedes Sylvester Köppens. Die Selbstauf opferung, die er Begga gegenüber an den Tag legte, erwarb ihm noch größere Achtung in den Augen seiner Mitbürger, wie er solche schon als tüchtiger Handwerksmann genoß. Jeder der in Brüssel wohnte, betrachtete es mit besonderer Genugthuung, wenn er Sylvester einen Dienst erweisen konnte. Ungeachtet der fortschreitenden Wohlhabenheit, welche die künstlerischen Arbeiten ihres Mannes herbeiführten, beschäftigte Gertrud sich in der freien Zeit immer noch eifrig mit Spitzen arbeiten. Die Kinder fanden in dieser arbeitsfreudigen immer glücklichen Umgebung das beste leibliche und geistige Fortkommen; der älteste Sohn machte schon Versuche die schweren Geräth- schaften des Vaters zu hantiren, das junge blonde Töchterchen folgte mit seinen zarten Fingerchen den Maschen am Klöppel kissen der Mutter, der jüngste, der kaum stehen konnte, bewegte sich kriechend um den Platz, wo die Mutter arbeitete. Wenn man in das Haus eintrat, und die Liebe, Freude und Zufrie denheit, die dort herrschte, sah, dann konnte man nicht umhin, die Familie als die glücklichste in Brüssel zu nennen. Häufiger kam Begga, ihre Schwester zu besuchen, ihr Herz bei derselben auszuschütten und Trost zu holen. Die Kinder Sylvesters spielten dann mit dem kleinen Ludwig, und wenn dessen silberhelles Lachen ertönte, erhellten sich ihre Züge. Es waren glückliche Tage, wenn sie mit ihrem Spitzenkissen neben Gertrud zu arbeiten saß, die Kinder in ihrem fröhlichen Spiele zu ihren Füßen. Die Frauen der Nachbarschaft, welche die beiden Schwestern beisammen sitzen sahen, grüßten freundlichst bei ihrem Vor übergehen, und wenn bei schönem Wetter das Fenster offen war, blieben sie stehen, um ein Weilchen zu plaudern. Hin und wieder trat auch die eine oder andere der Nachbarfrauen ins Zimmer und erzählten die Stadtneuigkeiten, so, ob und wer bald heirathe, wer gestorben war und dergleichen bekannte Geschichten mehr, eine Gewohnheit, die noch heute dem weiblichen Geschlechte eigen ist. Sie sprachen auch über die Härte Karls des Kühnen und prophezeiten demselben kein gutes Ende; alles was man ihm Gutes wünschte, war ein christliches Ende und mit Bezug auf seinen Namen meinte man, daß Karl der „Kühne" werde besser in Karl „der Unterdrücker" umge wandelt. Eine der beste» Freundinnen Gertruds war die Frau des reichen Dekans der Leineweber. Beide hatten Kinder, beide suchten ihr einziges Glück in der Zufriedenheit ihres häuslichen Kreises, beide waren in ihren Gesinnungen gleich fromm und gottesfürchtig und wenn sie zusammenkamen und sich gegen seitig Bilder über die Zukunft ihrer Kinder, die ihnen das theuerste waren, vor Augen führten, dann flossen die Stunden all zu rasch dahin. Dorothea war fünf Jahre älter als Gertrud. Wurde letztere vielfach von den anderen Frauen beneidet wegen der Ehren, die ihrem Manne zu Theil wurden, so wurde ersterer der Reichthum mißgönnt. Gertrud und Dorothea waren übrigens sehr vorsichtig in der Wahl ihres Umganges, so daß die eine und die andere Frau sich fast beleidigt fühlte, über die kühle Behandlung, die sie von denselben erfuhr. Es fehlte denn auch nicht an Frauen, die jede Gelegenheit aufnahmen, um Gertrud Köppens in der Achtung, welche dieselbe besaß, herabzuwürdigen. An einem Sonntag, mit Sylvester und den Kindern zur Kirche gehend, hörte sie von einem fünfundzwan zigjährigen Mädchen, daß sie nimmer leiden mochte, folgende Worte fallen: (Forts, stehe letzte Seite.)