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Er blickte mit den funkelnden Augen des Wolfes durch das Fenster und freute sich wahrhaft teuflisch an der Angst seines Opfers. Plötzlich sah er den alten Jacobi mit dem starren, un beweglichen Gesicht einer Leiche. „Zum Teufel, was ist denn das, ist der Alte tot." Der Pinscher trat erschreckt näher, die Nachricht berührte ihn unangenehm. „So was ist mir noch gar nicht vorgekommen," murmelte er, „vorhin war er noch frisch und gesund." Sophiens Angst stieg aufs Höchste, sie wußte nicht, wohin sich flüchten vor den Blicken der beiden Schrecklichen. Da sank sie halb bewußtlos auf die Knie und hob die Hände betend empor. Sie hatte ja keine andere Zuflucht mehr als Gott. War sie nicht allein mit dem ohnmächtigen, vielleicht gar tobten Manne? Und drüben nur das Haus des Ver folgers, das Dorf zu entfernt, keine Rettung, keine Hülfe mehr möglich. „Die Scheinheilige, sie betet," knirschte Ernst Bornemann in maßloser Wuth, „wir wollen Deines Gottes Hülfe zuvor kommen." Er riß seiner selbst nicht mehr mächtig, die Flinte von der Schulter, trat zurück, um Raum zu gewinnen und legte auf die Unglückliche an. „Bist Du toll geworden?" schrie der Pinscher, ihm die Flinze aus der Hand reißend. Da, ein furchtbarer Knall mit einem grauenhaften Schrei vermischt, die Flinte war gesprungen, der Pinscher lag blutend an der Erde. Der Schuß hatte ihm die rechte Hand weggerissen. Ernst Bornemann hörte Stimmen, mit einem Sprunge war er durch den Garten, vergrößerte mit seinem Messer die Lücke des Grenzzaunes und verschwand in seinem eigenen Bereiche. Frau Jacobi kehrte im selben Augenblicke, als der furcht bare Schuß fiel, mit dem Arzte von der Stadt zurück. Er schrocken, ihrer selbst kaum mächtig, stürzte sie ins Haus, in die Kammer des kranken Mannes. Der Arzt folgte ihr. Sie fanden den Alten noch in demselben Zustande und Sophie ebenfalls bewußtlos am Boden liegen. Hier that schleunige Hilfe Noth, der Arzt hatte die ge eigneten Mittel bei sich und brachte Sophie schon nach wenig Minuten ins Leben zurück. Bei dem alten Jacobi ging es nicht so rasch, der Arzt mochte wohl selber die Vergeblichkeit seiner Bemühungen fürchten. Endlich, als er bereits alle Hoffnung aufgegeben, seufzte der Kranke, ein nervöses Zittern ging durch seinen Körper, dann schlug er mit wirrem, unstäten Ausdruck die Augen auf. „Gott sei gepriesen, er lebt," rief nun die Frau, schwer athmend. Der Arzt schwieg, er fühlte nach dem Pulse und beo bachtete den Kranken eine Weile sehr aufmerksam. Plötzlich wollte dieser sich erheben, eine furchtbare Angst spiegelre sich auf seinem Gesicht, er focht mit beiden Armen umher, als wollte er etwas von sich abwehren, und schrie dann kläglich: „Laßt wich, laßt mich, der Pinscher hats nicht ge sehen, er lügt. Stoßt mich nicht ins Wasser, ich will ja beten, immerfort, weg, sage ich Dir, nicht ich, Satan hats gethan." „Gerechter Gott, er spricht irre," flüsterte die Frau. „Fieberphantasten," erwiderte der Arzt, „es ist ein ge fährliches Nervenfieber im Anzuge." Er verschrieb das Nvthige, verordnete die strengste Wach samkeit und wollte sich entfernen. Da hielt ihn ein dumpfes Stöhnen zurück, der Pinscher stand mit einem Todtengestchte vor dem Fenster und hielt den blutigen Arm flehend empor. „Was ist hier denn eigentlich geschehen?" rief der Arzt erschrocken. „Gott hat schreckliches Gericht gehalten," rief Frau Ja cobi feierlich. „Und mein bedrohtes Leben wunderbar erhalten," setzte Sophie zusammenschauernd hinzu. 11. Kapitel. Nach der Schlacht. Ostermorgen! Heiliges Auferstehungsfest! — Die Mensch heit athmet auf nach der düsteren Charwoche, nach dunklen Tagen der erstarrten Natur, — Jubelklänge der Erlösung durchziehen das Herz und im Feierkleide prangt Gottes herrliche Schöpfung. Von den Thürmen hehres Glockengeläute, die Osterglocken rufen zur Andacht, zur Auferstehungsfeier und zu den Kirchen wallen die Gläubigen in Schaaren. Auch in der Stadt Schleswig, wo die Herzen schwer waren von Furcht und bangen Ahnungen, riefen die Osterglocken, und Viele rüsteten sich zum Kirchgang, um Gottes Hilfe zu erflehen für die Tage des Schreckens. Da, yorch, — Kanonendonner, Flintengeknatter, wildes Rennen und Reiten. — Erschreckt, mit angstbleichen Gesichtern flüchteten die Bewohner in ihre Häuser. — Konnte es denn möglich sein, daß der heilige Friede des Ostermorqens, von sonniger Stille umflossen, durch das Toben der Schlacht, die Greuel eines blutigen Kampfes gestört wurde? Horch, das Getöse nahm zu, obwohl es noch in der Ferne war, — am Dannewirk, dem uralten Dänewall tobte bereits der Kampf. Das feierliche Geläute verstummte Plötzlich, jäh abgebrochen wie Schreckenslaut. Die Osterschlacht wurde geschlagen! Anstatt der hehren Gottesbotschaft ertönten die Drommeten der Kriegsfurie, hielt der Tod eine gewaltsame, blutige Ernte. Die Sonne strahlte mild wie immer vom Himmelsdom herab, sie beleuchtete die Flucht des Feindes, wie die grausigen Wunden der stöhnenden und der todten Opfer. Ueber den Steindamm, der die beiden Stadttheile Friede richsberg und Lollfuß mit einander verbindet, gingen nach der Beendigung der Schlacht zwei Männer. Man sah es ihrem! Aeußerem an, daß sie mitten im Kampfe gewesen, die Kleider! waren von Blut bespritzt, die Gesichter von Pulverdampf ge-' schwärzt. Beide waren leicht blessirt, der Eine eine bereits be-j jahrter Mann von ungefähr fünfzig Jahren, als Freischärler gekleidet, hatte ein Tuch um die Stirn, der Andere, im schlichten Zivil, trug den Arm in der Binde. In diesem Letzteren erkennen wir Wilhelm Jacobi aus Waldbergen. Die beiden Männer gingen schweigend nebeneinander her. Zu ihrer Rechten erglänzte im Sonnenlichte der herrliche Meer busen, die Schlei, von der Stadt hufeisenförmig umgeben, wäh rend drüben in der Ferne das alte Haddeby mit seiner Ans- gariuskirche, wie ein Apostel der Vorzeit, links das Schloß Gott dorf wie ein ernster, gewappneter Rittersmann herüberschauten. Der bejahrte Freischärler blieb stehen und reichte seinem jungen Begleiter die Hand. „Erst jetzt, mein Freund," so begann er, „ist die Stunde gekommen, wo ich danken kann. Ich verdanke Ihnen mein Leben, das für mich freilich nicht viel bedeutet, da icb keinen großen Werth auf dieses hochgeschätzte Gut lege. — Und doch freue ich m'ch jetzt dessen, weil es mir Gelegenheit giebt, einem braven und tapferen Manne meine ehrliche Freundschaft anzu bieten. Wie heißen Sie?" „Wilhelm Jacobi." „Wohlan, Wilhelm, hier weine Bruderhand, — schlag ein mein Name ist Bernhard Rosenfeld." „Dein Bruder bis in den Tod, Bernhard!" sagte Wilhelm, die dargereichte Hand kräftig drückend. „Nun gut, — Du hast mein Leben gerettet in der Schlacht, ich setze das meinige dafür ein, wo sich die erste Gelegenheit dazu bietet. Du hast ein Anrecht auf mein Vertrauen, laß uns langsam weitergehen und höre in Kürze meinen Lebenslauf. — Ich bin in Hamburg geboren, mein Vater war bemittelter Kaufmann. Wir waren zwei Söhne, welche beide diesen Stand ergriffen. Mich den Jüngsten trieb es hinaus in die weite Welt. Europa wurde mir zu eng, ich mußte andere Welttheile kennen lernen. So war ich immer draußen, gewann Vermögen verlor es wieder, erlebte tausend Abenteuer und blieb doch immer einsam, ein Fremdling, wohin ich kam. Da, ich trieb mich just in Amerika umher, gedachte ich der Heimuth, des väterlichen Hauses, eine unbezwingliche Sehnsucht überkam mich, ich schrieb, daß ich um die und die Zeit ungefähr in Bremen eintreffen würde. Muß wohl unter einem bösen Stern geboren sein, der mir jedesmal das Glück, wenn ich es ergreifen will, unter den Hän den fortzieht. Ich kam in Bremen an, kein Brudergruß empfing mich. In Hamburg grassirte die Cholera, ich fürchtete mich nicht und reiste um den Bruder aufzusuchen. Alles war ver gebens, der Vater längst todt, was ich allerdings wußte, der Bruder aber mit seinem letzten Kinde, das ihm die Cholera von seiner ganzen Familie übrig gelassen, fortgezogen, wohin, wußte mir Niemand zu sagen. Ich habe nie eine Spur von ihm und dem Kinde entdeckt. Das Vaterhaus befand sich in fremden Händen, sonstige ! Verwandte besaß ich nicht mehr, was wollte ich in der Heimath? ! So verließ ich Hamburg aufs Neue und dachte nie wieder ' dorthin zurückzukehren. Aber das Menschenherz ist ein wunder- j lich Ding. (Fortsetzung folgt.)